R.J.C. Young: The Idea of English Ethnicity

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Title
The Idea of English Ethnicity.


Author(s)
Young, Robert J.C.
Series
Blackwell Manifestos
Published
Oxford 2008: Wiley-Blackwell
Extent
312 S.
Price
$34.95
Reviewed for Connections. A Journal for Historians and Area Specialists by
Frauke Hofmeister, Institut für Anglistik, Universität Leipzig

Eine englische Ethnizität? So mancher Leser mag gleich beim Titel von Robert J.C. Youngs Monographie stutzig werden. Von englischer Identität wurde in den letzten Jahren ja einiges geschrieben, auch über Englishness ganz allgemein. Und während im britischen Kontext durchaus häufig von ethnischen Minderheiten, meist im Gegensatz zu der Mehrheit der White British, die Rede ist, und unter Umständen auch Iren, Waliser und Schotten als Ethnien aufgefasst werden, wird dieser Begriff auf die Engländer doch eher nicht angewendet.1 Warum nun also „englische Ethnizität“? Und dann auch noch in einem Buch, das sich fast ausschließlich mit dem 19. Jahrhundert beschäftigt, von einem Autor, der sich einen Namen als Theoretiker des Post-colonialism gemacht hat und derzeit als Julius Silver Professor of English and Comparative Literature an der New York University beschäftigt ist? Natürlich wird der Begriff sehr bewusst gebraucht, als „deliberate anachronism“ (S. X) anstelle des heute stark biologisch geprägten Rassebegriffs. Diese Wortwahl ist sinnvoll, da Youngs Augenmerk auf kulturell geprägten Definitionen von Gemeinsamkeiten liegt, die biologische Rassetheorien durchaus nicht ausklammern. Auch wenn der Begriff Identität von Young teilweise synonym verwendet wird, ist ein Verzicht auf letzteren als zentralen Begriff begrüßenswert, ist er doch noch deutlich diffuser als der der Ethnizität.

So liegt dem Buch die folgende Frage zugrunde: Was wurde unter einer englischen Rasse im Sinne von Ethnie verstanden? Youngs Kernthese lautet, dass sich die Vorstellung einer englischen Identität im Zeitraum von etwa 1830-1900 von der Identifizierung mit einem mehr oder minder reinen sächsischen Ursprung zu einer offeneren Gemeinschaft der Angel-Sachsen, die sich keineswegs nur auf die Bewohner Englands, sondern auch (oder: vielmehr) auf die „englischen“ Gebiete der Welt bezieht, wandelte. Am Schluss bezeichnet „England“ also keineswegs mehr ein abgegrenztes Territorium, sondern befindet sich überall dort auf der Welt, wo „Engländer“ – definiert über Sprache, Wesenseigenschaften, Religion – zu finden sind. Diese Idee der Identitätsbildung über Dislokalisierung ist nicht ganz neu, aber im Gegensatz zu Ian Baucom, der die Bedeutung des Empires für die englische Identität in England untersucht2, vertritt Young die These, dass die englische Identität direkt für die nicht in England im engeren Sinne lebenden Menschen, sondern für Menschen in der ganzen angelsächsischen Welt (und keineswegs beschränkt auf das Empire) entwickelt wurde.3

