Der Fachinformationsdienst Sozial- und Kulturanthropologie (FID SKA) agiert im Tableau der FID als Infrastrukturpartner für die Fächer Ethnologie und Europäische Ethnologie1, die neben den Universitätsinstituten auch durch Museen und universitätsnahe bzw. außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, wie etwa das Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung oder das Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde, repräsentiert werden. Er ist damit ein FID ohne regionale Spezifik, in den ethnologischen Fächern selbst ist die Forschung gleichwohl vielfach durch regionale Spezialisierung und Expertise gekennzeichnet. Vor diesem Hintergrund erwirbt der FID SKA Literatur mit regionalen Bezügen, verfolgt dabei aber eine mit verschiedenen Area-bezogenen FID abgestimmte Sammlungsstrategie.2 Wie andere FID auch, lizensiert der FID SKA fachlich relevante elektronische Ressourcen, wie E-Book-Pakete, E-Journals oder Filmdatenbanken3, und betreibt ein fachspezifisches Rechercheportal (EVIFA), dessen Suchindex kontinuierlich erweitert wird4. Im Rahmen zusätzlicher DFG-Förderung (retro-)digitalisiert der FID ethnologische Zeitschriften und andere Fachliteratur5 und begleitet den Wandel der Publikationskultur in den ethnologischen Fächern, etwa durch die Unterstützung bei der Open-Access-Transformation ethnologischer Zeitschriften (EthnOA).6
Mit den Area Studies teilen die ethnologischen Fächer die große Vielfalt der Forschungsansätze und -felder, der methodischen Zugänge, Perspektiven sowie der Forschungspraxis – und damit auch eine enorme Heterogenität der Forschungsdaten sowie der Kontexte ihrer Entstehung. Im Umgang mit Forschungsdaten spielen regionale Orientierungen eine untergeordnete Rolle, wesentlich ist vielmehr die Art der Daten und Materialien selbst: Es geht etwa um Forschungsdaten aus bzw. für historische Forschung, Diskursanalyse und zunehmend aus digitaler Ethnografie7, aber vor allem um Material aus ethnografischer Feldforschung im Schnittfeld von Kultur- und überwiegend qualitativer Sozialforschung.
Ethnografische (Feld-)Forschungsdaten
Ethnografische Feldforschung ist ein sozialer Prozess der Interaktion und des Lernens, für den Vertrauensbeziehungen zwischen Forschenden und Akteuren im Feld charakteristisch sind und in dem der überwiegende Teil ethnografischen Materials erst erzeugt wird: Beobachtungsprotokolle, Feldnotizen und Tagebucheinträge, Interviews, Fotos, Videoaufnahmen und anderes. Die Art der Feldforschungsbeziehung verpflichtet Forschende während und nach einer Forschung zu einem aufmerksamen und verantwortungsvollen Umgang mit dem Material, das zudem in der Regel viele personenbezogene oder anderweitig sensible Informationen enthält und damit insbesondere an die Archivierung und die Nachnutzung rechtlich und ethisch umfangreiche Anforderungen stellt.8
Ein wesentlicher Schwerpunkt der Arbeit des FID SKA liegt entsprechend bei den ethnografischen Feldforschungsdaten, der sich auch in der Anlage des FID abbildet: Seit 2019 verantwortet die Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin den FID gemeinsam mit dem Forschungsdatenzentrum (FDZ) Qualiservice an der Universität Bremen9, dem einzigen FDZ in Deutschland, das digitale sensible qualitative Forschungsdaten themen- und disziplinübergreifend archiviert und die wissenschaftliche Nachnutzung erlaubt.10 Weil es bis dahin in Deutschland kein FDZ oder Repositorium gab, das angemessene Strukturen und Verfahren für die Archivierung und Nachnutzung ethnografischen Materials zur Verfügung gestellt hätte, werden im Rahmen des FID SKA die bei Qualiservice zunächst für sozialwissenschaftliche Interviewdaten erstellten Workflows und Services für die gesamte Breite ethnografischen Materials ausgebaut. Entwicklungsarbeit, zum Beispiel für Videos oder Social-Media-Daten, ist weiterhin zu leisten, zudem werden die Verfahren kontinuierlich weiter stabilisiert und optimiert.
