Die Zielstellung des von Monica JUNEJA (Delhi/Hannover) und Margrit PERNAU (Bielefeld) vorbereiteten Panels, eine methodische Erweiterung der Geschichtswissenschaft anzuregen, stellte sowohl eine ambitionierte als auch problematische Herausforderung dar. Die transdisziplinäre Zusammensetzung des Panels erwies sich dafür als fruchtbar und versprach eine äußerst anregende Diskussion. Denn nur so konnte dem Gegenstand Rechnung getragen werden, nach Begriffen zu fragen, die „die Grenzen zwischen Europa und der außereuropäischen Welt historiographisch adäquat zu transzendieren“ vermögen.
Globale Geschichte erstreckt sich über eine Vielfalt von kulturellen Sinnordnungen und Sprachen. Dies verlangt einen gemeinsamen Rahmen als Bedingung der Möglichkeit für gemeinsame Fragestellungen und Begriffe. Aber wie kann über zwei oder mehr Kulturen in einer einzigen Sprache gesprochen werden? In ihrem einleitenden Vortrag »Bürger mit Turban? Transkulturelle Geschichte und das Problem der universalen Begriffe« forderte Margrit PERNAU eine Annährung an das Fremde, durch ein In-Beziehung-Setzen zum Bekannten. Dabei solle nicht-eurozentristisch sondern in gemeinsamen Beziehungsrahmen Ähnlichkeiten ebenso zur Geltung gebracht werden wie auch die Unterschiede. Eigentliche Erklärungsarbeit ziele einerseits darauf ab, „das Fremde aus seinem eigenen Bedeutungshorizont zu erklären“ und andererseits müsse verhindert werden, „daß das Fremde dadurch aus dem gemeinsamen Begriffshorizont ausgeschlossen und damit in seiner Fremdheit festgeschrieben wird“. Entlang eines Exkurses in die indische Bürgertumsforschung machte sie am Beispiel des Maulawi Muhammad Zakaullah (1832-1910), „des Mannes mit dem Turban“, diesen Sachverhalt deutlich. Es ging PERNAU darum, „einen Weg zu eröffnen, an dessen Ende wir mit dem Begriff ‚Bürger’ nicht nur das Bild des Herrn im Gehrock und mit Vatermörder verbinden, sondern eben auch die Assoziationen an einen ‚Bürger mit Turban’“. Zwischen den indischen ashraf und den europäischen Bürgern würde sich ein Rahmen aufspannen lassen, in dem sie gemeinsam untersucht werden: Das Fremde wird weder exotisiert noch angeeignet, sondern vielmehr dessen Einflüsse, Parallelen und Unterschiede herausgearbeitet.
Die Problematik der Übersetzung und Begrifflichkeit zwischen den Kulturen machte Monica JUNEJA in ihrem Vortrag über »Religiöse Identitäten in transnationaler Sicht – Überlegungen zu einer begrifflichen Erweiterung der Geschichtswissenschaft« am Beispiel einer Fallstudie zur ersten protestantischen Mission in Indien (1706 – ca. 1850) deutlich. Sie eigne sich für die Erörterung von Prozessen der Repräsentation fremder Kulturen und der für die Geschichte der Verflechtung von Weltreligionen und -kulturen verwendeten Begrifflichkeiten. Im zweiten Teil ihres Vortrages problematisierte JUNEJA die „Konflikte um die Deutungsmacht über das Fremde, die aus dem Übersetzungsprozeß entstanden sind“, um im Anschluß nach den Implikationen zu fragen, welche sie für Begrifflichkeiten haben, mit der heute die Geschichte transnationaler Verflechtung geschrieben werden könne. JUNEJA plädierte für die Neukonfiguration von Begriffen „im Rahmen einer transkulturellen Sichtweise auf die Geschichte“.
PERNAU und JUNEJA arbeiteten in ihren einleitenden Vorträgen die Notwendigkeit transkultureller Geschichte und eines Bezugsrahmens für gemeinsame Begriffe heraus. Dass dieses Ziel aber schwerlich zu erreichen ist, unterstrich Martin FUCHS (Canterbury/Christchurch) in seinem Beitrag »Interaktion statt Repräsentation: Interkulturelle Differenz und die Dialogik der Begriffe«. Entlang einer grundsätzlichen Kritik an der Idee der Kontextbindung von Begriffen machte FUCHS deutlich, doch erst einmal „die Voraussetzungen und Hintergrundannahmen der ganzen Fragestellung zu klären“, damit gemeint sind „die Implikationen von Begriffen wie ‚transkulturell’, ‚Konzept’, ‚Grenzziehung’, von ‚Fremdverstehen’ respektive ‚Fremdrepräsentation’.“ FUCHS schlägt vor, Begriffe zu finden, die „keine einheitlichen, überall in gleicher Weise anwendbaren Definitionen“ haben. Vielmehr sollten sie „verschiedene Varianten, Perspektiven und Zugänge“ aufzeigen. Die Verwendung solcher Begriffe habe sich dabei immer „der interaktiven Konstellation“ ebenso bewußt zu sein „wie der Kontextualität von Bedeutungen, der tiefen kulturellen Differenzen“.
