Das Panel „Intervention and Occupation“ beschäftigte sich mit Formen und Typen von Besatzungsherrschaften und Interventionen. Anstatt der angekündigten vier wurden nur zwei Vorträge auf dem Panel gehalten, diejenigen von Helmut Stubbe da Luz von der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr und Christian Lekon von der Universität Hannover/Istanbul. Helmut Stubbe da Luz, der auch das Panel leitete, präsentierte am Beispiel der napoleonischen Okkupation Norddeutschland, ein Modell der Besatzungsherrschaft, das eine Kategorisierung von Okkupationstypen, eine Aufstellung von Okkupationsphasen und einen Katalog der Phänomene okkupationsbedingten gesellschaftlichen Wandels enthält. Eine Okkupation im Sinne einer Inbesitznahme eines fremden Territoriums ist ein universalhistorisches Phänomen, so dass seine Analyse eines universellen Klärungsmodells bedarf, das von Stubbe da Luz in seinen „Überlegungen zu einer vergleichenden Okkupationshistorie am Beispiel der Napoleonischen Besatzungsherrschaft in Norddeutschland“ anvisierte. Stubbe da Luz hatte nach einer umfassenden Definitionsherleitung vom Okkupationsbegriff eine Typisierung von Okkupationen vorgenommen. Er unterschied zwischen Disziplinierungsokkupationen, expansionistischen oder imperialistischen Okkupationen und Unterstützungs-Okkupationen, wobei er innerhalb dieser Hauptkategorien noch insgesamt dreizehn weitere aufzählte. Ferner beschrieb er die sieben Phasen eines einfachen Okkupationskomplexes, um diese im Anschluss am Beispiel des französisch-hanseatischen Okkupationskomplexes zu veranschaulichen. Darauf folgten ein zwölf Hauptelemente umfassendes Okkupations-Modell sowie ein Versuch, die Merkmale des okkupationsinduzierten soziokulturellen Wandels zusammenzufassen. Die praktische Anwendbarkeit des Modells demonstrierte Stubbe da Luz immer wieder an seinem Fallbeispiel, konzedierte jedoch von vornherein, dass die Kategoriebildung grundsätzlich erweiterbar ist. Es stellt sich jedoch die Frage, ob ein Universalmodell als Erklärungsmuster für beliebige historische Ereignisse betrachtet werden kann, oder ob epochen- oder fallspezifische Konzepte dem übergreifenden Modell vorzuziehen wären. Verlaufen tatsächlich alle Okkupationen nach dem gleichen Muster, oder gibt es doch Unterschiede, bedingt durch kulturelle, sozioökonomische und politische Entwicklungen? Diese Möglichkeit schloss Stubbe da Luz jedoch aus, da seiner Meinung nach die Argumente dafür unzureichend seien.
Im anschließenden Beitrag „Die britische und amerikanische Besetzung Iraks: Hegemoniale Zyklen oder Diskontinuität?“ stellte Christian Lekon einen diachronen Vergleich der drei anglo-amerikanischen Besetzungen Iraks vor dem Hintergrund einer Globalisierungsdebatte an. Zunächst erläuterte er anhand des historischen Rekurses politische Konstellationen und Besonderheiten jeweiliger Besatzungsregime. Aus der ersten britischen Okkupation während des I. Weltkrieges ist die Gründung des Staates Irak hervorgegangen. Der Staat hatte die Form einer parlamentarischen Monarchie und war weitgehend der britischen Verwaltung unterstellt. Die Okkupationsmacht betrieb eine konservativ ausgerichtete Politik und stützte sich auf die Kooperation mit den irakischen Eliten, die ein deutliches Mitspracherecht hatten. Die zweite Okkupation (1941) hatte vornehmlich restaurativen Charakter. Die Britten kooperierten mit den gleichen Eliten und ihre Bemühungen um soziale Reformen blieben im Ansatz stecken. Das Faktum, das die Monarchie ihre Vormachtstellung durch die Okkupation wiedererlangte, untergrub ihre Legitimität im Land. Während der dritten amerikanisch-britischen Okkupation seit 2003 wurde das Land zuerst einmal von der durch die USA dominierten Besatzungsbehörde verwaltet, der in diesem Jahr Wahlen zur Nationalversammlung sowie Regierungsbildung und ein Verfassungsentwurf folgten. Das Ziel der Amerikaner ist die Transformierung Iraks in eine liberale Demokratie mit laisser-faire Wirtschaft.
