First European Congress of World and Global History - Panel 23: Global Perceptions of a Eurocentric Theory of Civilization: The Perception of Social-Darwinist Thought in Japan, Turkey and Vietnam in Their Early Nationalist Discourses

First European Congress of World and Global History - Panel 23: Global Perceptions of a Eurocentric Theory of Civilization: The Perception of Social-Darwinist Thought in Japan, Turkey and Vietnam in Their Early Nationalist Discourses

Organizer(s)
European Network in Universal and Global History; Organisationskomitee Leipzig: Frank Hadler, Matthias Middell, Hannes Siegrist, Katja Naumann
Location
Leipzig
Country
Germany
From - Until
22.09.2005 - 25.09.2005
By
Falk-Thoralf Günther

Ein europäisches Zivilisationskonzept ging um die Welt. So oder so ähnlich ließe sich das Panel auf einen knappen Punkt bringen. Eine derartige Verknappung würde allerdings den Vorträgen und Diskussionen innerhalb der Sektion nicht gerecht werden können. Ideen und Konzepte, zu denen auch der Sozialdarwinismus gehörte, können niemals als feststehende, unveränderliche Größen angesehen werden, wodurch gerade ein Blick auf die unterschiedlichen kulturellen Zusammenhänge, Entwicklungsgeschichten und Traditionen lohnt. Die vier Vorträge der Sektion bezogen sich auf die Rezeption sozialdarwinistischer Ideen in verschiedenen Ländern Europas und Asiens:

Christoph Ramm von der Ruhr Universität Bochum widmet sich in seinem Vortrag „,Modern civilization does not have any pity on those who are not civilized’ – Social Darwinism in the Ideology of the Young Turks and the Early Turkish Nationalists” den Einflüssen des Sozialdarwinismus auf die türkische Politik zwischen Ende des 19. Jahrhunderts und den späten 1920er Jahren. Charles Darwin sah in den Türken eine in der Rassenhierarchie weiter unten stehende Gesellschaft, doch auch trotz Darwins Geringschätzung für die Türken, wurden darwinistische Ideen im Osmanischen Reich rezipiert. Die Gründe dessen liegen durchaus nahe: Das Osmanische Reich wurde durch eine ganze Reihe von Kriegen gegen europäische Mächte immer weiter zurückgedrängt. Greifbare Beispiele für den allmählichen Bedeutungsverlust des Osmanischen Reiches waren der Aufstand in Serbien, der griechische Unabhängigkeitskrieg und das Aufleben nationaler Bestrebungen auf dem Balkan, die von europäischen Mächten gern forciert wurden, da diese ihrerseits Interessen an vorher osmanischen Gebieten hatten. Während der Herrschaft des Sultans Abdülhamit II. zwischen 1878 und 1908 wurde ein Modernisierungskurs, besonders in den Bereichen Militär und Bürokratie, eingeschlagen. Weshalb sich in der Folgezeit westliche Ideen im Osmanischen Reich verbreiteten, die über neue Kommunikationskanäle, ausländische, vorwiegend französische, Militärberater und die Einrichtung ständiger Vertretungen in europäischen Hauptstädten, transportiert werden konnten.
Ein politischer Protagonist, in dem sozialdarwinistische Ansichten programmatisch eingebunden waren, war das „Committee of Union and Progress (CUP)“, sozusagen der politische Arm der Jungtürken. Es muss dabei allerdings bemerkt werden, dass die Jungtürken in ihren Anfangsjahren keineswegs eine auf Rasse basierende Nationaltheorie vertraten, vielmehr hatten sie das Ziel alle ethnischen und religiösen Gruppen des Osmanischen Reiches im Kampf gegen den Absolutismus des Sultans Abdülhamit II. zu einen.
Zudem waren sie von dem französischen Soziologen Gustave Le Bon beeinflusst, der sich besonders gegen eine Herrschaft der Massen aussprach, denn die Massen seien zu unentschlossen, brutal und lediglich in der Zerstörung kraftvoll. Le Bon favorisierte als Herrschaftsriege eine intellektuelle Aristokratie, der er die notwendigen Fähigkeiten zum Lenken eines Staatssystems zutraute. Die Jungtürken, die sich selbst als intellektuelle Avantgarde des Osmanischen Reiches sahen, griffen dies auf und sahen sich darin natürlich bestätigt.
Nach der Revolution der Jungtürken 1908, die zunächst dem Ideal eines gemeinsamen Patriotismus aller Gesellschaften im Osmanischen Reich folgte, schlug die Stimmung allmählich um, nachdem nicht-türkische und nicht-muslimische Gruppen Unabhängigkeitsbestrebungen zeigten, und die CUP verfolgte einen strikten türkisch-nationalistischen Kurs. Im Verlaufe des Ersten Weltkriegs verschärfte sich die Situation noch, und die Regierung des Osmanischen Reiches ging entschieden, aggressiv und unterdrückend, gegen nicht-muslimische Teile der Gesellschaft vor. Schramm sah darin durchaus eine Kontinuität zu den sozialdarwinistischen Welterklärungsmodellen, wie sie bei der ersten Generation der jungtürkischen Führer populär waren. „Generally it could be stated the ideas of the early Young Turks also shaped the official ideology of the early modern Turkish Republic founded in 1923. Many of the Republican leaders, including Mustafa Kemal Atatürk, had been former members of the CUP, and most of the principles of the new nation-state were also in continuity of the Young Turk ideology. This is also the case for social Darwinist ideas”, so Ramm in seinem Vortrag.

