C. Egger: Transnationale Biographien

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Title
Transnationale Biographien. Die Missionsbenediktiner von St. Ottilien in Tanganjika 1922–1965


Author(s)
Egger, Christine
Published
Köln 2016: Böhlau Verlag
Extent
396 S.
Price
€ 55,00
Reviewed for Connections. A Journal for Historians and Area Specialists by
Stephanie Lämmert, Geschichte der Gefühle, Max-Planck-Institut für Bildungsforschung

Studien zur christlichen Mission in Afrika haben die Figur des Missionars lange Zeit entweder verklärt oder verteufelt. Sie reichen vom zupackenden Helden, der die afrikanische „Wildnis“ unterwirft und durch Christianisierung „zivilisiert“ zum skrupellosen Profiteur des kolonialen Projekts und kulturimperialistischen Bezwinger „primitiven Aberglaubens“.1 Arbeiten der letzten drei Dekaden haben jedoch verstärkt die politische Linse unkritischer Verklärung oder moralisierender Ablehnung hinter sich gelassen. Außerdem werden die Initiativen afrikanischer Christinnen und Christen, nach einem ersten Boom in den 1970er-Jahren, erneut zum Forschungsgegenstand. Neuere Studien dieser Art analysieren Aushandlungs- und Aneignungsprozesse sowie eigenwillige Interpretationen der christlichen Lehre durch afrikanische Christinnen und Christen.2 Auch wächst das Interesse an der politischen Rolle der Kirchen im postkolonialen Afrika. Sei es durch das Aufgreifen neoliberaler Versprechungen wie des „gospel of prosperity“, mit dem sich die boomenden Pfingstkirchen einen Namen gemacht haben, oder durch eine sich auf die christliche Soziallehre berufende kritische Haltung gegenüber Machtmissbrauch und Korruption – kirchliche Repräsentanten werden verstärkt als politische Akteure wahrgenommen und adressiert.3

Obwohl Christine Eggers Studie zu den Missionsbenediktinern in Tanganjika nur teilweise an diese Trends anknüpft, ist das Buch ein wichtiger Beitrag zur Erforschung der katholischen Mission in Afrika, ein Feld, das bisher weniger Aufmerksamkeit erfahren hat, als die protestantische Mission. Die Stärke des Buches sind die „transnationalen Biographien“ von sechs Missionaren unterschiedlicher Herkunft, die dem Buch seinen Titel geben. Hier gelingt Egger eine dichte Beschreibung einzelner Akteure, die dennoch gleichsam für größere Trends und Prozesse innerhalb der katholischen Mission stehen. Durch eine biographische Linse porträtiert Egger den transnationalen – physischen sowie kulturellen und imaginierten – Raum, in den sich die Benediktinermission in Tanganjika in der Periode nach dem Ersten Weltkrieg bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil eingeschrieben hat. Dementsprechend endet das Buch mit der klassischen Zäsur in der Periodisierung afrikanischer Geschichte, dem Ende des Kolonialismus, ohne die postkolonialen Entwicklungen und die langsame Afrikanisierung der katholischen Kirche Tansanias weiter zu verfolgen.

Eggers Augenmerk richtet sich auf Missionare, Laienbrüder wie Pater, die fast ausschließlich europäische oder amerikanische Wurzeln hatten. Afrikanische Akteurinnen und Akteure sind dementsprechend stark unterrepräsentiert, wie auch eine Kontextualisierung der benediktinischen Mission innerhalb lokaler Netzwerke ausbleibt. So wird etwa der wichtige Umstand nicht erwähnt, dass die benediktinische Station Ndanda im ehemaligen Maji Maji Gebiet liegt; ein Gebiet, das nach dem Krieg systematisch von der Kolonialregierung vernachlässigt wurde – was wiederum die geringe Prosperität der Station in Ndanda erklärt.

Egger verortet ihr Buch und die „grenzüberschreitenden Biographien der Missionsbenediktiner“ (S. 53) in der transnationalen Geschichte. Ihr Quellenmaterial erlaubt es, „komplexe Beziehungen unterschiedlicher Lebenswelten“ und „inter- und transkulturelle Interaktionen“ (S. 77) zu beleuchten. Methodisch verpflichtet Egger sich einer „new style prosopgraphy“ (S. 29), um nicht nur Rückschlüsse auf die Biographien einzelner Missionare, sondern auch auf deren Ausgangs- und Ankunftsgesellschaften ziehen zu können. Im Vordergrund stehen dabei der soziale, familiäre und Bildungshintergrund, Stationen im Ordensleben und der missionarische Weg der Entsandten, sowie potentielle Kriegserfahrungen. Auf relativ lange einleitende Kapitel folgt dann etwas spät mit den Kapiteln fünf bis sieben das eigentliche Herz des Buches.

Kapitel Fünf beleuchtet die meist ländlichen Herkunftsmilieus und persönlichen Hintergründe der Missionare sowie die Rolle, die die alpine „Natur- und Kulturlandschaft“ ihrer Kindheit in der Beschreibung ihres neuen Umfelds sowie in ihrer Erinnerung auch weiterhin spielte (S. 129). Die meisten Aspiranten für St. Ottilien stammten aus „großen Familien mit bescheidenem Einkommen“ (S. 133), in denen „bäuerlich-handwerkliche Ideale und Tugenden“ und ein „konservativer Wertekanon“ (S. 135) gelebt wurde. Die Gründe für den Beitritt in den Orden waren eng verknüpft mit der Hoffnung auf sozialen Aufstieg und erweiterte Bildung, mit der Befreiung von sozialen Zwängen und der Möglichkeit einer Perspektiverweiterung im wörtlichen Sinne – Abenteuerlust und Exotismus, angeheizt durch kolonialen Diskurs und visuelle Kultur, spielten hier eine mindestens ebenso zentrale Rolle wie persönliche Frömmigkeit. Tatsächlich gelang es vielen der entsandten Brüder und Pater, durch die Missionsarbeit ihren Status zu verbessern.