Lekon versuchte die drei Besetzungen Iraks aus der Sicht der Globalisierungstheorie des britischen Soziologen Anthony Giddens zu interpretieren. Giddens nennt vier Merkmalen der Globalisierung: 1. Existenz verzugsfreier Kommunikationsmedien, 2. De-Traditionalisierung, 3. Entkräftung nationalstaatlicher Kontrollmechanismen im Bereich der Politik, 4. bedeutende Zunahme des Welthandels und globaler Finanzmärkte und Wandel in der Unternehmensstruktur im Bereich der Wirtschaft. Giddens argumentiert wie viele Globalisierungstheoretiker, dass zwischen der globalisierten Welt der letzten vierzig Jahre und den früheren Jahrhunderten der Moderne starke Unterschiede zu verzeichnen wären. Diese These prüfte Lekon, indem er die beiden ersten Okkupationen Iraks im Vergleich zu der gegenwärtigen untersuchte. In Bezug auf die verzugsfreie Kommunikation stellte Lekon zum einen fest, dass sie zwar ein wichtiges, aber keinesfalls dominierendes Element bei der Herausbildung politischer Öffentlichkeit, die sich gegen ein Okkupationsregime richten kann, und zum anderen, dass es keinen qualitativen Unterschied zwischen der Bedeutung von Telegraph und Radio und Internett und Satelliten-TV gibt. Als Vertreter von Tradition im Sinne Giddens bezeichnet Lekon islamistische bzw. nationalistische Bewegungen, mit denen die Besatzungsmächte konfrontiert waren. Er kommt zum Ergebnis, dass bei allen drei Okkupationen Iraks sowohl die führenden politischen Gruppen Iraks als auch die politische Elite der Besatzer von traditionalistischen Diskursen bestimmt waren. Auf der einen Seite stünden irakische Islamisten und pan-arabische Nationalisten, die sich als Hüter der islamischen bzw. der arabischen Tradition verstanden (und verstehen), und auf der anderen, die so genannten „gentlemanly capitalists“, die sich als Angehörige einer verhältnismäßig exklusiven englischen Sozialschicht als „Wächter“ über die kolonialen Völker begriffen, und die Symbiose aus der christlichen Rechten in der amerikanischen Regierung und den neo-konservativen Intellektuellen, die sich als „Wächter der Gesellschaft“ im Sinne Platons verstehen. Alle drei Okkupationsmächte mussten sich mit supra-, sub- und transnationalen Kräften arrangieren. Während der zweiten Besetzung spielten die nicht-staatliche Institutionen eine verhältnismäßig marginale Rolle. Was die globalen Finanzströme betrifft, sind sie, so Lekon, während der dritten Besatzung nicht bedeutend weniger geworden als während den ersten beiden. Es lässt sich lediglich bezüglich der Unternehmensstruktur ein Unterschied feststellen: Während der britischen Okkupationen neigten die im Irak tätigen Firmen zur Konzentration und Bürokratisierung, neuerdings gewinnen kleinere Unternehmen und sub-kontraktierende Großfirmen an Bedeutung.
In der pointierten Zusammenfassung seiner Forschungsergebnisse übte Lekon leichte Kritik an Giddens Globalisierungstheorie (die von Giddens aufgezählten Phänomene seien kein Spezifikum der letzen Jahre) und präsentierte am Schluss in Anlehnung an Giddens sein eigenes Konzept globaler sozialer Systeme. Dabei nannte er vier autonome, aber miteinander integrierende Elemente, die bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts existieren: 1. Kommunikationssystem (verzugsfreie Medien), 2. Legitimationssystem (Traditionen), 3. Politisches System (Staaten) und 4. Wirtschaftliches System (Firmen). Danach wurden alle drei Okkupationen durch die quantitative Zunahme verzugsfreier Kommunikation und die dialektische Dynamik von Traditionen beeinflusst. Politisch gesehen fand die erste Okkupation in der Spätphase der britischen Hegemonie statt, in der supra-, sub- und transnationalen Kräfte zunehmend staatlicher Kontrolle unterlagen. Die zweite Okkupation markiert einen Übergang von der britischen zur amerikanischen Hegemonie und ist durch die Schwächung der nicht-staatlichen Akteure gezeichnet. Während der beiden Okkupationen dominierten im Wirtschaftssektor bürokratische Großunternehmen. Die gegenwärtige Okkupation repräsentiert die noch andauernde Aufstiegsphase der amerikanischen Hegemonie, wobei die supra-, sub- und transnationalen Elemente an Bedeutung wiedergewinnen. In wirtschaftlicher Hinsicht überwiegen dezentrale Unternehmensformen.
Inhaltliche Kohärenz der Vorträge und sorgfältig ausgesuchte Fallbeispiele und nicht zuletzt hervorragend vorgestellte theoretische Konzeptionen sorgten für eine durchweg engagiert geführte Abschlussdiskussion.