Transnationale Geschichte _machen_ - Anmerkungen zu einem möglichen Vorgehen

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Adrian Gerber, Universität Bern, Schweiz

Abstract: This article seeks to contribute to the debate on ‘transnational’ or ‘global history’ from a practical point of view. Which approach will proof successful for ‘transnational history’? What shall be our strategy of implementation? To provide answers to these questions, the adherents of the new perspective shall have to tackle first the ‘language barriers’ between national historiographical discourses. In the initial phase its primary aim should be to contribute to a ‘conceptual history for transcultural purpose’ (Begriffsgeschichte in transkultureller Absicht). This line of research could be modelled after the dictionary ‘Geschichtliche Grundbegriffe’, probably one of the most important oeuvres of modern German Historiography. The kind of ‘transcultural dictionaries of conceptual history’ will be indispensable ‘maps’ for nowadays ‘nationally-focussed’ historical researchers to cross the national framework of their analysis and venture into hitherto unknown areas. They will be crucial instruments to read and contextualize the «thick» descriptions produced by the so-called oriental or area studies. Many of this research’s rich results have thus far been ‘locked up’ in specialized series and journals. By use of transcultural dictionaries they could be revealed to a broader scientific public. In the long run, the implementation of transnational historical perspective would also have to promote closer collaboration between researchers of national histories on one hand and area studies on the other. Only when the debate on transnational comparisons and transfers can be brought down to the ‘factual’ level of documents, there will be a chance to bring about a sustainable change of perspective that eventually will lead to a ‘de-exotization’ and ‘de-culturalization’ of the Historical Sciences.

Mit dem Beitrag von Jochen Meissner hat die Debatte im Forum geschichte.transnational erstmals eine "realpolitische" Färbung erhalten. Meissner hat nicht allein im Blick, um was es theoretisch, methodisch und perspektivisch bei der transnationalen Geschichte gehen könnte und welche Dimensionen und Ansätze sie umfassen könnte. Gegen Ende seines Beitrags kommt er vielmehr unverblümt auf die entscheidenden Fragen zum Erfolg und zur Stoßrichtung dieser neuen Forschungsperspektive zu sprechen: Wie lässt sich eine gemeinsame Strategie zur universitären und forschungspraktischen Umsetzung der neuen Forschungsperspektive entwickeln, welche maßgeschneidert für die heutigen Studierenden und überzeugend für die Wissenschaftspolitiker ist? Wie ist „in Frontstellung zur deutschen Geschichte“ (Meissner) der Kampf um Stühle und Fördertöpfe zu führen? Wie lässt sich das Anliegen transnationale Geschichte in Zeiten der knappen Finanzen konkret umsetzen? Dies sind Fragen, deren Antworten entscheidend das Selbstverständnis und die Stoßrichtung der transnationalen Geschichte prägen werden. Die "realpolitische" Wende hat damit Rückwirkungen auf den Spielraum der theoretischen und methodischen Debatte. Denn sie schränkt den Spielraum der Debatte im Kern auf das Machbare ein: Will die Forschungsperspektive transnationale Geschichte Fuß fassen, so muss sie die Ansprüche auf die Höhe der Realisierungschancen im Feld der Wissenschaftspolitik ausrichten. Natürlich wird es immer Utopisten geben und brauchen, welche die Maximalvariante des umfassenden Paradigmenwechsels fordern. Ihre Rolle wird es sein, zu gewährleisten, dass sich die transnationale Perspektive beharrlich weiterentwickelt. Im Mainstream der transnationalen Geschichte wird sich das theoretische Programm indes an den Kompetenzen und Möglichkeiten von „Otto-Normal-Historiker/innen“ (Meissner) ausrichten müssen.

