European Response to the 1857 Rebellion in India

European Response to the 1857 Rebellion in India

Organizer(s)
University of Delhi, India
Location
Dehli / India
Country
India
From - Until
30.10.2007 - 31.10.2007
Conf. Website
By
Sarah Lemmen, Geisteswissenschaftliches Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO), Leipzig

Der indische Sepoy-Aufstand in den Jahren 1857 und 1858, der als „mutiny“, „rebellion“, „revolt“ oder auch als „uprising“ in die Geschichte einging, beschäftigte die Zeitgenossen in Europa und blieb auch in den folgenden Jahrzehnten Gegenstand europäischer Imagination. Es war auch dieser Aufstand von 1857, der die Europäer dazu brachte, Indien nicht nur als vergangene Größe aufzufassen, sondern sich ebenso mit der indischen Gegenwart zu beschäftigen, bedrohte er mit dem Britischen Imperium doch eine europäische Großmacht.

Die University of Delhi, deren Nordcampus auf einem der damaligen zentralen Kampfschauplätze der Metropole liegt, hat im Jahr 2007 eine Reihe von Veranstaltungen organisiert, die des Aufstandes vor 150 Jahren gedachten. Die Konferenz „European Responses to the 1857 Rebellion in India“ sollte einen ersten Überblick über europäische, nicht-britische Reaktionen auf den Sepoy-Aufstand 1857 geben und Überlegungen zu Art, Umfang sowie Ähnlichkeiten und Unterschieden in den untersuchten Ländern aufzeigen. Damit betraten die Konferenzteilnehmer in Bezug auf die Wahrnehmungen des indischen Aufstands selbst Neuland, da bislang die britische Perspektive im Zentrum der Aufmerksamkeit stand.1 Zugleich wurde hiermit ein Ansatz verfolgt, der bisher in den postcolonial studies noch kaum vertreten ist, nämlich die Untersuchung von Beziehungen zwischen europäischen und außereuropäischen Ländern, die nicht in einem direkten kolonialen Verhältnis standen. Nicht die „klassische“ Frage der postcolonial studies nach dem Einfluss der Kolonie auf ihre jeweilige Kolonialmacht, sondern ihr Bezug zu anderen europäischen Nationen wurde in den Blick genommen.

Die Konferenz war interdisziplinär geschichts- und literaturwissenschaftlich ausgerichtet. Während in einigen Vorträgen der Wandel der Interpretationen über einen längeren Zeitraum hinweg aufgezeigt wurde, unternahmen andere ein close-reading eines eng begrenzten Quellenkorpus. Die „nationale Sichtweise“ stand immer im Vordergrund, Überlegungen z.B. zu politischen Ausrichtungen der Autoren wurden, wenn sie überhaupt herauskristallisiert werden konnten, erst an zweiter Stelle thematisiert. Die unterschiedlichen Quellengattungen verweisen auf eine breite Auseinandersetzung mit dem Aufstand über einen langen Zeitraum hinweg: Neben der Tagespresse, die überall, wenn auch in unterschiedlicher Intensität, über den Aufstand berichtete, finden sich literarische Bearbeitungen schon seit 1858. Romane, Reiseberichte oder feuilletonistische Arbeiten stellten den Aufstand in das Zentrum ihrer Aufmerksamkeit und bezeichneten ihn als das wichtigste Ereignis der indischen Nationalgeschichte, der britischen Geschichte oder gar der Weltgeschichte. Geschichtsbücher, die den Aufstand von 1857 thematisieren, entweder in Form von Schulbüchern oder wissenschaftlichen Abhandlungen, sind dagegen als Quellen gar nicht berücksichtigt worden.

In einem der ersten Beiträge machte FLAMINIA NICORA (Universität Bergamo) anhand des italienischen Falles den doppelten britischen Einfluss auf die Bewertung der indischen Ereignisse deutlich. Zum einen betonte Nicora die Abhängigkeit der italienischen Presse von der englischen Berichterstattung, da nur teilweise auf französische Nachrichten zurückgegriffen werden konnte. Die faschistische Propaganda der 1930’er Jahre, in ihrer Ausrichtung antibritisch und damit gegen englische koloniale Ambitionen, zeigt dagegen, wie das italienische Verhältnis zu Großbritannien die Einschätzung des indischen Aufstandes prägte.

