Das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie in der Neuzeit

Das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie in der Neuzeit

Organizer(s)
Institut für Österreichische Geschichtsforschung; Institut für Geschichte der Universität Wien
Location
Wien
Country
Austria
From - Until
22.09.2004 - 25.09.2004
Conf. Website
By
Marlene Kurz, Martin Scheutz, Universität Wien

Das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie verband zwar eine jahrhundertelange Gegnerschaft, aber auch eine ebenso lange, gemeinsame konfliktreiche Geschichte. Trotz dieser unbestreitbaren Gegnerschaft nahmen sich diese beiden, organisatorisch höchst unterschiedlichen Staatsgebilde bzw. deren Untertanen gegenseitig aufmerksam "wahr", reagierten aufeinander, betrieben miteinander Handel, rezipierten unterschiedliche Konfessionsvorstellungen und wurden mit der jeweiligen Propaganda über den "anderen" konfrontiert, wie die Wiener Tagung vom September 2004 belegte.

In einer einleitenden Sektion verortete Holger Th. Gräf (Marburg) das Osmanische Reich als Teil eines entstehenden neuzeitlichen Mächteeuropa. Dies wurde abseits des von der Forschung betonten Militärs vor allem durch den Blick auf Diplomatie und Gesandtschaftswesen deutlich. Der durchaus widersprüchlichen Rezeption des Osmanischen Reiches, vor allem der beginnenden Auseinandersetzungen von 1526/1529, durch osmanische Historiker (Koca Nišanci Celalzade Mustafa, Ibrahim Pecevi, Ahmed Cevdet, Mizanci Mehmed Murad) widmete sich Marlene Kurz (Wien) in ihrem Beitrag. Die Konfliktverhältnisse auf dem Balkan vor dem Hintergrund der kaiserlichen Propaganda und deren Wandel schilderte Iskra Schwarcz (Wien).

"Die Habsburgermonarchie und die Osmanen. Kontakte und Konflikte" (Sektion 1) näherte sich dem Thema auf unterschiedlicher Quellenbasis und mit unterschiedlichen Ansätzen. Eine von Mercurino Gattinara verfaßte Denkschrift, die eine politische Konzeption der Herrschaft Karls V. zum Thema hatte, ordnete nach Ausführungen von Franz Bosbach (Bayreuth) das Verhältnis von Christen und Osmanen in einen heilsgeschichtlichen Kontext ein. Der unüberbrückbare Gegensatz schien Gattinara nur durch die Unterwerfung des osmanischen Reiches aufhebbar. Am Beispiel zweier osmanischer Berichte über die Belagerung von Kanizsa (1600/1601) untersuchte Claire Norton (Birmingham) das narrative Verhältnis von Fremdbild und Eigendarstellung, wobei die osmanischen Berichte den katholisch-protestantischen Auseinandersetzungen große Aufmerksam schenkten. Einen spannenden interkulturellen und -regionalen Vergleich zwischen Azteken und Osmanen, zwischen den Kämpfern gegen den Erbfeind und den "Hidalgos", stellte Pervin Tongay (Berlin) an. Die Rezeption des Osmanischen Reiches über bildliche Quellen, von Andrea Pühringer (Kassel) am Beispiel von Druckgraphik und Historien-/Schlachtmalerei untersucht, stellte vor allem Unterschiede zwischen den christlichen und den speziell "heidnischen" Formen der Gewaltanwendung heraus. Am Beispiel der Rezeption des serbischen Aufklärers und "Grenzgängers" Dositej Obradovic (1741-1811) zeigte Wladimir Fischer (Wien) wie verfehlt insgesamt eine Dichotomie von Orient und Okzident ist, gerade Hybridität und Heterogenität stellten nahezu Normalfälle der Identitätsbildung der serbischen Mittelschicht des ausgehenden 18. Jahrhunderts dar.

Die zweite Sektion "Friedensverhandlungen und Grenzziehungen" verdeutlichte das alltägliche Miteinander an der Grenze. Der italienische Militäringenieur Luigi Ferdinando Marsigli und sein Kartograph Johann Christoph Müller nahmen nach den Friedensverhandlungen von Karlowitz (1699) gemeinsam mit einer osmanischen Kommission eine genaue Aufnahme der Grenze vor, seine "Informationen" und Manuskriptkarten bieten eine gute Quellengrundlage für die Situation am Balkan am Beginn des 18. Jahrhunderts, wie Antal András Deák (Esztergom) ausführte. Den habsburgisch-osmanischen Doppelstädten am "Cordon sanitaire" entlang der Flüsse Una und Sava widmete sich Drago Rosksandic (Zagreb). Die Kontrolle des Grenzverkehrs führte zur Gründung von Doppelstädten und zu regem und vielfältigem transkulturellem Austausch (Migrationsbewegungen, Ökonomie, Pestbekämpfung usw.). Auf der Basis von Musterungslisten aus dem Steiermärkischen Landesarchiv und mit Hilfe von Korrespondenzen der Offiziere mit den Grazer Zentralbehörden konnte Nataša Štefanec (Zagreb) den demographischen Wandel zwischen 1577 und 1630 an der Grenze verdeutlichen.