Gesa Westermann, die überdies auch die Leitung des Panels innehatte, behandelte in ihren ersten von zwei Vorträgen die Verbreitung sozialdarwinistischen Denkens in Japan. Das Reich der aufgehenden Sonne fühlte sich durch die europäische Expansion bedroht und sah seine einzige Möglichkeit, dem Schicksal, wie es China, Indien und Afrika ereilt hatte, zu entkommen, indem die Flucht nach vorn angetreten werden sollte. Ein Kurs der Verwestlichung oder, wie es damals genannt wurde, der Zivilisation und Aufklärung wurde eingeschlagen. Womit allerdings nicht nur die technologische und militärische Verwestlichung, sondern auch die Übernahme westlicher Staats- und Nationsideen gemeint war, zu denen ab zirka 1882 sozialdarwinistisches Gedankengut gehörte.
Die Rezeption sozialdarwinistischer Ideen war in erster Linie mit der Übersetzung der Werke von Herbert Spencer verbunden. Der englische Soziologe, der als Begründer des Sozialdarwinismus gilt, hatte in seinem Buch „Principles of Sociology“, was von zentraler Bedeutung für die frühe Phase der Rezeption in Japan war, eine von Darwin beeinflusste und über dessen Theorie von der Selektion der Arten durch Verdrängung weit hinausgehende soziale Evolutionstheorie entworfen, in der er die Überlebenschancen verschiedener Gesellschaften zu analysieren versuchte. Spencers Ansicht nach hatten die ausdifferenziertesten Gesellschaften mit einem hohen Grad an Arbeitsteilung die besten Chancen im Konkurrenzkampf zu bestehen, wogegen seiner Ansicht nach kleine, schwache Völker kaum überleben könnten. „Survival of the fittest“ war das kurze Schlagwort, welches Spencers Theorie charakterisiert.
Einer der Ersten, der sich mit dieser Theorie in Japan auseinander setzte, war der Rechtswissenschaftler Katô Hiroyuki, der auch als Berater des meiji-Oligarchen tätig war. Katô hatte sich schon zu Beginn der meiji-Restauration mit der Verbreitung von naturrechtlichen und aufklärerischen Schriften einen Namen gemacht. Er war überzeugt von der Überlegenheit der westlichen Zivilisation und plädierte deshalb schon sehr früh für eine schnelle Verwestlichung Japans. Katô sah einen starken Staat als Garanten für ein Überleben der Gesellschaft in dem weltweiten Konkurrenzkampf, denn nur dort war eine schnelle Anpassung an die allgemeinen Umstände (Verwestlichung) möglich. Westermann sieht darin eine Verkürzung der Evolutionstheorie auf die Frage, wie schnell sich nicht-europäische Völker verwestlichen und modernisieren konnten und mussten. Zivilisation und Verwestlichung wurden so zur nationalen Überlebensfrage.
