Paris croisé ou comment le monde extra-européen est venu dans la capitale françiase (1760-1800)

Paris croisé ou comment le monde extra-européen est venu dans la capitale françiase (1760-1800)

Organizer(s)
Prof. Dr. Anja Bandau (Lateinamerika-Institut, FU Berlin) Prof. Dr. Rebekka v. Mallinckrodt (Friedrich-Meinecke-Institut, FU Berlin)
Location
Berlin
Country
Germany
From - Until
29.11.2007 - 01.12.2007
By
Gesine Müller, Universität Potsdam

Vom 29. November bis 1. Dezember 2007 fand am Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin die Tagung „Paris croisé oder: Wie die außereuropäische/koloniale Welt in die französische Hauptstadt kam“ statt. Bereits die institutionelle Verankerung der beiden Organisatorinnen, ANJA BANDAU (Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin) und Rebekka von MALLINCKRODT (Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin) ließ einen vielversprechenden interdisziplinären Dialog an der Schnittstelle von Literatur-, Kultur- und Geschichtswissenschaft erwarten. Nach einer Einführung durch die beiden Organisatorinnen begann die international besetzte Tagung mit einem Eröffnungsvortrag von OTTMAR ETTE (Univ. Potsdam) über Paris / Berlin: „Alexander von Humboldt, the Freedom of Travels, and the Perspectives of interconnected TransArea Studies“. Ausgangspunkt war Humboldts Begeisterung über das Paris von 1790. ETTES anschauliche und komplexe Darstellung von Humboldts Aufbau eines Netzwerkes zwischen Amerika und Sibirien mit den besonders exponierten Zentren Paris und Berlin war ein gelungener Auftakt und leitete hervorragend in das Gesamtthema der Tagung ein. Die Ausführung der „Netze dieses wissenschaftlichen Kosmopoliten“ verdeutlichte, welche Art von Transferforschung auf der Tagung in den Blick genommen werden sollte. In der lebhaften anschließenden Diskussion verdiente Humboldts Blick auf den Hafen von Havanna besondere Aufmerksamkeit. Die Art und Weise der narrativen Annäherung könne als metaphorisches Bewegungselement per se gelesen werden. Die Insel Kuba präsentiere paradigmatisch jenes „entanglement“, das besonders im 28. Kapitel von Humboldts Relation historique zum Ausdruck kommt.
Die erste Sektion wurde von PIERRE YVES LACOUR (Europäisches Hochschulinstitut Florenz) eingeleitet, der über „La place des colonies dans les collections d’histoire naturelle 1789-1804“ sprach. Im Rahmen der seit ca. vierzig Jahren untersuchten Beziehungen zwischen Wissenschaft und Empire stellt sein Forschungsgegenstand, die Beziehungen zwischen Naturwissenschaften und Kolonien zur Zeit der Französischen Revolution, eine spannende Forschungslücke dar. Sehr umfassend konnte LACOUR darstellen, inwiefern die intellektuelle und politische (d.h. koloniale) Herrschaft über die Natur zusammenhängen. Seinen Untersuchungszeitraum rahmte er plausibel mit den Fixpunkten 1791, der Neuordnung der Pariser Museumslandschaft und 1804, dem Zusammenbruch des 1. französischen Kolonialreiches. Zum einen konzentrierte er sich auf Sammlerstücke aus den Kolonien in den drei zentralen Pariser Sammlungen der Naturgeschichte zur Zeit der Revolution; zum anderen richtete er sein Augenmerk auf die Problematik der Akklimatisierung und Übersiedlung der Pflanzen und zwar in beide Richtungen, d.h. sowohl von den Kolonien in die Metropole, als auch von der Metropole in die Kolonien.