Wesentlich ist, dass das in Zusammenarbeit mit Forschenden geschieht und Forschungsdaten aus konkreten Projekten in sogenannten Use Studies für die Arbeit an den Workflows genutzt werden.11 Auch die Archivierung selbst zeichnet sich bei Qualiservice dadurch aus, dass sie als kooperative Aufgabe von Forschenden und Forschungsdatenzentrum aufgefasst wird.12 In diesem Sinne werden vorbereitende Schritte, aber auch Nutzungsbedingungen und regelmäßig notwendige Zugangseinschränkungen gemeinsam für den konkreten Fall festgelegt. Alle Verfahren werden so flexibel wie möglich gehalten, um der außerordentlichen Heterogenität ethnografischer Forschung, der Felder, Zugänge und Rahmenbedingungen gerecht zu werden. Der Aufbau einer fachspezifischen Anlauf- und Beratungsstelle, die Forschende und Projekte individuell von der Projektplanung bis zur Übergabe der Daten bei Qualiservice unterstützt, ist deshalb ein wesentlicher Bestandteil der FID-Arbeit. Forschende, die Daten übergeben, haben damit auch maßgeblichen Einfluss auf die Bedingungen, unter denen diese zugänglich gemacht werden. Ergänzend dazu werden unterstützende Handreichungen erarbeitet, die einzelne Aspekte des Umgangs mit qualitativen Daten oder der Verfahren bei Qualiservice aufgreifen und ausführlich darstellen. Dazu gehören eine Handreichung, die aufzeigt, wie ethnografische Materialien bei Qualiservice archiviert werden können13, eine Handreichung zur informierten Einwilligung als Herausforderung für die ethnografische Forschung14 oder eine Handreichung, die die für die Archivierung qualitativer Textmaterialien notwendigen Verfahren der Anonymisierung bzw. Pseudonymisierung unterstützen soll.15 Bereitgestellt werden zudem Vorlagen für die informierte Einwilligung16 oder ein teilautomatisiertes Tool für die Anonymisierung und Pseudonymisierung von Textmaterialien (QualiAnon).17
Frei zugänglich sind bei Qualiservice die Metadaten18 und ein sogenannter Studienreport, der zusätzliche bzw. ausführlichere Informationen anbietet und damit ein Baustein für die Dokumentation bzw. Kontextualisierung des archivierten Materials ist, die in all ihren Formen für die Nachnutzung zentrale Bedeutung hat19. Die „eigentlichen“ Forschungsdaten sind nur nach Anmeldung und Rücksprache sowie einem Vertragsabschluss mit Qualiservice zugänglich. Je nach Beurteilung der Sensibilität können Forschungsmaterialien dann entweder extern heruntergeladen oder vor Ort unter kontrollierten Bedingungen konsultiert, grundsätzlich aber ausschließlich für wissenschaftliche Forschung und gegebenenfalls für die Lehre genutzt werden.20 Die Metadaten werden in allen Portalen nachgewiesen, die Daten von Qualiservice beziehen (zum Beispiel Bielefeld Academic Search Engine, BASE oder die European Open Science Cloud, EOSC), die ethnografischen Daten werden zusätzlich in der EVIFA-Suche, dem breit genutzten Rechercheportal des FID SKA nachgewiesen. Neu ist, dass alle Metadaten auch im Portal von QualidataNet recherchierbar sind – ein Service, der im Rahmen von KonsortSWD, dem NFDI-Konsortium für die Sozial-, Verhaltens-, Bildungs- und Wirtschaftswissenschaften, unter maßgeblicher Beteiligung von Qualiservice aufgebaut wird.21 QualidataNet soll insgesamt vor allem als zentrale Anlaufstelle die Nachnutzung qualitativer Daten unterstützen und angesichts der Fragmentierung der Infrastrukturlandschaft im Bereich qualitativer Daten integrierend wirken.
