Die Last des Erinnerns. Kolonialismus im kollektiven Gedächtnis Afrikas und Europas

Die Last des Erinnerns. Kolonialismus im kollektiven Gedächtnis Afrikas und Europas

Organisatoren
Dr. Steffi Hobuß, Dr. Ulrich Lölke (Universität Lüneburg), Inga-Dorothee Rost, M.A. (Transformation Studies, Universität Hannover)
Ort
Lüneburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
02.06.2005 - 04.06.2005
Von
Minu Haschemi Yekani, Berlin

Die Lüneburger Tagung „Die Last des Erinnerns. Kolonialismus im kollektiven Gedächtnis Afrikas und Europas“, die unterstützt wurde von der STIFTUNG LEBEN & UMWELT, der Heinrich-Böll-Stiftung Niedersachsen, dem Scala Programmkino, dem Präsidenten der Universität Lüneburg und der Universitätsgesellschaft Lüneburg e.V., steht im Kontext der jüngsten Konjunkturen der Auseinandersetzungen mit Kolonialgeschichte und postkolonialen Erinnerungspolitiken und –strategien. Nicht die Frage, was Afrika sich selbst schulde, wie Wole Soyinka es formulierte, sondern was Europa sich selbst (und Afrika) schulde, sollte den roten Faden der Konferenz bilden, der die unterschiedlichen Perspektiven und interdisziplinären Herangehensweisen der verschiedenen Blöcke und einzelnen Vortragenden verband. Die Konferenz gliederte sich, im Anschluss an die Begrüßung der VeranstalterInnen und einem Eröffnungsvortrag von Peter Sebald (Berlin), der die „Lust und List des Erinnerns - Togo 2005“ beschrieb, in zwei Blöcke, denen je ein ganzer Tagungstag gewidmet war: Teil I behandelte die „Diskursiven Produktionsweisen von Erinnerung“ und Teil II hatte die „Nationalen und Transnationalen Erinnerungsräume“ zum Gegenstand. In beiden Blöcken waren verschiedene Perspektiven, Herangehensweisen und Standorte vertreten, die sich von unterschiedlichen Ausgangspunkten den Topoi des sozialen Gedächtnisses, der Erinnerungsarbeit und – kultur, der Materialität des Gedenkens, der Schuld und dem Verzeihen-können im postkolonialen Afrika bzw. Europa widmeten. Die Konzeption der Tagung und die Beiträge reflektierten dabei die Multiplizität der Beziehungen, die durch die Prozesse des europäischen Kolonialismus hervorgebracht wurden. Erwähnenswert ist, dass Organisation und Struktur der Tagung eine produktive Diskussions-Atmosphäre gleichermaßen für ProfessorInnen, DozentInnen, DoktorandInnen, Studierende und sog. ErinnerungsarbeiterInnen schufen.

Im ersten Block am Freitag sprachen Jacob M. Mabe (TU-Berlin) und Elisio Macamo (Universität Bayreuth) über die „Ethik der Erinnerung“. Mabes Vortrag „Kann Erinnerung kollektiv sein? Afrikanische und europäische Erinnerungen an den Kolonialismus philosophisch hinterfragt“ formulierte die Frage nach der Möglichkeit des Erinnerns aus der jeweiligen Perspektive Europas oder Afrikas. Erwarteten die Europäer etwa die Möglichkeit von Versöhnung? Wie ist Versöhnung möglich? Gibt es eine kollektive Erfahrung der Schuld in Europa? Vermutlich nicht. Dagegen stünde aber die kollektive Erfahrung des erlittenen Unrechts in Afrika. Mabe vertrat die Position, dass es kein kollektives Gedächtnis des Kolonialismus geben könne und es auch nicht möglich sei, die Versöhnung als moralische oder juristische Wertung zu vollziehen. Die einzige Möglichkeit, das Unrecht zum Unvergesslichen zu erklären bestünde darin, das Genießen eines Mahnmals als „be-ruhig-ende“ Verantwortung zu verhindern. Die Beziehungen zwischen Europa und Afrika seien nur unter dieser Perspektive normalisierbar und forderten die historische Analyse heraus. Dazu gehöre auch die Aufhebung der Hierarchie zwischen Literalität und Oralität in den Geschichtswissenschaften. Elisio Macamo (Universität Bayreuth) schloss sich der kritischen Perspektive auf das Konzept des kollektiven Gedächtnisses an. Er plädierte dafür, dass „Erinnern zu vergessen“ und vielmehr über die Erfahrung als soziale Realität in Lebenswelten zu sprechen, zu denen Individuen über das Mittel der Sprache Zugang fänden. In dem Spannungsverhältnis zwischen der Erfahrung der (westlichen) Moderne mit ihren Versprechen von Freiheit und Emanzipation des Individuums, und der des Kolonialismus, läge die Erfahrung der AfrikanerInnen: In der Ambivalenz zwischen Versprechen und gewaltsamer Blockade von „Entwicklung“.

