Religious Refugees in Europe, Asia and the Americas – 6th to 21st centuries

Religious Refugees in Europe, Asia and the Americas – 6th to 21st centuries

Organisatoren
Dr. Susanne Lachenicht, Centre for the Study of Human Settlement and Historical Change (CSHSHC), National University of Ireland (NUI); Galway, Irland
Ort
Galway
Land
Ireland
Vom - Bis
16.06.2005 - 18.06.2005
Url der Konferenzwebsite
Von
Sabine Heerwart, Universität Hamburg

Vom 16.-18. Juni 2005 fand am Centre for the Study of Human Settlement & Historical Change (CSHSHC, National University of Ireland, Galway) die Konferenz "Religious Refugees in Europe, Asia and the Americas - 6th to 21st Centuries" statt. Organisiert und geleitet wurde die internationale Tagung von Dr. Susanne Lachenicht (Marie Curie Intra-European Fellow, CSHSHC, National University of Ireland (NUI), Galway und Universität Hamburg), mit der Unterstützung der Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung (Köln) und der Faculty of Arts, NUI Galway.

In vier Sektionen wurden Fragen nach den Bedingungen, Auslösern und Verlaufsformen der Migration religiöser Gruppen gestellt: Wie reagierten religiöse Minoritäten auf obrigkeitliche Bestrebungen in den Heimatländern, einen Rahmen religiöser oder kultureller Konformität zu etablieren, in den sie nicht hineinpassten? Führten diese Anstrengungen des Staates zwangsläufig zu einer verstärkten Migration religiöser Gruppen und handelte es sich dabei um freiwillige oder erzwungene Migration? Wie reagierte die politische Oberschicht, und wie die Bevölkerung in den Ländern, in denen sich die Flüchtlinge niederließen? Wie verhielten sich religiöse Gruppen in den Gastländern, integrierten sie sich in die neue Gesellschaft oder blieben sie eine exklusive Gemeinschaft?

Nach der Begrüßung des Leiters des CSHSHC, Prof. Dr. Nicholas Canny (NUI, Galway) konzentrierte sich die erste Sektion "From Diversity to Orthodoxy? Migration and Integration of Religious Refugees in Medieval and Early Modern Europe: 6th-17th Centuries" unter der Leitung von Dr. Susanne Lachenicht auf das mittelalterliche und frühneuzeitliche Europa. Eric Graff (NUI, Galway) zeigte am Beispiel des irischen Missionars Columbanus, der im 6. und 7. Jahrhundert mit Mönchen auf den Kontinent kam und Klosterniederlassungen gründete, zum einen den Anspruch dieses Mannes, der Verteidiger der wahren römisch-katholischen Lehre zu sein, zum anderen die dadurch erwachsenen Konflikte mit dem offiziellen Oberhaupt der katholischen Kirche ("Columbanus and Irish Monks in Diaspora - 6th/7th centuries"). Prof. Dr. Seymour Phillips (University College Dublin (UCD)) unterstrich in seinem Beitrag "Jews in 13th century England" die wirtschaftlichen Überlegungen der normannischen Obrigkeit, eine jüdische Minderheit in den urbanen Zentren des mittelalterlichen Englands anzusiedeln. Zwar diese unter dem Schutz des Königs, dennoch war die Gruppe Vorurteilen und Ressentiments von Seiten der Bevölkerung ausgesetzt, die sich nicht selten in gewalttätigen Übergriffen äußerten und in der offiziellen Vertreibung der jüdischen Gemeinschaft am Ende des 13. Jahrhunderts gipfelten. Dr. Douglas Catterall (Cameron University, Oklahoma) schlug in seinem Vortrag "Scots and Sephardic Jews in the United Provinces - 16th-17th century" die Brücke in die Frühe Neuzeit. In vergleichender Perspektive untersuchte er die Haltung niederländischer Städte gegenüber den beiden Migrantengruppen und das Agieren der Neuankömmlinge in der neuen Gesellschaft. Sowohl Schotten als auch Juden profitierten vor allem wirtschaftlich von der toleranten Haltung des Gastlandes und veränderten dieses durch den Import ihrer spezifischen Glaubens- und Lebenskonzepte.