Alle Verfahren und Unterstützungsangebote, die im Rahmen des FID SKA und darüber hinaus bei Qualiservice entwickelt werden, stehen Forschenden aller Disziplinen zur Verfügung. Bereits jetzt können zum Beispiel auch Materialien aus den Politikwissenschaften, den Area Studies, den Medien- und Kommunikationswissenschaften oder auch Daten, die sich der Umweltforschung zuordnen lassen, nachgenutzt werden. Perspektivisch sind diese Materialien auch für (zeit-)historische Forschungen relevant und können unter anderem als im weitesten Sinn historische Sozialdaten genutzt werden.22
Verbunden mit dem Aufbau einer verlässlichen Infrastruktur sind der intensive Austausch und die Begleitung der Debatten zum Umgang mit Forschungsdaten in den ethnologischen Fächern, zu denen skeptische und auch kritische Positionen insbesondere gegenüber der Archivierung und Nachnutzung ethnografischer Materialien gehören.23 Das schließt auch die Unterstützung der Fachgesellschaften bei der Positionsfindung und die Vermittlung der komplexen Strukturentwicklung von NFDI-Konsortien, Fachinformationsdiensten und Datenzentren ein. In dieser Zusammenarbeit wird immer wieder deutlich, dass es in der Sache, aber auch mit Blick auf die Akzeptanz in den forschenden Communitys, neben der Entwicklung generischer Angebote für bestimmte Aspekte des Forschungsdatenmanagements zwingend erforderlich ist, fach- und datenspezifische Anforderungen in angemessene Verfahren und Infrastrukturen zu übersetzen und mit Blick auf künftige (Weiter-)Entwicklungen im Bereich digitaler Methoden ausreichend flexibel zu halten.
In enger Verknüpfung mit dem Bereich Forschungsdatenarchivierung bearbeitet der FID SKA – in Teilen bereits gemeinsam mit verschiedenen FID – eine ganze Reihe weiterer Fragen und Aspekte, die auch für die forschenden Zielgruppen der Area-bezogenen FID bzw. die FID selbst relevant sind. Die Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus und seinen Zeugnissen in Bibliotheken, Archiven und Sammlungen spielt aktuell eine besondere Rolle, auch, weil die Entwicklung der ethnologischen Fächer historisch eng mit kolonialen Strukturen verbunden war. Und auch heute forschen Ethnolog:innen häufig in gesellschaftlich umstrittenen Feldern globaler Verflechtung, in denen Macht und Deutungshoheit ungleich verteilt und die bis in die Gegenwart reichenden Auswirkungen kolonialer Strukturen und kolonialen Denkens ein zentraler Bezugspunkt sind. Die fachlichen Debatten und Diskurse über daraus erwachsende Verantwortung in ihren forschungspraktischen, ethischen, aber auch gesellschaftspolitischen Dimensionen wirken sich zunehmend auch auf Fragen digitaler Infrastruktur aus – in der Arbeit des FID SKA unter anderem mit Blick auf Erschließungssysteme und -terminologien oder auf die Sichtbarkeit und Zugänglichkeit von sowie die Kontrolle über Daten.24
Fachvokabulare und Netzwerk Koloniale Kontexte
Im Bereich Fachvokabulare ist ein wesentlicher Bezugspunkt der FID-Arbeit die Gemeinsame Normdatei (GND). Unter anderem weil es in den ethnologischen Fächern keine allgemein genutzten Wörterbücher oder Ähnliches neueren Datums gibt, weist die GND Lücken auf, die durch die Neuansetzung von Sachschlagworten mit Ethnologie-Bezug, aber auch von Personendatensätzen geschlossen werden. Gleichzeitig werden vorhandene Entitäten etwa mit Synonymen oder fremdsprachlichen Begriffen ergänzt. Mit einem grundlegenden Verständnis von Vokabularen und Normdaten als „Ausdruck hegemonialer Wissenssysteme“25 ist hier ein wesentliches Ziel, ältere, etwa diskriminierende Begriffe nicht zu eliminieren, aber so zu aktualisieren, dass sie angemessen sind. Der FID SKA ist mit diesem Bereich auch in die Arbeit der Task Area 2 „Data Connectivity“ von NFDI4Memory involviert.
