S. Conrad: Globalisierung und Nation im Deutschen Kaiserreich

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Titel
Globalisierung und Nation im Deutschen Kaiserreich.


Autor(en)
Conrad, Sebastian
Erschienen
München 2006: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
445 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Ulf Engel, Institut für Afrikanistik, Universität Leipzig

Bei der hier anzuzeigenden Monographie handelt es sich um die 2005 eingereichte Habilitation eines Vertreters des noch jungen Zweiges der deutschen Globalgeschichtsschreibung: Sebastian Conrad, der von 2003 bis 2007 eine Juniorprofessor für Neuere Geschichte am Friedrich-Meinecke-Institut der FU Berlin innehatte und nunmehr auf eine Professur zum Department für Geschichte und Zivilisation des Europäischen Hochschulinstituts in Florenz wechselt, hat ein umfangreiches, vor allem aber ein ambitioniertes Werk vorgelegt. Auf 445 Seiten will der 40-jährige am Beispiel des Deutschen Kaiserreichs um 1900 das Programm der Globalgeschichtsschreibung entfalten. Für diese Arbeit ist Conrad jüngst mit dem mit € 25.000 dotierten Philip-Morris-Forschungspreis ausgezeichnet worden. In der Begründung heißt es unter anderem, dass Conrad „… seine Forscherkollegen und die Gesellschaft heraus [fordere], die Globalisierung nicht nur als wichtigste wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahre zu betrachten, sondern als eine grundlegende kulturelle, soziale und geschichtliche Veränderung unserer Welt.“

Die zentrale These des Buches lautet, dass die seit etwa 1880 erheblich zunehmenden transnationalen Beziehungen, die Deutschland mit der Welt verbanden, nicht zur Einebnung nationaler Differenzen geführt hätten, sondern dass im Gegenteil die globale Vernetzung vor dem Ersten Weltkrieg mit einer Verfestigung nationaler Abgrenzungen einher ging. Das spezifisch deutsche Verständnis der Nation könne daher auch als Reaktion auf globale Vernetzungen interpretiert werden. Conrad entwickelt diese These im Kern mit Blick auf den Topos der „Deutschen Arbeit“ und die Mobilität von Arbeit. Als Arenen einer transnationalen Dialektik dienen ihm Ostafrika und Ostwestfalen, Preußen und Polen, China und Brasilien. Unter Berufung auf Shalini Randeria geht es ihm um die Rekonstruktion eines Geflechts von „geteilten Geschichten“, um die „Überwindung des Tunnelblicks, der nationale Gesellschaften unter Ausschluß ihrer regionalen und globalen Vernetzung ins Visier nimmt“ (S. 11). Nationalismus und nationale Selbstverständigung, so Conrad, können vor diesem Hintergrund „auch als Produkt und Effekt von Interaktionen, Austausch und Zirkulation innerhalb einer zunehmend vernetzten Welt“ (S. 20) verstanden werden. Der deutsche Nationalismus sei von Anfang an ein transnationaler Nationalismus gewesen (S. 24).

Das methodische Postulat der Globalgeschichtsschreibung, das Conrad als Mitherausgeber auch in der Buchreihe „Globalgeschichte“ verfolgt, setzt der Privilegierung der nationalstaatlichen Perspektive und der Meistererzählung der Modernisierung, in der auf die Nationalisierung die Globalisierung folgt, eine Forschungsperspektive entgegen, in der die wechselseitige Durchdringung und Konstituierung dieser Prozesse in den Vordergrund gerückt wird. Die Agenda wurde von Conrad bereits 2004 in einem gemeinsam mit Jürgen Osterhammel (Konstanz) herausgegebenen Sammelband „Das Kaiserreich transnational. Deutschland in der Welt 1871-1914“ (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht) skizziert. Die methodologische Programmatik wird auch in der von Conrad mitverantworteten und 2006 veröffentlichten Festsschrift für Jürgen Kocka „Transnationale Geschichte. Themen, Tendenzen und Theorien“ (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht) wiederholt.

International knüpft diese Form der Globalgeschichtsschreibung als Ausdruck des so genannten spatial turn in den Geistes- und Sozialwissenschaften an die histoire croiseé oder die entangled histories an, also an die Neubewertung des Raumes als einer analytischen Kategorie. Unter den deutschen Historikern verbindet ihn diese Agenda einer Transfer- und Verflechtungsgeschichte mit Kollegen wie Andreas Eckert (HU Berlin), Matthias Middell (Leipzig), Harald Fischer-Tiné (IU Bremen), Klaus Mühlhahn (Indiana) und Dominic Sachsenmair (Duke) – etwa in dem gemeinsamen DFG-geförderten Projekt „World Orders: global structures and alternative visions of the world (1880-1935)“.

Conrads Monographie hat die Rezensenten bislang jedoch nur teilweise zu überzeugen vermocht. Während Jörg Später in der Süddeutschen Zeitung (4.10.2006) Conrads Werk als „ebenso innovativ und originell [einschätzt] wie Wehlers sozialgeschichtlicher Zugriff in den siebziger Jahren“ und er auch bei Martin Wein in der Frankfurter Rundschau (13.12.2006) weitgehend Zustimmung erfährt, drücken etwa Ulrich Teusch (Neue Züricher Zeitung 19.6.2007) oder Dieter Langewiesche (Frankfurter Allgemeine Zeitung 13.1.2007) eine grundsätzliche Skepsis aus, die sich aus drei Quellen speist. Erstens wird über das Verhältnis einer traditionellen, im nationalen Containerdenken verhafteten Geschichtsschreibung zur Globalgeschichtsschreibung spekuliert. Will die neue Globalgeschichtsschreibung die älteren Zugriffe ersetzten oder lediglich ergänzen? Insbesondere Langewiesche (Universität Tübingen), der sich in seinen Schriften vor allem mit dem politischen Liberalismus und dem entstehenden Nationalstaat in Deutschland und Europa beschäftigt hat, lässt hier erkennen, dass er von Conrads Antworten auf die Postulate einer Globalgeschichtsschreibung nicht überzeugt ist. Zweitens kritisieren die Rezensenten die unterschiedliche Qualität und Fundierung der Fallstudien (wobei die empirische Tiefe und die Originalität insbesondere des Kapitels zu China allenthalben gelobt, das Kapitel zu Preußen und Polen jedoch als eher schwächer eingestuft wird). Als ein dritter Punkt der Kritik gilt diesen Rezensenten die mangelnde Rückbindung der Ergebnisse aus den Fallstudien auf nationale Selbstverständigungsdiskurse.

Hinter dieser Kritik wird vor allem die Schwierigkeit deutlich, die inhaltlich ja auch von Langewiesche im Prinzip unwidersprochenen Ansprüche einer Globalgeschichtsschreibung im Detail dann auch umzusetzen. Die Arbeit von Conrad mag hier im Einzelfall in der Tat noch Optimierungspotenzial haben. Dennoch handelt es sich um ein forschungspolitisch wichtiges Buch, das mit gut geschriebenen und spannend erzählten Episoden eine Geschichte der Verflechtung des deutschen Kaiserreichs in eine transnationale Arena von Arbeit und Mobilität entfaltet. Als solches stellt es einen wichtigen Ausgangspunkt und Baustein für eine Neubewertung Deutschlands beim Eintritt in das 20. Jahrhundert in seinen transnationalen Bezügen dar.

Redaktion
Veröffentlicht am
14.09.2007
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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