J.H. Elliott: Empires of the Atlantic World

Titel
Empires of the Atlantic World. Britain and Spain in America 1492-1830


Autor(en)
Elliott, John H.
Erschienen
Anzahl Seiten
XXI, 546 S.
Preis
£ 14.99
Rezensiert für Connections. A Journal for Historians and Area Specialists von
Horst Pietschmann, Historisches Seminar, Universität Hamburg

Obwohl nur wenige seiner Werke ins Deutsche übersetzt wurden, ist der inzwischen emeritierte „Regius Professor of Modern History“ der Oxford University auch hierzulande für seine zahlreichen Bücher zur frühneuzeitlichen Geschichte Spaniens und des atlantischen Raums bekannt geworden. Sie zeichnen sich durchweg durch gründliche Kenntnis umfangreicher Quellenbestände aus. Seine große Biografie über den Condeduque de Olivares, den Hauptgegenspieler des Kardinal Richelieu während des Dreißigjährigen Krieges, verdient dabei besondere Hervorhebung.1 Das Umschlagbild des stattlichen Bandes dürfte dennoch durchaus auch manchen deutschen Frühneuzeithistoriker überraschen: das prächtige, auf 1718 datierte Barockbild stammt aus der Malschule von Cuzco (Peru) und zeigt die Heiratsverbindung von zwei Inka-Prinzessinnen mit Angehörigen der spanischen Elite aus den Familien Loyola und Borja im 16. Jahrhundert – eine durchaus programmatische und vieldeutige Wahl.2 Insgesamt sind die 43 Abbildungen kolonialer Gemälde aus Hispano- und Angloamerika in diesem Band auch deswegen besonders zu loben, weil der deutsche Leser von Abhandlungen über diese Zeit und diesen Raum vornehmlich an Reproduktionen der Schreckenszeichnungen über die spanischen Gräueltaten aus de Bry vom Ende des 16. Jahrhunderts, mithin also an Bilder aus dem propagandistischen Kontext der antispanischen „Leyenda Negra“ gewöhnt ist. Die neueren Studien zur indigenen Malerei und zur kolonialen Bildlichkeit in den Amerikas haben dagegen im deutschsprachigen Raum bisher nur wenig Echo gefunden.3

Die kurze, aber eindringliche Einleitung zitiert zunächst aus den Amerikabriefen spanischer und englischer Siedler an die in Europa Zurückgebliebenen. Sie berichten sowohl von den Schrecken einer stürmischen und gefährlichen Überfahrt als auch von der Erleichterung, glücklich angekommen zu sein. Schon der schottische Aufklärer David Hume hatte in „Of National Characters“ auf das Spannungsfeld hingewiesen, in das sich europäische Siedler, nicht nur in der „Neuen Welt“, gestellt sahen und das zugleich ein klassisches Dilemma auch moderner Migranten bezeichnet, nämlich einerseits der Prägung durch den „kulturellen“ Hintergrund der jeweiligen Herkunftsländer nur schwer entkommen zu können, sich andererseits aber, um des Überlebens in den in der Fremde angetroffenen „natürlichen“ Gegebenheiten willen, neu anpassen zu müssen. Dieses Zitat markiert bei Elliott den Übergang zu einer knappen Diskussion der verschiedenen „Frontier“-Konzepte in der Tradition von Frederick Jackson Turner, Herbert Bolton und Louis Hartz. Später habe sich die Forschung dann in spezielle Kolonialstudien zu den einzelnen englischen, spanischen und portugiesischen Niederlassungen in Amerika aufgesplittert. In letzter Konsequenz führte dies dazu, dass übergreifende Debatten nicht mehr geführt und transregionale Vergleiche nicht mehr angestellt worden seien, wie Elliott bedauernd konstatiert. Auf kurze kritische Bemerkungen zu neueren Charakteristiken beider Imperien im Spannungsfeld der Begrifflichkeiten „Eroberung“ und „Handel“ folgt eine längere Passage zu den methodischen Problemen des Vergleichs zweier in Zeit und Raum verschiedener Kolonialreiche. Elliott geht auf die Schwierigkeiten ein, selbst die Entwicklungen in jedem einzelnen der beiden Fallbeispiele angesichts verschiedener demographischer Substrate, natürlicher Gegebenheiten und zeitlich versetzter historischer Prozesse verallgemeinernd zu resümieren. Auch „imperfect comparisons“ könnten allerdings nützlich sein „to shake historians out of their provincialisms“ (S. xviii). Kommentare zur Literatur, die Skizzierung des Entstehungsprozesses des Werkes aus langjähriger akademischer Tätigkeit in den USA und in England und die Danksagungen beschließen eine kenntnisreiche, einfühlsam und stilistisch geschickt einen breiten Forschungszusammenhang referierende Präsentation des Buchanliegens. Sie kommt unprätentiös daher und sie kommt ohne erhobenen Zeigefinger, dafür aber mit lediglich 20 Fußnoten aus. Dennoch führt sie sowohl den Fachhistoriker als auch den allgemein interessierten Leser sehr gut in die Lektüre dieses dickleibigen Werkes ein.

