C. Bayly: Birth of the Modern World 1780-1914

Title
The Birth of the Modern World, 1780-1914. Global Connections and Comparisons


Author(s)
Bayly, Christopher A.
Series
Blackwell History of the World
Published
Oxford 2004: Wiley-Blackwell
Extent
540 S.
Price
$69.95
Reviewed for Connections. A Journal for Historians and Area Specialists by
Sebastian Conrad, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

„The Birth of the Modern World“, die 2004 erschienene Globalgeschichte des ‚langen’ 19. Jahrhunderts aus der Feder des Cambridger Historikers C.A. Bayly, ist ein großer Wurf. Ambitionierte Visionen einer zukünftigen global history haben seit einigen Jahren Konjunktur, aber Baylys Buch ist eine der ersten Studien, die diese Programmatik empirisch und darstellerisch einholen. Sein Werk versucht sich an einer Analyse der übergreifenden Trends der Herausbildung der globalen Moderne, ist zugleich voller Einzelheiten und überraschende empirische Befunde; es dokumentiert überzeugend die Notwendigkeit, die Entstehung der modernen Welt als dezentralen und zugleich zusammenhängenden Prozess zu begreifen.

Baylys Ausgangspunkt ist die Existenz vieler konkurrierender Knotenpunkte, von denen der tief greifende Wandel ausgeht, der das 19. Jahrhundert allerorten kennzeichnete. Gleichwohl beobachtet er eine Tendenz zu globaler Uniformität – die allerdings nicht mit Homogenisierung gleichgesetzt werden sollte. Vielmehr brachte die Zunahme der weltweiten Verflechtung auch zahlreiche Unterschiede hervor, die aber nunmehr auf ähnliche, bisweilen standardisierte Art und Weise artikuliert werden. Dies gilt sowohl innerhalb von Regionen und Gesellschaften (als Folge von funktionaler Differenzierung), aber auch überregional: westliche Hegemonie und der von ihr ausgelöste Widerstand sind auch für Bayly zentrale Kategorien seiner Analyse.

Bayly hat bisher vor allem zur indischen Geschichte gearbeitet und publiziert, und eine besondere Vertrautheit mit Südasien – aber auch der Geschichte Ost- und Südostasiens – merkt man dem Buch bisweilen an. Darüber hinaus ist Bayly ein guter Kenner des 18. Jahrhunderts, und diese Kompetenz bringt er auch fruchtbar in seine Synthese mit ein. Bayly denkt die Globalisierung des 19. Jahrhunderts (anders als häufig üblich) nicht so sehr von ihrem Höhepunkt 1914 her, sondern von ihrer Vorgeschichte. Er interessiert sich daher nicht nur für den Wandel und die Herausbildung einer globalen Moderne, sondern zugleich für die Kontinuitäten und Traditionen. Arno Mayers Blick auf „The Persistence of the Old Regime“ deutet eine zentrale Perspektive an, die auch Baylys Buch an vielen Stellen kennzeichnet. 1 Diese Vorherrschaft althergebrachter Kategorien dauert für Bayly jedoch nicht bis zum Weltkrieg an; um das Jahr 1890 erkennt er eine tiefe Zäsur, in der die Anciens régimes endgültig einer globalisierten und modernen Welt Platz machen.

Baylys Weltgeschichte will sich explizit von dem Schwergewicht ökonomischer Deutungen lösen, welche die Geschichtsschreibung der Globalisierung bisweilen noch dominieren. Politik, Gesellschaft und soziale Ungleichheit sowie Kultur stehen gleichberechtigt daneben. So werden etwa die Revolutionen des ausgehenden 18. Jahrhunderts in einen übergreifenden Zusammenhang gebracht. Dabei zielt Baylys Fragestellung darauf, auch außerhalb Europas nach Ursachen für die Französische Revolution zu suchen – und umgekehrt den globalen Auswirkungen der Pariser Ereignisse nachzuspüren. Auch die großen Umwälzungen in der Mitte des 19. Jahrhunderts werden in einem spannenden Kapitel, das die europäischen Ereignisse von 1848 mit der Taiping-Rebellion in China und dem amerikanischen Bürgerkrieg zusammen liest, in einen breiteren Kontext gestellt. Das komplexe Geflecht gegenseitiger Einflüsse ist für die Argumentation in dem gesamten Buch charakteristisch. Bayly ist skeptisch gegenüber einem ungetrübten Eurozentrismus; gleichwohl negiert er nicht die zentrale Rolle Europas bei der Herausbildung der modernen Welt. Dabei bleiben aber jeweils unterschiedliche kulturelle Formen der Aneignung und die agency lokaler Akteure immer im Blick.