Im gleichen Wissensfeld verortete sich der Vortrag von JEAN LUC CHAPPEY (Univ. Paris I) über „Les enjeux de l’anthropologie de la Société des Observateurs de l’homme au moment ‚1800’“. Differenziert stellte er die nur fünf Jahre (1799-1804) andauernde, aber entscheidende Phase der Société des Observateurs de l’homme dar, die einen wichtigen Grundstein zur Entstehung der Anthropologie bilde. Zentral war die Frage, inwiefern die Gründung der Société des Observateurs de l’homme beeinflusst war vom Klima der Neuordnung der Wissenssysteme bzw. inwiefern sie selbst diese Neuordnung maßgeblich mitbestimmte. Als auffallend wurde die Heterogenität der (Wissenschaftler-)Gruppe unter der Präsidentschaft von Jauffret konstatiert. Es handelte sich um Spezialisten, die keine großen Namen hatten. CHAPPEY vermittelte die Vernetzung der Vereinigung, dies sowohl geographisch (Deutschland als wichtiger Bezugspunkt / Verbindung Strasbourg-Dresden), als auch interdisziplinär (z.B. viele Verbindungen zur Société royale de médecine). Es nähme nicht wunder, dass diese Konstellationen zu einer wissenschaftliche „Bricolage“ führten. CHAPPEY zeigte außerdem, wie die französische Anthropologie unter dem Eindruck der sich wandelnden innenpolitischen Verhältnisse auch ihr wissenschaftliches Programm und damit ihre Wahrnehmung der außereuropäischen Welt veränderte: Hatte die Société des Observateurs de l’homme (1799-1804) mit ihren auch für Nicht-Wissenschaftler durchlässigen institutionellen Grenzen noch ein aufklärerisches, philanthropisches Programm, so wären die sich etablierenden wissenschaftlichen Institutionen der napoleonischen Zeit nicht nur auf Abgrenzung innerhalb der französischen Gesellschaft bedacht gewesen (Wissenschaftler – Nichtwissenschaftler), sondern betonten solche Züge auch in ihrem Blick auf die außereuropäische Gesellschaft: Die „Wilden“ erschienen nicht mehr als lernfähige Objekte der zivilisatorischen Mission, sondern als unterlegene Rasse ohne jede Entwicklungsfähigkeit, nicht mehr als „Brüder“ mit gemeinsamen Ursprung, sondern als „Andere“.
Es folgte der Beitrag von HANS-JÜRGEN LÜSEBRINK (Univ. Saarbrücken) über die Histoire des deux Indes von Raynal, die als wichtiges Referenzwerk der Aufklärung sowohl auf ideologischer als auch auf enzyklopädischer Ebene zahlreiche Gegenreaktionen hervorrief. LÜSEBRINK gelang es in seinen Ausführungen, zentrale Stationen der problematischen Rezeptionsgeschichte aufzuarbeiten. Als „Contrediscours de la colonisation“ habe das Werk Raynals Persönlichkeiten wie Simón Bolívar