Europa globalisieren und provinzialisieren – erinnerte und erfahrene Räume

Europa globalisieren und provinzialisieren – erinnerte und erfahrene Räume

Organizer
Historisches Seminar der Leibniz Universität Hannover (Prof. Dr. Brigitte Reinwald, Afrikanische Geschichte) in Kooperation mit dem interdisziplinären Studien- und Forschungsschwerpunkt der Philosophischen Fakultät „Transformation Studies“
Venue
Historisches Seminar, Im Moore 21, 30167 Hannover
Location
Hannover
Country
Germany
From - Until
24.07.2008 -
By
Stefanie Michels

Die Dezentrierung Europas ist ein Kernelement von globalhistorischen, kulturwissenschaftlichen Konzepten wie dem Gilroy’schen Paradigma des Black Atlantic, dem postkolonialen Plädoyer zur Provinzialisierung Europas von Chakrabarty oder auch der Annahme verflochtener Geschichten im Paradigma der entangeld histories.
Diese Ansätze stellen eurozentrische Hierarchien und holistische Konzepte von Geschichte, Historiografie, Raum und Kultur infrage und betonen die Verflechtungen Europas und der Welt. Häufig bleiben diese Zugänge jedoch ihren herkömmlichen Disziplinenparadigmen verhaftet und lösen die Dichotomie von Zentrum und Peripherie mit ihren hierarchischen Setzungen nicht vollständig auf. Auch bergen sie die Gefahr, das Konzept „Rasse“ zu re-essentialisieren bzw. die ambivalenten Wechselwirkungen mit anderen Ungleichheits- und Ausschlusskategorien wie Geschlecht, Nation, Klasse, Religion oder Generation zu vernachlässigen. Eine weitere Kritik ist,, dass an diesen Ansätzen orientierte Forschungen Machtverhältnisse und gewaltsame Ausgrenzung nicht deutlich genug sichtbar zu machen.
Leitendes Thema des Workshops sind zeitlich und räumlich verflochtene Geschichten. Die Auseinandersetzung mit der Koordinate Raum steht im Kontext des paradigmatischen topographical/spatial turn in den Kulturwissenschaften, womit die vorgestellte, symbolisch-metaphorische, zeitliche und geografische Ordnungsmacht dieser Kategorie ins Zentrum rückt. Vor dem Hintergrund von globalhistorischen Ansätzen der entangled histories (Conrad/Randeria) und der touching tales (Adelson), der netzartig, räumlich und zeitlich verflochtenen Geschichte und Geschichten, rückt das Projekt die Beziehungen zwischen Räumen, Akteur/innen und Narrationen in den Mittelpunkt. Es bricht mit Vorstellungen einer dichotomischen Teilung von Peripherie und Zentrum und setzt damit die vom postkolonialen Theoretiker Chakrabarty perspektivisch geforderte Provinzialisierung Europas mit in Gang. Der Fokus liegt auf jenem „hyperrealen Raum Europa“, der im postkolonialen Konzept der Provinzialisierung von Chakrabarty als theoretisches Subjekt der Meta-Erzählung Moderne / moderner Nationalstaat begriffen wird: „Europa“ als provinzialisierter (post-) oder (prä-)kolonialer Raum, im Unterschied zu eurozentrischen, dichotomischen Konzeption Europa/Westen und der Rest (Hall).
In dieser Beschäftigung mit Raum, Provinzialisierung und Historiografie werden insbesondere Erinnerungen, intergenerationelles Erinnern – im Sinne der Foucaultschen Genealogien – und Erfahrungen fokussiert. Erfahrungen und Erinnerungen werden sowohl als Repräsentationen und Positionierungen der Akteure begriffen als auch als strukturierende Praktiken, die Raum „topografieren“. Diese Auseinandersetzungen werden dabei geleitet von intersektionalen Betrachtungsweisen, die von den Verknüpfungen und Interaktionen der o. g. Ungleichheitskategorien ausgehen und sie reflektieren.
Ein weiterer zentraler Aspekt umkreist die Frage der medialen Repräsentation. Medien (orale, schriftliche, bildliche, filmische, architektonische, museale, theatralische usw. Narrationen) schaffen Räume, verorten Akteure (schließen sie aus, lassen andere hegemonial werden). Ihre technische Verfasstheit lässt sie zu Speichern und Überträgern von Erinnerungen und Erfahrungen werden, ohne dass sie neutral bleiben würden. Der Zugang zu diesen medialen Ressourcen bzw. die (Re-)Präsenz in ihnen ist entscheidend für die Positionierungen von Subjekten. Als "translokale Medienereignisse" werden fortgeschriebene Konflikte und Missverständnisse in der Repräsentation (Text, Bild, Film, Denkmal) betrachtet und die Vorstellung hegemonialer Deutungsmacht gebrochen. Anknüpfend an Foucault verweist dies auf heterotope Räume, die sich mit der Veränderung der Subjektposition wandeln und niemals absolut sondern immer nur relational existieren oder bewusst auch gewaltsam geschaffen werden.
Der Workshop dient als Diskussionsraum und will die unterschiedlichen Gedankenfäden um Raumerfahrungen und Erinnerungsräumen produktiv zusammenführen.

Programm

11.30-13 Uhr Theoretisch-methodische Inputs

11.30-11.50 Uhr Begrüßung und Vorstellung des Forschungszusammenhangs
Alexandra Lübcke/Stefanie Michels

11.50-12.20 Uhr Translokale (Medien-)Ereignisse
Astrid Erll (Universität Wuppertal)

12.20-12.50 Uhr Archäologisches und genealogisches Erinnern
Claudia Lenz (Center for Studies of Holocaust and Religious Minorities Blindern, Oslo)

12.40-13.15 Uhr Zusammenfassung der Thesen, moderierte Paneldiskussion

13.15-14.00 Uhr Mittagspause

14-18 Uhr Einordnung der Teilprojekte in den Forschungszusammenhang

Präsentationsphase Teilprojekte (ca. 60 Minuten)

"Walfänger in der Geschichte europäisch-afrikanischer Kommunikation und Interaktion"
Felix Schürmann

"Jugendliche im Spannungsfeld von Kolonialrevisionismus und Kolonialkritik, 1918-1933"
Susanne Heyn

"Kosmopolitische Familiengeschichten zwischen Afrika, Europa und der Karibik (18.-21. Jh.)"
Stefanie Michels

"Globale religiöse Bewegungen und die Konstitution der (Welt-)räume (20.-21. Jh.)"
Friede Ngo Youmba-Batana

"Erzählte und erfahrene Räume: Zeitgenössische literarisch-künstlerische Repräsentationen als Erinnerungspraktiken (20.-21. Jh.)"
Alexandra Lübcke

Anschließend Diskussionsphase

Dazwischen Kaffeepause

Contact (announcement)

Stefanie Michels

Historisches Seminar, Postfach 6009, 30060 Hannover

0511-762 5734

stefanie.michels@hist.uni-hannover.de

http://www.hist.uni-hannover.de/