Im Panel „Visuelle Erinnerungskulturen“ gab Maguèye Kassé (Université Cheik Anta Diop Dakar) mit seinem Beitrag einen Überblick über „Die Anfänge der deutschen auswärtigen Kulturpolitik gegenüber Afrika und das koloniale Erbe: Problematik eines ambivalenten Diskurses“. Zwar habe sich die BRD seit den 1950ern bemüht, neuartige bilaterale Beziehungen zu den neuen, unabhängigen afrikanischen Staaten aufzubauen, dies jedoch auf der Grundlage alter, klischeehafter Bilder und Vorurteile, denen keine antikoloniale Attitüde eingeschrieben war, sondern die sich in einer paternalistischer „Entwicklungspolitik“ fortsetzte. Einen anderen Fokus beleuchteten die beiden Austellungsmacherinnen Astrid Kusser und Susann Lewerenz (Ausstellungsgruppe des Instituts für Migrations- und Rassismusforschung) mit ihrem Beitrag zur „Ausstellung ´Bilder verkehren´ im Rahmen der 3. Phototriennale Hamburg“, welche anhand von Postkarten des beginnenden 20. Jahrhunderts das visuelle Archiv der kolonialen Bilderwelten analysierten und in ein Feld umstrittener Deutungsmuster einordneten. Kusser und Lewerenz schilderten, wie durch die Bildpostkarten der Blick geordnet und als „Weißer Blick“ universalisiert wurde, gleichzeitig aber von anderen Bildern gestört wurde und letztlich umkämpft blieb.

Das gemeinsame Panel von Henning Melber (Nordic Africa Institute, Uppsala) und Reinhart Kößler (Universität Münster) widmete sich dem Thema „Namibias Deutschland“. Melber thematisierte anhand der Geschichte eines Denkmals in seinem Beitrag „How to come to terms with the past. Re-visiting the German colonial genocide in Namibia“ die uneindeutigen und heterogenen Bemühungen der „Namibia-Deutschen“, einen Umgang mit den begangenen Verbrechen zu finden. Kößler dagegen schaute sich „Namibias Deutschland – die authochtone Perspektive“ an und stellte die unterschiedlichen Erinnerungsrituale der verschiedenen Bevölkerungsgruppen Namibias vor, die in einer Opferkonkurrenz zueinander stünden. Erinnerung reiche von ritualisierten Praktiken (Witboi-Tag, Großer Hererotag et al) bis hin zur Frage nach der möglichen individuellen verwandtschaftlichen Verstrickung mit den Deutschen als Folge sexueller Beziehungen und/oder Gewalt. – Diese Linien, die Suche nach dem deutschen Großvater, Erinnerung, Genozid, das postkoloniale Namibia und ein Leben als Exil-Namibier in Deutschland heute, führte daraufhin Martin Baers sehr persönlicher Film „Weiße Geister“ (D, 2004), als dokumentierte Geschichte einer deutsch-namibischen Spurensuche, in der Abendveranstaltung fort.

Am zweiten Tag begannen Ulrich Lölke (Universität Lüneburg) und Leo Kreutzer (Universität Hannover) mit ihren Beiträgen zur „Kolonie als imaginierte Heimat“ im Roman. „´Deutsch-Südwest´ in André Brinks Roman ´The other side of silence´“ bildete den Fokus von Lölkes Beitrag, während Kreutzer im Anschluss die „Deutsche Heimat und afrikanische Wahlheimat in Hans Grimms Roman ´Volk ohne Raum´. Zur Dekolonisierung eines ´Kolonialismus ohne Kolonien´“ analysierte. Mit Bezug auf Stuart Hall fragte Kreutzer, was denn „das Postkoloniale“ in Deutschland sein könne, wo man sich keiner prozessualen Dekolonisationserfahrung bewusst sei. Der afrikanische Kontinent sei für eine Mehrzahl der Weißen Deutschen immer noch der „dunkle“ Kontinent. Zu „dekolonisieren“ bedeute eben im deutschen Kontext nicht nur die historische Aufarbeitung der manifesten Kolonialgeschichte, sondern bedürfe einer reflexiven Auseinandersetzung mit kolonialen Denkmustern in Deutschland bis heute sowie einer realen Konfrontation mit der Situation der verschiedenen Länder des heutigen Afrikas.

