Mitchell, P.: Horse Nations

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Title
Horse Nations. The Worldwide Impact of the Horse on Indigenous Societies Post-1492


Author(s)
Mitchell, Peter
Published
Extent
444. S.
Price
€ 47,79
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Wolfgang Gruber, Institut für Internationale Entwicklung, Universität Wien; Centre for Development Research, University of Natural Resources and Life Sciences Vienna

Schon der Titel des Buches lässt eine Vielzahl von lebhaften Bildern im Kopf entstehen - die weiten Graslandsschaften in Nordamerika, die auch einen Schwerpunkt des Buches darstellen, aber auch stereotype Bilder von indigenen Gruppen im äußersten Süden Lateinamerikas. Weniger hingegen wird man an Regionen der Erde denken, in denen das Pferd durch die globalen Umwälzungen des Columbian Exchange seit 1492 (neu) eingeführt wurde 1, wie beispielsweise das südliche Afrika oder Australien, die ebenfalls behandelt werden. Obwohl das Pferd tatsächlich als ein Tier gelten darf, dass eine Vielzahl an Veränderungen in den von ihm neu besiedelten Gegenden bewirkte [S. 359], steht es erstaunlicherweise nicht weit oben auf der Hitliste derjenigen, die über den ‚Columbian Exchange’ forschen [S. 3].

Der Columbian Exchange ist in seiner Reichweite kaum zu unterschätzen, er veränderte alle Bereiche menschlichen, tierischen und pflanzlichen Lebens durch die Verbindung zuvor geographisch getrennter Regionen seit 1492 nachhaltig. Streng genommen ist dieser Prozess noch immer nicht abgeschlossen. Seit etwa 1876 breitete sich der Kautschukbaum aus, die durch einen Pilz ausgelöste Südamerikanische Blattfallkrankheit ist jedoch noch immer auf Lateinamerika beschränkt. Würde der Pilz in andere Produktionsgebiete von Naturkautschuk vordringen, hätte dies schwere Folgen für die Weltwirtschaft, weshalb er auch als biologische Waffe eingestuft ist.

Peter Mitchell hat in diesem Buch keine allgemeine Geschichte des Pferdes geschrieben, sondern zeichnet ein Bild von einzelnen indigene Gesellschaften und der europäischen Überseeexpansion [S. 4] , wobei der Fokus auf den gesellschaftlichen Fallbeispielen liegt, die erst im Lauf des 19. Jahrhunderts unterworfen wurden. Das Buch wurde kurz nach seinem Erscheinen u.a. von der hoch angesehenen Times Literary Supplement als „landmark study“ bezeichnet 2. Gelobt wurden die vielfältigen Primärquellen und die interdisziplinäre Herangehensweise, die die verschiedenen Forschungsgebiete, wie Anthropologie, Umweltgeschichte und Archäologie, wirkungsvoll miteinander verbindet.
Die intendierte Leserschaft ist ein Fachpublikum aus den drei erwähnten Disziplinen, jedoch bieten gerade die Einführungskapitel LeserInnen, die mit dem Gegenstand wenig vertraut sind, einen guten Einstieg. Als klassisches Textbuch ist es in der Hochschullehre verwendbar, dennoch bietet es für verschiedene Wissensstände Anknüpfungspunkte und wird daher sicher Einzug finden in einschlägige Lehrveranstaltungen. Ungeeignet ist das Buch für eilige LeserInnen, denn es besticht durch einen hohen Detailgrad und bietet in dem handwerklichen Zusatzapparat viele Querverweise und inhaltliche Vertiefungen.

Der Autor ist Professor für afrikanische Archäologie an der Universität von Oxford und mit seinem Hauptforschungsgebiet, dem südlichen Afrika, auch durch seine Tätigkeit an der Universität von Witwatersrand in den Bereichen Archäologie und Umweltstudien verbunden. Ein Blick auf seine Publikationsliste beweist eindrucksvoll seine Beschäftigung mit dem subsaharischen Afrika, die Idee für das vorliegende Buch hatte er bereits 1990.

