In dieser Sektion wurde anhand eines konkreten historiographischen Einzelproblems zentrale Standpunkte in der Diskussion um die Geschichte der Globalisierung und die Weltsystemtheorie verhandelt. Peer Vries (Leiden) stellte die zentralen Thesen seines Papers „Eurocentrism, Sinocentrism or no centre at all. Reflections on globalization and the economic history of the early modern world“ vor, das vorab den Panelists vorgelegen hatte, um ihnen Gelegenheit zu pointierter Reaktion geben zu können. Seine Argumentation wandte sich gegen eine von ihm ausgemachte Tendenz in der neueren globalgeschichtlichen Forschung, die im China der frühen Neuzeit das Zentrum der globalen Wirtschaft erkennen will. Diese Diskussion findet ihren wissenschaftsgeschichtlichen Ursprung in der Auseinandersetzung zwischen Immanuel Wallerstein und André Gunder Frank über die Periodisierung der Geschichte des Weltsystems, in der Frank Wallerstein Eurozentrismus vorgeworfen hatte, da dieser die Entstehung des Weltsystems vor etwa 500 Jahren ansetze und damit die imperialen und globalen Prozesse der vormodernen Ära ausklammere. Franks Position war dabei in diesem Panel der hauptsächliche Kristallisationspunkt der Diskussion.
Vries machte auch sein Anliegen deutlich, diesen Sinozentrismus datenbasiert zu falsifizieren und auf die Gefahren hinzuweisen, die die Ersetzung des eines Zentrismus’ (des europäischen) durch einen anderen (den chinesischen) nach sich zieht.
Der zentrale Bestandteil seiner Gegenargumentation war gegen die These von der Absorption des weltweiten Silberaufkommens durch die chinesische Wirtschaft in der frühen Neuzeit gerichtet, das als zentraler Indikator für die These von der dominanten Rolle Chinas in der Weltwirtschaft der frühen Neuzeit verwendet wird. Vries analysierte dazu einerseits die Weltsilberproduktion und ihre Handelswege sowie das pro-Kopf-Silberaufkommen und konfrontierte zweitens die wirtschaftliche Entwicklung in Europa mit der These von der Silberverknappung durch die chinesische Absorption. Das hohe Preisniveau und das hohe Steueraufkommen in Europa einerseits und die hohen Zinsraten in China andererseits deuteten dabei auf eine hochmonetarisierte Wirtschaft im Europa und auf eine Knappheit von silbergestützer Währung in China. Vor allem das geringe pro-Kopf-Silberaufkommen in China im Vergleich zu den europäischen – insbesondere britischen – Werten zur gleichen Zeit stützten diese These der Untermonetarisierung der chinesischen Wirtschaft. Ab dem 18. Jahrhundert sei darüber hinaus Gold gegenüber Silber als Basis für eine monetär abgestützte wirtschaftliche Entwicklung in Europa viel bedeutender gewesen. Die Absorption des Weltsilberaufkommens durch China sei also auch aus diesem Grund kein geeigneter Indikator für die zentrale Rolle Chinas in der Weltwirtschaft.
In seinem zweiten Hauptargument problematisierte Vries die Ableitung der Dominanz Chinas in der frühneuzeitlichen Weltwirtschaft aus den Handelbeziehungen zwischen Europa und China. Die Tatsache, dass vor allem Europäer – und hier besonders die Briten – aus China Luxusgüter wie Seide und Tee importierten, nach China jedoch wenig exportierten, resultiere zwar in einer negativen Handelsbilanz, spräche aber für die Kaufkraft der Europäer einerseits und ließe sich andererseits daraus erklären, dass die Luxusartikel natürlicherweise nicht in Großbritannien hergestellt werden konnten. Es handelt sich hierbei also lediglich um komparative Vorteile. Hieraus eine sinozentristische Struktur der frühneuzeitlichen Weltwirtschaft abzuleiten, lasse sich nicht plausibel machen.
In seiner Reaktion relativierte Patrick O’Brien (London) die pointierte Kritik von Vries, wobei er grundsätzlich die Einschätzung bezüglich der Gefahren eines neuen Zentrismus in der Weltgeschichtsschreibung teilte. Nach O’Brien spräche die Existenz eines Bankwesens im China der frühen Neuzeit aber durchaus für ein höheres Maß an Monetarisierung der chinesischen Wirtschaft als Vries’ Thesen dies nahe legten.
Kent Deng (London) stützte in seinen Ausführungen Vries’ Thesen. Nach seiner Einschätzung sei China in der frühen Neuzeit von einer agrarisch dominierten Wirtschaft gekennzeichnet gewesen und existierte vor allem als autarke Gesellschaft und Wirtschaft. Die für eine dominante Rolle in der Weltwirtschaft sprechenden Vernetzungen im globalen Maßstab seien also nur gering ausgeprägt gewesen. Zudem ersetze Opium im Laufe des 18. Jahrhunderts zunehmend Silber in seiner Bedeutung für den Handel mit China. Auch insofern sei der Indikator Silberverknappung entkräftet. Erst seit dem Vertrag von Nanking könne von einem Anteil Chinas an der Globalisierung gesprochen werden. Dieser 1842 nach dem Ersten Opiumkrieg zwischen China und Großbritannien abgeschlossene Vertrag sichere dem Westen einen Zugang zur chinesischen Wirtschaft, auch zu Eigentum und Land. In China entstehe eine Händlerklasse, die westliche Kaufleute nach China bringt. Der Außenhandel werde lebenswichtig für China und weise weitaus höhere Wachstumsraten als die chinesische Wirtschaft an sich auf. Dies sei ein Zeichen globaler Vernetzung und laufe der Autarkisierung der Zeit davor entgegen.