Es ist ein bemerkenswerter Wandel, den Young beschreibt. Dabei setzt er bereits im Mittelalter an, das zwei miteinander konkurrierende Konzepte von England als Rasse hervorgebracht hat: auf der einen Seite die auf die Vereinigung heterogener Gruppen gerichtete Artussage, die unter anderem von den Tudors genutzt wurde; auf der anderen Seite den Mythos um König Alfred als rein „englischen“ König, der gerade durch seine Abgrenzung vom Anderen so erfolgreich und beliebt wurde. Letzteres Verständnis gewann vor allem nach der Glorious Revolution im späten 17. Jahrhundert an Anhängern.4 Die vorherrschende Vorstellung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sah also die Engländer als wahre, reine Sachsen, verwandt mit Skandinaviern und Germanen, definiert über bestimmte, sehr maskuline Charaktereigenschaften, abgegrenzt von den meist mit dem Katholizismus assoziierten Kelten (Irland, Scottish Highlands, Wales, Frankreich) und den Juden. Die Normannen waren in dieses Verständnis eingegliedert. Die sich in Details oder Schwerpunktsetzungen unterscheidenden Vorstellungen einzelner Historiker, Schriftsteller und Philologen wie Thomas Arnold, Thomas Carlyle oder Sir Walter Scott werden von Young ausgezeichnet dargestellt, belegt und systematisiert. Bei dem Philologen John Mitchell Kemble taucht 1849 schließlich die Physiologie als zentrales Zusammengehörigkeitsmerkmal im Gegensatz zu vorher betonten Gemeinsamkeiten in Geschichte und Charakter auf. Ein ausführliches Kapitel widmet sich daraufhin den biologischen Rassetheorien der Mitte des 19. Jahrhunderts, insbesondere Robert Knox’ The Races of Men von 1850 und der Verwendung und Verbreitung seiner Ideen, bei welcher die Rolle der Zeitung The Times im Mittelpunkt der Darstellung steht. Die Reaktionen auf deren anti-keltische Positionen führten im Ergebnis zu einem deutlich differenzierteren Bild der Volksgruppen auf den britischen Inseln. Matthew Arnold wird schließlich als Hauptvertreter eines neuen, Inklusion statt Exklusion betonenden Verständnisses von den Engländern, das die Kelten durchaus mit einschließt, untersucht. Erst durch diese neue Heterogenität wird die Ausweitung des Konzepts einer englischen Ethnie auf andere Gebiete möglich: „[T]he Saxon was transformed into the Anglo-Saxon.“ (S. 179) Letzterer Terminus wurde zunächst vor allem für Nordamerikaner gebraucht, dann aber auch von Politikern und Historikern wie Dilke, Ruskin, Rhodes, Seeley und Froude allgemein für „England Round the World“ (Kapitel 7) verwendet. Während die Genannten die Vorstellung einer weltumspannenden englischen bzw. angel-sächsischen Gemeinschaft teilten, gelangten sie doch zu sehr unterschiedlichen Schlussfolgerungen in Bezug auf die Zukunft und Notwendigkeit des Empires. Und schließlich, so Young, war Englishness noch nicht einmal mehr an das Empire oder den Commonwealth gebunden, sondern vollkommen deterritorialisiert.

Wer die gegenwärtigen Diskussionen zu Englishness und Britishness5 im Kopf hat, mag sich dies kaum vorstellen, doch laut Young erfolgte erst im Laufe des 20. Jahrhundert die Gleichsetzung von Englishness und Imperialismus, weißer Überheblichkeit und Exklusion auf der Basis der Vorstellung einer homogenen englischen Identität, bezogen auf England als südöstlichen Teil Großbritanniens – ein Wandel, den Young leider nicht näher ausführt. Diese deutlichen Unterschiede zu dem von ihm dargestellten Bild um 1900 erscheinen dem Autor als zentrale Begründung für die Schwierigkeiten der heutigen Definition von ‚Englishness’. Dieser Gedanke ist sicherlich erwägenswert, doch diese Bezüge zur Gegenwart lassen auch einige Kritik an Youngs ansonsten überzeugender Arbeit zu. Zu wenig berücksichtigt er die Entwicklungen des 20. Jahrhunderts, zu sehr versteift er sich auf einen Vergleich mit dem Ende seines Untersuchungszeitraums, wohingegen doch deutliche Affinitäten zwischen einigen heutigen Ideen und denjenigen des anfangenden 19. Jahrhunderts zu finden sind. Und zu sehr wird die Entwicklung der „idea of English ethnicity“ als Erfolgsgeschichte erzählt. Es ist sicher nicht ganz falsch, wenn der Autor es als „[t]he liberal achievement of the nineteenth century“ bezeichnet, dass aus der englischen Ethnie als einer „Saxonist doctrine of racial singularity and exclusivity“ eine „comparatively gentle, compassionate and inclusive society, in which [...] very different sorts of people ‚tolerantly and pleasantly may live together’“ (S. 241f.) wurde. Doch funktioniert nicht auch diese neuere, weiter gefasste Idee weiterhin über Abgrenzung und Ausschluss, zum Beispiel bezogen auf Religion? Und was dachten die als „englisch“ Klassifizierten über diese Einordnung? Zwar werden zu letzterer Frage einige Selbstidentifikationsbeispiele behandelt, ihre Repräsentativität lässt sich jedoch in Frage stellen.

Es gibt also noch einige Bereiche, die zu Youngs Monographie auch kontrovers diskutiert werden können. Dazu zählen neben den bereits genannten auch Abgrenzungen von Englishness und Britishness (viele Determinanten von Englishness bei Young erinnern schließlich an die von Linda Colley herausgearbeiteten Merkmale von Britishness6) im 19. Jahrhundert und in der Gegenwart (ist die Englishness von damals das, was heute zum Teil als _Britishness_verstanden wird?7). Ferner erscheint die beschriebene Entwicklung des Ethnizitätskonzeptes aufgrund der gewählten Struktur des Buches anhand ausgewählter Individuen und ihrer Schriften als Top-Down-Prozess, vorangetrieben von einer kleinen Elite aus Wissenschaftlern und Politikern, während die strukturellen Gründe für den Wandel der vorherrschenden Ansichten zur englischen Ethnie und deren Auswirkungen viel zu sehr im Hintergrund bleiben.