Die zweite Sektion "'Modern' States and Religious Diversity in Europe (late 17th-early 20th centuries" wurde von Prof. Dr. Hermann Wellenreuther (Universität Göttingen) und Prof. Dr. Nicholas Canny geleitet. Dr. Sandra Maria Hynes (NUI, Maynooth) zeichnete in ihrem Paper "Dissenters in a transnational context. The Quakers in Ireland (1660-1690)" die politische Entwicklung Englands im 17. Jahrhundert nach, die zum freiwilligen Wegzug der Quäker nach Irland führten. Ähnlich wie die Juden im mittelalterlichen England stießen auch die Quäker, geduldet von der Obrigkeit, bei der breiten Bevölkerung auf Misstrauen und Ablehnung. In ihrem Gastland sah sich die Gruppe selbst als eine von der Gesellschaft separierte Minorität, die engen Kontakt mit Quäkern außerhalb Irland pflegte. Anschließend zeigte Dr. Susanne Lachenicht am Beispiel der Hugenotten zum einen die Interessen einzelner Länder - England und Preußen -, religiöse Migranten aufzunehmen. Zum anderen vollzog sie eindrucksvoll den langsamen Prozess der Integration dieser aus Frankreich migrierten Gruppe nach ("Huguenots in Ireland, Britain, and Brandenburg-Prussia - 1660-1750"). Entgegen älterer Forschungsmeinungen, die von unterschiedlichen Integrationszeiträumen in den jeweiligen Gastländern ausgehen, zeigte die Referentin deutlich, dass in allen Regionen der Wille der hugenottischen Gemeinschaften zu einer raschen Integration nicht existent war. Erst einige Jahrzehnte nach der Einwanderung ließen sich mit dem Rückgang der Verwendung der französischen Sprache und Heiraten außerhalb der Gemeinschaft Prozesse der Assimilation in der Gastgesellschaft nachweisen. Dr. Colm O'Conaill (NUI, Galway) beschrieb in seinem Beitrag "Politics, Religion, and Family Identity. The Exile and Return of the Dillon Family from the Williamite Conquest to the French Revolution (1692-1789)" die wechselvolle Geschichte dreier Mitglieder der irischen Familie Dillon, die während der Dauer von knapp einem Jahrhundert vom protestantisch besetzten Irland ins katholische Frankreich und später ins ebenfalls protestantische England gingen und konvertierten. Die Darstellung der individuellen Entscheidungen der Akteure verdeutlichte einmal mehr, daß bei der Wahl der individuellen Konfession nicht nur religiöse, sondern verstärkt wirtschaftliche Interessen von Bedeutung waren. Abschließend präsentierte Dr. Róisin Healy (NUI, Galway) ihr Referat "The German Empire and the Jesuits (1872-1917)". Anhand des Beispiels der Ausweisung der Jesuiten aus dem Deutschen Reich bis zu ihrer offiziell gestatteten Rückkehr wurde deutlich, daß es sich bei der Ausschließung einer speziellen Glaubensgemeinschaft weniger um eine religiös-doktrinale als vielmehr um eine kulturell-politische Kampagne handelte, bei der religiöse Differenzen im Interesse des Staates, der den Protestantismus als Motor der deutschen Nationalität sah, instrumentalisiert wurden.

Die dritte Sektion "Migration and Integration of Religious Refugees in the Atlantic World (17th-18th centuries)", geleitet von Prof. Dr. Claudia Schnurmann (Universität Hamburg) und Eric Graff, erweiterte die Perspektive auf den atlantischen Raum. Prof. Dr. Rosalind J. Beiler (University of Central Florida) stellte in ihrem Beitrag "Information Networks and the Dynamics of Migration: Swiss Anabaptist Exiles and their Host Communities (Palatinate, the Netherlands, and British Colonies, 1650-1730)" die im 17. Jahrhundert aus der Schweiz geflohenen Wiedertäufer in den Mittelpunkt. Der Androhung der Todesstrafe oder lebenslänglicher Haft in ihrer Heimat versuchten sie durch die Auswanderung in Gebiete der Pfalz, der Niederlande und Pennsylvania zu entgehen, wobei die Gemeinden auch nach ihrer Flucht engen Kontakt und Informationsaustausch pflegten. Prof. Dr. Bertrand van Ruymbeke (Université de Paris VIII) referierte im Anschluss über Hugenotten in den britischen Kolonien Nordamerikas ("Le Refuge in an Atlantic perspective: The Hugenots experience in Britsh North America - 1670-1740"). Dabei legte er sein Hauptaugenmerk auf das Selbstverständnis und die Identitätsbildung der französischen Einwanderer in den neuen Regionen und unterstrich, dass die Fluchterfahrung hierbei eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte.

Im letzten Vortrag der Sektion wandte sich Prof. Dr. Hermann Wellenreuther der Migration der Herrenhuther im 18. Jahrhundert zu ("The Herrenhuther in Europe and the British Colonies - 1735-1776"). Nach der Unterdrückung und Ausweisung dieser Gruppe in vielen Regionen Europas gingen die Herrenhuther nach Bethlehem in Pennsylvania, wo sie allerdings nur vorübergehend eine religiöse Heimat fanden.