Das Buch ist in drei Teile gegliedert, die lakonisch mit „Okkupation“, „Konsolidierung“ und „Emanzipation“ überschrieben und ihrerseits jeweils in vier Unterkapitel untergliedert sind. Ein kurzer Epilog schließt den insgesamt 432 Seiten umfassenden reinen Textteil ab. Die sehr zur Veranschaulichung auch für die mit dieser Weltregion weniger vertrauten Leser beitragenden, insgesamt sieben Kartenskizzen sind in diesen laufenden Text integriert. So steht etwa eine Karte des indigenen Amerika im Jahre 1492 am Anfang des ersten Abschnittes.4 Die zahlreichen Bilddokumente sind dagegen außerhalb der Seitenzählung eingefügt und die Anmerkungen sind als Endnoten zusammen mit dem Abkürzungsverzeichnis, der Bibliografie und dem Register in den hinteren Teil des Bandes verbannt, der allein als Apparat noch einmal 135 Seiten umfasst.

Das Buch ist durchgehend thematisch nach übergreifenden Sachgesichtspunkten gegliedert. Elliott verknüpft auf diese Weise in seiner Darstellung jeweils beispielhaft vergleichend die spanischen und die englischen Erfahrungen, Vorgehensweisen, Kolonisationsmethoden, Formen der Ressourcennutzung und deren Ergebnisse, die Charakteristiken der daraus hervorgehenden Kolonialgesellschaften und die Entwicklungen, die zur jeweiligen Emanzipation der Kolonien führten. Dies gelingt dem Verfasser unter anderem auch deswegen so gut, weil er konsequent auf chronologische Gliederungen verzichtet. Unter den Stichworten „Einfall und Imperium“ etwa, stellt er Hernán Cortés’ und Christopher Newports Vorgehensweisen einander gegenüber. Die „Besetzung des amerikanischen Raumes“ unterteilt er in „symbolische Aneignung“, „physische Aneignung“ und „Besiedlung“. Um Sendungsbewusstsein, das Verhältnis von Kirche und Gesellschaft und die religiöse Vielfalt geht es unter dem Titel „Amerika als geheiligter Raum“. „Krone und Kolonisten“, „Das Ordnen der Gesellschaft“ mögen als weitere Beispiele der von Elliott gewählten Vorgehensweise dienen. Sie erlaubt dem Autor einerseits, sich in die Tradition imperialer Geschichtsschreibung zu stellen, andererseits sich aber Gestaltungsfreiheit für seine Darstellung zu erhalten.

Dabei belässt Elliott es aber nicht bei formalistischer Nebeneinanderstellung der einzelnen amerikanischen Beispiele Spaniens und Englands und deren vergleichender Betrachtung, sondern ist jeweils bestrebt herauszuarbeiten, inwieweit die Vorgehensweisen und Erfahrungen einer Seite von der anderen entweder imitiert oder aber zur Modifizierung der eigenen Verfahrensweisen genutzt wurden. Dazu greift der Autor auf Quellen und zeitgenössische Publikationen in den jeweiligen Mutterländern zu den mit der Expansion verbundenen Problemen und deren Rezeption im jeweils anderen Land zurück, wobei aufgrund der Chronologie natürlich zunächst spanische Debatten und Autoren, wie etwa Francisco de Vitoria und die Rechtstitelproblematik usw., herangezogen werden, während im 18. Jahrhundert umgekehrt die Rezeption englischen Schrifttums und englischer Kolonialpraktiken und -erfahrungen in Spanien stärker zum Tragen kommen. Vor dem Hintergrund der oben schon angesprochenen „Leyenda Negra“, also der im Zeichen der Religionskonflikte des 16. Jahrhunderts und danach aufkommenden antispanischen Propaganda, legt der Verfasser in diesen Teilen großen Wert auf die Unterscheidung zwischen zum einen der Verbreitung von Stereotypen in zeitgenössischen Diskursen und zum anderen auf die beiderseitigen Versuche zur realitätsnahen Deutung und Nutzanwendung der Praktiken der jeweils anderen Seite. Diese Vorgehensweise erfordert Rückgriffe auf die parallelen historischen Entwicklungen in beiden Imperien, ermöglicht dem Autor aber zugleich die Einbeziehung der beiden Mutterländer in seine Analyse und eine Verschränkung der beiderseitigen intellektuellen Prozesse jenseits der weithin üblichen Beschränkung auf die Darstellung von Freibeuteraktionen, Piraterie, militärische Konfrontationen und Kriege beiderseits des Atlantiks. Elliott gelingt es auf diese Weise neben den damit verbundenen imperialen Ansprüchen und Diskursen, auch die häufig nur in Buchtiteln geforderte, aber selten eingelöste „atlantische“ Dimension beider Imperien eindrucksvoll zu veranschaulichen und diese jenseits der kolonialen Metropolen bis hin zu den beiderseitigen Siedlungsgrenzen zu verfolgen. Trotz der methodisch geschickten thematischen Verschränkungen folgt das Werk dem klassischen Schema imperialer Historiographien vom Aufstieg, der Blütephase bis hin zum Niedergang, wie die Dreiteilung des Werkes bereits vermuten lässt.