Im zweiten Panel des Tages stellten Brigitte Reinwald (Universität Hannover), Stefanie Michels (Köln) und Heiko Möhle (Eine Welt Netzwerk, Hamburg) ihre Arbeiten vor, die sich alle um Fragen der Verortungen lokaler, metaphysischer sowie translokaler Erinnerungspraktiken drehten. Während Reinwald in ihrem Vortrag „Geteiltes Gedenken? Monumente, Diskurse und Erinnerungspraktiken westafrikanischer Weltkriegsveteranen der französischen Kolonialarmee“ zeigte, wie Soldaten als Akteure im sozialen Feld der Erinnerungspolitiken zu Teilen der „Erinnerungsarbeitsgemeinschaft“ wurden, beschäftigte sich Michels mit den „Postkolonialen Erinnerungen in Kamerun“ anhand von „Medien, Akteuren, Topoi“. Michels fragte nach der Konstruktion, Tradierung, Popularisierung und Aktualisierung des Gedächtnisses an die deutsche Kolonialzeit, welches sich in unterschiedlichen Medien repräsentiert finde (gesprochenes Wort, Schulbücher, Bilder, Grabsteine, Filme etc.). Einen anderen Standort der Erinnerungsarbeit markierte Möhle, welcher den Umgang mit den Kolonialdenkmälern in Hamburg historisch und aktuell einordnete, und das Handeln der verschiedenen sozialen Akteure und städtischen Initiativen darin als Zeugen für die Konjunkturen deutscher „Erinnerungs- und Verdrängungskultur“ las und analysierte.

Das letzte Panel unter der großen Überschrift „Wahrheit und Geschichte“ bestritten Leonhard Harding (Universität Hamburg), Anna-Maria Brandstetter (Universität Mainz) und Volker Paulmann (Universität Hannover). Während sich die beiden ersten Beiträge mit der Erinnerungsarbeit in Rwanda nach dem Völkermord (1. „Die Last des Erinnerns – Geschichtsbewusstsein und Völkermord in Rwanda“, 2. „Erzählen, Erinnern, Trauer – Nach dem Völkermord in Rwanda“) beschäftigten, stellte Paulmann ein transkontinentales Forschungsvorhaben vor: „Die Arbeit am kollektiven Gedächtnis. ErinnerungsarbeiterInnen in Deutschland und Südafrika“, ein geplantes Projekt der Universität Hannover in Kooperation mit der University of Western Cape (UWC). Hier sollen die verschiedenen Strategien der musealen und außermusealen Erinnerungspolitiken im Hinblick auf die Aufarbeitung des Holocaust bzw. des Apartheidregimes verglichen werden.

In der abschließenden Diskussion waren sich die TeilnehmerInnen einig: Eine komplexere Erarbeitung der begrifflichen Grundkonzepte Erinnerung und Gedächtnis, kollektives Gedächtnis und internationales Gedenken, Geschichte und Mythos, Verortung und Perspektivität und verschiedener Konzepte von „Europa“ und „Afrika“ wäre als Ausgangsbasis – auch in ihrer Heterogenität – hilfreich gewesen. Dies soll aber erfreulicherweise nicht nur mit der geplanten Publikation der Beiträge, sondern auch mit einer Anschluss-Tagung im nächsten Jahr nachgeholt werden. Obwohl gerade die Vielschichtigkeit der Beiträge die Tagung auszeichnete, wurden die eingangs erwähnten Leitfragen nur indirekt beantwortet.

Am Ende der Tagung blieb die Frage nach dem Paradigma einer „internationalen Moral“. Gibt es eine „internationale Ästhetik der Erinnerung“, die sich z.B. in der Gestaltung und Architektur von Erinnerungsorten global manifestiert? Und wenn dem so wäre, wer formuliert „das Internationale“ (oder Universale) von welchem Standort aus? Kann es eine nationalstaatlich-strukturierte Erinnerungskultur geben, die den postkolonialen Realitäten gerecht wird? Welche Rolle kommt dabei transnationalen Forschungsprojekten zu? Auch die Frage der HistorikerInnen und KulturwissenschaftlerInnen als ProduzentInnen der zu erinnernden Geschichte, blieb unbeantwortet. Was ist die „Burden of Memory“ aus der jeweils „europäischen“ oder „afrikanischen“ Perspektive, mit allen Ambivalenzen? Es wurde zwar begonnen dies zu bestimmen, zu hinterfragen sowie den gesellschaftlichen Umgang damit zu reflektieren, aber es blieb bei einer Gegenüberstellung, und die Ambivalenzen wurden (noch) nicht aufeinander bezogen. Es bedarf nun vieler weiterer Schritte, auch und v.a. forschungspolitischer Art, dies in produktiver Weise zu definieren.

http://www.uni-lueneburg.de/fb3/kolonialismus/
Redaktion
Veröffentlicht am
29.07.2005
Klassifikation
Epoche(n)
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Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts