The improbable synthesis: Spatial, analytical and narrative frames of historical writing

The improbable synthesis: Spatial, analytical and narrative frames of historical writing

Organizer(s)
School of History des Freiburg Institute for Advanced Studies (FRIAS)
Location
Freiburg
Country
Germany
From - Until
09.07.2009 - 11.07.2009
Conf. Website
By
Gregor Thum, Freiburg Institute for Advanced Studies, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Ungeachtet der postmodernen Kritik an der Meistererzählung erfreuen sich die großen historischen Synthesen ungebrochener Beliebtheit auf dem Buchmarkt. Dabei wird die Kritik in der Zunft durchaus ernst genommen. Manches ist längst zum common sense geworden. Dennoch scheinen auch die professionellen Historiker nicht auf Synthesen verzichten zu wollen – weder als Leser noch als Autoren. Dieses Paradoxon war der Ausgangspunkt für die Tagung „The improbable synthesis: Spatial, analytical and narrative frames of historical writing", die Stefan Berger (Manchester) und Christoph Conrad (Genf) an der School of History am Freiburg Instituts for Advanced Studies (FRIAS) ausrichteten. Ziel war nicht, die Theoriedebatte um Sinn und Unsinn der Meistererzählung fortzuführen. Vielmehr sollte auf der Ebene der Praxis diskutiert werden, wie man heute, im Bewusstsein der postmodernen Kritik, historische Gesamtdarstellungen schreiben kann und soll. Die Organisatoren gaben den Referenten, von denen die allermeisten selbst mit historiographischen Synthesen hervorgetreten sind, einen konkreten, auch auf die Reflexion über die eigene Arbeit zielenden Fragenkatalog an die Hand. Dazu gehörten Fragen nach den geeigneten territorialen Rahmen für die Konzipierung von Synthesen, nach der Art und Weise, wie sich das Periphere und Marginale in die Darstellung der großen historischen Prozesse integrieren lässt, nach der Relevanz traditioneller ereignisgeschichtlicher Kanons und Bedeutungshierarchien, sowie danach, ob Meistererzählungen, die sich nicht der Propagierung der einen oder anderen kollektiven Identität verschreiben, überhaupt möglich sind.

Es mag an der Organisation des Tagungsprogramms in vornehmlich räumlich definierte Rubriken – von der Nationalgeschichte über die europäische Geschichte (inklusive der europäischen Subregionen) zur Globalgeschichte – gelegen haben, dass das Für und Wider unterschiedlicher geographisch-räumlicher Ansätze in den Vordergrund der Diskussion trat. Thematisch organisierte Synthesen wurden eher nur am Rande berührt. Noch erstaunlicher aber war, auf wie viel Zustimmung die Auffassung traf, dass nationalhistorische Synthesen im Spektrum zwischen Lokalgeschichte und Globalgeschichte weiterhin einen zentralen Platz behaupten können. Solange man nicht in einer postnationalen Welt lebe, kämen Historiker kaum umhin, dem Bedarf an nationalhistorischem Orientierungswissen zu befriedigen. Immerhin aber hätten heutige Autoren die Chance, traditionelle Nationalgeschichten durch solche zu ersetzen, die auch den über die Nation hinausweisenden, transnationalen Zusammenhängen sowie der kulturellen, ethnischen und räumlichen Vielfalt innerhalb der Nation Rechnung trügen.