Der Klappentext verspricht die erste globale Studie zur Einflußnahme des Pferdes auf indigene Gesellschaften seit 1492. Dem Wissen des Rezensenten nach ist dies richtig, wobei es natürlich zu allen Aspekten einzelne Studien gibt. Dass Mitchell die fehlende Gesamtschau liefert, sollte ihm als besonderes Verdienst hoch angerechnet werden.3

Das Buch basiert auf einer sorgfältigen Recherche und großen Sensibilität, die sich beispielsweise im Appendix zeigt, der eine Liste mit Selbstbezeichnungen der indigenen Bevölkerung Nordamerikas enthält, oder aber in einem Subkapitel über Namensbezeichnungen und den notwendigen Respekt gegenüber indigenen Gruppierungen, bei dem die Selbstbezeichnungen verwendet sind [S. 21f]. Die Bibliographie (knapp 50 Seiten) enthält den aktuellen derzeitigen Forschungsstand der von Mitchell behandelten Themen und Regionen. Nach eigenen Angaben hat er neben englischen auch auf spanische, portugiesische, französische, italienische und Afrikaans Quellen zurückgegriffen. Ebenfalls auffällig für eine globalgeschichtliche Studie (jedoch nicht für eine archäologische oder anthropologische) ist die intensive Verwendung von farbigen Illustrationen, die sowohl Zeichnungen, Bilder, Tabellen als auch Kartenmaterial wiedergeben. Das ausführliche Repertoire von Verweisen, 1145 Belege und Vertiefungsmöglichkeiten behindert den Lesefluss nicht, da sie an Endnoten am Kapitelende stehen.

Insgesamt wird mit drei von zehn Kapiteln ein Schwerpunkt auf Nordamerika gelegt (ca. 126 Seiten). Dabei wurde das zu untersuchende Areal für Nordamerika in drei geografisch und historisch unterscheidbare Regionen unterteilt, wobei die darin lebenden ethnischen Gruppen neben etablierten geografischen Begriffen die entscheidende Rolle für diese Abgrenzung lieferten. Einen besonderen Stellenwert erfährt hierbei die Rolle des sogenannten Imperialismus der Komantschen [S. 111-126], die nicht nur sehr früh die Bedeutung des Pferdes erkannten und diese geschickt für eigene subsistentielle Zwecke einsetzten, sondern auch für den Aufbau von weiten wirtschaftlichen, politischen und letztlich auch militärischen Vorherrschaftszwecken. Weitere zwei Kapitel behandeln Südamerika (ca. 84 Seiten) und ein Kapitel beschäftigt sich mit Kulturen im südlichen Afrika und Australasien (ca. 41 Seiten). Drei Kapitel zu Anfang des Buches führen in Begrifflichkeiten ein und geben einen kompetenten Überblick über die Geschichte der behandelten Regionen vor der Ankunft des Pferdes (92 S.). Vor allem diese drei Teile seien den LeserInnen ans Herz gelegt, da sie Begriffsdefinitionen sowie eine Erklärung des Phänomens „Horse Nations“ enthalten, auf denen der Rest des Buches aufbaut. Die Synthese im letzten Kapitel ordnet die „Horse Nations“ in einen globalen Kontext ein (rund 29 Seiten).

