Maritime History / Schifffahrtsgeschichte – Bemerkungen zu einem Forschungsgebiet mit nahezu zwangsläufig transnationaler Ausrichtung

By
Ingo Heidbrink, Deutsches Schiffahrtsmuseum Bremerhaven

Abstract:
The article introduces main developments of maritime history in the recent period and discusses the relation between Global and Maritime History. It focuses particularly on cooperation between the disciplines instead of a possible merger. It argues furthermore that maritime history is of special relevance for Global History, because navigating the oceans was for most parts of history the only way of intercontinental exchange and therefore the history of the navigation is up to a certain degree the history of transnational relations.

Unter dem etwas irreführenden deutschen Begriff Schifffahrtsgeschichte respektive der präziseren englischen Bezeichnung Maritime History hat sich in den letzten Jahrzehnten eine historische Teildisziplin entwickelt, die nahezu zwangsläufig transnational ausgerichtet ist und dennoch bislang nur selten mit den Begriffen Global History oder World History in Verbindung gebracht wird - zu unrecht.

Beginnend mit einer engen Fokussierung auf die Schifffahrt an sich und in enger Verknüpfung mit der Gründung einer ganzen Zahl von nationalen Schifffahrtsmuseen in den 1970er Jahren1, konzentrierte sich die Forschung zunächst vielfach auf einige museale Einzelartefakte wie beispielsweise die Bremer Hansekogge aus dem Jahr 1380, die in den 1960er Jahren entdeckt und ausgegraben wurde, beziehungsweise verstand sich als Wirtschafts- und Technikgeschichte der maritimen Wirtschaft. Mit dieser Fokussierung erfolgte zugleich ein bewusstes sich Absetzen von der bislang verbreiteten Wahrnehmung jeglicher maritimen Geschichte als der Geschichte von Seekriegen und Flottenentwicklungen. Damit stellte sich die moderne Schifffahrtsgeschichte in Deutschland zugleich in die Tradition der nur wenig älteren modernen Technikgeschichte, wie sie von Albrecht Timm und einigen anderen verstanden und geprägt wurde. Ähnliche Entwicklungen fanden nahezu zeitgleich in einer Vielzahl westlicher und skandinavischer Nationen statt. Auch wenn diese frühen Ansätze einer modernen Maritime History weitgehend national geprägt waren und nur vergleichsweise wenig internationale Forschungskooperation zu verzeichnen war, war es dabei jedoch allen Beteiligten klar, dass es sich bei ihrer Forschung grundsätzlich um eine solche handelt, die nur im internationalen Kontext stattfinden kann, da sie sich mit einem Thema befasst, das fast ausschließlich im internationalen Bereich handelt.

Zwei grundsätzliche Überlegungen, die bis heute nichts von ihrer Gültigkeit verloren haben, kristallisierten sich relativ schnell recht deutlich heraus:
- Schifffahrt ist grundsätzlich eine Länder oder Kontinente übergreifende Aktivität, die im Wesentlichen zwischen diesen stattfindet und stets von beiden Endpunkten aus beeinflusst wird, bzw. diese beeinflusst.
- Schifffahrt war bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts mehr oder minder das einzige Mittel zur Verbindung von Kontinenten.

Ausgehend von diesem Ideenkonstrukt ergibt es sich somit fast zwangsläufig, dass Maritime History eine weit größere Beachtung in der transnationalen Geschichtsforschung finden sollte, als sie es bislang getan hat. Dies gilt vor allem, da die Nutzung des Verkehrsraums Meer stets direkte Konsequenzen für die Entwicklung transnationaler Verbindungen und Beziehungen hatte und ihrerseits überhaupt erst die Grundlage für die Entstehung solcher schuf.

Basierend auf dieser kurzen und dementsprechend unvollständigen Übersicht über die Entstehung einer modernen Maritime History, die gegenwärtig neben den eher traditionellen schifffahrtshistorischen Aspekten vor allem Fragestellungen aus dem Kontext der Geschichte der Nutzung der Ressourcen des Meeres oder der Entwicklung des Seerechtes bearbeitet und sich von einer Technik- und Wirtschaftsgeschichte der maritimen Industrien zu einer universellen Geschichte der Interaktion des Menschen mit dem Lebensraum Meer entwickelt hat, sollen im folgenden einige Überlegungen zur Relevanz der Disziplin für eine transnationale Geschichtswissenschaft angestellt werden.

