Fascist Brokers: Transnational networking in and beyond Europe

Fascist Brokers: Transnational networking in and beyond Europe

Organizer(s)
Lehrstuhl für Zeitgeschichte, Universität Konstanz; European Institute, Columbia University, New York; The New School for Social Research, New York
Location
Konstanz
Country
Germany
From - Until
10.05.2017 - 12.05.2017
Conf. Website
By
Simon Lengemann, Fachbereich Print, Bundeszentrale für politische Bildung

Was hält sie zusammen, die ‚Internationale der Nationalisten‘? Ansätze zur Beantwortung dieser aktuell relevanten Frage boten die Historikerinnen und Historiker des Konstanzer Workshops. Denn dass Transnationalität auch eine „dunkle Seite“ hat, wird nicht zuletzt in der Faschismusforschung deutlich.1 Im Fokus des Interesses standen mit den ‚Brokern‘ jene Personen und ihre Handlungen, die globale faschistische Netzwerke knüpften und aufrechterhielten. Im Kulturwissenschaftlichen Kolleg Konstanz garantierten schon die Veranstalter fundierte internationale Expertise auf diesem Feld: Sven Reichardt (Universität Konstanz) hatte den Workshop zusammen mit Victoria de Grazia (Columbia University, New York) und Federico Finchelstein (New School for Social Research, New York) organisiert.

Die zentralen Fragestellungen und Ziele des Workshops stellte SVEN REICHARDT (Konstanz) in seiner Einführung vor: Das einseitige Narrativ von der globalen Ausbreitung des Faschismus als bloßer Anpassung eines europäischen Konzepts an örtliche Gegebenheiten wollte man durch multidirektionale und akteurszentrierte Perspektiven ergänzen. Als Zugang zu den transnationalen faschistischen Netzwerken diente die Figur des ‚Brokers‘. Unter Rückgriff auf Simon Schaffer et al.2 skizzierte Reichardt diesen als Vermittler und Mittelsmann zwischen politischen Systemen und Kulturen. Trotz der Frage nach typischen Mustern des Brokers unter faschistischen Bedingungen sei nicht eine letztgültige Definition Ziel des Workshops, sondern die Spielräume der Untersuchten und die durch ihr Handeln gezeitigten Veränderungen der globalen Faschismen auszuloten.

GIULIA ALBANESE (Padua) eröffnete das erste Panel zum italienischen Faschismus. Dieser sei, wie der als Symbol international besonders wirkmächtige Marsch auf Rom, zunächst klar auf die eigene Gesellschaft ausgerichtet gewesen. In Ländern Süd- und Westeuropas hätten Konservative und Rechte ihn dennoch zeitnah als Modell diskutiert, wie die Aktivitäten von schreibenden Vermittlern zeigten. Diese seien auch beim Schreiben über die italienische Erfahrung an dieser vor allem als Vorbild für die Lösung aktueller oder erwarteter Krisen der eigenen Gesellschaften interessiert gewesen. Auffällig an diesen Suchenden nach einer Ordnung jenseits von repräsentativer Demokratie und Kommunismus sei zum einen der sehr hohe Anteil an Personen aus der katholischen Elite oder Minderheit eines Landes, zum anderen eine erstaunliche Präsenz weiblicher Broker.

Eine ganze Gruppe von Mittelsmännern untersuchte VALERIA GALIMI (Mailand). Diese Schüler Charles Maurras‘ und ihre Zeitschrift „Je Suis Partout“ zeigten, wie den häufig um ideelle Autochtonie kreisenden Debatten über den französischen Faschismus durch eine transnationale Perspektive neue Impulse gegeben werden könnten. Zu anderen romanischsprachigen Ländern wie etwa Italien habe eine besondere Beziehung bestanden, die eine Fixierung auf Deutschland und seine ambivalente Position als Erbfeind infrage stellten. In Reisen und Reportagen seien diese jungen Intellektuellen stärker an den konkreten Erfahrungen europäischer Faschisten im Kampf gegen die Demokratie als den Ideen Maurras‘ interessiert gewesen.

BIANCA GAUDENZI (Cambridge / Konstanz) hob in ihrem Kommentar die europäische Fixierung des Panels hervor und fragte, ob hier für den Kontinent spezifische oder für den Faschismus universelle Phänomene behandelt worden seien. Dies gelte auch für das Verhältnis von Latinité und Katholizismus.