In einem zentralen Aspekt ist in der Debatte schon Konsens für diesen Anschluss an das realistisch Mögliche erzielt worden. Die meisten Stimmen haben betont, dass der Stellenwert des Nationalen weiterhin hoch zu veranschlagen sei. Anders gesagt: Eine realpolitische Umsetzungsstrategie beim Perspektivewechsel muss bei der Tatsache ansetzen, dass die große Masse der Geschichtsschreibung heute national (oder regional bzw. lokal) ausgerichtet ist. Dabei ist mehr als bisher noch hervorzuheben, dass eine der wichtigsten Auswirkungen der nationalistischen Tradition der Geschichtsforschung die wissenschaftliche Kommunikation in einer Nationalsprache darstellt. Dies führt dazu, dass wissenschaftliche Diskurse und Debatten entlang der Sprachgrenzen relativ stark abgeschottet blieben. Da eine effiziente wissenschaftliche Beschäftigung in einer Fremdsprache in der Regel sehr gute Kenntnisse dieser Sprache erfordert, unterliegt die Diffusion und Verbreitung neuer Ansätze und Werke aus anderen Sprachen in der Regel immer noch langen Inkubationszeiten. Wissenschaft ist eine Form der Kommunikation und wissenschaftliche Produkte wie Monografien oder Artikelbeiträge richten sich immer an ein bestimmtes Publikum, welches über bestimmte Vorkenntnisse verfügt. Produkte der transnationalen Geschichte werfen viel drängender noch als diejenigen der nationalen Geschichte die Frage auf: Wer hat die Voraussetzungen, sowohl was das Interesse als auch die (sprachlich-kulturellen) Vorkenntnisse betrifft, eine bestimmte Studie zu lesen, verstehen zu wollen und zu können? Hier ist mit Hans-Georg Gadamer daran zu erinnern, dass die Leser/innenschaft einer Studie in der Regel einen gemeinsamen, letztlich unhintergehbaren Horizont teilt, denn, so Gadamer, „das Verstehen ist selber nicht so sehr als eine Handlung der Subjektivität zu denken, sondern als Einrücken in ein Überlieferungsgeschehen“.1 Dass dieses historiografische Überlieferungsgeschehen letztlich sehr eng mit der verwendeten Sprache und derer Geschichte im alltäglichen und wissenschaftlichen Diskurs verknüpft ist, gehört zu den grundlegenden Erkenntnissen der philosophischen Hermeneutik. „Heidegger would say, that experience is made possible by a set of a priori forms of the kind Kant described (time, space, categories); but these a priori are embodied in the language we find ourselves speaking, and language is historically inherited.“2 Natürlich soll damit nicht gesagt sein, dass diese "Sprachkulturen" hermeneutisch abgeschlossen seien. Im Gegenteil, auf sie aufmerksam zu machen bezweckt vielmehr den Deckungsungleichheiten zwischen Begriffen und Übersetzungsbegriffen gewissermaßen nicht zum Opfer zu fallen, indem man diese Differenzen selbst in den Blick nimmt und zum Gegenstand der Betrachtung macht. Die Begriffe Staat oder Herrschaft, zum Beispiel, assoziieren nicht das gleiche wie state oder dominion im Englischen (oder Amerikanischen), die deutsche Zivilisation meint nicht das gleiche wie die civilisation im Französischen. Und diese Begriffe decken wiederum nicht die gleichen Bedeutungsdimensionen und -kontexte ab wie kokka, shihai und bunmei im Japanischen.