Fachlicher Input für die Vokabulararbeit kommt zum Beispiel aus der Archivierung ethnografischer Forschungsdaten, dann aber auch aus der Mitarbeit in der AG Thesauri des Netzwerks Koloniale Kontexte, in der aktuell an einem breit nutzbaren Thesaurus der angemessenen Bezeichnungen für Gesellschaften und Gemeinschaften („Ethnien“) auf der Höhe der fachlichen Diskussion gearbeitet wird.26 Am Netzwerk Koloniale Kontexte insgesamt ist der FID SKA – neben anderen FID sowie vielen weiteren fachlich diversen Akteuren – zudem mit eigener Stellenkapazität für koordinierende Aufgaben beteiligt. Das Netzwerk bearbeitet Fragen der nachhaltigen Zusammenführung, aber auch der Sichtbarkeit und vor allem der Zugänglichkeit und Nutzung von digitalen Materialien und Daten aus kolonialer Zeit. Das Verständnis „kolonialer Kontexte“ ist dabei breit und bezieht auch informelle koloniale Strukturen außerhalb formaler Kolonialherrschaften sowie anhaltende Wirkungen kolonialer Denkmuster ein.27 Ein wesentlicher Teil der Netzwerkarbeit bezieht sich auf die Provenienzforschung zu Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten in ethnologischen Museen und Sammlungen28 – deren Ergebnisse etwa mit Blick auf mögliche Restitutionsforderungen mittlerweile auch gesamtgesellschaftlich breit diskutiert werden – und die dafür vorhandenen oder benötigten digitalen Infrastrukturen. Mit den Objektdaten kommt dabei eine weitere Art Forschungsdaten in den Blick, die ihrerseits intensive Diskussionen über Chancen und Probleme digital zugänglicher ethnologischer Objekte und Sammlungen mit sich führen, von allgemeineren Fragen der Ressourcen und der Nachhaltigkeit, über dekolonisierende Ansprüche bis zu den praktischen Fragen der Umsetzung dieser Erwartungen in Portale und Arbeitsumgebungen.29 Unverzichtbar sind dafür Bemühungen, nicht nur Institutionen in Deutschland sowie europäische Forschungs- und Erschließungsprojekte ins Gespräch zu bringen, sondern auch die Perspektiven, das Wissen und die Forderungen von Expert:innen und lokalen Akteuren aus den Herkunfts- bzw. Urhebergesellschaften der Objekte30 einzubeziehen – verbunden mit dem Versuch, westlich geprägte Klassifikations- und Ordnungssysteme sowie (digitale) Darstellungsformen von Wissen auf Augenhöhe zu verhandeln und damit Deutungshoheit abzugeben.
Neben der AG Thesauri widmen sich weitere Arbeitsgruppen einzelnen Themen: Die jüngste ist die AG Koloniale Kontexte in Bibliotheken, die aktuell an der Entwicklung eines Leitfadens arbeitet, der – ähnlich den bereits existierenden Leitfäden für Museen und Sammlungen31 – Empfehlungen zum Umgang mit Material aus kolonialer Zeit und sensiblen Inhalten in Bibliotheken entwickelt. Das Netzwerk und alle Arbeitsgruppen sind offen für neue Mitstreiter:innen, auch der überwiegende Teil der Veranstaltungen, die im Rahmen des Netzwerks stattfinden, sind für alle Interessierten zugänglich.32
(Retro-)Digitalisierung ethnologischer Fachliteratur
Der FID SKA hat in mehreren Projekten ethnologische Fachliteratur der letzten zweihundert Jahre beider Fachtraditionen digitalisiert und erschlossen, insbesondere und in großem Umfang Zeitschriften, aber auch Monografien, die in verschiedenen Formaten frei zugänglich für den Download zur Verfügung stehen.33 Den Diskussionen im Netzwerk Koloniale Kontexte zum ethisch angemessenen Umgang mit Material aus kolonialer Zeit wird der FID in diesen Massendigitalisierungsprojekten bisher nicht vollständig gerecht: Weil sie zum Beispiel nicht nur diskriminierende Sprache enthalten, sondern auch viele Bilder, die mit Blick auf die Bildinhalte den kolonialen Zeitgeist widerspiegeln, die auch geheime/heilige Objekte und Orte zeigen können, die nur von bestimmten Personenkreisen gesehen werden sollen, die zudem meist unter ungeklärten Umständen entstanden sind – und die jetzt, auch wenn sie deshalb als „hochsensible