Somit ist The Idea of English Ethnicity nicht nur eine gut geschriebene, hervorragend lesbare und trotz einiger kleiner Zeitsprünge gut strukturierte Darstellung der Konzepte einer englischen Ethnie im 19. Jahrhundert, die neben vielen neuen Einsichten auch auf bisherigen Arbeiten (darunter auch Youngs eigenen) aufbaut, sondern auch ein lohnender Anknüpfungspunkt für alle, die sich aus philologischer oder historischer Perspektive mit Identität im Zusammenhang mit den britischen Inseln und dem Empire beschäftigen. Ob man Youngs Ansatz und Einsichten teilt oder nicht, seine Monographie sollte zweifellos Eingang in die gegenwärtige Debatte zu Englishness und Britishness finden.

Anmerkungen:
1White Englishness wurde durchaus von einigen Autoren als ethnische Charakterisierung aufgefasst, vgl. z.B. Catherine Hall, White, Male and Middle-class. Explorations in Feminism and History, Cambridge 1992.
2 Vgl. Ian Baucom, Out of Place: Englishness, Empire and the Locations of Identity, Princeton 1999.
3 Implizit finden sich auch in anderen rezenten Veröffentlichungen Hinweise auf diese Auffassung, zumindest für einzelne Regionen, für Südafrika vgl. z.B. Vivian Bickford-Smith, Writing about Englishness: South Africa’s Forgotten Nationalism, in: Graham MacPhee / Prem Proddar (Hrsg.), Empire and after: Englishness in postcolonial perspective, New York und Oxford 2007, S. 57-71.
4 Wenn es auch nicht an Gegnern fehlte. Daniel Defoes Satire auf dieses Verständnis im Gedicht „The True Born Englishman“ (1701) ist wohl das bekannteste Beispiel.
5 Hier geht es zum einen um Schwierigkeiten bei der Abgrenzung dieser sich überlagernden nationalen (oder supranationalen?) Identitäten (vgl. z.B. Krishan Kumar, English and British National Identity, History Compass 4/3 (2006), S. 428–447, der für eine klärende Trennung der Begriffe plädiert, während u.a. Baucom (siehe Anmerkung 2) deren Verwobenheit herausstellt), zum anderen werden die vielfältigen Definitionen der beiden Begriffe in unterschiedlichen Zusammenhängen diskutiert. Dabei spielen veränderte Rahmenbedingungen für England und Großbritannien sowohl nach dem Verlust der Weltmachtsstellung und des Empires als auch im Zuge des Devolutionsprozesses eine zentrale Rolle. Hierzu siehe neben den schon erwähnten Titeln z.B. Keith Robbins, Britishness: Von nationalem Bewußtsein zu nationaler Identität im 19. und 20. Jahrhundert?, in: Michael Einfalt u.a. (Hrsg.), Konstrukte nationaler Identität: Deutschland, Frankreich und Großbritannien (19. und 20. Jahrhundert) (Identitäten und Alteritäten; 11), Würzburg 2002, S. 279-293 oder Christopher G. A. Bryant, These Englands, or where does devolution leave the English?, Nations and Nationalism 9/3 (2003), S. 393–412 sowie Anmerkung 7.
6 Vgl. Linda Colley, Britons: Forging the Nation 1707-1837, New Haven 1992.
7 So wurde in den vergangenen Jahren in mehreren Studien festgestellt, dass Angehörige nicht-weißer Bevölkerungsgruppen in Großbritannien sich eher mit einer britischen als einer englischen Nation identifizieren können, vgl. z.B. Tony Wright, Introduction: England, whose England, in: Selina Chen / Tony Wright (Hrsg.), The English Question (Redesigning the State), London 2000, S. 7-17 (“Those ethnic minority voices which say they could never feel ‘English’ (too excluding) but can feel ‘British’ (more inclusive) provide at least one important reason for thinking that it may be worthwhile.” (S. 11)) oder Bridget Byrne, Crisis of Identity? Englishness, Britishness and Whiteness, in: Graham MacPhee / Prem Proddar (Hrsg.), Empire and after: Englishness in postcolonial perspective, New York und Oxford 2007, S. 139-157, besonders S. 148-151. Young selbst äußert sich nur en passant und sehr skeptisch gegenüber einer „new ‚British’ multicultural identity“ (S. 235).

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03.06.2009
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