C. Cameron u.a.: Many Voices, One Vision

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Title
Many Voices, One Vision. The Early Years of the World Heritage Convention


Author(s)
Cameron, Christina; Rössler, Mechtild
Series
Heritage, Culture, and Identity
Published
Farnham, Surrey 2013: Ashgate
Extent
XX, 309 S.
Price
£ 95.00
Reviewed for Connections. A Journal for Historians and Area Specialists by
Marie Huber, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Internationale Organisationen haben mittlerweile einen hohen Stellenwert in der historischen Forschung. Eine große Herausforderung bei ihrer Erforschung ist, dass die Organisation nach außen hin als ein einziger Akteur auftritt und in wissenschaftlichen Arbeiten oft ebenso konzipiert wird. Eine solche Herangehensweise aber übersieht die Vielzahl an Akteuren und Akteurinnen, die unter dem Dach der Organisation handeln, sowie deren Motive.

Mit „Many Voices, One Vision“ wird ein solcher Einblick an einem konkreten Beispiel möglich: der United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization (im folgenden UNESCO) – Welterbekonvention, die ihrerseits ein Forschungsgegenstand von wachsendem Interesse ist.1 Die beiden Autorinnen wollen, motiviert aus ihrer langjährigen Tätigkeit im Rahmen des Welterbe-Programms, die institutionelle sowie die Ideengeschichte hinter der Konvention sichtbar machen. Dazu analysieren sie die Ergebnisse aus ihrem eigens dafür ins Leben gerufenen Oral History-Projekt und Quellenmaterial aus dem UNESCO-Archiv. Das Vorgehen ist dabei geleitet von der Frage danach, ob die optimistische Vision der Konvention sich erfüllt hat. Eine weitere Rolle spielt die Frage nach den internationalen Aspekten der Entstehung und der Implementierung der Konvention.

Das Buch ist in der ersten Hälfte chronologisch in die verschiedenen Entstehungs- und Implementierungsphasen gegliedert, in der zweiten Hälfte nach den Themenfeldern „Akteure“ und „Auswertung“, im Anhang finden sich die Kurzbiografien der interviewten Akteurinnen und Akteure. Durch die Dokumentation und Auswertung der Interviews und des Quellenmaterials wird das Zusammenspiel der Akteure im Inneren der UNESCO verständlich gemacht, und es zeigt sich, dass die Entwicklungen der frühen Jahre maßgeblich für das Verständnis der aktuellen Situation ist. Ideen und Aktionen einzelner Persönlichkeiten kommen bei der Entstehung der Konvention und der in ihr enthaltenen Standards eine große Rolle zu. Die Autorinnen ordnen sich gleichermaßen in den wissenschaftlichen wie in den Kontext der internationalen Organisation ein und betrachten ihre Arbeit als Beitrag zur Geschichte der UNESCO, aber auch als wichtige Vorarbeit für eine Weiterentwicklung der Welterbekonvention.

Das erste Kapitel widmet sich der Zeit vom Beginn des internationalen Diskurses über ein universelles Kultur- und Naturerbe in den 1920er-Jahren bis zur Welterbe-Konvention von 1972. Die Idee, dass der Schutz des gemeinsamen Erbes eine Aufgabe der globalen Gemeinschaft sei, beschränkte sich zunächst auf Kulturgüter, die Zeitgenossen Gefahren wie Zerstörung im Krieg, aber auch Industrialisierung und Urbanisierung ausgesetzt sahen. Die bis heute für die Konvention charakteristische Dualität von Natur und Kultur stellen die Autorinnen erst nach 1945 fest, im Kontext der global zunehmenden Relevanz von staatlichem Umweltschutz und mit den USA als zentralen Impulsgeber. Das Verhältnis der beiden Bereiche zueinander wäre und sei konflikthaft und von einer unklaren Abgrenzung geprägt.