- Grundsätzlich war Interaktion zwischen verschiedenen Kontinenten über den weitaus größten Teil der Geschichte nur mit Hilfe des Verkehrsmittels Schiff möglich. Dieses unterlag in den jeweiligen Ländern allerdings auch einer jeweils spezifischen Entwicklung des Schiffbaus, so dass die Frage danach, welche Länder wann und in welcher Form in transkontinentale Beziehungen traten, im wesentlichen auch eine Frage ist, wann und wie sie die rein technischen Möglichkeiten hierzu zur Verfügung hatten. Eine schifffahrtshistorische Analytik kann somit erheblich dazu beitragen, zu erklären, warum einzelne Länder sich gen Übersee bewegten und andere nicht.
- Schifffahrtslinien und damit Verbindungen zwischen Nationen oder weit entfernten Territorien entstanden nicht flächendeckend, sondern aufgrund spezifischer Interessen einzelner Reedereien und somit war auch die Interaktion zwischen den Staaten zumindest indirekt von diesen Entscheidungen der Reedereikontore abhängig. Während ein einzelnes Land in engen Kontakt z.B. zu den europäischen Nationen gekommen sein mag, mag dies für seine Nachbarn in keinerlei Form gelten, da diese schlicht und einfach nicht von den Schifffahrtslinien angelaufen wurden. Schifffahrtsgeschichte mag so auch dazu beitragen, zu erklären, warum „moderne“ Entwicklung in einzelnen Regionen der Erde begann, während andere Kulturen weitgehend lange von ihr verschont blieben.
- Das Internationale Seerecht und seine Entwicklung innerhalb des letztem Jahrhunderts bietet geradezu ein Lehrbeispiel dafür, wie ein einst rechts- und besitzfreier Raum allmählich nationalisiert wurde und nicht nur der Raum an sich, sondern vor allem seine Ressourcen. Im Analogieschluss zwischen dieser Entwicklung und der historisch erheblich weiter zurückliegenden vergleichbaren Entwicklung der Nationalisierung des Landes und seiner Ressourcen mögen die dahinter liegenden Strukturen und Mechanismen erheblich deutlicher zutage treten, als dies bei einer bloßen Betrachtung der Landseite möglich wäre.

Diese Liste ließe sich unstreitig um eine Vielzahl weiterer Punkte und Schnittstellen zwischen Maritime History und transnationaler Geschichte fortführen, die immer wieder erneut zeigen würde, wie die historische Betrachtung der marinen Welt und Wirtschaft eine sinnvolle Ergänzung leisten kann.

Bleibt die Frage, warum es bislang nur relativ selten zu einer Kooperation zwischen den beiden historischen Teildisziplinen gekommen ist und zugleich damit ein Plädoyer dafür, das dies nicht so bleiben sollte.

Zunächst ist da natürlich die relativ pragmatische Antwort, dass es sich in beiden Fällen um vergleichsweise junge historische Teildisziplinen handelt, die sich bis zu einem gewissen Grade noch in ihrer wissenschaftlichen Findungsphase befinden, doch kann und sollte dies nicht die einzige Erklärung sein. Ein vermutlich viel tiefer reichender und weitgreifender Grund dürfte die einfache Tatsache sein, dass es sich bei den Ozeanen um einen für den Menschen grundsätzlich fernen Raum handelt, der für die große Mehrheit der Menschen und damit eben auch der Kollegen innerhalb der historischen Forschung weit jenseits allen Denkens liegt. Nicht umsonst handelt es sich bei den Ozeanen um diejenigen Lebensräume der Erde, über die noch immer nur wenig bekannt ist und die für die naturwissenschaftliche Forschung eine nahezu ebensogroße Herausforderung darstellen, wie extraterrestrische Areale. Kurz gesagt, es liegt einfach nicht unmittelbar auf der Hand bei einem transnationalen historischen Forschungsprojekt eine maritime Komponente mit einzubeziehen, auch wenn diese noch so offensichtlich sein mag.