Dass die Reflexion von Fragen der Übersetzungstheorie, der Begriffsgeschichte und anderer methodischer Aspekte der "Sprach(kultur)differenz" eine Grundsatzfrage der transkulturellen Forschungsperspektive darstellt, ist in der Debatte – nicht ganz zufällig – vor allem von der Indologin Margrit Prenau angesprochen worden. Auch Matthias Middell hat festgehalten, dass den Anhängern einer lingua franca diejenigen gegenüberstehen, „welche die Mehrsprachigkeit zwar als beschwerliche, aber auch gewinnbringende Form der Überwindung eingeschliffener nationalhistorischer Kategorien und Denkstile empfinden“. Angesprochen ist damit die methodische Herausforderung der transkulturellen Geschichte, historische Phänomene einer anderen Sprache und Kultur in der eigenen Sprache darzustellen, ohne Missverständnisse oder vorschnelle Interpretationen aufgrund des eigenen sprachkulturellen Kontextes hervorzurufen. Will man nicht das Risiko von Fehlinterpretationen eingehen, ist die (stets vergleichende) Geschichte eines japanischen Dorfes im Mittelalter, welche in deutscher Sprache erzählt wird, ohne Vorkenntnisse der japanischen Geschichte nicht zu verstehen.3 Und was für dieses Beispiel gilt, trifft für die meisten wissenschaftlichen Erzeugnisse einer spezialisierten Japanologie oder anderer so genannter Orchideenfächer – von der Sinologie bis zu den Islamwissenschaften – in mehr oder weniger großem Ausmaß ebenso zu.

Was bedeutet dieses Risiko der Missinterpretation im nationalistischen Kontext nun für die Umsetzungsstrategie der transkultuellen Forschungsperspektive?

Das Risiko kann klein gehalten werden, wenn man die Produkte der außereuropäischen oder transnationalen Geschichte nur einem kleinen Kreis von Spezialist/innen zugänglich macht, etwa der Leser/innenschaft von spezialisierten Journalen zur japanischen Geschichte des Mittelalters o.ä. Dieses Vorgehen entspricht der heutigen Situation, und an dieser ist natürlich zu beklagen, dass damit die Absatzchancen solcher wissenschaftlichen Produkte sehr klein bleiben. Denn der mögliche Leser/innenkreis dieser Texte bleibt im vorliegenden Beispiel auf eine Handvoll Japanforscher/innen mit Spezialgebiet Mediävistik eingeschränkt. Dies wäre aber nicht im Sinne einer erfolgsorientierten Strategie für die transnationale Geschichte, welche eine Öffnung der Perspektive über die Sprach- und Disziplingrenzen hinweg vertritt. Wie ließe sich also ein breiterer Kreis von Leser/innen erreichen, welche sich auch noch für Geschichtsschreibung zu Themen jenseits der National(sprach-)grenzen interessieren könnten? Im vorliegenden Beispiel kommen hier in erster Linie die deutschen Mittelalterforschenden mit Interesse an der Dorfgeschichte in den Blick. Es stellt sich daher die Frage: Welche Instrumente wären bereitzustellen, um dieser potentiellen Leser/innenschaft den Zugang zu außereuropäischen Produkten wesentlich zu erleichtern?

Bevor eine strategische Antwort auf diese Frage gegeben werden kann, soll ein anderer Gedankenfaden aufgenommen werden, der an der Aussage eines bekannten Ethnologen anknüpft. Denn die Ethnologie hat sich seit längerem mit Fragen der transnationalen oder transkulturellen Forschung und ihren Absatz- und Umsetzungschancen beschäftigt. Aus ihren Erfahrungen lassen sich Lehren ziehen. Clifford Geertz, wohl einer der einflussreichsten Vertreter dieses Faches, hat Folgendes zum Verhältnis von Theorie und Empirie in den Kulturwissenschaften angemerkt: „Die Allgemeinheit, die [die Theorie] erreicht, verdankt sie der Genauigkeit der Einzelbeschreibungen, nicht dem Höhenflug ihrer Abstraktionen.“ Die Aufgabe der Forschung sei somit nicht, „unsere tiefsten Fragen zu beantworten, sondern uns mit anderen Antworten vertraut zu machen, die andere Menschen – mit anderen Schafen in anderen Tälern – gefunden haben, und diese Antworten in das jedermann zugängliche Archiv menschlicher Äußerungen aufzunehmen“.4 Hinter dieser Folgerung steht ein entschiedenes Einstehen für konkrete, von der Praxis und vom Einzelfall ausgehende Studien. Auch Hartmut Kaelble schlägt in diese Kerbe, wenn er davor warnt, dass sich die Transnationale-Geschichte-Debatte zu stark in theoretischen Abstrakten erschöpfen könnte und dabei Gefahr liefe, „luftleer zu werden“.