Die außereuropäische Dimension des Faschismus rückte mit dem Vortrag von JANIS MIMURA (New York) in den Fokus. Sie stellte anhand der Tournee einer japanischen Takarazuka-Truppe durch Deutschland und Italien die Herausforderungen und Interessenlagen im Rahmen kultureller Diplomatie dar. Für den in Japan sehr erfolgreichen Unternehmer Kobayashi Ichizō als Organisator hätten bei dieser Unternehmung sowohl politische als auch kommerzielle Erwägungen eine Rolle gespielt. Verhinderte Auftritte illustrierten die vielfältigen Schwierigkeiten der menschlichen Kulturvermittler im Dickicht politischer Institutionen und Erwartungen. Die Shows selbst seien ebenfalls aufschlussreich für die Kulturbeziehungen innerhalb der Achse: Für Japan hätten sie sowohl hinsichtlich des populären Charakters als auch der Inszenierung von Geschlecht eine Abweichung von den Konventionen der kaiserlichen Hochkultur dargestellt. In Deutschland und Italien seien sie – neben der politischen Symbolik – vor allem als Bestätigung orientalistischer Stereotype rezipiert worden.

Der inhärente Widerspruch des Faschismus als nationalistische Antwort auf die globale Krise des Kapitalismus stand im Zentrum des Vortrags von RETO HOFMANN (Tokyo / Melbourne). Broker seien Schlüsselfiguren in der Vermittlung dieses Spannungsverhältnisses gewesen, wie die Aktivitäten von Shimoi Harukichi zeigten. Zur Vermittlung zwischen italienischem und japanischem Faschismus habe Harukichi gegenseitige Verständnisschwierigkeiten abbauen müssen. Dies gelte besonders bezüglich des Ersten Weltkrieges als zentraler Erfahrung, Italiens wirtschaftlicher Rückständigkeit und des ambivalenten Verhältnisses des Faschismus zum Staat. Ansatzpunkte für eine Verallgemeinerung auf faschistische Broker generell sah Hofmann in Harukichis Fähigkeit, Kontakte herzustellen, sie jedoch nicht auf höherer Ebene kontrollieren zu können; seiner Position als „Amateur“, der sich spezialisieren musste – in diesem Fall auf das binationale Verhältnis zu Italien; schließlich der Vermittlung des Faschismus vor allem als Mythos.

Die Kommentatorin VICTORIA DE GRAZIA (New York) griff ihre zuvor geäußerten konzeptionellen Fragen an die Figur des faschistischen Brokers auf, sei dieser doch üblicherweise eng mit den strukturellen Bedingungen einer liberal-kapitalistischen Ordnung verbunden. Finanziell hätten die beiden vorgestellten Personen wenig durch ihre Aktivitäten erreicht. Sie verkörperten zwar als am amerikanischen Entrepreneur respektive italienischen Intellektuellen Orientierte die Bandbreite an Typen von Mittelsmännern, hätten jedoch die Abgrenzung von angelsächsischem Materialismus vermittels Kultur gemeinsam.

BENJAMIN ZACHARIAH (Trier) präsentierte seine Forschungen zu Benoy Kumar Sarkar und dessen Überlegungen zum Faschismus im indisch-hinduistischen Kontext. Dort seien besonders Inhalte des Nationalsozialismus wie das Arische, Völkische, Spirituelle und körperliche Ertüchtigung anschlussfähig gewesen. Sarkar sei in der Lage gewesen, diese nicht als bloße Import-Optionen im postkolonialen Kampf, sondern als ohnehin heimische, in Indien früher als in Deutschland bestehende Konzepte zu präsentieren. Sarkar habe argumentiert, dass in ihrer Übernahme im eigenen politischen Kontext daher ein Akt des zurück-Leihens zu sehen sei. Zachariah schlussfolgerte, dass in dieser spezifischen zeitgenössischen Transmission einer der Gründe läge, warum faschistische Ideen besonders unter indischen Hindus nach dem Krieg nicht diskreditiert gewesen, sondern bis zum heutigen Tag virulent seien.

In seinem Kommentar skizzierte DANIEL LEESE (Freiburg) zunächst die Kernthesen der kürzlich erschienen Monographie Maggie Clintons, die ihre Teilnahme am Workshop hatte absagen müssen. Anschließend verwies er auf die ambivalenten Einstellungen von faschistischen Gruppen in kolonisierten Gebieten in Bezug auf nationale Befreiungsbewegungen, die ihrerseits mit europäischen Faschisten als Gegner konfrontiert waren.