oder Fray Servando de Mier beeinflusst, vor allem was die besonders heftig ausfallende Kritik am spanischen Kolonialismus betrifft. Francisco Clavijero gehöre mit seiner Historia antigua de México zu den wichtigsten Stimmen der Kritiker. Trotzdem lassen sich noch Forschungsdesiderata vor allem hinsichtlich der lateinamerikanischen Rezeption von Raynals Oeuvre ausmachen. Raynal bereitete aufgrund der zahlreichen kritischen Stimmen sogar eine grundlegend revidierte 4. Edition vor, die allerdings nicht mehr vor seinem Tod erscheinen konnte und posthum nicht ediert wurde. LÜSEBRINK zeigt in der Darstellung dieser Debatten, wie sehr das Bild der außereuropäischen Welt und in diesem Falle Lateinamerikas durch die verstärkte Wissenszirkulation ab den 1780er Jahren in Bewegung geriet.
Der Vortrag von MECHTILD GILZMER (Technische Universität Berlin) beschäftigte sich mit Jean-Nicolas Démeuniers ‚L’esprit des usages et des coutumes des différents peuples’ (1776). Sie unternahm eine innovative Lesart des Textes und führte aus, warum ‚L’esprit des usages…’ als Praxis einer modernen Ethnologie verstanden werden kann. Ihre Interpretation des Textes gab Anlass zu einer besonders lebhaften Diskussion. Denn obgleich sich Démeunier methodisch und inhaltlich von älteren Schreibern distanzierte, griff er in weiten Teilen (indirekt) auf den weitaus älteren Bericht (1550ff.) des Leo Africanus zurück und reproduziert dessen Stereotype. Anspruch und Praxis Démeuniers waren also keineswegs deckungsgleich.
FRANÇOIS REGOURD (Paris X) zeigte in seinem Vortrag überzeugend, wie Paris im Laufe des 17. und 18. Jahrhundert zu einem Ort kolonialer Repräsentation wurde. Auch wenn auffällig ist, dass die koloniale Expansion Frankreichs zunächst wenige Spuren in der Hauptstadt hinterließ und sozusagen „unsichtbar“ blieb, käme man nicht umhin, in der ersten Hälfte des 17. Jh. eine erste Hochphase kolonialer Präsenz festzumachen, was in erster Linie auf die koloniale Expansion der Franzosen auf den Antillen, Kanada und Guyana zurückzuführen ist. In dieser Phase ist auch die Entstehung der Kultur medizinischer Pflanzen und erster städtischer Gärten anzusetzen. Eine weitere wichtige Station ist die Entwicklung des Druckwesens, was sich auch auf die Verbreitung von geographischen Karten auswirkt. Dadurch würden Entstehung und Ausbau von Netzwerken des Wissens begünstigt. REGOURD spricht von einer „Hégémonie parisienne dans le domaine des savoirs coloniaux“. Welche Folge hat dies für die französische Provinz? Schon früh wurden Dezentralisierungsbestrebungen umgesetzt: so kam die Académie de marine 1752 nach Brest. Allerdings trugen solche Versuche nicht dazu bei, Paris als Zentrum kolonialer Repräsentationsformen in Frage zu stellen. Der Vortrag zeigte sehr überzeugend, wie aus Paris seit Beginn des 17. Jahrhunderts mit den Bemühungen, koloniale Expansion sichtbar zu machen, auch eine Quelle für die Legitimation des Kolonialismus wurde.