Eine Frage, die besonders intensiv erörtert wird, betrifft die Gründe dafür, dass sich die besprochenen Kulturen, nicht überall auf der Welt finden. Mitchell identifiziert vier Faktoren, Zeit, Platz, Weideflächen und Wasser, sowie eine krankheitsfreie Umgebung, S 355f.), verweist aber auch auf kulturelle Vorbedingungen. Während die ersten vier Punkte in den von ihm analysierten Fallbeispielen zutreffen (so im Fall der Aborigines in Australien, die sowohl durch die Kolonialmacht als auch durch deren Krankheiten eingeschränkt wurden), ruft die letzte Bedingung – eine gewisse kulturelle Komponente – auf den ersten Blick Zweifel hervir, auch wenn Mitchell keineswegs in Richtung eines kulturellen Determinismus denkt [S. 358f.].
Spannend gleich zu Beginn des Buches ist, dass die meisten der von ihm untersuchten Gesellschaften in große Jäger- und Sammlergesellschaften und/ oder in Kombination mit kleinteiligen Gartenbaukulturen einzuordnen sind (außer den Maori- oder Araukaner-Gesellschaften, S. 4) und in einer eher harschen Umwelt ihr Auskommen finden mussten. Ihre Stellung an den Grenzen der kolonialen Imperien hat auch mit dieser Ressourcenlage zu tun. Generell ist Mitchell daran gelegen einen genauen Blick auf die Beziehungen zwischen sesshaften und (semi-)nomadischen Gruppen zu werfen [S 362.] und er sich damit mit Forschungsdesideraten beschäftigt. Weiter identifiziert Mitchell die beiden nach wie vor umstrittenen Fragen, wie wichtig war das Pferd für die Ernährung der frühen Menschen in den Amerikas und warum wurden die Pferde überhaupt in den Amerikas vor 1492 ausgerottet, nur um danach sich wieder schnell zu verbreiten? Abschließend stellt Mitchell fest, dass die multidiszplinäre Beschäftigung mit dem Thema „Horse Nations“ weitere bis dahin verschüttete oder wenig beachtete Punkte hervorbringen wird und zu Vergleichen mit anderen geographischen Gebieten Eurasiens einlädt [S. 363]. Die Nachkommen der besprochenen Gesellschaften sind trotz schwieriger Verhältnisse seit dem 19. Jahrhundert nach wie vor präsent, wobei deren Identität vielerlei Beeinflussungen ausgesetzt ist und ein nachhaltiges Verbleiben als Kultur nicht gesichert erscheint [S. 365].

Das Buch „Horse Nations“ widmet sich einer speziellen Thematik und kann durch seinen Detailreichtum und den multidisziplinären Ansatz bestechen, der kein Lippenbekenntnis bleibt, sondern durchgängige Anwendung findet. Es lässt die LeserInnen, die durch den europäischen Kolonialismus bedingten großflächigen biologischen Veränderungen anhand des Fallbeispiels der „Wieder-“Führung des Pferdes eindrucksvoll nachvollziehen und stellt so ein weiteres Puzzleteil der globale Umwelt- und Akkulturationsgeschichte dar.

Anmerkungen:
1 Ein sehr empfehlenswerter Artikel zum Thema Columbian Exchange und dessen Auswirkungen: Nathian Nunn / Nancy Qian, The Columbian Exchange. A History of Disease, Food, and Ideas, in: Journal of Economic Perspectives 24 (2010) 2, S. 163-188.
2 Peter Coates, Bolting free. Review of “Horse Nations”. Times Literary Supplement, London 2015.
3 Für einen wertvollen Zugang zur Thematik und einem kleineren Versuch einer Synopsis sei den LeserInnen ein Kapitel im folgenden Monumentalwerk ans Herz gelegt: Jürgen Osterhammel, The Transformation of the World. A Global History of the Nineteenth Century” Princeton 2014, hier das Subkapitel „Frontiers: Subjugations of Space and Challenges to Nomadic Life“, S. 322-391.
[4] Aufgrund des Umfangs des nordamerikanischen Teils der Monographie sei hier auch noch ergänzend auf folgendes Standardwerk verwiesen: Jeff Crane, The Environment in Amercian History. Nature and the Formation of the United States, New York 2015. Um eine globalumweltgeschichtliche Einbettung bemüht ist u.a.: John R. McNeill/ Willam H. McNeill, The Human Web. A Bird´s Eye View of World History, New York 2003. Ebenso sind empfehlenswert Standardwerke zu Invasionsökologien, wie Jodi Frawley / Ian McCalman, Rethinking Invasion Ecologies from the Environmental Humanities, New York 2014.

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15.09.2017
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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