R. Liehr u.a. (Hgg.): Ein Institut und sein General

Title
Ein Institut und sein General. Wilhelm Faupel und das Ibero-Amerikanische Institut in der Zeit des Nationalsozialismus


Editor(s)
Liehr, Reinhard; Maihold, Günther, Vollmer, Günther
Published
Frankfurt am Main 2003: Vervuert/Iberoamericana
Extent
609 S.
Price
€ 48,00
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Ulrike Bock, Iberische und Lateinamerikanische Abteilung, Universität zu Köln

Untersuchungen der mit Lateinamerika befassten Personen, Organisationen und Institutionen im Bereich von Wissenschaft und Kultur zur Zeit des NS-Regimes existieren bislang kaum. Dies ist nicht nur hinsichtlich der Geschichte der zwischenstaatlichen Beziehungen zu Lateinamerika, sondern besonders auch der Erforschung der wissenschaftlichen und kulturpolitischen Kontakte sehr bedauerlich. Aufgrund der exponierten Stellung, die das 1930 gegründete Ibero-Amerikanische Institut (IAI) auf diesem Feld einnahm, konnte die Untersuchung eben jener Institutsgeschichte bisher als größtes Forschungsdesiderat angesehen werden. Der nun vorliegende Sammelband greift diese Fragestellungen auf und nähert sich der Geschichte des IAI vorwiegend aus der Perspektive der kulturpolitischen Aktivitäten. Das voluminöse Buch gliedert sich dabei in sieben Aufsätze sowie eine Sammlung bio-bibliographischer Grunddaten des Institutspersonals.

Oliver Gliech, dessen vier Beiträge insgesamt fast die Hälfte des Buches ausmachen, ordnet die Gründung des IAI zunächst in den Kontext der deutschen Kulturpolitik vor 1933 ein und beschäftigt sich mit den lateinamerikanischen Eliten, die man als Multiplikatoren einer germanophilen Haltung zu gewinnen hoffte. In der Chronologie der kulturpolitischen Einflussnahme betont er die Bedeutung des IAI als staatliche und zentrale Institution im Gegensatz zu den teils auf individueller Interessenlage, teils auf privatwirtschaftlicher Kooperation basierenden kulturpolitischen Initiativen vor allem nach Ende des Ersten Weltkrieges, die allerdings nur punktuelle bzw. regionale Wirkung zeigten (als relevantestes Beispiel sei das Hamburger Ibero-Amerikanische Institut genannt).

Dawid Danilo Bartelt analysiert im Folgeaufsatz nicht nur den seit der Gründung des IAI am 12.10.1930 institutionalisierten Festakt des Día de la Raza als diskursive Inszenierung symbolischer Politik. So stellte bereits die Benennung als Ibero-Amerikanisches Institut eine nach außen gerichtete Parteinahme im Sinne des seitens des frankistischen Spanien propagierten Panhispanismus dar. Richtete sich diese Betonung der Hispanidad anfangs primär gegen eine kulturelle Hegemonie Frankreichs unter Berufung auf das französische Latinitätskonzept, verstärkte sich mit Kriegsbeginn 1939 die anti-US-amerikanische Haltung innerhalb der Institutsarbeit, welche nun die ideologische Bekämpfung des Panamerikanismus propagieren sollte. Die außenpolitischen Bedingungen bestimmten auch weiterhin den Verlauf der Institutspolitik: Schon die spanische Neutralitätserklärung schwächte den selbst gewählten Hispanidad-Diskurs der Festakte, mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen seitens der meisten lateinamerikanischen Staaten 1942 wurde die Feier offiziell abgeschafft.

Mit mehr als 100 Seiten Text bildet Gliechs Biographie des Institutsleiters Wilhelm Faupel den umfangreichsten Beitrag des Sammelbandes. Gliech beschreibt hier ausführlich die verschiedenen Stationen des Faupelschen Werdeganges von der Militärlaufbahn samt Verleihung des „Pour-le-mérite“-Ordens, der Beteiligung am Kapp-Putsch als Freikorpskommandant, der Betätigung als Militärausbilder in Argentinien und Peru bis zu Faupels Ernennung zum Präsidenten des IAI 1934. Elemente einer persönlichen Netzwerkpolitik, die Faupels Vorgehen auch im IAI prägen sollte, stellt Gliech u.a. am Beispiel der Mitwirkung im inneren Kreis von politisch so einschlägigen Organisationen wie der „Gesellschaft zum Studium des Faschismus“ 1931-34 dar. Allerdings zeigte sich, dass v.a. Faupels schon in Lateinamerika geknüpften Kontakte zur NSDAP-AO letztlich zu seiner Ernennung als Leiter des IAI sowie 1937 der diplomatischen Vertretung Deutschlands im frankistischen Teil Spaniens führten.

