A. Manke u.a. (Hrsg.): Kleinstaaten und sekundäre Akteure

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Title
Kleinstaaten und sekundäre Akteure im Kalten Krieg. Politische, wirtschaftliche, militärische und kulturelle Wechselbeziehungen zwischen Europa und Lateinamerika


Editor(s)
Manke, Albert; Brezinová, Kateřina
Series
Global Studies
Extent
338 S.
Price
€ 39,99
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Anne Dietrich, Universität Leipzig Email:

In den letzten 20 Jahren haben sich die Cold War Studies als eigenständiges Forschungsfeld der Geschichtswissenschaften etabliert. Mit seiner mittlerweile zum Standardwerk avancierten Monographie „The Global Cold War“ legte Odd Arne Westad 2007 den Grundstein für eine Neuinterpretation des Kalten Krieges, die die Peripherie ins Zentrum der Betrachtungen rückte.1 Eine dezentrale, multipolare und transnationale Perspektive löste die Fixierung auf die beiden Supermächte USA und Sowjetunion ab. Albert Manke und Kateřina Březinová wollen mit ihrem Sammelband, der den Fokus auf die Rolle von Kleinstaaten und sekundären Akteuren in Europa und Lateinamerika und den Handlungsspielräumen in ihren transatlantischen Beziehungen richtet, zu diesem neuen Verständnis des Kalten Krieges beitragen.

Der Band entstand im Anschluss an eine Konferenz an der Metropolitan University Prague, die sich mit den Beziehungen der Tschechoslowakei zu Lateinamerika beschäftigte. So ist es auch nicht verwunderlich, dass ein Gros der Beiträge um dieses vielschichtige Thema kreist. Markéta Křížová widmet sich der Forschungstätigkeit des Zentrums für Iberoamerikanische Studien und anderen Institutionen der Tschechoslowakei, die sich zu Zeiten des Kalten Krieges mit der Geschichte und Kultur Lateinamerikas befassten. Josef Opatrný liefert eine Überblicksdarstellung zu den diplomatischen, wirtschaftlichen und bildungspolitischen Beziehungen der Tschechoslowakei zu verschiedenen lateinamerikanischen Staaten. Lukáš Perutka beschäftigt sich mit den Waffenlieferungen der Tschechoslowakei an Guatemala, die 1954 schließlich zu einer militärischen Intervention der USA in dem mittelamerikanischen Land geführt haben. Albert Manke und Hana Bortlová-Vondráková konzentrieren sich auf die Beziehungen zwischen Kuba und der Tschechoslowakei in den 1960er-Jahren, wobei Manke den Schwerpunkt auf die militärische Zusammenarbeit legt, während Bortlová-Vondráková einen Blick auf die Außenhandelsbeziehungen der beiden Länder wirft. Michal Zourek schließlich interessiert, wie die Zustände in Chile unmittelbar vor und nach Pinochets Putsch in tschechischen Geheimdienstberichten beschrieben wurden. Matyáš Pelant untersucht die Kooperation der Tschechoslowakei und Brasiliens auf diplomatischer, wirtschaftlicher und geheimdienstlicher Ebene. Im letzten Beitrag geht Kateřina Březinová der Frage nach, welche Bilder von Lateinamerika in tschechoslowakischen Dokumentarfilmen der 1950er-, 1960er-, 1970er- und 1980er-Jahre vermittelt und konstruiert wurden. Weitere Aufsätze befassen sich mit den britisch-kubanischen Beziehungen zwischen 1940 und 1960 (Steve Cushion), der westdeutschen Unterstützung beim Aufbau des brasilianischen Atomprogramms (Carlo Patti), dem ambivalenten Verhältnis der DDR zu Argentinien bis Anfang der 1970er-Jahre (Víctor M. Lafuente) und dem entwicklungspolitischen Engagement Österreichs im sandinistischen Nicaragua (Laurin Blecha).

Den genannten Aufsätzen vorangestellt ist ein Beitrag von Mitchell Belfer, der den Versuch unternimmt, den Begriff des Kleinstaates zu bestimmen und mithilfe zweier Kriterien entsprechende Staaten zu kategorisieren. Laut Belfer sind Bevölkerungsgröße und Territorium inklusive Ressourcengrundlage hierbei ausschlaggebend. Nicht nachvollziehbar ist, warum für ihn weder militärische Schlagkraft noch wirtschaftliche Potenz in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen. Dies ist umso verwunderlicher, da die Präsenz bzw. Präsentation militärischer Stärke für die weitere Entwicklung vieler der in den Fallstudien untersuchten Staaten entscheidend war, entweder in Form militärischer Interventionen von außen oder durch die Machtergreifung und Herrschaftssicherung durch Militärdiktaturen innerhalb des Landes.