ULRICH HERBERT (Freiburg) referierte in seiner Keynote über die Vorstellungen der Nationalsozialisten von einer Neuordnung Europas und der Welt. Er identifizierte konkurrierende, in ihrer Hegemonialität auch von der jeweiligen deutschen Machtposition abhängige Konzepte: Während Wirtschaftsvertreter eine deutsche Hegemonie in Mitteleuropa kapitalistisch gedacht hätten, sei eine solche Form der Supranationalität von völkischen Denkern abgelehnt worden, die eine lebensräumliche Expansion ihres Kollektivsubjekts angestrebt hätten. Aus ähnlichen Gründen hätten SS-Intellektuelle Carl Schmitts Rechtfertigung der Annexion der „Resttschechei“ ob ihrer staatsrechtlichen Argumentation kritisiert. Die Hoffnungen europäischer Rechter auf eine föderale Ordnung unter Führung Deutschlands seien von den Nationalsozialsten in der Praxis kaum beachtet worden. Diese hätten wirtschaftlichen Eigennutzen priorisiert und Rasse-Denken über politische Nähe gestellt. Erst als die Deutschen militärisch in die Defensive gerieten, hätten sie verstärkt Bezüge auf das „gemeinsame Haus Europa“ in ihre Propaganda aufgenommen. Besonders unter den Bedingungen des Krieges sei der – auch gegenwärtig relevante – Widerspruch zwischen universellen Konzepten und dem Primat nationaler Interessen deutlich zutage getreten. Die Nationalsozialisten hätten letztlich keine kohärenten supranationalen Perspektiven entwickelt.

Das letzte Panel eröffnete XOSE M. NUNEZ SEIXAS (München), der für Spanien zwei Haupttypen von Mittlern mit NS-Deutschland ausmachte: einerseits Journalisten, Politiker und Staatsbeamte, andererseits Studenten, Kriegsveteranen und „Fremdarbeiter“ in Deutschland. Während beide Gruppen etwa die nationalsozialistische Distanz zur katholischen Kirche kritisch gesehen hätten, habe es hinsichtlich des als liberal wahrgenommenen Frauenbildes im NS Differenzen gegeben. Allgemein sei das Deutschland-Bild der zweiten Gruppe positiver gewesen: Durch den direkten Kontakt zur Bevölkerung sei das heidnische Image der Nationalsozialisten relativiert worden. Nach dem Zweiten Weltkrieg sei es denn auch jene zweite Gruppe „von unten“ gewesen, die ein positives Bild Deutschlands, Kontakte untereinander und – im Rahmen der „Gastarbeiter“-Programme – nach Westdeutschland gepflegt hätten.

ANTONIO COSTA PINTO (Lissabon) widmete sich dem Korporatismus im Europa der Zwischenkriegszeit, wo dieser nahezu ubiquitär gewesen sei. Als Charakteristikum rechts-autoritärer Regime könne festgehalten werden, dass diese nicht zwischen sozialem und politischem Korporatismus unterschieden hätten. Broker auf diesem Feld seien weniger klassische Intellektuelle, sondern Juristen und Ökonomen gewesen. Zwischen diesen hätte ein internationaler Austausch durch Recherchereisen und Konventionen stattgefunden. Obwohl die Hochzeit des Korporatismus mit jener der Achsenmächte zusammenfalle, handele es sich nicht um ein spezifisch faschistisches Phänomen: In Rumänien etwa seien korporatistische Elemente explizit als antifaschistisch etikettiert worden.

Mexikanische Spielarten faschistischen Denkens waren der Gegenstand des Vortrags von LUIS HERRAN AVILA (New York). Während der Zwischenkriegszeit sei die Suche nach Alternativen zum institutionalisierten revolutionären Nationalismus vor allem durch dessen kirchenfeindliche Maßnahmen befeuert worden. Für den Publizisten José Vasconcelos und seine Anhänger sei dies, neben einem rabiaten Antikommunismus, der wichtigste Grund gewesen, die eigene Situation vorrangig nicht mit dem Nationalsozialismus, sondern dem franquistischen Spanien abzugleichen. Im Kalten Krieg habe für eine neue Kohorte der extremen Rechten der klerikale Aspekt eine geringere Rolle gespielt, Veränderungen seien auch bei den Taktiken im Kampf gegen die Linke zu beobachten gewesen. Vasconcelos sei dennoch auch hier als Broker bedeutsam geblieben – diesmal weniger interkulturell denn als intergenerationelle Integrationsfigur.

Der Kommentator MICHAEL GOEBEL (Berlin) verwies auf die unscharfe Transnationalität von Brokern, deren Einbindung in staatliche Strukturen sich im Laufe der Zeit oft gewandelt habe. Zudem betonte er die Bedeutung kultureller Zirkulationssphären: Sprachbarrieren und Vertrautheit dürften bei der Analyse der (inhaltlichen) Wahl faschistischer ‚Modelle‘ nicht unterschätzt werden.

