W.J. Risch (Hrsg.): Youth and Rock in the Soviet Bloc

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Title
Youth and Rock in the Soviet Bloc. Youth Cultures, Music, and the State in Russia and Eastern Europe


Editor(s)
Risch, William Jay
Published
Lanham 2015: Lexington Books
Extent
318 pp.
Price
€ 95,68
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Michael G. Esch, Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa

Die bisherige Beschäftigung mit populären Musikformen und den sich an ihnen bildenden Jugendsubkulturen im östlichen Europa folgt sehr weitgehend einem interpretatorischen Muster, das von einigen amerikanischen Pionierarbeiten in den 1980er-Jahren vorgegeben wurde:1 Rock – und vor ihm Jazz – waren US-amerikanische Musikstile, die in den Ländern des Staatssozialismus als politisch gefährlich und zersetzend verfolgt, von mit dem Kommunismus unzufriedenen jungen Menschen aber als Musiken der Freiheit rezipiert und in einem langen Prozess gegen starrsinnige Kulturideologen durchgesetzt wurden. Damit wird nicht nur ein kategorialer Unterschied unterstellt zwischen Funktion und Rezeption dieser Musikstile in Ost und West, der etwa die rigorose Ablehnung und Bekämpfung von Jazz und Rock durch westliche konservative Akteure und ihre Politisierung in den „langen Sechzigern“ übersieht. Die blockübergreifende Rezeption dieser Stile erscheint zudem als reine Übertragung aus den USA über Westeuropa nach Osteuropa – womit letztlich ein erneuter Nachweis der Überlegenheit des amerikanischen Freiheitsbegriffs und politischen Systems geliefert wird. Erst neuere Arbeiten, namentlich der Vergleich von Jazz und Rock in den beiden deutschen Staaten von Uta Poiger, haben erste wichtige Argumente gegen eine solche Interpretation geliefert: In BRD und DDR galten diese amerikanischen Musiken als gleichermaßen zersetzend, demoralisierend und als Ausdruck einer unerwünschten kulturellen Amerikanisierung. Unterschiede bestanden laut Poiger nur im Grad einer letztlich missverstehenden Politisierung von oben.2

Der Sammelband von William Jay Risch ordnet sich in eine Forschungslandschaft ein, die das Phänomen Jugendsubkulturen als Bestandteil der Kulturgeschichte des Kalten Krieges auffasst; er sieht seinen Gegenstand als transnationales Phänomen. Die Beiträge beschränken sich jedoch auf den sowjetischen Raum, insbesondere Russland und die Ukraine; drei Aufsätze behandeln Polen, je einer die DDR und Ungarn. Hinzu kommt als aufschlussreiche Ergänzung Vuletićs Beitrag über Popmusiken in Jugoslawien als einem nominell sozialistischen Land, das sich nach dem Bruch mit der sowjetischen Regierung dem Austausch mit der kapitalistischen Welt – und damit auch für deren Einfluss auf die einheimische Popmusik – öffnete. Die ČSSR blieb unberücksichtigt, was nicht die einzige Lücke ist: Zwar behandeln die Beiträge zusammen den gesamten Zeitraum der Existenz des osteuropäischen Staatssozialismus, aber nur die Sowjetunion wird in einer Weise beleuchtet, die die Entwicklung von der Chruščev-Ära (Tsipursky) bis hin zur Zeit der Entspannungspolitik (Žuk; Risch; Kveberg; Ward) umfasst. Gerrards Beitrag zu Punk in der DDR sowie Junes über Punk, Heavy Metal, Reggae und Subkulturen in Polen beschränken sich auf die 1980er-Jahre und damit auf das Ende der staatssozialistischen Zeit. Die Beiträge argumentieren im Rahmen ihres eher eng gefassten Gegenstands und beziehen sich kaum aufeinander. Gleichwohl ist der Band konsistenter als es bei Sammelbänden üblich ist. So verweisen alle Beiträge zur Sowjetunion auf eine repressivere Atmosphäre in Bezug auf Subkulturen und westliche Musikimporte um 1983, was sich im Wesentlichen mit der verbreiteten Diagnose einer repressiven Stagnation in der Ära Brežnev deckt.

