Der International Mediterranean Survey Workshop findet zweimal im Jahr statt und ist für zahlreiche europäische Surveyarchäologen eine ebenso verbindliche wie geschätzte Veranstaltung geworden. Die als informelle Zusammenkunft führender Surveyarchäologen begonnene Austauschplattform hat sich in den letzten Jahren zunehmend für einen weiten Kreis von archäologischen Surveyunternehmungen geöffnet. Nach den letzten Treffen in Wien, Groningen (2014) und Ankara (2015) fand der diesjährig zweite IMS vom 30. Oktober bis zum 1. November am Archäologischen Institut in Göttingen statt. Ziel der Zusammenkünfte, die nun fast dreißigmal organisiert worden sind, ist der Austausch und die Vernetzung von Surveyarchäologen sowie die kritische Betrachtung neuer Methoden. Im Rahmen der Workshops werden neue Surveys und ihre Methodik vorgestellt, aber auch im Kontext der Surveyarchäologie auftretende, methodische Probleme diskutiert. Besonderer Wert wird auf Präsentationen von Arbeiten von Nachwuchswissenschaftlern gelegt.
Der Workshop wurde von Ausrichter JOHANNES BERGEMANN (Göttingen) eröffnet, der die zahlreich anwesenden Studenten und Kollegen begrüßte. Bergemann dankte der Universität Göttingen für die erhaltene Unterstützung und knüpfte an offen gebliebene Fragen an, die sich beim letzten Workshop in Ankara ergeben hatten. Anschließend wurde die erste Sektion (Methodology and Tools) eröffnet.
JOHN BINTLIFF (Edinburgh / Leiden) plädierte in dem ersten Vortrag der Sektion dafür, dass in Surveyuntersuchungen verstärkt Faktoren der historischen Entwicklung berücksichtigt werden, die erst aus einer Sichtweise der longue durée heraus zu erkennen sind. Er wies darauf hin, dass nicht nur kurzfristige Prozesse den Befund beeinflussten, sondern diese wiederum durch längerfristig angelegte Entwicklungen bedingt seien, die durch die Auswertung aller zur Verfügung stehenden Daten sichtbar gemacht werden müssten.
Für eine Vernetzung verschiedener Werkzeuge der Surveyarchäologie sprach sich STEFAN GROH (Wien) aus. Das Ausmaß und Erscheinungsbild des Lagerdorfes der Legion bei Lauriacum konnte im Rahmen der Wiener Untersuchung erst unter der Verwendung von GIS, Geophysik und remote sensing genau bestimmt werden. Groh wies außerdem darauf hin, dass ein Vergleich ähnlicher Projekte untereinander nötig erscheine, da Anomalien, die in der Geophysik auftreten, zum Teil sehr unterschiedlich interpretiert wurden.
Um die antike Stadt Potenza entstand ebenfalls durch die Verbindung verschiedener Surveymethoden eine eindrucksvolle Rekonstruktion der Stadtanlage und des suburbiums, wie FRANK VERMEULEN (Gent) in seinem Vortrag zeigen konnte. Die Forscher aus Gent nutzen remote sensing, geomorphologische Untersuchungen (Erdbohrungen, Bodenproben), Geophysik und die Ergebnisse ihrer Materialsurveys. Hierdurch konnte unter anderem die Stadtanlage und die Nekropolen sehr deutlich rekonstruiert werden.
Im letzten Vortrag des Freitagabends verdeutlichte MATTHIAS LANG (Tübingen) die Vorteile einer open access database. Lang wies darauf hin, dass es nötig sei gemeinsame Strukturen und Begrifflichkeiten festzulegen, so dass unterschiedliche Projekte ihre Ergebnisse bei gleichbleibenden Standards digital vorlegen und sich somit miteinander vergleichen können. Standardisierte Datasets, die auch mehrsprachig verlinkbar seien, befänden sich bereits in der Umsetzung. In der sich anschließenden, sehr lebhaften Diskussion wurde Lang einerseits zugestimmt, andererseits jedoch auch Skepsis hinsichtlich der tatsächlichen Realisierbarkeit geäußert.