Diese relative Ferne des Maritimen zur normalen Alltagswelt der Mehrheit der Menschen ist aber zugleich auch damit verknüpft, dass der ozeanische Raum nicht ohne erhebliche technische Hilfsmittel erschlossen werden kann, was das Feld der traditionellen Schifffahrtsgeschichte fast zwangsläufig stets eher in die Nähe der Technikgeschichte als vieler anderer historischer Teildisziplinen gebracht hat.

Darüber hinaus ist Maritime History bis zu einem gewissen Grad eine etwas sperrige Disziplin, die ein erhebliches Maß an innerer Interdisziplinarität und fächerübergreifender Kenntnisse der jeweils beteiligten Historiker erfordert. So sind zum Beispiel zumindest Grundkenntnisse der ingenieurwissenschaftlichen Disziplinen oder aus den Bereichen Ozeanographie, Meteorologie sowie einer Vielzahl weiterer Fächer notwendiges Rüstzeug des Historikers, der sich ausschließlich mit Maritime History beschäftigt und die zugleich für den Außenstehenden diese Teildisziplin zugleich manchmal wie eine Geheimwissenschaft eines kleinen Kreises Eingeweihter erscheinen lässt, die sie allerdings keinesfalls ist. Wenngleich all diese Punkte zunächst zu der Idee führen sollten, dass Maritime History eine weitgehend abgeschlossene historische Teildisziplin ist, die zugleich noch so vergleichsweise jung ist, dass sie erst einmal noch weitere Jahre an eigener Forschungszeit benötigt, bevor sie Ergebnisse vorlegen kann, die für andere Disziplinen wie transnationale Geschichtsforschung von Interesse sein könnten, dann täuscht dieser Eindruck grundlegend. Sicher trifft es zu, dass es im Bereich Maritime History mehr Forschungsdesiderata als Ergebnisse gibt, aber ebenso trifft es zu, dass eine engere Kontextualisierung mit landspezifischen Fragestellungen und insbesondere transnationalen Forschungsansätzen dazu beitragen kann, die Ozeane und ihre Geschichte, respektive die Geschichte der Menschen, die mit diesem Raum interagiert haben, nicht ausschließlich einem kleinen Kreis von Spezialisten zu überlassen,

Zusammenfassend kann nur festgestellt werden, dass eine enge Kooperation zwischen transnationaler Geschichtsforschung und Maritime History nicht nur aus der Sache heraus absolut wünschenswert oder nahezu zwangsläufig erforderlich ist, sondern beide Seiten davon erheblich profitieren können: Die transnationale Geschichtsforschung dadurch, dass sie zusätzliche Erkenntnisse über den zwischen den einzelnen Regionen/Ländern/Kontinenten liegenden Raum und die Geschichte seiner Erschließung bzw. Nutzung bekommt; die Maritime History dadurch, dass ihre spezifischen Fragestellungen besser kontextualisiert werden und ihre Relevanz deutlicher wird.

All das bislang Geschriebene könnte einen dazu verleiten, die Maritime History mehr oder minder als einen spezialisierten Teilbereich einer transnatioanlen Geschichte zu verstehen, was sie mit Sicherheit in vielerlei Hinsicht auch ist, aber eben nicht ausschließlich. Während transnationale Geschichte nahezu stets weiterhin dem Konzept der Nation oder bestimmter Regionen verbunden scheint und ihre Synthese zumeist aus einem komparatistischen Prinzip erlangt, beschäftigt sich Maritime History vor allem mit den Ozeanen und damit einem Gebiet, in dem jegliche territorialen Abgrenzungen höchstens ein theoretisches Konstrukt der Staatenpraxis sind. Damit muss die Schlussbemerkung zu diesen Überlegungen über das Verhältniss zwischen transnationaler Geschichte und Maritime History nahezu zwangsläufig lauten: Kooperation? Gerne und in so vielen Fällen wie möglich! Ineinander Aufgehen der beiden historischen Teildisziplinen? Keinesfalls oder zumindest noch nicht!

Anmerkung:
1 Zum Beispiel wurde das Deutsche Schiffahrtsmuseum in Bremerhaven 1970 gegründet und 1975 seine Ausstellungen für das Publikum geöffnet.

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15.06.2007
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