Objekte“ gelten können34, weitgehend unkommentiert zugänglich sind.35 Ein weiteres Problem: Die Literatur ist zwar bis auf die Aufsatz- bzw. Abbildungsebene erschlossen, im Moment aber nur in deutscher Sprache und damit für viele Personen – insbesondere die oben angesprochenen Akteure, aber auch generell internationale Interessengruppen – nicht gut nutzbar. Auch mit Blick etwa auf historische Bezeichnungen von Regionen und regionenbezogenes Navigieren in den Digitalisaten oder die Zugänglichkeit für die Bearbeitung mit digitalen Methoden in einem breiteren Sinn sind Verbesserungen wünschenswert. Konkrete Umsetzungen sind jedoch, ähnlich wie die Umsetzung mehrsprachiger Metadaten, mit Blick auf die vorhandenen Ressourcen noch nicht unmittelbar in Planung.
CARE Principles for Indigenous Data Governance
Unabhängig davon, ob es um historisches Material oder rezente Feldforschungsdaten geht, ist die Auseinandersetzung mit ethischen Fragen für viele Arbeitsfelder des FID wesentlich. Die Beschäftigung mit den zuerst 2019 formulierten CARE-Prinzipen für indigene Daten-Governance36 oder Daten-Souveränität, über die auch in allen geisteswissenschaftlichen NFDI-Konsortien und anderswo intensiv diskutiert wird, für die es aber gleichzeitig noch kaum konkrete Umsetzungen gibt, ist dabei zentral.
Die Mitarbeiter:innen des FID SKA haben sich zu den CARE-Prinzipien eine grundlegende Expertise erarbeitet, publiziert37 und vor allem in sehr unterschiedlichen disziplinären Zusammenhängen diskutiert – von Gender Studies bis Meeresforschung, aber auch im Umfeld von NFDI4Memory38. Das zeigt, dass die Frage nach dem verantwortungsvollen Umgang mit digitalem Material und dessen Bedeutung auch für den Infrastrukturaufbau nicht nur viele beschäftigt, sondern das Potenzial hat, unterschiedliche Bereiche zusammenzuführen. Denn Verantwortung weist weit über die kolonialen Kontexte hinaus, und Fragen danach, wer was in welcher Form sichtbar und zugänglich macht (oder eben nicht), wer darüber entscheidet, was „sensibel“ ist und was „Angemessenheit“ im Einzelfall bedeutet, sind Machtfragen, die eben auch drängende Fragen der Gegenwart berühren.
FID SKA und NFDI
Gerade weil die Ethnologien zu den kleineren Fächern zählen, die sehr begrenzte Ressourcen haben, sich vermehrt in Prozesse der Infrastrukturentwicklung einzubringen, und gleichzeitig in den Infrastrukturen selbst insgesamt wenig Berücksichtigung finden, ist der FID SKA ein wichtiger Partner für die Fächer an der Schnittstelle von Forschung und Infrastruktur. Insbesondere mit Blick auf die Archivierung und Nachnutzung ethnografischer Forschungsdaten leistet der FID Basisarbeit, die etwa im Rahmen der NFDI nicht erfolgen kann, deren Ergebnisse aber durch die Beteiligung von Qualiservice an KonsortSWD direkt dort eingebunden werden. Ähnlich werden im FID SKA nicht nur fachspezifische Bedarfe der Infrastrukturentwicklung aufgenommen, sondern auch Themen, ethische Fragen und kritische Perspektiven aus der ethnologischen Forschung in die Debatten der Infrastruktureinrichtungen eingebracht, sodass der FID in diesem Sinne als Schnittstelle und Vermittler in beide Richtungen agiert. Mit Blick auf die Heterogenität der Forschungsdaten und Materialien sind für die ethnologischen Fächer und den FID SKA mehrere NFDI-Konsortien relevant, neben KonsortSWD und NFDI4Memory auch NFDI4Culture, NFDI4Objects und Text+, sodass sich auch hier Schnittstellen und Synergieeffekte, etwa im Bereich geteilter Datenräume, ergeben können, die künftig aber – in Abhängigkeit personeller Ressourcen – noch stärker herauszuarbeiten wären. Die Konsortien sollten ihrerseits die Vielfalt gerade sogenannter kleiner Fächer im Blick behalten und deren Potenziale für interdisziplinäre Kooperation, aber auch für die Diversifizierung der Perspektiven auf und die Anforderungen an digitale Forschungsinfrastrukturen nutzen.