Gestützt auf eine breite, sorgfältig ausgewählte, freilich überwiegend englisch- und spanischsprachige Literaturgrundlage behandelt der Autor ein außergewöhnlich breites Themenspektrum von den jeweiligen Siedlungsweisen, der Bevölkerungs- und Gesellschaftsentwicklung, über die wirtschaftlichen Grundlagen und Austauschprozesse, die Mechanismen von Herrschaftsausübung und Verwaltung, die Bedeutung von Kirche und Klerus bis hin zu Bildungswesen, Kunst und Kultur und der Entstehung der transatlantischen Gegensätze und Vorurteile innerhalb beider Imperien wie auch in der wechselseitigen imperialen Wahrnehmung. Die Verdeutlichung der Entstehung der wechselseitigen Stereotypen und die Fragen der Integration der indigenen Bevölkerungen sind dabei zentrale Anliegen des Verfassers. Diese greift er in seinem Epilog erneut resümierend auf, kontrastiert sie mit den Defiziten der beiderseitigen Entwicklungen, die in eine knappe Kosten-Nutzen-Analyse beider Systeme überleitet, um mit einigen Bemerkungen zur Ähnlichkeit beider Kolonialbereiche, ungeachtet aller Verschiedenheiten, zu enden.

Elliotts Buch ist fraglos ein Meisterwerk und ein Höhepunkt in der Tradition der Historiographie zur Europäischen Expansion. Angesichts seiner Spannweite, der fundierten Quellen- und Literaturkenntnis, sowie des methodischen Geschicks und der hohen sprachlichen Qualität kann es bei einer Gesamtbewertung um kleinliche Detailkritik nicht gehen. Allerdings wird man gerade von den Rändern her Fragezeichen zum Spanien betreffenden Teil ansprechen dürfen. Inwieweit waren nicht doch die Ostränder des spanischen Imperiums, angefangen von Neapel über Mailand bis Brüssel und Antwerpen, wesentlich bedeutender für Spaniens Aufstieg und für seine amerikanischen Teilgebiete als dies die Expansionshistoriographie traditionell einfängt? Quecksilber aus Istrien und der Slowakei für den mexikanischen Edelmetallbergbau, Kupfer, Waffen, Textilien usw. bis hin zu Büchern, Bildern und selbst Jesuitenmissionaren gelangten über den Mittelmeer- und Nordseeraum, sogar über lutheranische Hafenstädte wie Hamburg, nach Cádiz, um, durch das spanische Flottensystem gewissermaßen „hispanisiert“, Amerika zu erreichen. Deutsche Fürsten, Feldherren und Söldner ebenso wie römische Kardinäle oder britische Adelige wurden mit amerikanischem Silber für die Interessen spanischer Politik gewonnen. Die verschiedenen Linien der Augsburger Fugger leisteten Spaniens Imperium bedeutende Dienste, machten die ausgebrannten Minen von Almadén mit ihrem Quecksilber für den amerikanischen Silberbergbau wieder flott und sicherten über ihren Madrider Faktor in den kritischen Jahren des Dreißigjährigen Krieges die Zahlung der Gehälter des gesamten Hofes.5 An dieser „Ostfront“ wurden im heftigem Flugschriftenstreit viele der Stereotypen geprägt und verbreitet, die auch in Amerika in der Auseinandersetzung zwischen England und Spanien verwandt wurden und in Elliotts Werk eine wichtige Rolle spielen.6 War es daher vielleicht doch mehr als ein kartographischer Zufall, dass der Name des Kontinents in Oberdeutschland geprägt wurde und von dort seinen Lauf um den Globus unter anderem über England antrat? Auch vom entgegengesetzten, amerikanischen Rand des Imperiums her werden in der jüngsten Forschung vergleichbare Fragezeichen gesetzt. Man denke nur an die gerade zaghaft beginnenden Debatten darum, ob die beiden Vizekönigreiche Mexiko und Peru nicht zum Ende des 17. Jahrhunderts bereits, aufgrund ihres Edelmetallreichtums