Mit einem Vergleich der Autoren Theodor Fontane und Wilhelm Liebknecht nahm CLAUDIA REICHEL (Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin) dezidiert Abstand von einem per se „deutschen Blick“ und bezog vielmehr die politischen Vorstellungen der Autoren in die Argumentation ein. Während Fontane in seiner antibritischen Haltung gegen koloniale Herrschaft in Indien protestierte, hegte der Sozialdemokrat Liebknecht die Hoffnung, dass die durch den Kolonialismus erwartete Industrialisierung den Indern zugute komme. Ebenso wie Th. Fontane arbeitete bei der preußischen „Kreuzzeitung“ auch Hermann Goedsche, der unter dem Namen Sir John Retcliffe einige der populärsten Abenteuerromane seiner Zeit veröffentlichte. Anhand seines Abenteuerromans Nena Sahib zeigte ANIL BHATTI (Jawaharlal Nehru University, New Delhi) die Verwobenheit von stark fiktiven Elementen, realen Personen und orientalistischen Motiven, die gleichzeitig politische Konnotationen aufzeigten.

Zwei Vorträge über Jules Verne verdeutlichten die Bedeutung der französisch-britischen Beziehungen für die französische Beurteilung des indischen Aufstandes. SUCHITRA CHOUDHURY (The Open University, UK) beschrieb die negative Interpretation des britischen Kolonialismus in Indien und die zumindest teilweise Heroisierung von Aufständischen wie Nena Sahib in Jules Vernes Romanen zu einer Zeit, als Franzosen und Briten im Kampf um Kolonien wetteiferten. Auch die englischen Übersetzungen der populären Bücher waren nicht frei von politischem Einfluss, wie SWATI DASGUPTA (University of Delhi) aufzeigte. Kolonialkritische oder antibritische Passagen des französischen Originals wurden verändert oder schlicht weggelassen. Alexis de Tocqueville dagegen, so referierte YOGESH SHARMA (Jawaharlal Nehru University, New Delhi), änderte seine britisch-kritische Haltung der 1840’er Jahre in Bezug auf Indien nach dem Aufstand, indem er die Zivilisierungsrolle der Briten in Indien für notwendig erklärte.

Portugal dagegen war als weitere Kolonialmacht auf dem indischen Subkontinent aktiv und damit potentiell selbst von den Ereignissen bedroht. Die Vorträge von BALAJI RANGANA THAN (Gujarat University, Ahmedabad) und SOVON SANYAL (Jawaharlal Nehru University, New Delhi) hoben dementsprechend eher die Unterstützung der Briten seitens der Portugiesen hervor. Überraschend war der Befund, dass in der zeitgenössischen spanischen Presse der Jahre 1857/1858 der Aufstand in Indien so gut wie keine Rolle gespielt hat. Die Referenten VIBHA MAURYA und MANEESHA TANEJA (beide University of Delhi) begründeten eine solche außenpolitische Ignoranz mit den starken innenpolitischen Krisen, denen das Land gegenüberstand.
Neben den Ländern Spanien, Portugal, Frankreich, Italien und Deutschland war auch die Habsburger Monarchie mit zwei Beiträgen vertreten. Die beiden die tschechische und die ungarische Perspektive behandelnden Beiträge konzentrierten sich damit auf die 1857 noch unter Repressionen und Zensur des Neo-Absolutismus leidenden Nationen der Habsburger Monarchie. MARGIT KÖVES (University of Delhi) beschränkte sich auf die Untersuchung ungarischer Printmedien der Jahre 1857/58 und zeigte auf, dass in der ungarischen Presse der Sepoy-Aufstand vor allem als Gleichnis für die eigene politische Unterdrückung gebraucht wurde, um die Zensur zu umgehen. Überlegungen zu Interpretationen außereuropäischer Ereignisse seitens „kleiner“, kolonieloser Nationen stellte SARAH LEMMEN (GWZO Leipzig) in Bezug auf tschechische Repräsentationen des indischen Aufstandes an. Vergleiche zwischen den tschechischen und den indischen Freiheitsbestrebungen sowie eine tschechische Rolle als Mittler zwischen den Briten und den Indern finden sich in literarischen Texten bis in die Zwischenkriegszeit. Überlegungen zum Einfluss des Status als „kleine Nationen“ auf die Wahrnehmung des indischen Aufstandes wurden in der Abschlussdiskussion aufgegriffen und für die direkte Berichterstattung 1857 vom tschechischen Beispiel ausgeweitet auf den italienischen, ungarischen und deutschen Fall.