Auch die Verfechter einer japanischen Kolonialpolitik machten in den 1890er Jahren von sozialdarwinistischen Ideen Gebrauch. Japan beanspruchte die Rolle des westlichen Kolonisators in Ostasien für sich. Der Messpunkt, um festzustellen, ob eine Gesellschaft unterentwickelt und somit kolonisierbar war, war die Fähigkeit zur Staatenbildung. Japan fühlte sich wegen seiner Verfassung den anderen Völkern Ostasiens in dieser Hinsicht überlegen, womit natürlich den Expansionsbestrebungen und deren Rechtfertigung Tür und Tor geöffnet wurden. Auch rassistische Komponenten kamen hinzu, so wurden diejenigen Völker, deren Gesellschaft weder auf einer gemeinsamen Sprache, Religion und Geschichte basierte, als „schwarze Rasse“, „Barbaren“ und „Wilde“, bezeichnet. Die Chinesen und Koreaner beispielsweise, die nach dieser Theorie zwar eine ethnische Gemeinschaft bildeten, aber auch auf längere Sicht unfähig zur Staatenbildung waren, wurden als „rote Rasse“ angesehen und standen in der vermeintlichen Rassenhierarchie hinter den Japanern. Auch hierbei lassen sich Rückschlüsse auf Spencers Werk ziehen.
Tokutomi Sohô, ein Zeitgenosse Katôs, verfolgte das Ziel die japanische Expansion auf Grundlage des sozialdarwinistischen Zivilisationsmodells von Herbert Spencer zu legitimieren. Tokutomi entwickelte in den 1890er Jahren ein Konzept, welches ein japanisches Imperialreich entwarf, das große Ähnlichkeiten mit denen westlicher Mächte hatte. Japan musste sich seiner Meinung nach ausdehnen, weil Japaner aufgrund ihrer Fähigkeiten in jeglichem Klima siedeln könnten, dadurch die Überbevölkerung gemindert und somit der Wohlstand Japans gemehrt werden könnte. Wirtschaftliche Expansion war bei Tokutomi mit der Emigration japanischer Bauern in die Kolonialgebiete verbunden. Damit war gleichzeitig die Vorstellung verbunden, dass Japan dadurch an wirtschaftlicher Stärke gewinne, was eine Voraussetzung für militärische Stärke sei. Und militärische Stärke war notwendig im „Kampf um das Überleben der Nationen“. Diese Ideen gingen auf Spencer zurück, der den Übergang von einer „militärischen Gesellschaft“ in eine „industrielle Gesellschaft“ als Konzept in seinem Buch „Principles of Sociology“ darstellte und die wirtschaftliche Kraft einer Nation als entscheidend für deren Überleben einstufte.
Tokutomi sieht das Expansionsstreben der westlichen Staaten als einen „Trend der Zeit“ an, dem sich Japan anschließen müsse, denn sonst „werden uns die von den blauäugigen und rotbärtigen Rassen wie eine gigantische Welle überschwemmen und uns von unserer Insel vertreiben. Wenn wir nicht das tun, was die aus dem Westen tun, dann werden sie es an unserer Stelle an unserem Platz tun.“1