Das Schwergewicht auf die konkrete Praxisanalyse zu setzen, bedeutet auf der strategischen Umsetzungsebene, dass die transkulturelle Forschung ihre Arbeiten so quellennah wie möglich führen muss. In unserem Beispiel der japanischen Ortsgeschichte hieße dies, die Sprache der japanischen Quellen zu erlernen, die japanische Forschungsliteratur in den Grundzügen zu beherrschen sowie die Debatte der Lokalforschung zu kennen. Oder aber, sich alternativ auf intensive Weise mit den spezialisierten Werken der japanologischen Forschung auseinander zu setzen. Die deutschsprachige japanologische Mediävistik ist dabei ein gutes Beispiel, wie diese Forderung nach Quellen- und Praxisnähe umgesetzt worden ist. Forscher/innen wie Markus Rüttermann, Klaus Vollmer, Detlev Taranczewski, Carl Steenstrup u.a. haben großartige dichte Beschreibungen der Geschichte des japanischen Mittelalters vorgelegt. Auch in weiteren Archiven der so genannten Orchideenfächer liegen ungelesene Schätze, welche nur darauf warten, von einer transnationalen Geschichte gehoben und in ein jedermann zugängliches – oder wenigstens einer größeren Anzahl Personen zugängliches – Archiv menschlicher Äußerungen eingebracht zu werden.

Die bisherigen Überlegungen zur Konzeption einer Umsetzungsstrategie sind damit zu drei Schlussfolgerungen gekommen:

- Erstens muss die transkulturelle Forschungsperspektive bei der nationalen Verankerung der Geschichtsschreibung ansetzen. Konkret bedeutet dies, dass sie in der Lage sein muss, ein an der nationalen (deutschen) Geschichte geschultes Publikum von Forschenden, Studierenden und weiteren Interessierten anzusprechen.

- Zweitens sind zu Händen dieser potentiellen Leser/innenschaft Instrumente für einen erleichterten (sprachlichen) Zugang zur globalen, transnationalen, vergleichenden oder migrationsbezogenen Geschichte bereitzustellen.

- Diese Instrumente sind drittens so auszurichten, dass damit möglichst quellennahe und konkrete Arbeiten erschlossen werden können.