Auf die praktische Problematisierung, nämlich welche Semantiken Begriffe für die Interpretation haben, zeigte Shingo SHIMADA (Halle) in seinem Vortrag »Wissenssoziologie der kulturellen Wechselwirkungen« auf. Unter Verweis auf die Notwendigkeit der Begriffsgeschichte für eine Analyse der Gegenwart, versuchte SHIMADA zu zeigen, „was eine begriffsgeschichtliche Untersuchung im kulturvergleichenden Kontext“ leisten könne und wie sie sich zum Problem der Hybridität verhält. Am Beispiel von ihm in Japan durchgeführte qualitative Interviews verdeutlichte er dabei das Problem der Interpretation. Bei der „Suche nach Semantiken als Grundlage der Interpretation“ stellte sich heraus, „dass in der gegenwärtigen japanischen Gesellschaft die vom europäischen Kontext übernommenen Begriffe eine zentrale und unumgängliche Rolle spielen.“ Den Akteuren war dies aber häufig gar nicht bewußt, daraus könne abgeleitet werden, „dass selbst bei einer Behauptung der unverfälschten kulturellen Identität entgegen der Intention solcher Behauptungen hybride Formen der Semantik zu finden sind.“
Als Grundproblem wurde in allen Vorträgen die Schwierigkeiten in der Übersetzbarkeit fremder Sprachen und ihrer Begriffe angesprochen. Willibald STEINMETZ (Bielefeld) griff diesen Sachverhalt in seinem abschließenden Kommentar auf. Für die historische Betrachtung, so STEINMETZ, können wesentlich drei Übersetzungsprobleme unterschieden werden: „(1) ein synchrones Äquivalenzproblem, (2) ein diachrones Äquivalenzproblem, (3) ein Eurozentrismus- bzw. Modernitätslastigkeitsproblem.“ In seiner kritischen Erläuterung wies STEINMETZ mit Blick auf die im Panel gehaltenen Vorträge darauf hin, Europa nicht als „einen allzu homogenen Block“ aufzufassen, sondern die deutlichen Differenzen zwischen europäischen Kulturen und Sprachen selbst zu beachten. Wenn es darum ginge, transnationale übergreifende Begriffe zu finden, dann müßten diese von eurozentrischen oder modernespezifischen Vorannahmen frei sein. Seiner Auffassung nach würden die vorausgesetzten Bedingungen „Teile des gegenwärtig in den Sozial- und Kulturwissenschaften gebräuchlichen Vokabulars“ durchaus erfüllen. Dies sind Begriffe wie „Inklusion und Exklusion“, „Anerkennung“ oder „Diskurs und Performanz“. Ein Vokabular resp. analytische Kategorie diesen Typus würden „eine Art Meta-Sprache der Sozial- und Kulturwissenschaften, die Differenzen anerkennt, ohne sie zu Essenzen hochzustilisieren“.
Das Panel zeigte deutlich die Probleme auf, die als Voraussetzung für den Diskurs über Begriffe einer interkulturellen Geschichtsschreibung zu klären sind. Damit sensibilisierte es für Schwierigkeiten, die sich aus einem transkulturellen Rahmen ergeben. Als Ergebnis kann hier festgehalten werden, dass ein Bewußtsein im Sinne eines Prinzipium differenziales notwendig ist. Differenzen werden kurzgeschlossen, ohne sie jedoch zu beseitigen. Begriffe müssen in ihrer Dynamik über einen fortwährenden Dialog gerade zwischen den Disziplinen innerhalb von verschiedenen Kulturen erfaßt, ohne jedoch festgeschrieben zu werden.
In Bezug auf das von Margrit PERNAU in ihrem Vortrag gezeigte Bild »Bürger mit Turban« sei abschließend noch eine anregend gemeinte Frage gestattet: Kann nicht auch eine Reflexion über das Verhältnis von Begriff und Bild neue Akzente in der Problemstellung setzen? So sind es doch auch und gerade Bilder, die nicht nur die Vorstellung von etwas generieren, sondern zum Ausgangspunkt für Verständigungen jenseits der Kulturgrenzen werden können. Es sind Bilder, die sich für transnationale, kulturübergreifende Episteme eignen, gerade weil sie von der Fixierung wörtlich sanktionierter Botschaften frei sind.