Es entsteht zwar weder ein Gesamtbild noch werden Vergleiche der durchaus unterschiedlichen Umgehensweisen und Entwicklungen in den einzelnen Ländern auch nur angedeutet; eine Ausnahme ist der Beitrag von Risch, der unmittelbar die Hippie-Szenen in Wrocław und Lviv vergleicht. Die Spannbreite der musikalisch-subkulturellen Phänomene, die behandelt werden, ist gleichwohl beeindruckend: Sie reicht vom illegalen, tolerierten und sogar (etwa in Sendungen, die ausdrücklich zum Mitschneiden von Musik vorgesehen waren) geförderten Import unterschiedlicher Formen Popmusik (Hard Rock bis Disko; Kveberg, Žuk, Tompkins) bis zur eigenen, teils bewusst antiprofessionellen Eigenproduktion in Leningrader Wohnungen (McMichael), Kulturklubs entlang der BAM-Baustelle (Ward) und in polnischen studentischen Klubs der 1980er-Jahre (Junes).

Die meisten Beiträge zeigen die Rezeption von Rockmusik in den Ländern des Staatssozialismus nicht als Übernahme, sondern als eine von amerikanischen, britischen bzw. westeuropäischen Vorbildern angeregte Aneignung, die in verschiedene Formen der Schaffung eines „sozialistischen Beat“ einmündete. Ein wesentlicher Vorteil dieser Sichtweise besteht darin, dass Risch dadurch in der Lage ist, die Entstehung musikbezogener Jugend- und Subkulturen als Indikatoren für einen soziokulturellen Wandel zu identifizieren, der aus der besonderen Bedeutungszuweisung an „Jugend“ nach der Erfahrung des Zweiten Weltkriegs resultierte. Risch spricht von einem internationalen Phänomen mit lokalen Agenden und betont, Aspirationen und habitueller Wandel hätten in je regionaler Ausprägung sehr ähnliche Motive und Formen verwendet, allerdings sei dieser Wandel – letztlich geht es um die „Kulturrevolution“ während des Kalten Kriegs – durch die kommunistischen Ordnungen verzögert worden. Diese These, die er auch in seinem lesenswerten Aufsatz über Hippies in Wrocław und Lviv entwickelt, ist nicht vollends überzeugend, wenn es über den Bereich der Aneignung und Entwicklung von Popkultur hinausgeht: es gibt Hinweise darauf, dass die Kulturrevolution der „langen Sechziger“ mit der Betonung von Subjektivität, Hedonismus, Individualismus und einer weniger repressiven Sexualmoral auch in den staatssozialistischen Ländern stattfand, allerdings in anderer, weniger politisch aufgeladener Form.3 Das gilt noch grundsätzlicher für strukturelle Voraussetzungen der Entstehung von „Jugend“ über die Bewilligung von Freizeit und eigenem Geld sowie für die Widersprüche zwischen staatlich-gesellschaftlichen Glücksversprechen, sozialer Wirklichkeit, Legitimationskrise und Entfremdungsgefühl, die sich in je unterschiedlicher Ausprägung und Chronologie dies- und jenseits der Blockgrenze feststellen lassen. Dies wird insbesondere deutlich anhand eines Aufsatzes, der in einem Sammelband über Rock und Jugendkulturen im östlichen Europa überrascht, gerade deshalb aber die Möglichkeit und Notwendigkeit einer blockübergreifenden vergleichenden und Verkettungen nachvollziehenden Betrachtung deutlich macht: Es kann dem Herausgeber nicht genug gedankt werden, dass er mit Jonathyne Briggs einen Spezialisten für musikvermittelte Subkulturen im westlichen Europa zu einem kommentierenden Beitrag eingeladen hat: Briggs macht sehr deutlich, dass die ältere Auffassung, Rockmusik sei im Westen unpolitisch und unproblematisch, im Osten politisch und verboten gewesen, grundfalsch ist.