Für die meisten Fälle konnte eine rege Beschäftigung mit dem indischen Aufstand ausgemacht werden. Während sie quantitativ in keinem Land an die britische Auseinandersetzung heranreichen kann, ist z.B. in der deutschen Öffentlichkeit ein breites Interpretationsspektrum zwischen pro- und antibritischer Haltung zu verzeichnen. Deutlich wurde die Abhängigkeit der Einschätzung der „indischen Frage“ von dem jeweiligen Verhältnis zur britischen Kolonialmacht. Aus europäischer Perspektive war die indische Frage demnach in erster Linie eine britische Frage. Gleichzeitig ist für die meisten untersuchten Länder eine starke Abhängigkeit von der britischen Berichterstattung erkennbar, vor allem was die zeitgenössischen Zeitungsartikel betrifft: Man kann hier von „a representation of a (British) representation of India“ sprechen.

Zwei nationale Perspektiven fehlten auf der Tagung, die vielleicht weitere Aspekte in der Frage nach den europäischen Repräsentationen des indischen Aufstandes hätten liefern können: Die polnische mit ihrer eigenen starken Aufstands-Tradition in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und die irische als „erste britische Kolonie“.

Die Konferenz verstand sich als ein Anfang in einem neu eröffneten Forschungsfeld. Es zeigte sich über die spezifischen Ergebnisse der Beiträge hinaus, wie eine transnationale Geschichte der Repräsentationen auch abseits des gängigen Beziehungsgeflechts von Kolonialstrukturen sehr ergiebig sein kann. Nicht nur wird Europa in Abgrenzung vom Außereuropäischen konstruiert, sondern auch das Außereuropäische in Europa.

Eine Veröffentlichung der Beiträge in einem Sammelband ist geplant.

Programm:

Eröffnungspanel:
Shaswati Mazumdar: Brief outline of an emerging research area
Sabyasachi Bhattacharya: Opening address
Anil Bhatti: Retcliffe’s Nena Sahib and the German discourse on India

Panel 2:
Flaminia Nicora: Under Italian eyes: Italian responses to the Indian Rebellion of 1857 in the 19th and early 20th century
Yogesh Sharma: Alexis de Tocqueville and the Revolt of 1857
Chair: Hari Vasudevan

Panel 3:
Claudia Reichel: Theodor Fontane and Wilhelm Liebknecht on the Rebellion in India – two German responses
Margit Köves: Responses of Hungarian newspapers and journals to the 1857 Rebellion
Chair: Madhavan Palat

Panel 4:
Swati Dasgupta: Why the British censored Jules Verne’s writings on the Indian Mutiny of 1857
Suchitra Choudhury: French Fare: Jules Verne, Translation, and British “Mutiny Fiction”
Chair: Kusum Aggarwal

Panel 5:
Balaji Ranganathan: Francisco Luis Gomes’s “Os Brahamanes”: The 1857 Uprising and Anglo Indian Society
Sovon Sanyal: The 1857 Revolt as reflected in Portuguese Literature
Chair: Kusum Aggarwal

Panel 6:
Sarah Lemmen: Representations of India and its 1857 Rebellion in Czech Society, 1850’s-1930’s
Vibha Maurya/ Maneesha Taneja: A View of the Revolt in the Spanish Press
Chair: Sharmistha Lahiri

Panel discussion:
Hari Vasudevan, Madhavan Palat, Gautam Chakravarty, Amar Farooqi
Moderator: Shaswati Mazumdar

Anmerkung:

1 Zwei der neuesten Studien sind Chakravarty, Gautam, The Indian mutiny and the British imagination, Cambridge 2005; sowie Erll, Astrid, Prämediation – Remediation. Repräsentationen des indischen Aufstandes in imperialen und post-kolonialen Medienkulturen (von 1857 bis zur Gegenwart), Trier 2007.

Contact (announcement)

Department of Germanic & Romance Studies
University of Delhi, Delhi – 110007
Tel: 27666426, 27667725 Ext.1296
E-mail: head@grs.du.ac.in, grs.du.in@gmail.com


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Published on
11.01.2008
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