In diesem Sinne erläuterte THOMAS BENDER (New York) die konzeptionellen Überlegungen, die seinem Buch „A Nation Among Nations"1 zu Grunde lagen. Er habe sich um eine transnationale und globale Nationalgeschichte bemüht, indem er in die Darstellung der amerikanischen Geschichte konsequent jene historischen Prozesse einbezog, die auf eine räumliche Ebene entweder über oder unter der der Nation verweisen. In der Sektion „National frames in a post-national age?" verteidigte auch VOLKER BERGHAHN (New York) die Nationalgeschichtsschreibung. Gerade im Hinblick auf die universitäre Lehre seien nationalhistorische Synthesen kein schlechter Ausgangspunkt. Auch möge man sich nicht allzu sehr vor den Teleologien fürchten, die nun einmal Grundprinzip der Geschichtsschreibung seien. Lediglich Orthodoxien dürfe es nicht geben. ULRICH HERBERT (Freiburg) warb mit der provokativen Feststellung, Gesamtdarstellungen zur Geschichte Europas seien entweder falsch oder langweilig für die von ihm edierte Reihe „Europäische Geschichte im 20. Jahrhundert“, die sich aus nationalhistorischen Synthesen in europäisch-vergleichender Perspektive zusammensetzen wird. Schließlich könne es nicht darum gehen, Nationalgeschichten durch Gesamtdarstellungen Europas zu ersetzen. Ohnehin würden die jüngeren europäischen Gesamtdarstellungen meist nur auf der Kenntnis einiger weniger Nationalgeschichten beruhen. Daher seien Nationalgeschichten weiterhin notwendig und sinnvoll, müssten aber viel stärker als in der Vergangenheit den transnationalen Prozessen sowie dem Umstand Rechnung tragen, dass die Bedeutung des Nationalstaates schwinde, wenn auch nicht verschwinde. In der Diskussion drückte STEFAN BERGER sein Unbehagen gegenüber einer Meistererzählung von einem Europa der Nationalstaaten aus. Politisch möge das zwar nützlich sein, mache den Historiker aber zum Identitätsstifter, der nationale Selbstbilder bestätige anstatt sie durch transnationale Ansätze zu dekonstruieren. Dagegen sah MARK BASSIN (Birmingham) im Bemühen um eine Transnationalisierung der Nationalgeschichte einen Widerspruch in sich: Nationalität beruhe nun einmal auf der Propagierung von Exklusivität. Außerdem gebe es gute Gründe, historische Forschung weiterhin auch im nationalstaatlichen Rahmen zu betreiben.

Anders als Ulrich Herbert vertrat HARTMUT KAELBLE (Berlin) in der Sektion "Europa! Which Europe?" die Auffassung, dass gute europäische Gesamtdarstellungen für die Zeit nach 1945 durchaus möglich seien. Auch könne man national differierenden Sichtweisen auf den Prozess der europäischen Integration gerecht werden, sofern man zunächst unstrittige und strittige Deutungen identifiziere, um dann letztere in der Darstellung offenzulegen und zu diskutieren. Autoren von europäischen Geschichten dürften sich nicht zu den Treitschkes der EU machen, indem sie eine gemeinsame europäische Identität konstruierten. Allerdings sei diese Gefahr ohnehin nicht sehr groß, zeige man doch in Brüssel wenig Interesse an europäischer Mythenbildung durch die Historiker. JEAN-FRÉDERIC SCHAUBs (Paris) Antwort auf Kaelble fiel etwas kritischer aus, was den identitätsstiftenden Impetus raumbezogener Synthesen angeht. Auf einen fest umrissenen geographischen Raum orientierte historische Darstellungen propagierten immer auch politische Projekte. Das sei bei der Geschichten Europas nicht anders als bei der der Atlantischen Welt. Europahistorische Synthesen könnten sich dagegen nur wappnen durch bewusste geographische Unschärfe. Nur eine europäische Geschichte, die Russland und das Osmanische Reich sowie den mediterranen Raum als Ganzes einbezöge, die nicht Halt mache an den Grenzen des christlichen Europa, sondern auch den Anteil des Islam an der Geschichte Europas würdige, könne der Gefahr einer ahistorischen, ideologischen Verengung auf das EU-Europa entgehen. In der anschließenden Diskussion kamen auch Zweifel an Kaelbles Einschätzung zur Sprache, die EU betreibe bisher keine Identitätspolitik, die nennenswerten Einfluss auf die Europa-Historiographie habe. EU-Fördermittel würden durchaus als Instrument der Einflussnahme auf die Produktion identitätsbildender historischer Mythen eingesetzt. Zudem sei auch die Propagierung der Nation nicht immer von Regierungen angeordnet worden, sondern durch Selbstinstrumentalisierung nationalgesinnter Intellektueller und ihrer Institutionen erfolgt.