Anmerkungen:
1 Die Disziplinen der Fachtraditionen Völkerkunde/Ethnologie und Volkskunde/Europäische Ethnologie, werden im Fachkollegium 106 der DFG unter dem begrifflichen Dach „Sozial- und Kulturanthropologie“ zusammengefasst, Fachinstitute an Universitäten in Deutschland wählen aber auch andere begriffliche Kombinationen oder Bezeichnungen wie z.B. Empirische Kulturwissenschaft oder Vergleichende Kulturwissenschaft.
2 <https://www.evifa.de/de/ueber-uns/ueber-den-fid-ska/sammlungsprofil> (05.01.2025).
3 <https://www.evifa.de/de/digitale-ressourcen/fid-lizenzen> (05.01.2025).
4 <https://evifa.kobv.de/init.do?index=internal&plv=2lv=2> (05.01.2025).
5 <https://www.evifa.de/de/ueber-uns/fid-projekte/digitalisierung> (05.01.2025).
6 <https://www.evifa.de/de/ueber-uns/fid-projekte/ethnoa> (05.01.2025).
7 Das meint sowohl das Forschen im digitalen Raum also auch die Ethnografie des Digitalen. Vgl. z.B. die Beiträge in: Dennis Eckhardt / Martina Klausner (Hrsg.), Digital[ität] Ethnografieren. Forschungsmethoden für den digitalen Alltag, Kulturanthropologie Notizen Band 85 (2023), <https://doi.org/10.21248/ka-notizen.85>.
8 Sabine Imeri, Archivierung und Verantwortung. Zum Stand der Debatte über den Umgang mit Forschungsdaten in den ethnologischen Fächern, RatSWD Working Paper 267, Berlin 2018, S. 69-79, <https://doi.org/10.17620/02671.35>.
9 Der FID SKA fungiert hier als eine Art Modell, inzwischen arbeiten auch der FID Soziologie, der FID Politikwissenschaften und der FID Kriminologie in Kooperation mit Qualiservice, <https://www.qualiservice.org/de/ueber/kooperationen/fachinformationsdienste-und-themenspezifische-netzwerke.html> (05.01.2025).
10 Qualiservice arbeitet seinerseits mit dem Weltdatenarchiv PANGAEA beim Aufbau der erforderlichen Infrastruktur, mit der Staats‐ und Universitätsbibliothek Bremen im Bereich Metadatenentwicklung und mit GESIS - Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften bei der verteilten Archivierung von Mixed-Methods-Studien zusammen. Jan-Ocko Heuer / Betina Hollstein / Kati Mozygemba, Data Sharing mit Qualiservice, in: Soziologie 50 (4) (2021), S. 459-471, hier S. 460-462.
11 Ebd., S. 465.
12 Kati Mozygemba / Susanne Kretzer, Datenvielfalt im Data-Sharing – eine kooperative Aufgabe von Forschenden und Forschungsdatenzentrum, in: Christine Lohmeier / Thomas Wiedemann (Hrsg.), Datenvielfalt in kommunikationswissenschaftlichen Forschungskontexten, Wiesbaden 2022, S. 157-178, <https://doi.org/10.1007/978-3-658-36645-2_8>.