Es gehört heute zu den konsolidierten Erkenntnissen der Geschichtsforschung, dass ohne umfassende Kenntnisse der zeitgenössischen Begrifflichkeit die Untersuchung von historischen Phänomenen nicht möglich ist. Die historischen Dimensionen der Grundbegriffe ausgelotet zu haben, ist das Verdienst eines der bedeutsamsten Unternehmungen der deutschen Geschichtswissenschaft in den letzten Jahrzehnten: Dem Lexikon der politisch-historischen Sprache "Geschichtliche Grundbegriffe".5 Bei diesem Vorbild wäre bei der Umsetzung forschungsstrategisch anzusetzen. Es müssten Lexika der politisch-sozialen Sprache mit transkultureller oder transnationaler Ausrichtung geschrieben werden, welche zwei, drei oder mehrere Sprachkulturen im Vergleich und Transfer historisch erfassten. Das konkrete Projekt einer transkulturellen Geschichte könnte daher in einem ersten Schritt in einer "Begriffsgeschichte in transkultureller Absicht" bestehen, also der Umsetzung einer „spezialisierten Methode der Quellenkritik, die auf die Verwendung sozial oder politisch relevanter Termini achtet und die besonders zentralen Ausdrücke analysiert, die soziale oder politische Inhalte haben“.6 Diese Lexika müssten aber nicht nur Analysen zu Termini der Quellensprache, sondern ebenso zu den analytischen Begriffen und Konzepten der modernen Geschichtsforschung anderer Sprachen liefern. Allzu oft sind diese nur als Steinbrüche von Fakten betrachtet und geplündert worden. Eine Begriffsgeschichte müsste auch leisten, dass die Geschichtsforschung anderer Sprachen, beispielsweise die verzweigte und zerstrittene japanische Forschung zur mittelalterlichen Dorfgemeinde (sôsonron), als Diskurs analysiert und deren Beiträge intertextuell verortet werden können. Nur so ließe sich dann auch bestimmen, aus welcher Position eine Publikation der japanologischen oder japanischen Forschung geschrieben worden ist oder von welchen Lehrer/innen oder Vorbildern sie geprägt oder angeleitet worden ist. Mit anderen Worten: Begriffsgeschichtliche Lexika würden eine Art Karte der unterschiedlichen Überlieferungsgeschehen und Forschungstraditionen in verschiedenen Ländern liefern. Diese wären die Grundlage, um sich über die bekannten Gebiete der nationalen Geschichte hinaus überhaupt hinausbewegen und sich in anderen historiografischen Traditionen zurechtfinden zu können. Eine Begriffsgeschichte in transkultureller Absicht liefe also auf das Unternehmen hinaus, grundlegende Hilfen zur Orientierung im Kosmos des bestehenden historischen Wissens dieser Welt zu erarbeiten.

Wenn die Begriffsgeschichte in transkultureller Absicht, wie hier vorgeschlagen, zu einem zentralen Projekt in der Umsetzungsstrategie der transkulturellen Geschichte werden soll, dann stellt sich die Frage, wie denn konkret dieses Projekt in Angriff genommen werden könnte. Margrit Pernau hat mit der dritten ihrer fünf diskussionswürdigen Thesen das Stichwort geliefert: „Global history ist kein Feld für Einzelkämpfer. Bestehende Ansätze zur Zusammenarbeit müssen daher ausgeweitet und neue entwickelt werden. Dabei ist es von zentraler Bedeutung, die deutsche und europäische Geschichte in diese Netzwerke einzubeziehen und die Trennung zwischen ‚the West and the Rest’ zu durchbrechen.“ Alles scheint darauf hinzudeuten, dass Zusammenarbeit in Gruppen und Netzwerken ein wichtiges institutionelles Kennzeichen der transnationalen Geschichte werden wird. Für die Umsetzungsstrategie der transnationalen Geschichte heißt dies, dass sie sich nicht die "Frontstellung" (Meissner) zur nationalen Geschichte, sondern den Brückenschlag auf die Fahnen schreiben sollte. Formen der Zusammenarbeit sind dabei konzeptuell vorzudenken. Gerade in Zeiten der knappen Finanzen könnten sie da und dort auch eine Chance sein, aus win-lose- neue win-win-Situationen zu machen. Denkbar sind verschiedene Formen der Zusammenarbeit. Ein bekanntes Mittel sind transdisziplinäre Kongresse und Veranstaltungen, etwa wie die von japanischen und europäischen Mediävisten besuchte Internationale Fachkonferenz „Mittelalter: Dezentralisierung und Machtteilung – Japan und Westeuropa im Vergleich“ vom 15.-17.12.2004 in Bonn. Wichtig wäre es aber vor allem auch, dass sich die zum Teil hochgradig spezialisierten Fachzeitschriften oder Publikationsreihen transnational öffnen, wie etwa die Reihe „Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte“ für einen in Bälde erscheinenden japanologischen Beitrag. Längerfristig wäre die Bildung von Teams zu bestimmten Themen, Fragestellungen oder Grundbegriffen zu fördern. Dabei sind verschiedene Konstellationen möglich, wobei mindestens, um beim Beispiel deutsche und japanische Geschichtswissenschaften zu bleiben, ein/e Vertreter/in der deutschen Geschichte und ein/e Vertreter/in der (deutschen) Japanforschung bzw. Japanologie sich finden müssten. Erwünscht wäre sodann ein/e Vertreter/in der japanischen Forschung. Weitere Vertreter/innen sind ins Auge zu fassen, etwa der angelsächsischen, der französischen, der italienischen oder der chinesischen Japanologie oder weiterer Disziplinen. Mit dem Aufbau solcher neuartiger Konstellationen der Zusammenarbeit sind längerfristig auch Wandlungen auf der institutionellen sowie auf der Finanzierungsebene zu erwarten.