Am Samstagmorgen wurde die Sektion Anatolia eröffnet. DRIES DAEMS (Löwen) stellte ein im Rahmen seiner Doktorarbeit auf Sagalassos anzuwendendes sozioökonomisches Modell dar, das Siedlungsdynamiken in und um Sagalassos als institutionell und gesellschaftlich bedingt interpretiert. Die Surveyergebnisse, die etwa das Wandern von Fundstellen zu wechselnden Rohstoffquellen anzeigten, dienten hierbei als Illustration tieferliegender Prozesse.
SAM CLEYMANS (Löwen) stellte seinen Ansatz zur Kalkulation der Bevölkerungszahlen von Sagalassos vor. Er plädierte dafür eine Vielzahl von Herangehensweisen zur Rekonstruktion von antiken Bevölkerungszahlen zu nutzen und schließlich einen Durchschnittswert der erreichten Zahlen zu bestimmen.
MUSTAFA TATBUL (Ankara) stellte einen neuen Forschungsentwurf der Universität Ankara vor. Nachdem in den vergangenen Jahren extensive Begehungen und Ausgrabungen um Komana stattgefunden hatten, soll nun durch einen neuen Survey das sich andeutende Wiederaufleben ländlicher Klöster in spätbyzantinischer Zeit und die Kontinuität zur Ära der Danischmenden und Seldschuken erwiesen werden.
Die dritte Sektion (Black Sea and Mediterranean) wurde durch VLADIMIR STOLBA (Aarhus) eröffnet, der den Survey der Universität Aarhus in Chora und Hinterland der Siedlung Panskoye darstellte. Das sehr weiträumige Gebiet wurde in Auswahl mit Surveys untersucht, insbesondere die sich klar abzeichnenden Fundplätze an Erhebungen. Ein Verbund verschiedener Methoden wurde angewandt, die Sites klassifiziert und mehrfach begangen. Die Tatsache, dass die Gehöfte auf der Chersonesos überdurchschnittlich große Flächen bewirtschafteten, ist eines der vorläufigen Ergebnisse.
ANNA MEENS (Amsterdam) gewährte Einblicke in die Arbeit an ihrer im Boetia Survey Project angesiedelte Dissertation, in deren Rahmen sie sich mit der Interpretation von klassisch-hellenistischen Gehöften nahe dem antiken Thespiai befasst. Die mithilfe von Geophysik sichtbar gemachten Strukturen sollen durch die Auswertung der Funde und Vergleiche zu anderen Fundstellen und ihren Artefakten interpretiert werden. Meens formulierte erste Hypothesen zu saisonaler Nutzung, Tätigkeiten und Bewohnern.
In Istrien wird ein neuer Survey der Universität Pula durchgeführt, der vergangenen Sommer in seine erste Phase ging. KATARINA GEROMETTA (Pula) stellte das sehr weiträumige Untersuchungsgebiet um Vrsar vor, in dem sich einerseits eine Vielzahl spätbronzezeitlicher Höhenforts ausmachen lassen, andererseits aber auch römische Bauten an der Küste, so eine Villa Marittima.
Die großen und in ihrer Qualität variierenden Datenmengen, die im Rahmen der Ausgrabungen zu Satricum und den Surveys im Pontine Region Project anfielen, veranlassten die Groninger Forscher zu einer selbstkritischen Betrachtung der Datenerhebung. EVELIEN WITTMER (Groningen) stellte im ersten Vortrag der vierten Sektion (Italy) fest, dass hochintensive Surveytechniken nicht überall plausibel angewandt wurden. So konnten zwar kleinere Flächen mit hoher Funddichte besser datiert werden, auf fundärmeren Flächen erbrachte der hohe Aufwand der hochintensiven Begehung jedoch keine klareren Ergebnisse.