Erich Landsteiner (Wien) betonte in seinem Beitrag die Bedeutung des Handels mit Südostasien insgesamt, nicht nur mit China. In seiner Bedeutung für die globale Wirtschaft der frühen Neuzeit müsse vor allem die indische Rolle mehr berücksichtigt werden.
Andrea Komlosy entwickelte die ausführlichste Kritik an Vries’ Thesen. Sie stellte zunächst grundsätzlich Vries’ Behauptung in Frage, die neuere Globalgeschichtsschreibung sei sinozentristisch ausgerichtet. Vielmehr handele es sich um eine große Pluralität von Ansätzen, die sich nicht unter einer dominanten Perspektive summieren ließen. Die von Vries angegriffene so genannte sinozentristische Perspektive sei höchst marginal. Darüber hinaus plädierte sie für eine balanciertere Argumentation, die die quantitativen Argumente von Vries differenzieren müsse. Die Feststellung eines geringen pro-Kopf-Silberaufkommens in China an sich lasse sich noch nicht für eine qualitative Aussage über die strategische Rolle Chinas in der Weltwirtschaft verwenden. Vries müsse in seiner Argumentation die qualitative Seite stärken und beispielsweise der Bedeutung des Imports der erwähnten Luxusgüter mehr Beachtung schenken.
In der anschließenden Diskussion wurden im Wesentlichen vier Punkte vertieft. Zunächst wurde Vries’ Kriterium des geringen pro-Kopf-Silberaufkommens in China als geeignetes Gegenargument zur dominanten Rolle Chinas im frühneuzeitlichen Weltmarkt problematisiert. Dem stehe das weitaus größere Ausmaß entgegen, in dem China für den europäischen Markt produziert habe als dies umgekehrt der Fall gewesen sei. Dies stütze die These André Gunder Franks von der großen Bedeutung der chinesischen Wirtschaft. Dem hielt Vries entgegen, dass für die Bewertung einer globalen Rolle interkontinentaler Handel und spill-over-Effekte die entscheidenden Elemente seien. Hier komme China nur eine marginale Rolle zu. Pointiert formulierte Vries, dass die frühneuzeitliche Weltwirtschaft auch ohne China funktioniert hätte.
Als zweite und zentrale Linie der Diskussion wurde deutlich, dass im Mittelpunkt der Globalgeschichte, die auf die frühneuzeitliche Wirtschaft fokussiert, das weltweite Netz des Silberhandels stehen müsse, dessen wichtiger Teil China definitiv gewesen sei. Darüber hinaus müsse die Region Asien insgesamt betrachtet werden, innerhalb derer China kontextualisiert werden sollte. Einige Diskutanten stellten nochmals die zentrale Rolle Indiens heraus. Die wichtige Rolle Asiens für die frühneuzeitliche globale Wirtschaft lasse sich aber nicht am Indikator des Silberhandels festmachen. Ein differenzierterer Blick auf die einzelnen Wirtschaftsordnungen müsse den Weg für eine Analyse frei machen, die das schnelle Aufholen Chinas Ende des 20. Jahrhunderts nach einer langen Marginalisierungsphase erklären könne.
Dies führt zum dritten Feld der Diskussion, in dem die wirtschaftsgeschichtliche Perspektive in der Globalgeschichte mit ihrem Fokus auf modernisierungstheoretische, kapitalismuszentrierte Kriterien in Frage gestellt wurde. Vielmehr müsse kultureller und ideologischer Macht eine größere Aufmerksamkeit gewidmet werden, die möglicherweise unabhängig von oder in anderem Zusammenhang zu wirtschaftlich-kapitalistischer Macht gesehen werden könne.
Die vierte Ebene der Diskussion war an der Kontroverse zwischen Komlosy und Vries orientiert. Nach Einschätzung des Auditoriums seien die Differenzen in der Herangehensweise und Bewertung nicht so groß wie dies in der vorangegangenen Debatte scheinen mochte. Komlosy betonte dabei nochmals, dass die Frage nach Sino- oder Eurozentrismus nicht entscheidend sei. Vielmehr sei eine gewisse Perspektivierung der jeweiligen Globalgeschichte unvermeidbar, dies ziehe aber eine große Pluralität nach sich.
Diese Pluralität, die sich allerdings gleichzeitig entlang konkreter Trennlinien organisiert, wurde in der Sektion 24 in einer lebhaften und produktiven Diskussion deutlich. Die Frage nach bestimmten regionalen Fokussierungen und nach Periodisierungen von globalen Prozessen in der Globalgeschichtsschreibung ist ein solcher Kristallisationspunkt, der direkt auf Erklärungsmuster und historiographische Defizite in heutigen Globalisierungsdiskussionen verweist. Die hochspezialisierte Erörterung frühneuzeitlicher Phänomene hat in dieser Auseinandersetzung ein großes Maß an Klärung der einzelnen Positionen ermöglicht.