In eine ähnliche Richtung wiesen die Vorträge von MARK BASSIN und ALEKSEJ MILLER (Moskau/Budapest) in der Sektion „Eastern Europe as a separate historical region?". Am Beispiel der Ideologie der Eurasier führte Bassin vor Augen, wie raumbezogene Identitäten propagiert werden. Sowohl den Vertretern des Eurasien-Mythos der 1920er-Jahre als auch denen der 1980er- und 1990er-Jahre sei es darum gegangen, das verlorene russische bzw. sowjetische Imperium durch die Propagierung eines kulturalisierten Raumbegriffs zu re-integrieren. Miller wandte diese Einsichten radikal gegen jeden festen Raumbegriff. Historiker dürften sich nicht zu Handlangern von politisch motivierten Identitätsprojekten machen, egal ob sie sich auf Europa, Mitteleuropa oder Osteuropa bezögen. Letztlich gehe es, wie bei der Nation, immer um Exklusion derer, die nicht dazu gehören sollten. So drehe sich auch bei ‚Europa' als territorialem Konzept alles um die Frage, wer gut genug sei dazuzugehören und wer nicht. Natürlich bedürfe Geschichtsschreibung des territorialen Bezugs. Formulierten Historiker ihren Forschungsgegenstand aber zunächst ohne diesen, werde letzterer sie automatisch dazu bringen, die Grenzen politisch konstruierter Räume zu überschreiten.

SURAIYA FAROQHI (Istanbul/München) nutzte ihren Beitrag in der Sektion „Empires: before and after the postcolonial turn?" zu einer Bestandsaufnahme über die Diskussionen zur osmanischen Geschichte seit den 1970er-Jahren, ohne den Bezug zum Tagungsthema unmittelbar herzustellen. Dagegen erläuterten ULRIKE VON HIRSCHHAUSEN (Hamburg) und JÖRN LEONHARD (Freiburg) anhand ihrer in Arbeit befindlichen Geschichte der europäischen Empires, warum gerade die vergleichende Erforschung der multiethnischen Empires Ausgangspunkt für europahistorische Synthesen sein kann: Der komparative Zugang schütze vor (nationaler) Fragmentierung der historischen Betrachtung und beuge dem Rückfall in die Teleologie vor. Zudem schärfe der Blick auf die Empires nicht nur das Bewusstsein für die enge Verflechtung von Staaten, Gesellschaften und Räumen, sondern auch für die großen historischen Prozesse.

In der abschließenden Sektion „Global history - the planet as ‚container'?“ konstatierte JÜRGEN OSTERHAMMEL (Konstanz), dass man über alles mögliche eine Weltgeschichte schreiben könne, über das Klima nicht weniger als über die Liebe oder das Pferd. Dieser Art Weltgeschichten seien oft unterhaltsam, intellektuell lohnend aber nur dann, wenn sie ihr Augenmerk auf die globale Verknüpfung und Interaktion der Dinge legen. Fruchtbarer sei die globalhistorische Perspektive, wenn es um die Klärung der großen historischen Prozesse und ihrer weltumspannenden Auswirkungen gehe. Dagegen dürften diachronen Panoramen wie „Die Verwandlung der Welt"2, die sich um die Darstellung von Gleichzeitigkeit im Weltmaßstab bemühten, eher die Ausnahme bleiben. DOMINIC SACHSENMAIER (Durham) machte sich für eine Globalgeschichte stark, die sich nicht nur für Forschungen über andere Weltregionen, sondern auch gerade aus anderen Weltregionen interessiere. Es gehe um die Überwindung des immer noch verbreiteten Euro- oder Amerikozentrismus und um die Etablierung eines wirklich globalen wissenschaftlichen Dialogs. Bei der Verfassung von globalhistorischen Synthesen bestünde die besondere Herausforderung darin, lokale Fallstudien und globale Perspektive in Einklang miteinander zu bringen. Dies könne nur gelingen durch eine „locally sensitive global perspective."