Schließlich noch ein Wort zum Vorgehen bei der Umsetzung der realpolitischen Strategie des Unternehmens "Transnationale Geschichte" oder "global history". Es ist eine banale Erkenntnis aus Wirtschaft und Politik, dass nur diese Anliegen sich durchsetzen können, welche den Beteiligten auch einen Gewinn versprechen.

Für die so genannten Orchideenfächer läge der Nutzen einer transnationalen oder transkulturellen Geschichte darin, dass sie den Forschenden, welche sich in historischer Perspektive mit einer anderen Kultur beschäftigen, eine breitere wissenschaftliche Anerkennung und neue Absatzmärkte erschließen könnte. Gleichzeitig würden diese aber mit dem Anschluss an die Fragen und Debatten der Geschichtswissenschaften auch deren professionellen Standards und Methoden verpflichtet. Einige "orientalistische" Disziplinen – ein Beispiel gibt die Japanologie – präsentieren sich heute als ein zum Teil relativ disparates Nebeneinander von Ansätzen, Zugriffen und Methoden.7 Ein positiver Aspekt der Implementation einer transkulturellen oder transnationalen Perspektive könnte daher eine Strukturierung und stärkere Orientierung an methodischen Zugriffen der Geschichtswissenschaft sein. Konkret: Sie könnte ein Aufbrechen der bisherigen Kategorien und Gefäße dieser Orchideenfächer – Orientalistentage, Asiengesellschaften oder Zeitschriften für Japanforschungen – bedeuten, in welchen sich manchmal Beiträge von Spezialisten mit so unterschiedlichen Forschungsinteressen wie der Lyrik der Tang-Dynastie, der osmanischen Heeresreform und der japanischen Dorfgeschichte aneinander reihen. Eine stärkere Orientierung an transnational-geschichtswissenschaftlichen Kategorien hieße dann, um beim (fiktiven) Beispiel zu bleiben, dass die Diskussion endlich (auch) zwischen Spezialisten der preußischen und der osmanischen Heeresreformen geführt würde.