Mit Marcel DORIGNYS (Univ. Paris I) Beitrag „La Société des Amis des Noirs: Le ‘discours non prononcé‘ de Mirabeau sur la traite“ wurde der zweite thematische Schwerpunkt der Tagung eingeleitet: Prozesse der Inklusion und der Exklusion. DORIGNY begann seine Darstellung der Debatten um die Abschaffung der Sklaverei, genauer um die Abschaffung des Sklavenhandels mit der Darstellung der Vorbildrolle Englands. Sein Hauptaugenmerk richtete er auf einen Text Mirabeaus, der bisher von der Abolitionismusforschung unterschätzt wurde. Die nie – wie ursprünglich intendiert – vor der Assemblée nationale gehaltene Rede entstand in Kollaboration mit einem transnationalen Netzwerk (Thomas Clarkson, Etienne Dumont) zwischen September 1789 und März 1790 und wurde schriftlich unter dem Titel „Traité contre la traite“ fixiert. DORIGNY zeigte pointiert, welche Rolle die Verbreitung der Ideen um die Abolition spielten, und unterstrich dabei die Rolle Mirabeaus und des Jakobinerclubs, in dem Mirabeau immerhin einen Teil der Rede hielt. Er zeigte das von vielfältigen strategischen und taktischen Überlegungen zu Koalitionen (etwa mit den Vertretern der gens de couleur) und zu den Kräfteverhältnissen (zwischen Girondisten, Jakobinern und den Vertretern der colons) abhängige Agieren der Amis des Noirs.
Es folgte NICK NESBITT (King’s College Univ. of Aberdeen) mit einem Vortrag über „Radicalizing the Radicals: Saint Domingue and the Problem of Slavery in Revolutionary Paris.“ Ihm gelang es, die komplexen transatlantischen Transferprozesse zwischen Saint-Domingue/Haiti und Paris zu beleuchten. Er hinterfragte den als selbstverständlich angenommenen Zusammenhang zwischen der „Déclaration des droits de l’homme“ und den abolitionistischen Ideen auf der „Perle des französischen Kolonialreichs“. Sehr pointiert und souverän deckte er bisher wenig beleuchtete Verbindungen auf, die zwischen den haitianschen Ereignissen und alternativen Strängen westlicher Philosophie bestehen. Damit wurde die mittlerweile in der Forschung zur haitianischen Revolution etablierte Interpretation von Susan Buck-Morss (Hegel and Haiti) um einige Dimensionen erweitert.
JEREMY POPKIN (Univ. of Kentucky) zeigte beeindruckend, wie komplex sich der Informationstransfer der Nachricht von den revolutionären Ereignissen von Cap Français (Saint Domingue) am 20. Juni 1793 gestaltete. Er nahm die Folgen der haitianischen Ereignisse für das revolutionäre Frankreich in den Blick. Sie führten zu ersten offenen abolitionistischen Kundgebungen und brachten erstmalig die Französische Revolution mit Fragen nach der Abschaffung der Sklaverei in Verbindung. Die Ereignisse jenes 20. Juni 1793 in Cap Français boten sich besonders für eine journalistische Nachricht an: sie waren unerwartet, spektakulär und bedeutungsvoll. Was den Stellenwert von Paris als Kreuzungspunkt kolonialer Informationen betrifft, so betonte POPKINS die vorrangige Bedeutung der französischen Hafenstädte Bordeaux, Nantes, Le Havre. In vieler Hinsicht waren auch die USA und England besser informiert als ganz Frankreich. Jede Form von Korrespondenz zwischen Saint Domingue und Paris dauerte im besten Fall sechs bis acht Wochen. POPKINS betonte u.a. die Bedeutung privater Korrespondenzen zwischen Plantagenbesitzern und ihren Familien „en métropole“. Er begründete dies mit dem historischen Erkenntnisgewinn eines Briefwechsels zwischen zwei Privatpersonen, der mehr über die revolutionären Ereignisse auf Saint Domingue ans Licht brachte, als alle Zeitungsartikel. Nicht zu unterschätzen sind auch die inhaltlich sich teilweise fast widersprechenden Nachrichten, die natürlich, da politisch motiviert, hochideologische Zwecke verfolgten. Diese widersprüchlichen Aussagen bezogen sich vor allem auf Spekulationen bzgl. der Urheberschaft der Aufstände.
ANJA BANDAU (Freie Universität Berlin) sprach über „L’histoire des désastres de Saint-Domingue, ou comment écrire sur les évènements à Saint-Domingue entre la colonie et Paris“. Mit der Darstellung der L’histoire des desastres de Saint Domingue (1795), die die Ereignisse auf Saint Domingue von 1789-1793 zum Inhalt hat, stellte sie überzeugend die Wirkungsmöglichkeiten einer transatlantischen Erzählung vor. Ein zentraler Aspekt liege in der Diskussion über die Anwendung der Gesetze der Gleichstellung der freien Farbigen. Der anonyme Autor, Fürsprecher der geflohenen colons, kritisiere die abolitionistischen Forderungen von Sonthonax und Polverel. BANDAU führte dem Publikum pointiert die problematische Komplexität und Widersprüchlichkeit der politischen Positionierungen der Protagonisten vor Augen. Der Text bewege sich zwischen Referenzen auf Wertvorstellungen der Société des Amis des Noirs und der Histoire des deux Indes. Sehr spannend und differenziert wurde der Frage nachgegangen, inwiefern der Wissenstransport mit den Strategien des Autors zusammenhängt. Der Beitrag führte einen transatlantischen Raum zwischen „colonie“ und „patrie“ vor Augen. Trotz der revolutionären Ereignisse von 1789 bewahrt Frankreich seine Funktion als „patrie“. Diese Konstellation bot viel Stoff für die Diskussion, nicht zuletzt weil sich der Autor als „patriote en France et aristocrate à Saint Domingue“ vorgestellt hatte. Diesbezüglich resümierte ein aufschlussreicher Kommentar, dass für die Interpretation von Stellungnahmen ein und derselben Person in Bezug auf „colonie“ und „patrie“ grundsätzlich zwei unterschiedliche Register gezogen werden müssten.