Einer der interessantesten und überzeugendsten Beiträge des Sammelbandes stammt von der Herausgeberin Kateřina Březinová. Sie geht der Frage nach, welche Bilder, Eindrücke und Interpretationen von Lateinamerika in tschechoslowakischen Dokumentarfilmen zwischen 1948 und 1986 vermittelt wurden. Dabei stellt sie fest, dass entsprechend der außenpolitischen Ausrichtung der Tschechoslowakei in jeder Dekade andere Länder im Zentrum der filmischen Narrationen standen. Březinová benennt darüber hinaus sechs Leitmotive, an welche die von ihr analysierten Dokumentarfilme dekadenübergreifend anknüpften. So wurde die negative Rolle der USA in Lateinamerika wie auch dessen Kolonialisierung durch die Spanier und das daraus resultierende katholische Erbe wiederholt dargestellt. Indigene Kulturen und die soziale Ungleichheit im Lateinamerika des 20. Jahrhunderts spielten ebenso eine zentrale Rolle in den tschechoslowakischen Dokumentarfilmen. Schließlich wurden auch die Kooperationen der Tschechoslowakei mit den verschiedenen lateinamerikanischen Ländern gezeigt und die Zuschauer auf eine „imaginäre Reise an exotische Orte“ mitgenommen. Entscheidend ist aber, so betont Březinová, was in den Filmen nicht gezeigt wurde. Ein Tabuthema waren zum Beispiel die tschechoslowakischen Waffenlieferungen nach Lateinamerika. Und während das Pinochet-Regime in Chile aufgrund seiner Brutalität kritisiert wurde, schwiegen die Filmemacher sich über die Militärregime in Argentinien und Brasilien aus, beides wichtige Handelspartner der Tschechoslowakei. Kateřina Březinová gelingt es, die doppelte Funktion der Filme, die sowohl der Indoktrination als auch der Unterhaltung des Publikums dienten, glaubwürdig darzustellen. Die Entwicklung der tschechoslowakischen Lateinamerikapolitik hatte großen Einfluss auf die Dokumentarfilmproduktion des osteuropäischen Landes. So ist es nicht überraschend, dass sich die Vorreiterrolle der Tschechoslowakei als Wegbereiter für den Ostblock in Lateinamerika auch in den filmischen Narrationen widerspiegelte. Mit diesem Fazit nähert sich Březinová dem Anliegen des Sammelbandes, ein neues Verständnis für die Rolle kleinerer Akteure zu entwickeln und so eine facettenreichere Geschichte des Kalten Krieges zu erzählen.

Neben Březinovás und anderen gelungenen Beiträgen, u.a. von Bortlová-Vondráková, Patti und Perutka, haben die Herausgeber aber leider auch einige argumentativ schwächere Texte in die Auswahl aufgenommen. Laurin Blechas Beitrag über das entwicklungspolitische Engagement österreichischer Akteure zur Unterstützung der Frente Sandinista de Liberación Nacional in Nicaragua ab 1979 verliert sich in Nebensächlichkeiten, wiederholt Erkenntnisse bereits vorhandener Forschungsliteratur und versäumt es, die wenigen vom Autor verwendeten Primärquellen kritisch zu interpretieren. So schildert Blecha innenpolitische Entwicklungen in Österreich, die weder Auswirkungen auf die Außenpolitik des Landes noch auf das Engagement der Unterstützer des sandinistischen Nicaraguas hatten. Die Frage, welche Relevanz die österreichische Solidaritätsbewegung hatte und was sie von anderen europäischen Solidaritätsbewegungen unterschied, wird nicht beantwortet. Auch die Texte von Steve Cushion und Michal Zourek werfen mehr Fragen auf, als sie beantworten können.

In allen Kapiteln wird der Lesefluss durch uneinheitliche Zitierweisen, Wortdopplungen und Grammatikfehler, holprige Übersetzungen sowie die Verwendung inoffizieller Abkürzungen gestört. Ein Lektorat oder zumindest Korrektorat wäre nötig gewesen. Es lässt sich festhalten, dass Manke und Březinová einen interessanten Ansatz verfolgen. Ihr Fokus auf Kooperationen von Kleinstaaten und sekundären Akteuren ist sinnvoll. Allerdings unterstützen nicht alle der von ihnen ausgewählten Beiträge ihr formuliertes Anliegen, zu einem besseren Verständnis der transnationalen Zusammenhänge des Kalten Krieges beizutragen.

Anmerkung:
1 Odd Arne Westad, The Global Cold War. Third World Interventions and the Making of Our Times, Cambridge 2007. Einen ähnlichen Ansatz verfolgen u.a. auch John Lewis Gaddis, Bernd Greiner und Robert J. McMahon: John Lewis Gaddis, The Cold War. A New History, New York 2005; Bernd Greiner / Dierk Walter u.a. (Hrsg.), Studien zum Kalten Krieg, 6 Bände, Hamburg 2006-2013; Robert J. McMahon, The Cold War in the Third World, Oxford 2013.

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01.06.2019
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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