Faupels Botschaftertätigkeit in Spanien teilt sein Wirken am IAI in zwei Abschnitte. Für den ersten Zeitraum 1934-36 akzentuiert Gliech insbesondere zwei Strategien. So versuchte Faupel einerseits, den Handlungsspielraum des Instituts durch ein Netzwerk eng verbundener Spezialorganisationen wie etwa der „Deutsch-Ibero-Amerikanischen Ärzteakademie“ zu vergrößern. Andererseits verfolgte Faupel zielstrebig den Alleinvertretungsanspruch des IAI als Vermittlungsinstanz nach Lateinamerika in Deutschland gegen konkurrierende Institutionen wie den Lateinamerikainstituten in Hamburg und Würzburg oder Organisationen wie dem „Volksbund für das Deutschtum im Ausland“ (VDA), dessen Überseereferent Faupel wurde. Gliech präsentiert Faupels Aktivitäten und seine Zentralisierungsbestrebungen in diesem Zusammenhang als Erfüllung des „Führerprinzips“, obgleich er anmerkt, die tatsächliche Wahrnehmung aller Funktionen sei schon aufgrund der Ämterfülle kaum möglich gewesen. An dieser Stelle bietet sich ein interessantes Feld für weitere Untersuchungen über die Rolle der übrigen MitarbeiterInnen des IAI, die das Institut etwa auf Tagungen der „Überseedeutschen Forschungsgemeinschaft“, die in engem Zusammenhang zum VDA stand, vertraten (Fahlbusch 1999).

Der zweite Abschnitt Faupels Präsidentschaft 1938-45 wurde in steigendem Maße durch einen drohenden Bedeutungsverlust des IAI seit Kriegsbeginn und damit der allgemeinen Konzentration auf Osteuropa geprägt. So wurde etwa 1940 der Umzug des IAI aus dem bisherigen Gebäude, dem Schlossflügel des Marstalls, angeordnet. Anhand der Bemühungen Faupels, eine weiterhin repräsentative Unterbringung des Instituts zu erwirken, zeigt Gliech dessen enge Verbindungen zu den Machteliten der SS. Gliechs Untersuchung der diesbezüglichen Korrespondenz macht gleichzeitig exemplarisch die Komplikationen einer schwierigen Quellenlage durch die gezielte Aktenvernichtung kurz vor Kriegsende deutlich, die im ersten Abschnitt des Artikels ausführlich geschildert wird.

Den zunehmenden Legitimationsnöten des IAI begegnete Faupel mit einer Betonung des Dienstleistungscharakters des Instituts etwa für Propagandamaterialien des AA. Zudem erfolgte eine Anbindung an die 1940 gegründete Auslandswissenschaftliche Fakultät, deren Aktivitäten allerdings gänzlich von F.A. Six geleitet wurden. In einer abschließenden Einschätzung der Bedeutung des IAI betont Gliech schließlich die informellen Kontakte des IAI sowie seine diskursive Funktion innerhalb des NS-Regimes weit vor den in der Literatur oftmals vermuteten außenpolitischen und Geheimdiensttätigkeiten.

