B. Neumann u.a. (Hrsg.): Travelling Concepts for the Study of Culture

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Title
Travelling Concepts for the Study of Culture.


Editor(s)
Neumann, Birgit; Nünning, Ansgar
Series
Concepts for the Study of Culture [CSC] 2
Published
Berlin 2012: de Gruyter
Extent
VIII, 417 S.
Price
€ 99,95
Reviewed for Connections. A Journal for Historians and Area Specialists by
Jörg Rogge, Historisches Seminar, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Kulturwissenschaftliches Arbeiten wird von den Herausgebern des vorliegenden Bandes als ein interdisziplinärer Referenzrahmen konzipiert, „which is supposed to integrate the whole spectrum of the traditional disciplines in the humanities“ (S. 2). Doch das methodische, heuristische und begriffliche Instrumentarium ist nach ihrem Urteil bisher nicht so entwickelt, wie es für echtes interdisziplinäres Arbeiten auf dem Feld der Kulturwissenschaften bzw. Cultural Studies notwendig sei.1 Birgit Neumann und Ansgar Nünning betonen zu Recht, dass die auf kulturellen und nationalen Spezifika gründenden Differenzen zwischen Cultural Studies und Kulturwissenschaften für die Heuristik und Methodik der Forschungskulturen nicht ohne Folgen bleiben (S. 1). Als Hindernisse für den Transfer von Konzepten und Methoden von einer Forschungskultur in eine andere machen die Herausgeber insbesondere epistemologische Differenzen aus. Deshalb plädieren sie dafür, einen metatheoretischen Rahmen zu entwickeln und zu testen, um einen selbstreflexiven Zugang zum Studium von Kultur(en) zu gewinnen. Dabei spielen Konzepte eine zentrale Rolle (wie Memoria/Gedächtnis, Gender, Materialität, Raum, Performance etc.), denn sie sind intellektuelle Werkzeuge, die erheblichen Einfluss darauf haben, wie Forscher ihre Themen verstehen, sich ihren Objekten nähern und Fragen definieren. Weil diese Konzepte nicht ein für alle Mal festgeschrieben, sondern vielmehr dynamisch und variabel sind, bewegen sie sich in und zwischen verschiedenen akademischen Kontexten; sie sind „travelling concepts“ im Sinne von Mieke Bal.2 Bal postuliert, dass die mit dem „Reisen“ einhergehenden Veränderungen und fachspezifischen Adaptionen der Konzepte in den Disziplinen weniger als ein Hindernis zu verstehen seien, sondern als eine treibende Kraft für einen interdisziplinären Dialog über die Konzepte und deren heuristischen Wert.3

Neumann und Nünning präsentieren zehn Jahre nach dem Erscheinen von Bals Reflexionen eine Bestandsaufnahme der kulturwissenschaftlichen Forschungen mit und über „travelling concepts“. Dazu haben sie mehrere Tagungen und Seminare am Gießener „International Graduate Centre for the Study of Culture“ durchgeführt, deren Ergebnisse in diesem Band veröffentlicht werden. Die Beiträge haben die Aufgabe, das „Reisen“ einiger Konzepte zur Erforschung von Kultur(en) zwischen verschiedenen Disziplinen sowie historischen und nationalen Kontexten zu verfolgen. Ein besonderes Augenmerk soll dabei einerseits auf dem Transfer von Konzepten liegen, andererseits auf den Transformationen, die diese Konzepte durch den Transfer von einer Forschungskultur in eine andere erfahren haben (S. V).