Der dritte Konferenztag beschäftigte sich schließlich mit dem Oberthema der Repräsentationsmedien in bildender und darstellender Kunst, sowie mit diversen literarischen und journalistischen Formen zwischen Fiktionalität und Faktualität. BÉNÉDICTE SAVOY (Technische Universität Berlin) widmete sich der Ägyptologie um 1800. Sie führte aus, inwiefern sich um 1800 ein weltweites Netzwerk von St. Petersburg über Göttingen bis Philadelphia daran machte, den 1801 aus Ägypten nach London – statt nach Paris – „entführten“ Stein von Rosette mit seiner dreisprachigen Inschrift zu entziffern. SAVOY machte deutlich, inwiefern diese Ereignisse sowohl für die Geschichte der Aneignungsprozesse außereuropäischer Kulturen in Europa als auch für die Geschichte der Ägyptologie als sich transnational formierender Disziplin von größtem Interesse waren. Neben dem materiellen Besitzanspruch auf eines der außerordentlichsten Denkmäler der Antike bildete sich auch ein intellektueller Besitzanspruch, der allerdings auf internationale Vernetzungen angewiesen war. Der Vortrag schrieb sich somit hervorragend in das zentrale Anliegen von „Paris croisé“ ein. Gleichzeitig zeigte er, wie die Konzentration auf einen Kristallisationspunkt (hier: Paris) zu kurz greifen kann, da die Wettbewerbssituation zwischen London und Paris nicht nur an sich von zentralem Interesse ist, sondern auch für die Erhellung der Funktion der französischen Metropole von nicht zu unterschätzender Bedeutung sein kann.
GERTRUD LEHNERT (Univ. Potsdam) widmete sich in ihrem Vortrag über „Des robes à la turque’ et autres orientalismes à la mode“ dem Thema der „Mode als Medium des Kulturtransfers“. In ihren Ausführungen zeigte Lehnert, inwiefern die Mode ebenfalls eine Profilierung der etablierten Forschungsparameter Exotismus und Orientalismus biete, da sie – besonders explizit – nicht nur bi-polar zwischen Zentrum und Peripherie zirkuliere, sondern netzwerkartig „unterwegs“ sei. Das zentrale Anliegen der Tagung wurde konkret in den Blick genommen, wenn sie hervorhob: „Le transfert via la mode se réalise rarement comme une vraie rencontre avec l’étranger, mais plutôt comme une absorption syncrétiste de certains éléments exotiques“. Damit bezog sie Edward Saids Orientalismus-Theorie auf Orientalismen in der Mode.
In ihrem Vortrag über „Representations and Reflections: French and ‚Alien’ Bodies in late 18th century” machte REBEKKA VON MALLINCKRODT (Freie Universität Berlin) deutlich, dass sich die anhand französischer Quellen untersuchte Wahrnehmung von Franzosen und Fremsklden keineswegs in der Gegenüberstellung von degenerierten Europäern und edlen Wilden erschöpfte. Vielmehr zeigte sie am Beispiel der europäischen Debatten über die Schwimm- und Tauchfähigkeit des Menschen auf, dass die Möglichkeiten und Grenzen des Körpers für Zeitgenossen keineswegs eindeutig waren. Einerseits inspirierten Reiseberichte über die phantastischen Schwimm- und Tauchfähigkeiten der „edlen Wilden“ europäische und besonders französische Schwimmtraktate, andererseits wurden solche Fertigkeiten in französischen naturhistorischen Schriften auch einheimischen „hommes“ und „femmes marins“ zugesprochen. Paris spielte in diesen Debatten eine besondere Rolle, da hier 1784 die erste Schwimmschule Europa eröffnet wurde.
CHRISTIANE KÜCHLER WILLIAMS (Chicago) widmete sich dem Thema „Excitable minds – the possible use and abuse of travelogues as erotic writings“. Anhand von Pazifik-Reiseberichten des späten 18. Jahrhunderts analysierte Küchler Williams Anfänge und Hintergründe der Südseebegeisterung. Sie untersuchte die Südsee-Faszination vor allem aus der Perspektive der Vorstellung vom exotischen Paradies, freier Sexualität, ständeloser Gesellschaft, politischer Utopia und dem "Edlen Wilden". Gemeinsamkeiten von Berichten, die zwischen 1766 und 1780 von solch unterschiedlichen Autoren wie Wallis, Carteret, Bougainville und Cook verfasst wurden, lägen erstens in der Bewunderung des botanischen Reichtums der Inseln, zweitens in einer sehr positiven Sicht auf die Einheimischen und drittens in der Faszination bezüglich der Schönheit und sexuellen Freizügigkeit der Frauen. Sehr überzeugend führte Küchler Williams aus, dass die männliche Begeisterung für die Südsee-Schönheiten noch dadurch begünstigt wurde, dass die Entdeckungsfahrten in jene entlegenen Gebiete zeitlich koinzidierten mit einer Phase der Propagierung puritanischer Enthaltsamkeit in Europa. Die erotische Attraktion und die damit verbundene Feminisierung und Sexualisierung der Südsee wurden als bedeutende Faktoren für die Neudefinition der europäischen Männlichkeit im 18. Jahrhundert herausgearbeitet. Anhand von verschiedenen Auszügen von Reiseberichten entwickelte sie Wahrnehmungsparadigmen die eine bis in die Gegenwart hineinreichende Faszination für den exotisch-erotischen Traum von der Südsee zu belegen scheinen.