Vor der abschließenden Diskussion fasste FEDERICO FINCHELSTEIN (New York) die Ergebnisse der Workshops zusammen und zeigte Potenziale für die weitere Erforschung faschistischer Broker auf. Es sei klar geworden, dass diese eine vielversprechende Möglichkeit böten, die transnationalen Verbindungen der Faschisten offenzulegen. Darin liege auch eine politische Botschaft – aktuelle Entwicklungen seien während der Tagung der ‚elephant in the room‘ gewesen. Des Weiteren habe die kritische Evaluation der Kategorie Broker deutlich gemacht, dass beim Blick auf Einzelbiografien die Bedeutung von Strukturen nicht vernachlässigt werden dürfe. Zudem sei neben den Personen auch die Performativität ihrer Handlungen zu beachten. Weiterhin versprächen Untersuchungen mit dem Fokus auf Geschlecht, den Staat oder Belletristik interessante Ergebnisse. Sven Reichardt ergänzte, dass die Untersuchung des tatsächlichen Einflusses von faschistischen Mittelsmännern auf Entscheidungen helfen könne, ein klareres Bild von den Bedingungen für erfolgreiche Vermittlung zu gewinnen. Als mögliche Periodisierung ihrer Aktivitäten schlug er vor, zwischen einer intellektuellen und konzeptionellen Phase der Offenheit in den 1920er-Jahren sowie einer der Entscheidung und des Opportunismus in den 1930er- und 1940er-Jahren zu unterscheiden.

Der Workshop zeigte, wie erhellend im Kontext der transnationalen Verbindungen faschistischer Regime und Bewegungen der Blick auf ihre Broker sein kann. Als vielversprechend erwiesen sich besonders Forschungsansätze, die auch diese Figur global betrachten: Anhand von Personen und ihren Handlungen lassen sich die Verschränkungen von Ideengeschichte und sozialgeschichtlichen Aspekten wie institutionellen und ökonomischen Strukturen, kulturellen Prägungen sowie (politischer) Ereignisgeschichte demonstrieren. Die Multidirektionalität der Beziehungen konnte nicht in allen Beiträgen deutlich gemacht werden, bisweilen verharrten diese im eurozentrischen Narrativ der ausschließlichen Adaption in Ländern der ‚faschistischen Peripherie‘. Dennoch darf man – gerade im Hinblick auf künftige globalgeschichtliche Studien des Faschismus – gespannt sein auf die perspektivischen Bereicherungen durch faschistische Broker.

Konferenzübersicht:

Begrüßung und Einführung: Sven Reichardt (Konstanz)

Panel I: Italian Fascism abroad

Giulia Albanese (Padua): “La lezione italiana”: Representing and promoting fascism abroad in the 1920s
Valeria Galimi (Mailand): Enlisted Muses. French Intellectuals and the Idea of a fascist Europe: networks, circulations, and exchanges across the European continent
Kommentar: Bianca Gaudenzi (Cambridge / Konstanz)

Panel II: Japan’s Empire

Janis Mimura (New York): Axis Entrepreneurs and Japanese Wartime Culture. Kobayashi Ichizō, Takarazuka, and Cultural Diplomacy
Reto Hofmann (Tokyo / Melbourne): Shimoi Harukichi, Youth, and the Aesthetics of Fascism
Kommentar: Victoria De Grazia (New York)

Panel III: East Asia

Benjamin Zachariah (Trier): Inchoate internationalist of fascist middleman? The career of Benoy Kumar Sarkar
Maggie Clinton (Middlebury, VT): Anti-Colonial Circuits through Red Canton: Returned Students and National Renaissance in Interwar China (ausgefallen)
Kommentar: Daniel Leese (Freiburg)

Keynote lecture

Ulrich Herbert (Freiburg): Deutsches Europa und Großgermanisches Reich. Supranationale Perspektiven der Nationalsozialisten

Panel IV: Fascist Hispanidad

Xosé M. Núñez Seixas (München): From “National Resurrection” to “Welfare State”: Nazi Germany’s Image of Spanish Travelers and Blue Division Volunteers, 1033–36 and 1941–45
Antonio Costa Pinto (Lissabon): The Diffusion of Authoritarian Models and Institutions in Interwar Europe. A Success Story?
Luis Herran Avila (New York): Reaccionarios y revolucionarios: right-wing nationalism and the fascist persuasion in 20th century Mexico
Kommentar: Michael Goebel (Berlin)

Abschlussdiskussion und Zusammenfassung: Federico Finchelstein (New York) / Sven Reichardt (Konstanz)

Anmerkungen:
1 Vgl.: Kiran Klaus Patel / Sven Reichardt, The Dark Side of Transnationalism. Social Engineering and Nazism, 1930s–40s, in: Journal of Contemporary History 51/1 (2016), S. 3–21.
2 Vgl.: Simon Schaffer / Lissa Roberts / Kapil Raj / James Delbourgo (Hrsg.), The Brokered World: Go-Betweens and Global Intelligence, 1770–1820. Sagamore Beach, MA 2009.


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Published on
29.06.2017
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