Der Gewinn für die national ausgerichtete Geschichtsforschung liegt demgegenüber nicht so sehr auf der Hand, könnte die neue Perspektive zunächst doch Gefahr laufen, nur als ein Zugriff auf die knappen Ressourcen des Wissenschaftsbetriebs beargwöhnt zu werden. In einer ersten Phase der Umsetzung müsste die transnationale Geschichtsperspektive diesen Bedenken gezielt Rechnung tragen. Die Rechtfertigung der transkulturellen Perspektive sollte in der Anfangsphase mit Vorteil darin bestehen, der "bisherigen", "national ausgerichteten" Geschichtsschreibung eine Erweiterung der Fragestellungen anzubieten. Ihr Zweck bestünde also zunächst nur darin, der nationalen Geschichte den Spiegel vorzuhalten, auf der Ebene der Quellen auf blinde Flecken oder neue Ansätze hinzuweisen und damit zu neuartigen Interpretationen und Analyseansätzen der bestehenden Kenntnisse anzuregen. Ähnlich wie die theoretischen Anleihen bei den Nachbardisziplinen Ethnologie, Sprachwissenschaft und Geografie (vulgo: cultural, linguistic, and spatial turn), welche die Geschichtswissenschaft seit den 1970er-Jahren beflügelt haben, kann auch die transnationale Geschichte der nationalen Geschichte eine neue Sichtweise anbieten. Ihre Beiträge sind aber nicht in erster Linie theoretischer Art, sondern "reale", quellengestützte Gegenbilder, welche der nationalen Geschichte einen konkreten Spiegel – andere Schafe in anderen Tälern – vorhalten bzw. den Einfluss von Transfers und Migration aufzeigen. Aus umsetzungsstrategischer Sicht müsste die transkulturelle Geschichte sich somit in erster Linie darauf konzentrieren, der national ausgerichteten Forschung bessere Zugänge zum Feld der außereuropäischen Geschichten zu schaffen und ein Verständnis für dessen Komplexität zu wecken. Mit anderen Worten: Das Vorgehen müsste von der Erkenntnis geleitet sein, dass ein nachhaltiger Bewusstseinswandel sich nur dann erzielen lässt, wenn er nicht von Außen kommt, sondern im Innern der bestehenden Strukturen selber heranreift. Transnationale Geschichte dürfte somit nicht im Gewande einer schonungslosen Kritik am "mainstream" daherkommen, sondern versuchen, dass auch die national ausgerichtete Forschung ein starkes "ownership" an dieser neuen Perspektive erhielte. Nur dann würde sie von dieser als Gewinn und notwendige Weiterentwicklung der Geschichtswissenschaft im "globalen" Zeitalter erkennbar.

Hinter dieser Vorgehensweise steht letztlich die Überzeugung, dass sich in der heutigen global vernetzten Welt die Zukunftsfähigkeit der Geistes- und Sozialwissenschaften darin ermisst, inwiefern sie einem Dialog zwischen den (nationalen, sprachlichen) Kulturen zuträglich sein können. Nationalistische deutsche, eurozentristische oder auch china- oder japanzentristische Denkweisen lassen sich aber nur dann auf nachhaltige Weise brechen, wenn die Erkenntnis über Andersartigkeiten wie Gleichförmigkeiten in der Geschichte der einen Kultur als ganz konkrete und gezielte Fragen an die andere Kultur zurückgegeben wird. Der Blick über die nationalen Grenzen hinweg soll daher in erster Linie dazu dienen, die scheinbaren Gewissheiten zu relativieren und "Fremdes" in der eigenen Kultur aufzudecken. Dies scheint der Weg zu sein, ein von Exotik entkleidetes, "sachliches" (daher auch: quellennahes) Verständnis für die andere Kultur zu begünstigen und damit auf lange Sicht einem "entkulturalisierten" Dialog über die Kulturgrenzen hinweg Vorschub leisten.

Anmerkungen:
1 Gadamer, Hans-Georg, Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, Tübingen 1990, hier S. 295.
2 Vattimo, Gianni, Method, Hermeneutics, Truth, in: Marra, Michael F. (Hg.), Japanese Hermeneutics. Current Debates on Aesthetics and Interpretation, Honolulu 2002, S. 9-16, hier S. 10.
3 Gerber, Adrian, Gemeinde und Stand. Die zentraljapanische Ortschaft Oyamazaki im Spätmittelalter – Eine Studie in transkultureller Geschichtswissenschaft (Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte 49), Stuttgart 2005.
4 Geertz, Clifford, Dichte Beschreibung. Bemerkungen zu einer deutenden Theorie von Kultur, in: Ders. (Hg.), Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, Frankfurt am Main 1991, S. 7-43, hier S. 35, 41, 43.
5 Brunner, Otto u.a. (Hgg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, 8 Bde., Stuttgart 1972- 1992.
6 Koselleck, Reinhardt, Begriffsgeschichte und Sozialgeschichte, in: Ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt am Main 1989, hier S. 114.
7 Kracht, Klaus; Rüttermann, Markus (Hgg.), Grundriss der Japanologie, Wiesbaden 2001.

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02.04.2005
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