Die Abschlussdiskussion resümierte insgesamt eine sehr erfolgreiche Tagung, deren Ansätze und Impulse in Zukunft weiter gedacht werden müssen. Dem Anspruch, einem „Paris croisé“ zwischen 1760 und 1800 auf die Spur zu kommen, wurde man in sehr vielen Dimensionen gerecht. In dieser Vieldimensionalität liegen bekanntlich immer auch Gefahren, auf die denn auch von konstruktiv-kritischen Stimmen hingewiesen wurde. So wurde in Anlehnung an den Beitrag von SAVOY die Notwendigkeit betont, zur fruchtbaren Auseinandersetzung mit Fragen außereuropäischer Aneignung immer auch andere europäische Metropolen in den Blick zu nehmen, da diese für die Eruierung des Paris-Spezifischen unabdingbar dazugehören. Erst wenn die Dynamiken parallel in mehreren (europäischen) Zentren wahrgenommen werden, kann verstanden werden, warum sich bestimmte koloniale Praktiken durchsetzen. Hier muss jedoch angemerkt werden, dass bereits im Konzept der Tagung seitens der beiden Organisatorinnen darauf aufmerksam gemacht wurde, dass die Konzentration auf die französische Hauptstadt exemplarisch und in erster Linie forschungs_pragmatischen_ Gründen geschuldet war. Auch wurde betont, dass die Reziprozität des kolonialen Verhältnisses konsequenter beleuchtet und damit Anschluss an die bisherige „traditionellere“ Kolonialismusforschung gesucht werden müsse. Was wirkt wieder aus den Zentren in die Kolonien zurück? Erst unter Berücksichtigung dieser Seite des Transfers kann man einem Zirkulationsgedanken im Rahmen der Wissensvermittlung gerecht werden. Weitere Aspekte, die aufgegriffen wurden, waren die Forderung nach einer Profilierung des Transferbegriffs, einer stärkeren Berücksichtigung des Verhältnisses Hauptstadt-Provinzstädte, einer expliziteren Auseinandersetzung mit dem ökonomischen Faktor innerhalb der Transferprozesse (auch eine Berücksichtigung der expandierenden Druckerindustrie, wie es im Vortrag von REGOURD anklang). Es war jedoch allgemeiner Konsens, dass diese konstruktiven Vorschläge keinesfalls im Widerspruch stehen zu dem allgemeinen äußerst positiven Fazit, dass sich der interdisziplinäre Austausch als inhaltlich höchst bereichernd erwiesen hat und fortgesetzt werden sollte. Dies alles auch dank eines in jeder Hinsicht bestens organisierten Rahmen und eines sehr angenehmen und gastfreundlichen Ambientes.