und der erreichten politischen Autonomie, als „informal empires“ charakterisiert werden können. Mexikos edelmetallgestützte Finanzmacht kontrollierte die Karibik und wirkte auch auf den Pazifikraum. Für den britischen Premier Palmerston war jedenfalls klar, dass Mexiko mit Vorsicht zu behandeln war, verlief doch zum Beispiel vor der Eröffnung des Suezkanals die schnellste Verbindung zwischen Asien und Großbritannien über die beiden mexikanischen Hafenstädte Acapulco und Veracruz. Diese noch mit Vorsicht anzubringenden Fragezeichen verdeutlichen aber immerhin, dass die klassische Expansionsgeschichte mit den daraus abgeleiteten imperialen Begriffsbildungen seit jüngster Zeit von verschiedener Seite grundlegend neu befragt wird. Da allerdings ein Werk wie Elliotts Buch in vielerlei Weise die Summe eines Forscherlebens darstellt und nicht in wenigen Wochen geschrieben worden sein dürfte, kann man ihm nicht vorwerfen, diese jüngsten Herausforderungen weniger beachtet zu haben. Dem zeitversetzt arbeitenden Rezensenten gestattet dies aber, das zu rezensierende Werk als den Höhepunkt einer Forschungsrichtung zu bezeichnen, die die einschlägigen Diskurse seit Ende des Zweiten Weltkrieges bestimmte und nun gerade aus der Dimension der Interaktion globaler Räume neu gedeutet wird. Es ist daher sicher kein Zufall, dass Imperien auch hierzulande gerade Konjunktur in der Geschichtsschreibung haben, denkt man an Namen wie Bollmann, Demandt und Münkler. Angesichts dieser eher reduktionistischen deutschen Versuche kann man nur hoffen, dass sich ein deutscher Verlag dazu bereitfindet, dieses hervorragende Buch in deutscher Sprache herauszubringen.

Anmerkungen:
1 Vgl. John H. Elliott, The Count-Duke of Olivares. The Statesman in an Age of Decline, 3. Aufl. New Haven 1990 (1. Aufl. 1986, Übersetzungen ins Französische und Spanische).
2 Konkret handelt es sich um den Neffen des Heiligen Ignatius von Loyola, des Gründers des Jesuitenordens, und um Juan de Borja, (Abkömmling Papst Alexanders VI. und der Herzöge von Gandía), dessen Vater spanischer Botschafter in Portugal und im Reich war.
3 Um hier nur zwei Titel zu nennen, verweise ich beispielhaft für das ganze Themenfeld auf Serge Gruzinski, L’Aigle et la Sibylle. Fresques Indiennes du Mexique. Texte de Serge Gruzinski, Photographies de Gilles Mermet, Paris 1994; Elisa Vargaslugo et al., Imágenes de los Naturales en el Arte de la Nueva España. Siglos XVI al XVIII, México 2005.
4 Die Karten zeigen die frühneuzeitliche atlantische Welt, die hispanoamerikanischen Vizekönigreiche und Audiencia-Distrikte des 16. und 17. Jh.s, die wichtigsten Städte Anglo- und Hispanoamerikas um 1700, die Karibik um 1700, Britisch-Amerika 1763 und das spanisch-amerikanische Imperium am Ende des 18. Jh.s. Diese Auswahl weist bereits darauf hin, dass die Zeit um 1700 in der Darstellung als zentraler Wendepunkt eine große Rolle spielt.
5 Vgl. z.B. Renate Pieper, Die Vermittlung einer Neuen Welt. Amerika im Nachrichtennetz des Habsburgischen Imperiums, 1493 – 1598, Mainz 2000; Thomas James Dandelet, Spanish Rome, 1500 – 1700, New Haven 2001; Mark Häberlein, Die Fugger. Geschichte einer Augsburger Familie (1367 – 1650), Stuttgart 2006.
6 Vgl. Peer Schmidt, Spanische Universalmonarchie oder „teutsche Libertet“. Das spanische Imperium in der Propaganda des Dreißigjährigen Krieges, Stuttgart 2001.

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18.11.2009
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