Aus verschiedenen Komitees und Initiativen inner- und außerhalb der UNESCO entwickelten sich schrittweise die beiden wissenschaftlichen Expertengremien International Council of Monuments and Sites (ICOMOS) sowie International Union for the Conservation of Nature (IUCN), die zusammen mit den Beamten der UNESCO die der Konvention zugrunde liegenden Standards erarbeiteten. Diesen beiden Gremien obliegt bis heute die Begutachtung der nominierten und die regelmäßige Evaluierung der ernannten Stätten.

Die Umsetzung der Konvention auf institutioneller Ebene ist Thema des zweiten Abschnitts. Das betrifft zunächst die Verfahrensweisen der sich aus der Konvention ergebenden Richtlinien und Organe: die Welterbe-Generalversammlung die aus ihren Reihen Vertreter für das Welterbe-Komitee bestimmt, das als Exekutivorgan fungiert; auf Seiten der UNESCO das Welterbe-Büro bzw. später Welterbe–Zentrum in Paris. Das wichtigste Instrument zur Umsetzung der Konvention stellte die Entwicklung von Kriterien dar, anhand derer ein „herausragender universeller Wert“ einer Natur- oder Kulturstätte bestimmt werden sollte. Zusätzlich zur Einzigartigkeit wurden auch Authentizität, Integrität sowie Management und Konservierungsmaßnahmen als maßgebliche Kriterien für die Auswahl der Stätten bestimmt. Die vielfach kritisierte Unausgewogenheit der Welterbeliste zugunsten europäischer, monumentaler Stätten habe, so Cameron und Rössler, hier ihren Ursprung.

Das dritte Kapitel widmet sich der tatsächlichen Auswahl von Stätten, vor allem mit dem Ziel, das Zustandekommen dieser Unausgewogenheit sowie die starke Zunahme von Nominierungen zu erklären: von 12 Stätten zu Beginn (1978) ist die Welterbeliste heute auf über 1.000 angewachsen; viele Beteiligte sehen damit die Grenzen der Machbarkeit erreicht. Trotz einer Reform der Kriterien 1994 (die „Global Strategy for a Representative and Credible World Heritage List“) und einer Transformation und Erweiterung der Konzepte von Stätten (als wichtiges Stichwort ist hier die „Kulturlandschaft“ zu nennen, die sowohl Kultur- als auch Naturelemente enthält) bleibe die Unausgewogenheit der Welterbeliste ein bis heute ungelöstes Problem. Die Autorinnen beschreiben hier auch genauer, wie sich das Programm durch seine internationale Dynamik auf die Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Diskurse von Denkmalpflege und Naturschutz ausgewirkt hat.

Die Aktivitäten des Welterbe-Komitees und der UNESCO beschränken sich nicht auf die Auswahl und Ernennung von Stätten, sondern umfassen auch deren Erhalt. Um die Entwicklung dieser Praxis geht es im vierten Teil. Im Rahmen der technischen Zusammenarbeit bzw. Entwicklungszusammenarbeit und später durch den Aufbau eines eigenen Fonds wurden gezielt finanzielle Hilfe und Expertenwissen bereitgestellt, um Staaten beim Management der Stätten, bei der Ausgrabung und Restaurierung und bei der Erstellung von politischen Richtlinien zu unterstützen. Der Schwerpunkt wurde jedoch bei der periodischen und systematischen Überwachung gesetzt. Bei der Nichteinhaltung der Kriterien und Standards sollte der drohende Verlust des Welterbestatus ein Gegengewicht zu wirtschaftlichen und anderen Interessen ermöglichen. Durch die Liste des gefährdeten Welterbes sollten entsprechende präventive Maßnahmen angestoßen werden. Besonders interessant erscheinen hier die genau beschriebene Wandlung von informellen zu standardisierten Überwachungspraktiken sowie die Formierung von UNESCO und den Expertengremien ICOMOS, International Centre for the Study of the Preservation and Restoration of Cultural Property (ICCROM) und IUCN als überstaatliche Akteure in praktischen Projekten wie etwa der berühmten Kampagne zur Rettung von Abu Simbel und den nubischen Monumenten 1960.