Die abschließende Sektion "Christians, Jews, and Muslims: Migration within and from South-East-Europe and the Near East (17th-21st centuries)", die von Dr. William O'Reilly (Centre for History&Economics, Cambridge) geleitet wurde, eröffnete Dr. Claus Gattermann (Universität Göttingen) mit einem Beitrag über die religiösen, politischen und wirtschaftlichen Veränderungen in der Baranya nach der Vertreibung der Türken durch die Habsburger am Ende des 17. Jahrhunderts ("Confessional Changes in the Country of Baranya after 1686"). Die konfessionelle Vielfalt in dieser Region wurde durch den Machtwechsel und die damit verbundene offiziell betriebene Rekatholisierung zwar eingeschränkt jedoch nicht vollständig zerstört. Im Anschluss daran konzentrierte sich Dr. Kate Daniels (University of Cambridge) auf die Migration arabischer Christen aus dem Gebiet des Osmanischen Reichs in die USA ("Religious Conflict and Migration to North America: Arab Christians in the Late Ottoman Empire"). Die Einwanderung von iranischen Schiiten in das Osmanische Reich behandelte der Vortrag "Merchants, Pilgrims, and Refugees: Iranian Shiites in the Ottoman Empire" von Prof. Dr. Anja Pistor-Hatam (Universität Kiel). Hierbei wurde erneut deutlich, dass die Migrationsbereitschaft religiöser Gruppen auch auf andere - vor allem wirtschaftliche - Faktoren zurückzuführen ist. Den Abschluss der Sektion bildete das Referat von Dr. Makram Khoury-Machool (University of Cambridge), das am Beispiel von Einzelschicksalen die Migrationserfahrung irakischer Juden nach Israel und ihre schwierige Suche nach dem eigenen Selbstverständnis verdeutlichte ("Religion, Ideology or Conformity? Jewish Iraqi Migrants to Israel").

In der Abschlusssitzung (Prof. Dr. Nicholas Canny, Dr. Susanne Lachenicht, Dr. William O'Reilly, Prof. Dr. Claudia Schnurmann, Prof. Dr. Hermann Wellenreuther) wurden die Ergebnisse der Konferenz zusammengefasst. Nach den thematisch weit reichenden Beiträgen wurde deutlich, dass sich Strukturen und Verlaufsformen von Migration der unterschiedlichen religiösen Gruppen gleichen: Migration war für die meisten hier angesprochenen religiösen Minderheiten nicht die einzige Alternative. Meist war es ihnen von der herrschenden Macht freigestellt zu konvertieren (z.B. Türken im Habsburger Reich, Hugenotten in Frankreich). Der Entschluss zur Auswanderung jedoch war immer eine Reaktion auf die politischen und kulturellen Entwicklungen im Heimatland (z.B. in extremer Form bei den Jesuiten im Deutschen Reich, individuelle Reaktion bei den Mitgliedern der Dillon-Familie). Allerdings darf die Entscheidung zur Emigration nicht allein in religiösen Überzeugungen gesucht werden, vielmehr resultierte sie aus einer Kombination von religiösen, politischen und wirtschaftlichen Überlegungen (z.B. die iranischen Schiiten im Osmanischen Reich). Die Integration der Gruppen in den neuen Gesellschaften war dagegen oft mit Schwierigkeiten verbunden, auf Grund von Widerständen sowohl von außen als auch von innen (z.B. die Quäker in Irland oder die Hugenotten sowohl in Preußen als auch auf den britischen Inseln).

Viele der im Laufe der Konferenz aufgeworfenen Fragen dürften die Fachwelt noch länger beschäftigen, so u.a. die Analyse der Gruppen- und Individualidentitäten verbunden mit der Frage nach Kontinuität und Wandel von Identitäten. Welche Rolle spielen Sprache, der kulturelle und religiöse Hintergrund und die Erfahrung von Unterdrückung und Flucht? Inwieweit wirken sich diese identitätsstiftend und -prägend aus? Weiterhin Forschungsbedarf besteht auch hinsichtlich der Rolle der Heimat- und Gastländer bei Integrationsprozessen von sogenannten Religionsflüchtlingen. In der Regel nimmt das Herkunftsland meist die Rolle des Verfolgers und Unterdrückers - kurz des "Bösen" - ein. Diese Beurteilung erscheint jedoch sehr einseitig und erfordert - dies machten die Vorträge deutlich - eine differenzierte Betrachtungsweise. Ebenso nur kurz und bei weitem nicht erschöpfend wurde die Bedeutung der neu in die Gesellschaft kommenden Gruppen in ihren Gastländern besprochen. Wie beeinflussten sie die neuen Regionen und wirkten sie (de-)stabilisierend auf die gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten?

Die offenen Fragen am Ende dieser informativen und wissenschaftlich anspruchsvollen Tagung laden ein und fordern auf zu einer weiteren Auseinandersetzung mit dem Thema "Religious Refugees" in einer globalen Perspektive.
Der Tagungsband wird 2006 in der Reihe Atlantic Cultural Studies im LIT-Verlag Berlin erscheinen.