Die 20 Beiträge sind in zwei Rubriken zusammengefasst. In der ersten sind vier Beiträge zu „Theoretical Frameworks: Models for the Study of Culture“ versammelt, denn diese haben nach Ansicht der Herausgeber das Potential, „to explore and coordinate avenues for interdisciplinary and transnational exchange“ (S. 17). Neumann und Nünning diskutieren, unter welchen Bedingungen „Travelling Concepts as a Model for the Study of Culture“ zur Verbesserung der interdisziplinären Arbeit in den Kulturwissenschaften beitragen können. Doris Bachmann-Medick stellt „Translation“ als ein Konzept und Modell für die Erforschung von Kultur(en) vor. Anna Veronika Wendland gibt eine Zwischenbilanz der konzeptionellen Überlegungen zum Thema „Cultural Transfer“. Anita Traninger verfolgt die Bedeutungen von „Emergence“ in der Literaturkritik, den Naturwissenschaften sowie den Kultur- und Sozialwissenschaften.

In der zweiten Rubrik werden 16 Schlüsselkonzepte („key concepts“) vorgestellt und diskutiert, mit denen man Forschungen organisieren kann, wenn man – wie in diesem Band – von einem Kulturbegriff ausgeht, der materielle, performative, soziale und mentale Dimensionen umfasst (S. 17). Uwe Wirth fragt, welche Art von Logik eigentlich der Erforschung und Analyse von Kulturen angemessen ist. Doris Bachmann-Medick gibt einen Überblick zum Umgang mit und zur Kritik an der Metapher „Kultur als Text“, die in der Tat in verschiedenen Disziplinen (Geschichtswissenschaft, Literaturwissenschaft und andere) bei der Konzeption von Forschungen zu und über Kulturen erheblichen Einfluss hatte und weiterhin hat.

Alexander Friedrich nimmt mit dem Konzept „Netzwerk“ eine kulturelle Leitmetapher (Hartmut Böhme) auf, interessiert sich aber vor allem dafür, ab wann und warum im 19. Jahrhundert technische, soziale und organische Strukturen als „Netzwerke“ bezeichnet wurden. Ansgar Nünning greift in seinem Beitrag „Narrativist Approaches and Narratological Concepts for the Study of Culture“ eigene Ideen und Fragen wieder auf, um weiter an einer narrativen Theorie der Kultur bzw. einer Kulturtheorie der Erzählung zu arbeiten. Wolfgang Müller-Funk verfolgt die narrative Konstruktion des Begriffs „Identität“ in Philosophie, Soziologie und Literatur, wofür er der Figur des/der Anderen besondere Bedeutung zuweist.

Greta Olson beschäftigt sich in ihrem sehr anregenden Beitrag aus feministischer Perspektive mit „Gender“ als einem „travelling concept“. Sie beschreibt, wie der Begriff von der Grammatik und Biologie in die Kulturtheorie „gereist“ ist, stellt dann jedoch die Frage, ob durch die weite Verwendung des Begriffs „Gender“ die ursprünglichen politischen Ansprüche des Feminismus nicht neutralisiert worden seien. Olson jedenfalls fordert: „let us re-politicise the term and connect it to activism and affirmative change“ (S. 221).

Birgit Neumann und Martin Zierold geben einen Überblick der verschiedenen Konzepte zur Erforschung von „Cultural Memory and Memory Cultures“, den sie mit Maurice Halbwachs beginnen und bis in die gegenwärtige digitale Medienkultur führen. Hans Rudolf Velten stellt Forschungsbereiche vor (unter anderem Ritualforschung, Geschlechtergeschichte, Kunstgeschichte), in die das Konzept „Performativität“ bzw. „Performanz“ „gereist“ ist. Caroline Welsh erläutert mit „Stimmung“ ein zunächst auditives Konzept und dessen Wege zwischen den Natur- und Kulturwissenschaften, wobei sie vor allem die „Reiseziele“ Psychologie, Musik und ästhetische Theorien für den Zeitraum von 1800 bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts ausführlicher darstellt.