Das fünfte Kapitel bietet eine detaillierte Zusammenstellung der zentralen Akteure der Konvention − Staaten, Experten sowie UNESCO −, beschreibt ihre Rollen, Aufgaben und Verantwortlichkeiten und geht auf das Verhältnis beziehungsweise das Zusammenwirken bei der Umsetzung der Konvention ein. Die Experten steuern zwar Gutachten zum Nominierungsprozess bei, aber die letztliche Entscheidung wird von den Mitgliedern des Welterbekommitees getroffen. Die Rolle des Expertenwissens sei im Laufe der Jahre zugunsten einer Politisierung zurückgedrängt worden und die Konvention und die Generalversammlungen somit zu einem Parkett diplomatischer Interessen geworden.

Den Abschluss des Buches bildet eine Auswertung des Welterbesystems aus heutiger Perspektive. Als wesentliche Erfolge führen die Autorinnen hier die große Verbreitung der Konvention und das Anwachsen der Welterbeliste an, sie betonen den Einfluss des Programms auf die Wertschätzung und das Verantwortungsgefühl für ein gemeinsames Erbe und die Bedeutung des Programms als Plattform für wissenschaftliche und politische Entwicklungen. Als negativ bewerten sie den geringen Erfolg im Hinblick auf den Schutz vor Bedrohungen des Erbes, etwa im Kriegsfall, die instabile Finanzierung, den Aufnahmeprozess und die damit verbundenen Kriterien sowie die zunehmende Politisierung. Weitere wichtige, in ihren Augen, unterrepräsentierte Themenfelder sind Policy-Making, das so genannte „Dark Heritage“ (Orte wie Ausschwitz, die Île de Gorée oder Hiroshima), die ursprünglichen Bewohner und Nutzer der Stätten sowie die Auswirkungen des Massentourismus.

Bedingt durch die professionelle Anbindung der beiden Autorinnen2 ermöglicht das Werk mit seiner Längs- und Querschnittanalyse einen tiefen und fundierten Einblick in das Innere einer internationalen Organisation und auf die Umsetzung eines internationalen Abkommens. Es spart dabei allerdings bewusst eine weiterreichende historische Analyse aus. Auch eine Verknüpfung mit der geschichtswissenschaftlichen Forschung findet nicht statt. An einigen Stellen des Buches erscheint die Perspektive der Autorinnen durch ihre institutionelle Anbindung zu unkritisch und nicht neutral genug. Dies manifestiert sich unter anderem in der bisweilen euphemistischen Wortwahl. Die Bedeutung des Buches als Ausgangspunkt für weitere Forschungen ist dennoch hervorzuheben, und es ist ein hervorragendes Beispiel für den Nutzen von Zeitzeugeninterviews bei der Erforschung internationaler Organisationen. Es gewährt darüber hinaus einen Einblick in die reichhaltigen und sehr gut zugänglichen Archivbestände der UNESCO, die bis jetzt in ihrer Bedeutung für eine große Bandbreite an historischen Fragestellungen noch zu wenig Beachtung finden.

Anmerkungen:
1 Z.B. Andrea Rehling, Universalismen und Partikularismen im Widerstreit. Zur Genese des UNESCO-Welterbes, in: Zeithistorische Forschungen / Studies in Contemporary History 8 (2011), S. 414–436, <http://www.zeithistorische-forschungen.de/3-2011/id=4649> (18.01.2016); Aurélie Elisa Gfeller, Negotiating the Meaning of Global Heritage: ‘Cultural Landscapes’ in the UNESCO World Heritage Convention, 1972–92, in: Journal of Global History 8 (2013), S. 483–503.
2 Mechtild Rössler ist seit 1991 bei der UNESCO und heute Direktorin des Welterbezentrums; Christina Cameron war von 1990 bis 2008 Vorsitzende der kanadischen Delegation im Welterbekomitee.

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19.01.2016
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