PETER ATTEMA (Groningen) stellte einen Vorstoß zur Vernetzung der Daten von drei großen Surveyunternehmungen nördlich und südlich des Tibers im Großraum Rom vor. Die Chancen dieses Vorhabens liegen in der Kohärenz des Untersuchungsgebietes, zudem ist in allen drei Unternehmungen mit methodologisch hohen Standards gearbeitet worden. Die vernetzten Daten sollen Aufschluss über größere Entwicklungslinien in dem relativ weitläufigen Gebiet ermöglichen.
CHIARA BLASETTI FANTAUZZI (Göttingen) stellte ihren im Sommer 2015 begonnenen Survey in den Abruzzen vor. Sie wies auf die Bedeutung des Gebietes um den Fucino-See hin, an dem interessante Entwicklungen zur Romanisierung Mittelitaliens exemplifiziert werden können. Dies unterstrich Blasetti Fantauzzi mit der Präsentation erster Ergebnisse und Befunde, ehe sie ihre Methodik vorstellte und einen Ausblick auf die Aufgaben der nächsten Kampagnen gab.
Eine weitere selbstkritische Methodenreflektion bot MARTIJN VAN LEUSEN (Groningen) an, der die Datenbank des Raganello Archaeological Projects auf mögliche Schwachstellen hin untersuchte. Dazu wurden im Feld verschiedene Experimente durchgeführt, die etwa die Beeinflussung der Daten durch unterschiedliche Sichtbarkeit oder unterschiedliche Voraussetzungen der Begeher zeigen sollten.
ANNAPOLA MOSCA (Palermo) stellte die Ergebnisse eines Surveys der Universität Palermo im Gebiet zwischen Marsala und Mazara del Vallo vor und eröffnete damit die letzte Sektion (Sizilien). Anhand der Auswertung eines Materialsurveys konnte sie die Siedlungskontinuität zwischen Spätantike und Mittelalter in besagtem Gebiet erweisen. Hierbei ist auffällig, dass die Siedlungen ressourcenorientiert entlang von Verbindungsrouten angelegt worden sind.
JOHANNES BERGEMANN (Göttingen) behandelte in seinem Vortrag die bisher oft vernachlässigte kaiserzeitliche und spätantike Phase Siziliens. Mit Bezug auf die von den Göttinger Forschern durchgeführten Surveys in den chorai von Gela und Kamarina stellte Bergemann fest, dass eine Vielzahl von dörflichen Siedlungen und landwirtschaftlich orientierter villae ohne größere urbane Zentren auszumachen seien. Er plädierte dafür die Erkenntnisse verschiedener Surveys im Südwesten der Insel zu kaiserzeitlichen und spätantiken Dörfern und villae miteinander zu vergleichen.
Für einen Vergleich trat auch AURELIO BURGIO (Palermo) ein, der die Erkenntnisse zu Siedlungsdynamiken, die im Rahmen des Cignana Projects der Universität Palermo gewonnen wurden, vorstellte. Insbesondere in der römischen Phase seien die Siedlungen entlang den wichtigsten Verbindungs- und Versorgungsrouten angelegt worden. Dies lasse sich auch an den Siedlungsprozessen in der Umgebung von Karthago, aber ebenso durch einen Vergleich mit anderen Surveys auf Sizilien erweisen.
REBECCA KLUG (Göttingen) gewährte in ihrem Vortrag einen Einblick in die Göttinger Forschungen im Hinterland von Agrigent. Anhand einer Auswahl von Fundstellen mit römischen Artefakten stellte sie einen ersten Versuch der Typologisierung von römischen Siedlungsplätzen vor. So könnten die Fundsignaturen an einigen Fundstätten beispielsweise auf eine Villa hinweisen, während andere Materialzusammensetzungen eher für eine dörfliche Ansiedlung sprechen.