Über den biographischen Zugang hinaus weist der Beitrag von Silke Nagel, der die verschiedenen Arbeitsbereiche des IAI genauer untersucht. Dabei war die erste Phase 1930-33 unter dem Institutsdirektor und ehemaligen preussischen Kultusminister Boelitz bei einer chronischen Unterfinanzierung primär durch die Förderung wissenschaftlich-kultureller Austauschbeziehungen gekennzeichnet. Der Schwerpunkt der praktischen Institutsarbeit lag auf dem Aufbau der Bibliothek, ebenso wurden aber Vorträge und repräsentative Feiern ausgerichtet und man bemühte sich um Kontakte zur Wirtschaft. Neben Boelitz spielten besonders dessen Stellvertreter Otto Quelle, Gründer und Schriftleiter der durch das IAI übernommenen Zeitschrift „Ibero-Amerikanisches Archiv“, sowie der Bibliotheksleiter Hermann Hagen bedeutende Rollen innerhalb des Instituts. Für die zweite Phase betont Nagel die zunehmende Vernetzung des IAI mit dem Auswärtigen Amt, der NSDAP-AO sowie dem Propagandaministerium. Institutionell entwickelte sich das Institut nach der Rückkehr Faupels aus Spanien weiter, indem etwa die Besucherbetreuung für lateinamerikanische Gäste sowie besonders für lateinamerikanische Studierende durch eine eigene Betreuungsabteilung aufgewertet wurde, die der Leitung von Faupels Frau Edith unterstand. Darüber hinaus wurde eine eigene Musikabteilung sowie ein Referat für Philosophie und weltanschauliche Fragen eingerichtet, welches ab Januar 1939 die nach außen gerichtete Zeitschrift „Ensayos y Estudios“ herausgab. Obwohl Silke Nagel innerhalb ihrer Darstellung der Institutsaktivitäten auf solche Weiterentwicklungen eingeht, etwa auch der verstärkten Gründung von spezialisierten Nebenorganisationen wie dem „Centro de Estudios Pedagógicos“ oder dem „Centro de Estudios Veterinarios“ ab Ende 1938, zeigt sich doch hier der Nachteil einer thematischen Gliederung nach den verschiedenen Tätigkeitsbereichen im Gegensatz zu einer chronologischen Herangehensweise. So bleiben diese Veränderungen wie auch die Darstellung der Institutsaktivitäten mitunter ohne Interpretation.

Insgesamt wird die Arbeit des Instituts, die unter Faupels Leitung die Erstellung von Propagandamaterial, Übersetzungen literarischer und vor allem auch politischer Schriften, die Herausgabe der beiden oben erwähnten Zeitschriften, wechselseitige Sprachpropaganda in Deutschland und Lateinamerika, Betreuungsleistung von Lateinamerikanern in Deutschland sowie die Mitarbeit in zahlreichen Nebenorganisationen beinhaltete, überblicksartig dargelegt. Eine detailliertere Untersuchung der meisten Bereiche (wie etwa eine qualitative Analyse der Zeitschriften), darauf weist Nagel hin, steht noch aus. Zu guter letzt geht Silke Nagel in ihrem Beitrag noch auf die Verharmlosungsstrategien der Institutsmitarbeiter nach Kriegsende ein, die jegliche politische Arbeit dem persönlichen Engagement des Institutspräsidenten Faupel zusprachen und so den Grundstein dafür legten, dass die Funktion des IAI während der NS-Zeit innerhalb der Tradierung der Institutsgeschichte unterbewertet blieb.

Friedrich Schuler nähert sich den Institutsaktivitäten aus einer Perspektive der Machtkonstellationen innerhalb des NS-Staates, die eine immer neue Positionierung des Instituts erforderten. Hierbei macht Schuler drei Phasen der Institutsfunktionen aus. So habe Faupel in den Jahren 1934/35 das außenpolitische Kompetenzgerangel der traditionell-konservativen Berufsdiplomaten mit den „Möchtegern-Außenpolitikern“ der NSDAP genutzt, um Lateinamerika als vakantes Profilierungsfeld der NS-Politiker zu etablieren und sein Institut als Plattform für die außenpolitische Einflussnahme anzubieten. Mit seiner Nähe besonders zu dem Leiter der NSDAP-AO Wilhelm Bohle präsentierte Faupel sich als Mann der Partei und baute seine Machtstellung durch konsequente Ämterhäufung in den verschiedensten Bereiche der Beziehungen zu Lateinamerika weiter aus. Anfang 1936 konstatiert Schuler hingegen einen Bedeutungsverlust des IAI, die er auf vier Gründe zurückführt. So verminderte die Aufwertung der NS-Außenpolitiker die Notwendigkeit Lateinamerikas als außenpolitisches Experimentierfeld und stufte gleichzeitig die Bedeutung der NSDAP-AO herab. Zudem erlangte Lateinamerika eine zunehmende wirtschaftspolitische Bedeutung als Rohstofflieferant, während das IAI unter Faupel hier kaum Fachkompetenz bieten konnte. Darüber hinaus baute auch die SS nun eigene Beziehungen zu Lateinamerika auf, die den Institutsanspruch einer zentralen Kontaktstelle zu untergraben begannen. Als letzten Grund nennt Schuler die technischen Entwicklung der Abhörfähigkeiten, so dass das Herrschaftswissen des IAI auch im nachrichtendienstlichen Bereich an Bedeutung verlor.