Eine ganz andere Lesart sozialdarwinistischer Vorstellungen erläuterte Gesa Westermann in einem recht knappen Exkurs, der sich den sozialistischen Auffassungen dazu widmete. Knapp 10 Jahre nach Katô und Tokutomi, die beide die Verwestlichung als Gebot der Stunde ansahen und sich nur darin unterschieden, was den eigentlichen Fortschritt der Gesellschaft ausmachte, befassten sich auch japanische Sozialisten mit dem Sozialdarwinismus. Von Einfluss dafür war Kropotkins Buch „Gegenseitige Hilfe“. Kropotkin entwarf darin ein Gegenmodell zur damals existierenden Weltordnung und setzte auf eine aus eigenständigen Staaten bestehende Weltföderation. Grundlage dafür war die Ansicht, dass die Evolution nur auf gegenseitiger Hilfe und Unterstützung basierte und nicht auf dem Überleben des Stärkeren. Übertragen auf die Weltordnung hieße das: Ein Staat, der sich erfolgreich gegen den expansiven Westen durchsetzen konnte, sollte andere Gesellschaften, die vom Westen beherrscht wurden, in deren Kampf unterstützen und so den Weg zur Weltföderation und zum Fortschritt zu ebenen. Eben diesen Denkschemata begegnet man in den sozialistischen Veröffentlichungen, die einen Zusammenschluss aller unterdrückten asiatischen Nationen im Kampf gegen den westlichen Expansionismus und Imperialismus forderten.