In diesem Rahmen beschreiben alle Beiträger/innen (zwei Frauen und zehn Männer) musikalische und subkulturelle Phänomene und Entwicklungen aus deren eigenen bzw. lokalen Logiken heraus, was in den meisten Fällen durchaus überzeugend ist, auch wenn einige der älteren dichotomen Orthodoxie verhaftet bleiben. Dies liegt insbesondere daran, dass abgesehen von Briggsens Kommentar Vergleiche nur innerhalb des sozialistischen Lagers angestellt werden: David G. Tompkins behandelt das weitgehende Scheitern früher Versuche, in der DDR und Polen das „Massenlied“ als Alternative zu westlicher Popmusik zu entwickeln. Seine anregende Darstellung der Einbindung von E-Musik-Komponisten in die Entwicklung einer sozialistischen Massenmusik bleibt aber hermetisch, weil die zumindest teilweise positive Rezeption des traditionellen Jazz völlig unerwähnt bleibt. Die Hierarchisierung von musikalischen Ausdrucksformen durch staatssozialistische Kulturbürokratien, in der der kunstmusikalische Kanon des 19. und frühen 20. Jahrhunderts ganz oben, importierte Popmusik aber ganz unten steht, spielt in mehreren Aufsätzen eine Rolle: Etwa bei Tsipursky, der sich mit den stiljagi und ihrer Kriminalisierung als Hooligans unter Chruščev beschäftigt, aber auch bei Kveberg, der die Spannung zwischen einer am klassischen E-Musik-Kanon orientierten Kulturbürokratie und der Attraktivität popmusikalischer Erzeugnisse wie Boney M. beschreibt. Es bleibt dabei unthematisiert, dass die Ablehnung des Kommerziellen sich aber auch in den subversiven Musikstilen wiederfindet – insbesondere in den Leningrader Appartement-Konzerten (McMichael) und dem polnischen Punk und Reggae (Junes). Ebenso bleibt unberücksichtigt, dass diese Hierarchisierung – die sich dann in Bezug auf unterschiedliche künstlerische Qualitätsstufen von Jazz und Rock fortsetzt – auch im Westen üblich war (und ist), und dass staatliche Kulturförderung populäre Musikstile auch dort erst ab den 1980er-Jahren einschloss.

Implizit werden die je unterschiedlichen Funktionen musikalischer Praktiken deutlich, aber auch ihre Ambivalenz: McMichael zeigt, wie die bewusste Antiprofessionalität der Appartementkonzerte einerseits die Exklusivität eines insgesamt eher privilegierten Milieus stärkt, andererseits den Marktwert der ausführenden Musiker innerhalb des Underground – und damit ihre Einkunftsmöglichkeiten – steigert. Junes betont, dass die Subversivität des Punk und Reggae in Polen nicht in einer Orientierung am freien Westen lag, sondern in der Betonung der Hässlichkeit der unmittelbaren Umgebung – und letztlich in der Ablehnung der ganzen Welt. Reizvoll wäre es hier gewesen, einerseits auf die Thematisierung der gleichen tristen Ästhetiken im westlichen Punk insbesondere in der BRD und in Großbritannien unter Thatcher, andererseits auf die in den 1980er-Jahren angesichts gelockerter Pass- und Visabestimmungen zunehmenden transnationalen Vernetzungen der Punks und Rastas hinzuweisen. Aufregend und bedenkenswert ist seine These, die Generation der 1980er-Jahre sei am Ende des Jahrzehnts so rebellisch geworden, dass das alte Regime den Schulterschluss mit der alten Opposition suchte, um die bereits stattfindende Revolte einzudämmen.

In mehreren Beiträgen wird betont, dass die subkulturellen Akteurinnen und Akteure privilegierten Schichten entstammten: Tsipursky betont, dass die stiljagi vor allem aus privilegierten Haushalten stammten – was ihre Interpretation als Widerständler zweifelhaft macht, andererseits aber natürlich erklärt, wieso dieses Phänomen gerade unter der »goldenen Jugend« als unerwünscht galt. Gleiches galt im Übrigen für die polnischen bikiniarze, was Junes nicht daran hindert, sie als Oppositionelle auszugeben. Offensichtlich ganz anders verhielt es sich mit den Fans importierter und einheimischer Popmusik in kulturpolitisch eher unerwünschten Genres wie Rock und Disco: Das Publikum entlang der BAM-Baustelle, das Ward beschreibt, war entschieden proletarisch, der Erfolg westlicher Bands, die in den 1980er-Jahren Auftritte im östlichen Europa absolvierten, quasi klassenübergreifend, auch wenn die Verteilung der Eintrittskarten dies nicht unbedingt widerspiegelte. Hier kommt allerdings auch wieder eine Schwäche der Fokussierung auf die eigenen Teilbereiche zum Tragen: In den Beiträgen scheint es, als wären westliche – d.i. international erfolgreiche – Musiker/innen erst in den 1980er-Jahren, also in der späten Phase der Entspannungspolitik östlich der Blockgrenze aufgetreten. Das Dave Brubeck Quartett spielte aber bereits 1958 in Polen, in den 1960er-Jahren trat die britische Band Manfred Mann mit einer einheimischen Vorband in der ČSSR auf, um nur zwei Beispiele zu nennen. Diese Lücke führt insofern zu völlig falschen Interpretationen, als etwa Kveling in Unkenntnis solcher Auftritte und der regional sehr unterschiedlichen musikalischen und subkulturellen Entwicklungen behauptet, die Rigidität des sowjetischen Regimes über die „Satellitenstaaten“ habe Abweichungen bzw. eigene Wege im Umgang mit den neuen musikalischen Genres nicht zugelassen.