13 Der aktuelle Stand ist ausführlich dargestellt in Michaela Rizzolli / Sabine Imeri / Elisabeth Huber, Ethnografische Forschungsmaterialien zur Archivierung und Nachnutzung vorbereiten und dokumentieren – ein Überblick für Forschende, Qualiservice Working Papers 6, Bremen: Forschungsdatenzentrum Qualiservice, 2024, <https://doi.org/10.26092/elib/2723>.
14 Elisabeth Huber / Sabine Imeri, Informed consent in ethnographic research: A common practice facing new challenges, Qualiservice Working Papers 4, Bremen: Forschungsdatenzentrum Qualiservice, 2021, <https://doi.org/10.26092/elib/1070>.
15 Kati Mozygemba / Betina Hollstein, Anonymisierung und Pseudonymisierung qualitativer textbasierter Forschungsdaten – eine Handreichung, Qualiservice Working Papers 5, Bremen: Forschungsdatenzentrum Qualiservice, 2023, <https://doi.org/10.26092/elib/2525>.
16 <https://www.qualiservice.org/de/helpdesk.html#downloads> (05.01.2025) und Susanne Kretzer / u.a., Erläuterungen zur Verwendung der von Qualiservice bereitgestellten Vorlagen für die informierte Einwilligung, in: Qualiservice Working Papers 2, Forschungsdatenzentrum Qualiservice, Bremen 2021, <https://doi.org/10.26092/elib/192>.
17 Tom Nicolai / Kati Mozygemba, UserManual: QualiAnon - Tool for anonymization of text data (v1.3), Qualiservice Technical Report 2, Forschungsdatenzentrum Qualiservice, Bremen 2023, <https://doi.org/10.26092/elib/2576>.
18 Z.B. Anna-Katharina Hornidge / u.a. (Hrsg.), Mangroves and Meaning-Making: A mutual relationship over time? Ethnographic Data [dataset editorial publication], Qualiservice, PANGAEA 2021, <https://doi.org/10.1594/PANGAEA.929747>.
19 Vgl. Michaela Rizzolli / Sabine Imeri / Elisabeth Huber, Ethnografische Forschungsmaterialien zur Archivierung und Nachnutzung vorbereiten und dokumentieren, 2024, insb. S. 7-16.
20 Zur Arbeitsweise von Qualiservice ausführlich siehe Jan-Ocko Heuer / Betina Hollstein / Kati Mozygemba, Data Sharing mit Qualiservice, in: Soziologie 50 (1) (2021), S. 459-472.
21 Qualiservice verantwortet und koordiniert bei KonsortSWD Arbeitspakete für die qualitativen Daten, z.B. den Aufbau von QualidataNet, <https://www.konsortswd.de/angebote/qualidatanet/> (05.01.2025).
22 Vgl. Kerstin Brückweh / u.a., Positionspapier zu Infrastrukturen für historische Sozialdaten in der Zeitgeschichte, Zenodo 2023, <https://doi.org/10.5281/zenodo.7781159>.
23 Vgl. z.B. Andrea Behrends / u.a., Zur Teilbarkeit ethnographischer Forschungsdaten. Oder: Wie viel Privatheit braucht ethnographische Forschung? Ein Gedankenaustausch, Working Paper SFB 1171 Affective Societies, 01/22, Berlin 2022, <http://dx.doi.org/10.17169/refubium-35157.2> und die Beiträge zum Forum Forschungsdatenmanagement, in: Zeitschrift für Volkskunde. Beiträge zur Kulturforschung 116 (1) (2020).
24 Vgl. ausführlich Sabine Imeri / Moritz Strickert / Julia Zenker, Koloniale Kontexte in der Bibliothek. Vernetzen, Erschließen, Bereitstellen, in: Bibliothek Forschung und Praxis 48 (2) (2024), S. 302-310, <https://doi.org/10.1515/bfp-2023-0036>.
25 Ebd., S. 306.
26 Vgl. Moritz Strickert, Vocabulary Work in the Field of the Network Colonial Contexts - A workshop report, in: 88th IFLA World Library and Information Congress (WLIC), Rotterdam Series 2023, insb. S. 5-9, <https://repository.ifla.org/handle/123456789/3139> (05.01.2025).