Das Problem der „unmöglichen Synthese" gingen WOLFGANG REINHARD (Freiburg) und Jürgen Osterhammel in ihren Vorträgen vielleicht am offensivsten an. In seinem Abendvortrag rekapitulierte Reinhard in gut gelaunter Bissigkeit die postmoderne Kritik an der Meistererzählung und den Trend zur „kleinen Erzählung". Allerdings sei für das Funktionieren der kleinen Erzählung die große unentbehrlich, auch wenn sie nicht mehr dem Bild von einst entsprächen. Der neuen, eher „mittelgroßen Erzählung" gehe es nämlich nicht mehr um Sinn und Ziel der Geschichte. Sie sei bescheidener geworden, sei notwendigerweise gebrochen und bleibe stets fragmentarisch. Dennoch fürchteten sich viele Autoren so sehr vor ihr, dass sie lieber nur noch die Geschichte der eigenen Forschung erzählten – mit begrenztem Informationsgehalt für die Leser. Er empfahl daher den Grundsatz, sich bei kleinen Geschichten in Zukunft auf kleine Bücher zu beschränken und die großen Bücher den großen Geschichten vorzubehalten. Jürgen Osterhammel blickte mit Unbehagen auf die historischen Synthesen, so sehr der Buchmarkt sie auch schätze und so glänzend ihre Zukunft in Gestalt von „textbooks" durch die Einführung der Bachelor Programme auch sein möge. Mit dem Blick auf das eigene Oeuvre, zu dem eine ansehnliche Zahl von Synthesen gehört, sprach er vom „Desaster", einem Mangel an Professionalität, vielleicht gar der Pflichtverletzung. Schließlich habe der Historiker mit Quellen zu arbeiten – alles andere zähle nicht. Analyse verdiene Vorrang vor Synthese. Allerdings überraschte Osterhammel dann mit der Feststellung, seine Globalgeschichte „Die Verwandlung der Welt" sei keine Synthese. Ihr gebreche es schlicht an der erforderlich umfassenden Kenntnis der Sekundärliteratur, die bei einer Nationalgeschichte schon schwierig, bei einer Globalgeschichte aber ein Ding der Unmöglichkeit sei. Daher habe er ein Geflecht von Analysen intendiert und die Synthese dem Leser vorbehalten.

Wenn Wolfgang Reinhard in der Diskussion das besagte Buch dennoch eine Synthese nannte, und zwar eine postmoderne, dann kam damit eine die Tagung durchziehende Unschärfe zum Ausdruck, was die exakte Definition von historischer Synthese anging. Die einen verstanden darunter das Textbook der angelsächsischen akademischen Tradition, andere die auf der umfassenden Kenntnis des Forschungsstands basierende Gesamtdarstellung. Als schließlich SEBASTIAN ULRICH (München) vom Verlag C.H. Beck das wachsende Interesse der Verlage an guten historischen Synthesen unterstrich, dann dürfte er dabei weder das eine noch das andere im Kopf gehabt haben. Es sind ja weniger die Gesamtdarstellungen und historischen Abrisse, die sich auf dem Buchmarkt durchsetzen, sondern die großen erzählerischen Würfe mit starken, innovativen Thesen. Weitgehende Einigkeit aber herrschte unter den Teilnehmern dieser diskussionsfreudigen Tagung darüber, dass historische Synthesen „improbable", aber nicht „impossible" seien. Zudem seien sie unverzichtbar – gerade auch für die Selbstverständigung der professionellen Historiker. Ulrich Herbert brachte diesen Bedarf auf den Punkt: „Good syntheses are the debate producers."

Konferenzübersicht:

Stefan Berger (Manchester) und Christoph Conrad (Geneva): Introduction

Thomas Bender (New York): The problem of the ‚new synthesis': The USA as example

Wolfgang Reinhard (Freiburg): Die Notwendigkeit und die Kunst der großen Erzählung

Dialogue 1: National frames in a post-national age?: Volker Berghahn (New York) and Ulrich Herbert (Freiburg)

Dialogue 2: Europe! Which Europe?: Hartmut Kaelble (Berlin) and Jean-Fréderich Schaub (Paris)

Dialogue 3: Eastern Europe as a separate historical region?: Mark Bassin (Birmingham) and Aleksei Miller (Budapest/Moscow)

Dialogue 4: Suraiya Faroqhi (Istanbul), Ulrike von Hirschhausen (Hamburg), and Jörg Leonhard (Freiburg)

Dialogue 5: Global history - the planet as 'container'?: Jürgen Osterhammel (Konstanz) and Dominic Sachsenmaier (Durham)

Anmerkungen:
1 Thomas Bender, A Nation Among Nations. America's Place in World History, New York 2006.
2 Jürgen Osterhammel, Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München 2009.


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18.08.2009
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