Einig sind sich die Autor/innen darin, dass die subversive Gefährlichkeit der musikvermittelten Subkulturen erst durch die staatliche Repression bzw. Politisierung entstanden: Sowohl Tsipursky als auch Horváth beschreiben die Wahrnehmung neuer Jugendsubkulturen – der stiljagi in der Sowjetunion, der Nagyfa-Gang in Ungarn – als moralische Paniken im Sinne Stuart Halls. Horváth geht sogar so weit, dass er behauptet, die skandalisierte Gruppe habe überhaupt nicht existiert – was wenig überzeugend ist, zumal wenn man Halls Auffassung folgt, dass die moral panic in aller Regel zu einer Festigung und Popularisierung von skandalisierten Verhaltensformen führt. Es bleibt allerdings ein Grundproblem nicht nur der hier versammelten Beiträge, dass die trotz aller Verschränkung ineinander unterschiedliche Funktionsweise von Sub- und hegemonialer Jugendkultur nicht thematisiert wird: Das Publikum der Appartement-Konzerte in Leningrad oder der Punkkonzerte in der Warschauer Reduta war sicherlich nicht identisch mit dem der Boney M.- oder Deep Purple-Konzerte (die ihrerseits nochmals voneinander unterschieden waren), das sich vermutlich wenig von dem „offizieller“ Rockbands wie Puhdys, Maanam oder den sowjetischen Vokal-Instrumental-Ensembles unterschied. Gerade im Verhältnis zwischen „authentischen“ Subkulturen und den im Westen kommodifizierten, im Osten disziplinierten Popkulturen des Mainstream liegen aber weitere Vergleichsmöglichkeiten, die zu einem tieferen Verständnis der Entwicklungsdynamiken subversiver und hegemonialer Jugendkulturen und ihrem Verhältnis zu den Gesellschaften führen, in denen sie stattfinden. Bedauerlich ist schließlich gerade in diesem Kontext, dass wie in den meisten Arbeiten zur Pop- und Subkulturgeschichte die Signifikanz der eigentlichen musikalischen Praxis und des musikalischen Materials zu wenig berücksichtigt und der Hauptfokus auf Texte gelegt wird.

Den Wert des Sammelbandes schmälert dies nicht: Er zeigt sehr deutlich, dass die Rezeption und schöpferische Übernahme westlicher Musikstile ebenso wie Entstehung, Wahrnehmung und Wirkung von Musik- und Jugendsubkulturen ebenso wie ihre komplexen und ambivalenten Bezugnahmen auf ein vorgestelltes Anderes sich nicht auf eine Sehnsucht nach amerikanischen Lebensstilen zurückführen lassen: Was von dem, was im Westen geschah, wahrgenommen wurde, regte vielmehr eine ähnlich gelagerte musikalisch-soziokulturelle Auseinandersetzung mit der eigenen Wirklichkeit an. Gerade deshalb eröffnen die hier versammelten Beiträge Perspektiven für eine komparative und transnationale Betrachtungsweise, die – wie Risch dies postuliert und Briggs es in seinem Kommentar ansatzweise vorführt – über die Blockgrenzen hinweggehend Rock und Pop im Kontext einer globalen soziokulturellen Revolution versteht.

Anmerkungen:
1 Siehe Frederick S. Starr, Red and Hot. The Fate of Jazz in the Soviet Union 1917–1980, New York 1983; Timothy W. Ryback, Rock around the Bloc. A History of Rock Music in Eastern Europe and the Soviet Union, New York 1990.
2 Uta Poiger, Jazz, Rock, and Rebels. Cold War Politics and American Culture in a Divided Germany, Berkeley 2000.
3 Siehe hierzu etwa Piotr Barański u.a., Kłopoty z seksem w PRL. Rodzenie nie całkiem po ludzku, aborcja, choroby, odmienności, Warszawa 2015; Martin Franc / Jiří Knapík, Volný čas v českých zemích, 1957–1967, Praha 2013.

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23.03.2018
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