In Kapitel Sechs präsentiert Egger biographische Fallstudien, wobei nicht nur Missionare unterschiedlicher Herkunfts- und sozialer Milieus, sondern neben Patern auch Laienbrüder, neben Bayern und Schweizern auch ein US-Amerikaner und ein Tansanier vorgestellt werden. Am lebhaftesten ist das Porträt des mobilen und später auch auf der Ebene der Weltkirche erfolgreichen amerikanischen Paters Dr. Benedict Kominiak. Kominiak, der einem frommen katholisch-slowakischen Milieu in New Jersey entstammte, wurde in Rom und Kanada ausgebildet, bevor er für zwölf Jahre nach Tanganjika entsandt wurde. Dort stieg er zum bischöflichen Generalsekretär für Bildung in Dar es Salaam auf und wurde schließlich 1961 zum Bevollmächtigen für Misereor nach Aachen berufen. Pater Kominiaks Biographie und sein Wirken in der Weltkirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil zeigen das Potential einer postkolonialen Perspektive für die Forschung auf, die Egger leider nur anschneidet. Am Beispiel des unterfränkischen Laienbruders Simeon Rummels wird die Möglichkeit deutlich, die sich ab den späten 1950er-Jahren für Laienbrüder bot, um ihren traditionell geringeren Status gegenüber ihren zum Priester geweihten Confrères auszubauen. Das Schlagwort der katholischen Entwicklungshilfe hieß damals „Hilfe zur Selbsthilfe“, und der Handwerker Rummels nutzte geschickt den Politikwechsel und begann mit dem Ausbau von Handwerksschulen. Dadurch gelang es ihm, seinen eigenen Handlungsspielraum deutlich zu vergrößern. Schließlich bleibt das Porträt des tansanischen Bruders Bonaventura Malibiche gleichsam farblos, obwohl Malibiches Biographie besonders spannend ist – er war ein Produkt des segregierten Ausbildungssystems der Benediktiner, das unterschiedliche Konvente für afrikanische Mitglieder einerseits, europäische/amerikanische andererseits vorsah. Die Öffnung des europäischen Konvents für afrikanische Eintritte und damit die Zusammenführung der Ausbildung erfolgte erst 1983. Obschon keine Selbstzeugnisse für Malibiches Leben bereitliegen, so hätte doch ein breiterer Quellenkorpus hier Abhilfe schaffen können, so etwa durch Interviews mit tansanischen Bezugspersonen in- und außerhalb des Konvents. Eine solche Herangehensweise hätte neues Licht aus tansanischer Perspektive auf die Debatten zur Priesterausbildung sowie über Motive zum Beitritt in den Orden und damit über Paternalismus und Rassismus in kolonialen Kontexten werfen können, die an größere gesellschaftliche Transformationsprozesse anknüpfen. Die faszinierenden Debatten über Eintrittsgründe, Zölibat und Rassismus scheinen in diesem Teilkapitel auf, bleiben aber unterbelichtet.

In Kapitel Sieben, beeinflusst vom „spatial turn“, zeichnet Egger schließlich visuelle, architektonische und museale Repräsentationen der Benediktinermission in transnationalen Räumen nach. Das Kapitel zeigt, wie stark die Vorstellungen Tanganjikas in der „Heimat“ an exotistische und mitunter rassistische Stereotype geknüpft waren – etwa durch Sammeldosen für die Mission, so genannten „Nicknegern“, oder durch das Genre des „Missionsromans“, welches, wie Werbung und Missionszeitschriften, vom Narrativ des Abenteuers in der Wildnis durchzogen war. Dort, wie auch in der musealen Darstellung, wurden das Eigene und das Fremde neu verhandelt, wobei „die Zurschaustellung, Kategorisierung und Hierarchisierung […] das missionarische Eingreifen vor heimische Publikum legitimieren“ (S. 328) sollte. Hier wird deutlich, dass sich spezifische Repräsentationen der benediktinischen Tanganjika Mission in größere koloniale Diskurse einspeisen.

Christine Eggers Studie ist für alle, die sich für die Geschichte der katholischen Mission in außereuropäischen Kontexten interessieren, eine wichtige Referenz. Denn es gelingt Egger, durch eine kritische Analyse der benediktinischen Repräsentationen ihres Missionsgebietes“ nach außen, kulturalistische und mitunter rassistische Sichtweisen und Darstellungsformen zu enttarnen. Sie erweitert damit die wachsende Forschungsliteratur zur Eigen- und Fremdrepräsentation im kolonialen Kontext. Afrikahistoriker/innen würden sich allerdings eine stärkere Kontextualisierung tansanischer Lebenswelten und einen Anschluss an größere Debatten, wie etwa zum Thema Entwicklungskolonialismus und Entwicklungszusammenarbeit oder der Geschichte des Paternalismus in Afrika, wünschen.

Anmerkungen:
1 Patrick Harries / David Maxwell (Hrsg.), The Spiritual in the Secular. Missionaries and their Knowledge about Africa, Grand Rapids 2012, S. 2.
2 Vgl. David Gordon, Invisible Agents. Spirits in a Central African History, Athens 2012; David Maxwell, The Creation of Lubaland. Missionary Science and Christian Literacy in the Making of the Luba Katanga in Belgian Congo, in: Journal of Eastern African Studies 10 (2016), S. 367–392.
3 Harri Englund (Hrsg.), Christianity and Public Culture in Africa, Athens 2011.

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05.03.2018
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