27 Vgl. z.B. Deutscher Museumsbund (Hrsg.), Leitfaden zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten, 2021, S. 24, <https://d-nb.info/1228101973/34> (05.01.2025). Zum Hintergrund und zum Netzwerk selbst vgl. Aïsha Othman, Das Netzwerk Koloniale Kontexte, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 72 (9/10) (2021), S. 589-591 und Imeri / Strickert / Zenker, Koloniale Kontexte in der Bibliothek sowie <https://www.evifa.de/de/netzwerk-koloniale-kontexte> (05.01.2025).
28 Larissa Förster / u.a. (Hrsg.), Provenienzforschung zu ethnografischen Sammlungen der Kolonialzeit. Positionen in der aktuellen Debatte, elektronische Publikation zur Tagung "Provenienzforschung zu ethnografischen Sammlungen der Kolonialzeit, Museum Fünf Kontinente, München, 7./8. April 2017, Berlin 2018, <https://d-nb.info/1189330768/34>.
29 Vgl. die Beiträge in Hans Peter Hahn / u.a. (Hrsg.), Digitalisierung ethnologischer Sammlungen. Perspektiven aus Theorie und Praxis, Bielefeld 2021, <https://www.transcript-verlag.de/shopMedia/openaccess/pdf/oa9783839457900.pdf> (05.01.2025).
30 Larissa Förster, Alles, was Recht ist. Anmerkungen zur Debatte um Provenienz und Rückgabe aus der Perspektive der Sozial- und Kulturanthropologie, in: boasblog - DCNtR, 2018, <https://boasblogs.org/de/dcntr/alles-was-recht-ist/> (05.01.2025).
31 Deutscher Museumsbund (Hrsg.), Leitfaden Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten, 2021. bzw. Ders. (Hrsg.), Leitfaden Umgang mit menschlichen Überresten in Museen und Sammlungen, 2021, <https://www.museumsbund.de/wp-content/uploads/2021/06/dmb-leitfaden-umgang-menschl-ueberr-de-web-20210623.pdf> (05.01.2025).
32 Das Netzwerk pflegt auch eine Mailingliste, alle notwendigen Informationen finden sich hier: <https://www.evifa.de/de/netzwerk-koloniale-kontexte/mitmachen> (05.01.2025).
33 Vgl. <https://digi.evifa.de/viewer/index/> (05.01.2025).
34 Vgl. Christoph Rippe, Re-Präsentation? Fotografien aus kolonialen Kontexten als hochsensible Objekte, in: Deutsches Zentrum Kulturgutverluste (Hrsg.), Provenienz & Forschung. Fotografien, Dresden 2023, S. 66-74, <https://doi.org/10.25360/01-2023-00043>.
35 Matthias Harbeck, Die Ethik des Digitalisierens: Fragen zum Umgang mit Materialien aus kolonialen Kontexten in der Massendigitalisierung, in: LIBREAS. Library Ideas 40 (2021), <https://libreas.eu/ausgabe40/harbeck/> (05.01.2025).
36 <https://www.gida-global.org/care> (05.01.2025).
37 Sabine Imeri / Michaela Rizzolli, CARE Principles for Indigenous Data Governance: Eine Leitlinie für ethische Fragen im Umgang mit Forschungsdaten?, in: O-Bib. Das Offene Bibliotheksjournal 9 (2) (2022), S. 1-14, <https://doi.org/10.5282/o-bib/5815>, Imeri / Strickert / Zenker, Koloniale Kontexte in der Bibliothek.
38 Katrin Moeller / u.a., Ethisch - transparent - offen - Die CARE-Prinzipien und ihre Implikationen für geisteswissenschaftliche FDM-Services, in: DHd 2022 Kulturen des digitalen Gedächtnisses. 8. Tagung des Verbands Digital Humanities im deutschsprachigen Raum (DHd 2022), Potsdam, 07.03.2022-11.03.2022, <https://doi.org/10.5281/zenodo.6328105>.