"Reisende und Gesandte. Fremdheitserfahrung und Selbstdarstellung" (Sektion 3) stellte vor allem die Gesandten sowohl als "privilegierte Spione" wie auch als Kulturmittler in den Vordergrund. Die Frage der Repräsentation und der Inszenierung habsburgischer Gesandtschaften (über Pferde, Kleidung, "Geschenke", Feste und Feiern) und der verbalen Repräsentation in fremdem Kontext (Rede des Gesandten) sowie die Präzedenzkonflikte unter Gesandten thematisierten anschaulich sowohl Bart Severi (Leuven) als auch Petr Štepánek (Prag). Aber auch umgekehrt hatten sich Gesandte des Osmanischen Reichs den zeremoniellen Gepflogenheiten an westlichen Höfen anzupassen. Diese Gesandtschaften "gruben" sich aufgrund ihrer "Exotik" förmlich in die Erinnerungskultur der besuchten Städte ein, wie Harriet Rudolph (Trier) am Beispiel der Gesandtschaft von Ibrahim Bey anläßlich der Krönung Maximilians II. in Frankfurt 1562 zeigen konnte. Die breite zeitgenössische, wenig erforschte Rezeption der Gesandtschaft des Bey von Tunis am Wiener Hof 1732-1733 in verschiedenen Medien behandelt Mounir Fendri (Tunis) in seinem ertragreichen Beitrag.

Stärker auf Reisende konzentrierten sich die folgenden drei Referate: Hans Dernschwams immer noch wenig ausgewerteter Bericht, dessen implizite Ordnungsvorstellungen und sein Gebrauch der Topoi im zeitgenössischen Diskurs von Christof Jeggle (Berlin) ausgewertet werden. Der Bericht des bislang kaum erforschten und von Almut Bues (Warschau/Rom) vorgestellten Danziger Handelsgesellen Martin Gruneweg (1562 bis ca. 1606) erlaubt Einblicke in das Verhältnis verschiedener Konfessionen und in das Alltagsleben von Reisenden (Zoll, Gasthäuser, Krankheiten und Sexualität). Ein Reisebericht des Brunecker Bäckermeisters Johann Hilber (Pilgerreise ins Heilige Land 1851/52) läßt die Nachwirkungen des "Erbfeind"-Stereotyps beim "kleinen" Mann erahnen, wie Hans Peter Laqueur (Bremen) anschaulich verdeutlichte.

Der vor allem sprachlichen Vermittlung der Differenz via Dolmetschern und Dragomanen widmete sich eine eigene Sektion. Diese "polyglotten" Mittler und Experten im juristischen und kulturellen Bereich, meist "Levantiner", wurden sowohl im Inland als auch auswärts als Vermittler bei diplomatischen Angelegenheiten der Pforte eingesetzt. Die Entwicklung dieses hoch spezialisierten Berufsstandes zeichnete Alexander H. de Groot (Leiden) nach. Die pädagogische Ausbildung an der 1754 gegründeten Wiener Orientalischen Akademie und deren institutionellen Werdegang stellten sowohl Michaela Wolf (Graz) als auch Ernst D. Petritsch (Wien) in den Mittelpunkt ihrer Beiträge. Joseph von Hammer-Purgstalls, des bedeutendsten Vermittlers osmanischer Geschichte im 19. Jahrhunderts, mehrere tausend Seiten umfassende, nur zum geringen Teil gedruckte "Erinnerungen aus meinem Leben" und seine höchst umfangreiche, noch wenig aufgearbeitete Korrespondenz stellten Sibylle Wentker und Thomas Wallnig (beide Wien) vor.

Die österreichische Präsenz im Osmanischen Reich (Sektion 5) am Beispiel der beginnenden diplomatischen Beziehungen zum "umworbenen Erbfeind" und dessen Umschlagen nach 1526 zeigte Ralf Müller (Leipzig) auf. Argumentationsstrategien in Gesandtenberichten, einerseits die Osmanenfeindlichkeit der Öffentlichkeit und andererseits die Einheit der christlichen Staatenwelt gegenüber der islamischen Welt, bildeten die Grundlage des Beitrages von Jan Paul Niederkorn (Wien). Die Epoche zwischen dem Belgrader Frieden (1739) und dem Berliner Kongreß (1878) im Südosten Europas und die habsburgische Diplomatie behandelte Ivan Parvev (Sofia). Der Versuch der Habsburgermonarchie, auf dem Balkan gegen Rußland zu agieren, scheiterte im 19. Jahrhundert zunehmend. Die Wilajets von Iskodra und Kosova (1878 und 1912) zwischen russischem, österreichischem, italienischem und osmanischem Einfluß, vor allem die Bedeutung der ethnischen Herkunft und des Glaubens, behandelte Isa Blumi (New York) in seinem Referat.

Dem Spannungsfeld von Orient und Okzident widmeten sich zwei abschließende Referate. Stefan Spevak (Wien) zeigte an einem Fallbeispiel die kriegsbedingte Migration von Adeligen aus Bulgarien gegen Ende des 17. Jahrhunderts auf. Am Beispiel der kulturellen Kontaktzone von Orient und Okzident in Bosnien, und vor allem an der Person Ivo Andrics, wurde der wechselseitige Prozeß des Kulturtransfers in der Literatur von Miranda Jakiša (Konstanz) aufgezeigt; beide Kulturen wurden in der bosnischen Literatur abwechselnd als Befreier und Unterdrücker gefeiert.

Die Kulturtransferleistungen, vor allem die Kontakte zwischen Ost und West, wurden in der Wiener Tagung neben den zahlreichen Konflikten vom Spätmittelalter bis ins 19. Jahrhundert näher beleuchtet und, deutlicher als dies bisher geschah, in den Mittelpunkt gestellt. Die Ergebnisse der Tagung sollen in einem Sammelband der Reihe "Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung" (Wien) (http://www.univie.ac.at/Geschichtsforschung/) veröffentlicht werden.


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Published on
16.12.2004
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German
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