Der Rezeption sozialdarwinistischen Gedankenguts in Vietnam war daran anschließend der zweite Beitrag von Gesa Westermann gewidmet. Eine zentrale Rolle in den Betrachtungen nahm der erste in der Forschung bekannte „Nationalist“ Vietnams, Phan Boi Châu, ein, dessen autobiografische Schriften als glaubwürdigste Quellen zur frühen vietnamesischen Unabhängigkeitsbewegung angesehen werden.
Phan Boi Châu wurde 1867 geboren und wuchs in einer Zeit auf, als der französische Einfluss in Vietnam oder besser in der Union Indochinoise, wie das Gebiet an der Wende zum 20. Jahrhundert bezeichnet wurde, zunahm. In den 1880er Jahren weiteten sich die Auseinandersetzungen zwischen Vietnamesen und Franzosen aus und gipfelten 1883/84 im Kampf um Hanoi und die Errichtung eines französischen Protektorates 1884. Phan wurde direkter Zeuge der Ausbreitung kolonialer Herrschafts- und Verwaltungsstrukturen und des dagegen gerichteten Widerstandes zum Schutze der annamitischen Monarchie und der konfuzianischen Gesellschaftsordnung in Indochina. Besonders die Region, aus der Phan stammte, war einer der bedeutendsten Schauplätze dieses Krieges, denn dort wurde der Kinderkaiser Ham Nghi 1885 zum Schutz vor den Franzosen versteckt, und zudem galt das Gebiet als besonders schwer kontrollierbar. Die Kämpfe flauten dort erst in den 1890er Jahren ab.
Diese Erfahrungen prägten schon recht früh das Denken und Handel Phans, weshalb man, so Gesa Westermann, in soziologischer Terminologie unter Umständen von einer antikolonialen Sozialisation sprechen könnte. In seinen frühen Texten glorifizierte Phan folglich die gewaltsame Verteidigung der monarchisch verfassten Gesellschaft und ihrer konfuzianischen Ausrichtung, auch unter besonderer Anerkennung derer, die selbstlos für den Kaiser kämpften und starben. Bis etwa zur Jahrhundertwende behielt er sein Verständnis für den aktiven, kämpferischen Widerstand bei. Später, als er auf chinesische Reformliteratur aus der benachbarten Provinz Hunan aufmerksam geworden ist und möglicherweise auch unter dem Eindruck der militärischen Überlegenheit der westlichen Kolonisatoren, begann er sich gewaltlosen Formen des Widerstandes zuzuwenden.
Die chinesischen Reformliteraten, mit denen sich Phan zu beschäftigen begann, waren, nachdem China mehrere Kriege gegen westliche Mächte verloren hatte, zu dem Schluss gekommen, dass die konfuzianischen Institutionen gegen die expansiven Staaten aus dem Westen keinen Bestand hatten. Sie sahen die einzige Chance zur Rettung Chinas in radikalen Reformen („Reformprogramm der 100 Tage“) auf kulturellen, pädagogischen Gebiet, im Verwaltungsbereich und in der Abkehr vom Konfuzianismus. Besonders der Sieg der japanischen Armee im chinesisch-japanischen Krieg 1895 bestärkte die Reformer in ihren Ansichten, denn Japan wurde durch Anpassung an westliche Normen zu einem sogenannten starken Staat. Dementsprechend wurden zahlreiche japanische Schriften rezipiert und teilweise ins Chinesische übersetzt, auch die japanischen meiji-Reformen dienten als Vorbild für das angestrebte „Reformprogramm der 100 Tage“.
Die chinesischen Reformer verbanden die Ansichten Katôs und Tokutomis miteinander: Das heißt, die Frage, was den Fortschritt einer Gesellschaft ausmache, die Staatenbildung oder die (freihändlerische) Expansion, stellte sich bei den chinesischen Rezipienten nicht in dem Maße, wie sie es bei den japanischen Vordenkern tat. Japan galt bei den chinesischen Rezipienten als ein starker westlicher Staat, weil das Land notwendigerweise expandierte und somit am Höhepunkt seiner wirtschaftlichen Entwicklung angekommen war. Außerdem hatte es Japan vermocht aufgrund „westlicher“ Reformen zu einem Nationalstaat zu werden, womit auch das zweite der Kriterien erfüllt war, welche „schwache“ und „starke“, westliche, Staaten unterschied.
Was Gesa Westermann in ihrem Vortrag darstellte, war quasi eine Rezeptionskette sozialdarwinistischer Ideen, die in Japan begann und über China nach Vietnam führte. Phan Boi Châu nahm die aus China kommenden Einflüsse auf und teilte das vom chinesischen Reformer Liang Ch’i-ch’ao entworfene Bild des Imperialismus, indem er ihn ebenfalls als eine natürliche Folge des Kampfes der Nationen ansah, die wirtschaftlich und politisch auf der höchsten Ebene angekommen waren. Folglich teilte er auch die dem zu Grunde liegende sozialdarwinistische Idee, des Überlebens des Stärkeren, obwohl es bei ihm nicht eine Rassenfrage war, sondern eher eine Frage der Entwicklungsmöglichkeiten gewesen zu sein scheint.
Gesa Westermann sieht in der gesamten Entwicklung die allmähliche Auflösung eines sinozentrischen Weltbildes zugunsten eines globalen Ordnungssystems der starken und schwachen Staaten, wodurch die damals tatsächlichen Machtverhältnisse in Ostasien realistischer ausgedrückt werden konnten. Durch diese Betrachtung sieht sie die zu dieser Zeit immer klarer und grundlegender werdende Kritik am konfuzianischen Gesellschafts- und Herrschaftssystem bestätigt.