Im letzten Vortrag des Workshops stellte ANTONIO FACELLA (Pisa) seine Ergebnisse aus einem Vergleich zweier Surveys vor. Er stellte den Survey von Contessa Entellina der Universität Pisa einer älteren Untersuchung von M. G. Canzanella gegenüber. Dabei ergab sich vor allem durch eine feinere Methodik hinsichtlich der Datierung von Fundplätzen ein neues Bild zu der historischen Entwicklung des Gebietes. Wie schon einige der Vorredner wies auch Facella auf die Bedeutung der kaiserzeitlichen und spätantiken vici (dorfähnliche, ländliche Siedlungen) hin.
Am letzten Tag des Workshops wurde eine gemeinsame Exkursion in die nahegelegenen römischen Fundplätze in Hedemünden und am Harzhorn unternommen, bei der sich die intensiven Diskussionen der vorangegangenen Tage fortsetzten.
Konferenzübersicht:
Sektion I: Methodology and tools
John Bintliff (Edinburgh / Leiden), Sherds washed up by the Waves of Time
Stefan Groh / Klaus Freitag (Wien), GIS, Remote Sensing and Geophysical Survey: New Approaches to the Research of canabae legionis. The Case Study of Lauriacum (Enns, Austria)
Frank Vermeulen / Possum Pincé / Lara Weekers (Gent), Geomorphology meets Archaeology: New Approaches for studying Roman Towns and their Suburbs
Matthias Lang (Tübingen), Data Management and Spatial Analysis inSurvey Archaeology: Do we need a common Approach?
Sektion II: Anatolia
Dries Daems / Jeroen Poblome (Leuven), Origin of Polis 2.0: A Case from SW Anatolia. What can Survey Data from Sagalassos and Environs tell us?
Sam Cleymans / Jeroen Poblome (Leuven), Where's Wally? Counting People in the City and the Territory of Second Century Sagalassos (Pisidia, Anatolia)
Burcu Erciyas / Mustafa Tatbul (Ankara), New Results at Komana, Surveys and Remote Sensing in 2015
Sektion III: Black Sea and Mediterranean
Vladimir Stolba / Jens Andresen (Aarhus), Surveying Crimea: Methodological Aspects, Data Evaluation and some Results from the distant Chora of Chersonesos
Anna Meens (Amsterdam), Exploring a Boeotian Countryside through Surface Ceramics
Robert Matijasic / Katarina Gerometta (Pula), Preliminary Notes on a Survey in Vrsar, Istria, Croatia
Sektion IV: Italy
Gjis Tol / Tymon de Haas / Evelien Witmer (Groningen), This time you've gone too far: Evaluating methodological Developments within the Pontine Region Project
Peter Attema (Groningen) / Paolo Carafa (La Sapienza Roma Italy), The Potential of linking Survey Datasets for the Study of archaeological Landscapes in the Suburbium of Rome south of the Tiber
Chiara Blasetti Fantauzzi (Göttingen), Survey on Lake Fucino (Abruzzo) and the Romanization of the Marsi
Martijn van Leusen / Evelien Witmer / Jildou Bruinsma (Groningen), Experimental determination of basic survey parameters: results of the 2014 GIA fieldwalking experiment in Calabria
Sektion V: Sicily
Oscar Belvedere / Annapaola Mosca (Palermo), Settlement Patterns from Antiquity to the Middle Ages in the Territory between Marsala and Mazara del Valle
Johannes Bergemann (Göttingen), The campi Geloi: An Area of Sicily without an urban Center in imperial Times and Late Antiquity
Aurelio Burgio (Palermo), The Cignana Project. The archaeological Landscapes from Prehistory to Late Antiquity: Settlements and preliminar Hypothesis about Supply Areas
Rebecca Klug (Göttingen), The Hinterland of Agrigento in Roman Times
Antonio Facella (University Pisa Italy), Comparing non-systematic and systematic Surveys: Imperial and Late Antique Settlement Trends in the Territory of Contessa Entellina (Sicily)