Konferenzübersicht:

ANJA BANDAU/REBEKKA V. MALLINCKRODT
Opening / Introduction

OTTMAR ETTE (Potsdam): Alexandre de Humboldt, son Voyage aux régions équinoxiales du Nouveau Continent et la conception d'une science relationnelle et interconnectée

1. Processes of scientification and the formation of disciplines / Les processus d'institutionnalisation des savoirs et la formation des disciplines

PIERRE YVES LACOUR (Florenz): La place des colonies dans les collections françaises d'Histoire naturelle sous la Révolution

JEAN LUC CHAPPEY (Paris): Les enjeux de l'anthropologie de la Société des Observateurs de l'homme au moment '1800'

commentator of that section / discutant de cette section:
Jens Häseler (Potsdam)

HANS-JÜRGEN LÜSEBRINK (Saarbrücken): Encyclopédisme occidental et contre-discours non-européens: G.-T. Raynal et ses critiques nordaméricains et latinoaméricains

MECHTILD GILZMER (Berlin): Jean-Nicolas Démeunier et «L’esprit des usages et des coutumes des différents peuples» (1776): Une approche scientifique de l'Afrique

FRANÇOIS REGOURD (Paris): Les lieux de savoirs coloniaux à Paris vers 1780 : institutions et enjeux savants

commentator of that section / discutant de cette section:
Christoph Singler (Besançon)

2. Processes of inclusion and exclusion / Les processus d’inclusion et d’ exclusion

MARCEL DORIGNY (Paris): La Société des Amis des Noirs: Le «discours non prononcé» de Mirabeau sur la traite

NICK NESBITT (Aberdeen): Radicalizing the Radicals: Saint Domingue and the Problem of Slavery in Revolutionary Paris

Commentator of that section / discutant de cette section:
Daniel Schönpflug (Berlin)

JEREMY POPKIN (Kentucky): The Haitian Revolution in French Newspapers

ANJA BANDAU (Berlin): L'Histoire des désastres de Saint-Domingue

commentator of that section / discutant de cette section:
Isabella v. Treskow (Brüssel)

3. Media of representation, fiction and factuality / Les formes et médias de représentation, le fictionnel et factuel

BENEDICTE SAVOY (Berlin): L'Egyptologie autour de 1800, un objet d'émulation transnational

GERTRUD LEHNERT (Potsdam): Des “robes à la turque” et autres orientalismes à la mode

commentator of that section / discutant de cette section:
Gesine Müller (Halle)

REBEKKA V. MALLINCKRODT (Berlin): Representations and Reflections: French and “Alien” Bodies in late 18th Century

CHRISTIANE KÜCHLER-WILLIAMS (Chicago): Excitable Minds – the Possible Use and Abuse of Travelogues as Erotic Writings

commentator of that section / discutant de cette section:
Sabine Schülting (Berlin)

http://www.lai.fu-berlin.de/aktuelles/veranstaltungen/tagungen/paris_croise.html
Editors Information
Published on
19.04.2008
Contributor