Christoph Johannes Franzen befasste sich in seinem Beitrag „An argument characteristic of an oppressed people: Deutsche und ihre übermächtigen Nachbarn im 19. und 20. Jahrhundert“ mit der Einteilung der Völker in Gruppen, wie sie Leo Frobenius vorschlug, und erweiterte damit den Blickwinkel über den reinen Sozialdarwinismus hinaus. Frobenius, der persönliche Freund Wilhelms II. und anfängliche Verfechter sozialdarwinistischer Ideen, nahm in seinem Spätwerk, beginnend mit seinen Feldforschungen 1904, gar eine sich bewusst vom Sozialdarwinismus abwendende Haltung ein. Auch wenn, wie Franzen anmerkt, gerade diese soziologische Theorie ihn dazu brachte, sich so intensiv mit Afrikaner und deren Geisteswelt auseinander zu setzen, wodurch es ihm erst gelingen konnte, ein positiveres Bild von Schwarzafrikanern zu gewinnen.
Aufgrund der Ergebnisse seiner Forschungen auf dem schwarzen Kontinent, während dessen er nicht nur Artefakte, sondern auch Mythen und Märchen sammelte, entwickelte Frobenius eine eigene, nicht auf Afrika beschränkte Kulturtheorie, die er 1932 erstmals in seinem Buch „Schicksalkunde im Sinne des Kulturwerdens“ veröffentlicht. Er stellt dabei zwei kulturelle, nicht rassistische Archetypen auf, die jedoch losgelöst von ihrer ursprünglichen, etablierten Verwendung, als „hamitisch“ und „äthiopisch“ bezeichnet wurden. Frobenius versucht mittels seiner Kulturstudien Unterschiede festzumachen, die in ihrer Charakteristik weltweite Gültigkeit besaßen. Die „Äthiopen“ waren, seiner Einteilung nach, von Religiosität, Sesshaftigkeit, Ackerbau und Moralität geprägte, streckenweise dadurch vielleicht etwas naive Völker, wogegen die „Hamiten“ von der Jagd geprägte, gierige und gelegentlich mutige Eroberer waren, die mit ihrem Hang zum Machbaren die Welt erobern wollten. Die „Äthiopen“, so stellte es Frobenius dar, ließen sich einer direkten Konfrontation mit den „Hamiten“ sehr leicht durch diese dominieren. Allerdings waren die „Äthioper“ damit nicht automatisch die Verlierer der Geschichte, denn für Frobenius waren sie aufgrund ihrer Pietät, Harmonie mit der Natur, Spontanität, Empathie und Tiefe die klar Überlegenen.
Nach dem Ersten Weltkrieg gesellten sich in Frobenius’ Theorie zu den äthiopischen Schwarzafrikanern auch Türken, Russen, ostasiatische Völker und ganz besonders die Deutschen und zu den Hamiten neben den arabischen auch die romanischen und angelsächsischen Völker, womit natürlich schon deutlich wird, wo die Sympathien des Ethnologen lagen.
Vor diesem überaus interessanten Hintergrund und unter dem Eindruck der auch von Frobenius vertretenden Kultur-Zivilisations-Antinomie entfaltet Franzen eine Geschichte von Zwistigkeiten zwischen Preußen bzw. Deutschland und den anderen starken europäischen Mächten, speziell Großbritannien, ohne dabei die Untiefen und Fragwürdigkeiten, die schon damals durch die Interpretation des Modells von Frobenius auftraten, außen vor zu lassen. Das Frobenius-Modell war in der Abgrenzung zu den anderen Mächten sehr hilfreich, besonders dann, wenn Sinnstiftung gefragt war, wie beispielsweise nach dem Ersten Weltkrieg, als das Deutsche Reich zwar besiegt war, sich doch auf den eigenen „Äthiopismus“, die vermeintlich eigentliche Überlegenheit, berufen konnte.

Das Panel zeichnete sich im Ganzen durch einen sehr hohen Grad an thematischer Stringenz aus. Sozialdarwinistische Ideen wurden nicht nur in der Türkei, in Vietnam, Japan und Europa rezipiert, sondern haben wohl eine weltweite Verbreitung erfahren und dadurch auch unterschiedliche Ausprägungen gefunden, die zu beleuchten von besonderem Interesse wäre, wenn man eine umfassende Genese dieses Zivilisationsmodells erarbeiten möchte.

1 Siehe Tokutomi Sohô, Tokutomi Sohô shû, Tokio, 1930; S. 128.

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Katja Naumann
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06.01.2006
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