Silke Horstkotte zeichnet die Entwicklung des Konzepts „visuelle Kultur“ nach. Zu den wichtigen übergreifenden Themen dieses Forschungsfelds gehöre gegenwärtig die Frage, „how visual is a given culture or what is the visual culture of a certain region/country/period like“ (S. 304). Stephan Günzel beginnt seinen Abriss des Konzepts „Kulturgeographie“, in dem Raumkonzepte eine zentrale Funktion haben, in der Antike und verfolgt die weitere Diskussion bis in das 20. Jahrhundert. Dabei streift er die einschlägigen Konzepte von „Raum“ in Philosophie, Geschichtswissenschaft, Anthropologie und Geographie. Der „Spatial Turn“ habe viele Disziplinen beeinflusst; dennoch sei festzuhalten: „ambivalence remains as different disciplines draw on different aspects“ (S. 318). Ingo Berensmeyer gibt einen Einblick in die Debatten um „Medienanthropologie“ und „Medienökologie“. Martin Zierold kommt in seinem Beitrag zu dem Ergebnis, dass das Konzept „Medienkultur“ kein prototypisches „travelling concept“ sei; hingegen sei „Medialisierung“ dies durchaus, denn es handle sich dabei um ein Metakonzept, das prozessorientiert angelegt sei – offen für konzeptionelle und empirische Verbindungen zu verschiedenen Traditionen und disziplinären Kontexten (S. 350). Leora Auslander konzentriert sich in ihrem Beitrag zu „Materialität“ und „Materieller Kultur“ darauf, wie das Konzept in verschiedenen Disziplinen verwendet wird und wie es die Grenzen nationaler Wissenschaftskulturen überquert hat. Frank Bösch und Hubertus Büschel beschäftigen sich vor dem Hintergrund aktueller politischer Debatten und Entwicklungen mit transnationalen und globalen Perspektiven, die sie als „travelling concepts“ identifizieren. Wolfgang Hallet zeigt schließlich Wege, wie Konzepte transferiert werden können, das heißt er greift den Umstand auf, dass „they are also always cognitive tools“ (S. 391).

Zwei Aspekte sollen zusammenfassend betont werden. Erstens sind die Autorinnen und Autoren mehrheitlich in der deutschsprachigen Forschung „zu Hause“. Deshalb wird die dort geführte Diskussion um Konzepte mit diesem Band den nur Englisch lesenden Forschern zugänglich gemacht, jedoch ohne die damit zusammenhängenden Konsequenzen zu reflektieren. Zweitens bietet er insgesamt einen nützlichen Überblick zu den Debatten um Konzepte, die in den Kulturwissenschaften eingesetzt werden, und über deren Präsenz in den verschiedenen Forschungsfeldern. Nur selten wird allerdings die von den Herausgebern angemahnte produktive Kraft des „Reisens“ von Konzepten einschließlich der damit verbundenen Veränderungen in den Beiträgen an konkreten Beispielen thematisiert. Eine Metatheorie für interdisziplinäres Arbeiten in den Kulturwissenschaften ist nicht in Sicht; die (fachspezifische) Heuristik und vor allem das zur Verfügung stehende Material stecken weiterhin die Möglichkeiten und Grenzen kulturwissenschaftlichen Arbeitens ab.

Anmerkungen:
1 Dies entspricht auch meiner eigenen Wahrnehmung; siehe Jörg Rogge, Historische Kulturwissenschaften. Eine Zusammenfassung der Beiträge und konzeptionelle Überlegungen, in: Jan Kusber u.a. (Hrsg.), Historische Kulturwissenschaften. Positionen, Praktiken und Perspektiven, Bielefeld 2010, S. 351–379, hier S. 355ff.
2 Mieke Bal, Travelling Concepts in the Humanities. A Rough Guide, Toronto 2002.
3 Siehe auch Ute Frietsch, Travelling Concepts, in: dies. / Jörg Rogge (Hrsg.), Über die Praxis des kulturwissenschaftlichen Arbeitens. Ein Handwörterbuch, Bielefeld 2013, S. 393–398.

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31.10.2013
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