Auch der Globalisierung der Kunst und Literatur, aber auch etwa der Kleidungsstile, sind aufschlussreiche Passagen gewidmet. Und eines der wichtigsten Kapitel des Buches beschreibt die Wiederkehr der Religion als globales Phänomen. Gegen die Webersche (und modernisierungstheoretische) Säkularisierungsthese führt Bayly überzeugende Argumente ins Feld, die das 19. Jahrhundert als eine Hochphase religiöser Betätigung ausweisen. Die großen Weltreligionen wurden in dieser Zeit innerlich konsolidiert; die Formalisierung von Doktrin und Dogma machte aus dem Buddhismus und Konfuzianismus erst ‚moderne’ Religionen, die dann mit dem Christentum und Islam konkurrierten. Die äußere und innere Missionierung war nicht nur eine Angelegenheit des Christentums, sondern bald auch anderer Konfessionen, etwa des Hinduismus. Heiligenverehrung, Wallfahrten, aber auch der Kirchenbau hatten im späten 19. Jahrhundert Konjunktur. „The expansion and consolidation of the great world religions“, betont Bayly für das 19. Jahrhundert, „is as important as, if not more important than, the theme of the rise of nationalism or liberalism“ (S. 364).

Baylys Buch ist allerdings kein Einführungswerk, auch kein weltgeschichtliches Handbuch. Es setzt den einigermaßen kundigen Leser voraus – die wichtigen Ereignisse und Prozesse werden behandelt, verglichen und welthistorisch eingeordnet, aber in der Regel nicht noch einmal erzählt. Auch die Verweise auf die Forschung und aktuelle Debatten – von denen das Buch, auch wenn es selten von ihnen spricht, doch auf jeder Seite geprägt ist – finden sich häufig nur zwischen den Zeilen. Wenn Bayly etwa betont, dass Europas „’great divergence’ from Asia and Africa [...] was not simply the result of the ‚failure of the rest’, or even its access to coal and the Americas“ (S. 469), dann muss man sich den Hinweis auf Kenneth Pomeranz, aber auch auf die Werke von Bin Wong, David Landes und Andre Gunder Frank hinzudenken. 2

Auch die theoretischen Gegenentwürfe, von denen sich Bayly distanziert und gegen die er anschreibt – einerseits der Kulturalismus und latente Nativismus (so sieht er es jedenfalls) der postcolonial studies, andererseits der Ökonomismus der Weltsystemtheorie oder die Übertreibungen eines Andre Gunder Frank – werden selten explizit gemacht. Bayly argumentiert von der Sache her, nicht dogmatisch. Das führt bisweilen zu etwas harmonistischen, ökumenischen Formulierungen, zu allzu allgemeinen Tendenzen und Trends, gegenüber denen man sich die konkreten Gegenstände oder aber ihre analytische Durchdringung etwas gestärkt wünschte. Gleichwohl: Baylys Buch ist das Beste, was es aus weltgeschichtlicher Perspektive zum 19. Jahrhundert bislang gibt. Dem Werk sind viele Leser zu wünschen, denn schließlich: „All historians are world historians now“, so sieht es jedenfalls C. A. Bayly (S. 469), „though many have not yet realized it“.

Anmerkungen:
1 Mayer, Arno J., The Persistence of the Old Regime. Europe to the Great War, London 1981.
2 Pomeranz, Kenneth, The Great Divergence. China, Europe, and the Making of the Modern World Economy, Princeton 2000; Wong, R. Bin, China Transformed. Historical Change and the Limits of the European Experience, Ithaca 1997; Frank, Andre Gunder, ReOrient. Global Economy in the Asian Age, Berkeley 1998; Landes, David S., Wohlstand und Armut der Nationen. Warum die einen reich und die anderen arm sind, Berlin 1999.