Die Organisatoren des ENIUGH-Kongresses hatten sich als eine von mehreren Leitfragen des Pariser Treffens vorgenommen, die Gegenüberstellung von Peripherie und Zentrum in der Geschichtsschreibung zu untersuchen und an Möglichkeiten der Überwindung dieser Dichotomisierung zu denken. Denn tatsächlich sollte die transnationale Geschichte nicht die an westeuropäischen und nordamerikanischen Universitäten entwickelten Perspektiven auf die Welt als einzige mögliche bevorzugen. Um diese Tendenz zu korrigieren, sind mehrere Auswege denkbar. Ein erster Schritt besteht darin, gezielt Historiker aus Ländern einzuladen, die in der scientific community ungenügend vertreten sind, weil man sie eher als Objekte und nicht als Subjekte historischer Analyse betrachtet. Auf dem Kongress wurde in dieser Richtung versucht, Akzente zu verlagern, indem mehrere afrikanische Historiker, meist aus frankophonen Ländern, zu Gast waren und in Panels mit Kollegen von europäischen Universitäten diskutierten. Diese Art der Perspektivenverschiebung, die an der Anzahl von Panels abzulesen ist, die sich mit afrikanischen Fragestellungen auseinandersetzten, kann natürlich nur ein erster Schritt sein. An der "Peripherie" der historiographischen Aufmerksamkeit liegt häufig nicht nur Afrika. Und so gaben auch Zentralasien, die türkische Welt, Russland oder Lateinamerika in Paris Anlass zu mehreren Panels. Es kann außerdem nicht vorausgesetzt werden, dass die Vertreter der sogenannten Peripherie die einzigen Spezialisten der entsprechenden Räume sein dürfen. Doch ihre Teilhabe an der Definition von wissenschaftlichen Problemstellungen, die ihre politische Situation oder ihre Tradition angehen, ist unerlässlich geworden.
Der Begriff vom Zentrum spielt auch in der Kartographie eine wichtige Rolle, und die Tradition der möglichen Darstellungen der Welt beweist, dass das Zentrum sehr unterschiedlich verortet werden kann. Die Spannung zwischen « Peripherie und Zentrum » schlägt sich darüber hinaus auch im Problem der Sprache nieder – und zwar für die Forschung selbst wie auch für die Veröffentlichung ihrer Ergebnisse. Die allgemeine Tendenz in der globalhistorischen Gemeinschaft besteht darin, dass man auf Englisch publiziert und zumeist vor allem englischsprachige Produktionen berücksichtigt. Auf dem Kongress wurde nun die Publikation von historischen Büchern in mehreren Sprachen im Rahmen der Verlagsausstellung thematisiert, auch auf der abschließenden Roundtable wurde diese Frage diskutiert. Es ging dabei nicht nur darum, dass die Begrifflichkeit in den jeweiligen Wissenschaftssprachen nicht wertneutral ist. Die Quellen, die globale Phänomene dokumentieren, sind oft in Sprachen geschrieben worden, deren Kenntnis wenig verbreitet ist. Gerade die Auswertung dieser Quellen macht es möglich, dass afrikanische oder asiatische Völker nunmehr als reflektierende Subjekte der eigenen Geschichte betrachtet werden. Dass diese Öffnung umso unumgänglicher ist, wenn man sich für eine europäische Peripherie – etwa Skandinavien oder die Türkei – interessiert, versteht sich von selbst.
Unter das Stichwort « Zentrum und Peripherie » fällt auch die Erweiterung der Geschichtswissenschaft auf Disziplinen, die manchmal als Hilfswissenschaften unterschätzt werden. Wenn man über westeuropäische Probleme hinausgeht und sich Afrika oder Asien zuwendet, ist man mit Problemen konfrontiert, die sich am besten anthropologisch definieren lassen. Und auch in Europa ist die Konstruktion der nationalen Identität ohne Rückgriff auf die Nationalliteratur oder die nationale Kunst kaum nachzuvollziehen, wobei die nationale Kunst oder die Nationalliteratur oft aus Importen bestehen. Die Kunstwissenschaft und die Literaturgeschichte wurden entsprechend auf dem Kongress als Bausteine einer transnationalen Geschichte neu definiert. Auch die Archäologie wurde in Paris als Werkzeug der transnationalen Geschichte benutzt, denn es sind beispielsweise die Beziehungen Griechenlands zur orientalischen Welt ebenso Teil der Globalgeschichte wie moderne Konstellationen. Und schließlich gehört die Archäologie zu jenen identitätsstiftenden Geisteswissenschaften, die aus der Vielfalt antiker Verflechtungen legitimierende Narrative für die Gegenwart gewinnen.
Der Pariser Kongress hat die Probleme, die von den inneren Hierarchisierungen und Marginalisierungen der Geschichtswissenschaft – seien sie explizit oder implizit – herrühren, nicht gelöst. Er hat aber vielleicht Fragen aufgeworfen, die uns der Pluralisierung der Perspektiven und der Überwindung des Peripherie-Zentrum-Problems näher bringen.