In einem interessanten Exkurs stellt der Autor im Folgenden anhand des Deutschen Ausland-Instituts (DAI) dar, wie vergleichbare Institutionen der Situation eines wachsenden Legitimationsdruck begegneten. Schuler zeigt hier die Indienststellung des DAI für den NS-Staat durch bewusste Aufbereitung relevanter Informationen und zunehmender Zusammenarbeit mit Gestapo und SS etwa im Kontext des Generalplan Ost. Trotz der schwierigen Quellenlage für das IAI leitet Schuler aus Aktivitäten der vorangegangenen Jahre, der Persönlichkeit des Institutsleiters Faupel sowie eines Beispiels aus dem Jahr 1938, in dem das IAI Aufenthaltslisten von Brasilianern in Deutschland für deren eventuelle Verhaftung bereitstellte, eine ähnliche Entwicklung auch für das IAI ab. So konstatiert Schuler, das IAI sei ab 1938 zunehmend unter den Einfluss der SS geraten, eine Hauptfunktion sei zudem die Verbindung zum frankistischen Spanien gewesen. Dies bestätigt sich durch den letzten Teil der Ausführungen, welcher der Auswertung neuer Quellen aus den National Archives in Washington gewidmet ist. Dabei handelt es sich um Berichte über die 1940 erfolgte Planung einer nachrichtendienstlichen Verbindungsstelle, die der Koordination des deutschen, spanischen und japanischen Geheimdienstes dienen sollte. Diese Position hatte das IAI einnehmen sollen, was Schuler vor dem Hintergrund des Kriegsbeginns und damit des abermals steigenden Rechtfertigungszwanges für Kulturinstitute wie das IAI als realistisch wertet. Die letztendliche Durchführung scheiterte nicht so sehr an mangelnden Finanzmitteln als vielmehr an der Weigerung Francos, auf Seiten der Achsenmächte in den Krieg einzutreten.

Abgerundet wird der Sammelband durch zwei Beiträge, die punktuell den Umgang mit der Institutsgeschichte behandeln. So untersucht Günter Vollmer den Fall des Dokumentenfälschers Heinrich Jürges, der erstmals 1939 und erneut in den 1950er Jahren seine vielbeachteten Papiere veröffentlichte. Neben dem Nachweis der Fälschung geht Vollmer v.a. auf den vielfältigen Eingang der erfundenen Ereignisse in die Sekundärliteratur ein, der zu einer hartnäckigen Mythenbildung um die Aktivitäten des IAI im Dritten Reich und besonders des Institutsdirektors Faupel führte. In einem weiteren Artikel behandelt Oliver Gliech Nachforschungen, die die Stasi 1969/70 hinsichtlich des IAI anstellte. Ausgangspunkt der Untersuchung bildete hier die Erforschung der Rolle, die das IAI im Zusammenhang mit dem Aufbau „5. Kolonnen“ in Lateinamerika gehabt haben sollte. Ähnliche Aktivitäten wurden laut Gliech nun im Kontext der bundesdeutschen Ostpolitik vermutet. Ein weiterer Fokus lag auf der Untersuchung der institutionellen Kontinuität der westdeutschen Lateinamerikaverbände zum IAI. Aufgrund der mageren Ergebnisse der Nachforschungen, deren Chronologie Gliech nachzeichnet, traten sodann die Suche nach dem Verbleib der IAI-Bestände sowie die Rolle des ehemaligen IAI-Generalsekretärs und Bundesministers a.D. Hans-Joachim v. Merkatz während der NS-Zeit in den Vordergrund.

Zweifellos stellt dieser Sammelband eine äußerst erfreuliche Veröffentlichung dar. Besonders zu loben ist die sorgfältige Aufbereitung und Dokumentation von Quellen in den Anhängen der meisten Aufsätze, die vielen Abbildungen sowie die bio-bibliographischen Daten, die Oliver Gliech im letzten Teil des Buches präsentiert. Gleichzeitig können die vorgelegten Beiträge besonders in Hinblick auf eine breitere wissenschaftshistorische Perspektive als Ausgangspunkt weiterer Forschungen gesehen werden, so etwa zur Analyse der Publikationen des Instituts, zur Untersuchung einzelner Personen und ihrer Verbindungen zu anderen Institutionen sowie zur Einbettung in die Tendenzen zeitgenössischen Lateinamerikaforschung. Auf eine stärkere Berücksichtigung des (macht)politischen Umfeldes und der Positionierung von Wissenschaft und Kultur im Sinne einer Indienststellung für die Politik verweist dabei v.a. der Beitrag von Friedrich Schuler.

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14.01.2005
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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