Eine der Kernfragen der Digital Humanities ist nach wie vor, ob wir diese in erster Linie als Instrumentarium begreifen wollen, das ein neues Arbeiten ermöglicht, oder aber als eigenständige Forschungsrichtung verstehen sollen, die durch eigenständige Erkenntnisansprüche geleitet wird. Diese Tagung möchte sich mit dieser Grundfrage an einem Beispiel beschäftigen, das immer mehr als mögliche Schnittstelle zwischen den Geschichtswissenschaften und den Digital Humanities in den Fokus tritt: dem Forschungsfeld der Transnationalen Geschichte.
Digitale Informationen sind global verfügbar, und Nutzerinnen und Nutzer kommunizieren grenzüberschreitend miteinander. Methoden, Konzepte und Produkte der Digital Humanities sind daher nicht auf einen national definierbaren Raum begrenzt, sondern wirken schon durch das Medium grenzüberschreitend und stiften transnationales Wissen. Gerade in den letzten Jahren sind in den Geschichtswissenschaften schon etliche digitale Vorhaben in diese Richtung angestoßen worden. Dennoch fehlt es immer noch an theoretischen wie praktischen Reflexionen darüber, wie sich Leitfragen und methodische Prämissen der transnationalen bzw. der Verflechtungsgeschichte zu den Diskussionen um die Digital Humanities verhalten.
Auch bleibt nach wie vor offen, wie sich die Leitfragen beider Richtungen in Hinblick auf Anwendungen zusammen denken lassen und welche rechtlichen und wissenschaftsethischen Fragen dies aufwirft. Dies betrifft Angebotsarchitektur, thematische Multiperspektivität und (Mehr-)Sprachigkeit ebenso wie die hypertextuelle Vernetzung, Kontextualisierung und die Deutungskompetenz von Inhalten, die in der internationalen Forschung für manche Themen nicht ohne Probleme anschlussfähig sind, da sie national gebunden verhandelt werden.
Wie beeinflussen daher die Inhalten und Methoden der transnationalen Geschichte die Digital Humanities und umgekehrt? Auch bleibt zu fragen, in welcher Weise die neuen Medien Inhalte und Theoriedebatten der transnationalen Geschichte verändern (könnten) und welche Trends hier in Zukunft zu erwarten sind. Tagungsbeiträge können dabei – auch an konkreten Beispielen – gerne folgende und weitere Schwerpunkte aufgreifen:
- Wie hat sich das Verhältnis zwischen Geistes- und Informationswissenschaften insgesamt durch die Digital Humanities verändert? Welche Methoden sind noch nicht wechselseitig rezipiert bzw. gemeinsam reflektiert worden? Wo sind die Chancen und wo die Grenzen der Zusammenarbeit? Was sind entsprechende Erwartungen für die Zukunft?
- An welchen Stellen gibt es im Bereich der transnationalen Geschichte durch die Digital Humanities qualitative Änderungen und erweiterte Erkenntnismöglichkeiten? Wo liegen sie komplementär zu bisherigen Verfahren, wo lassen sich Kerne eigenständiger Fragestellungen erkennen?
- Was sind die zentralen inhaltlichen, medial-konzeptionellen und technischen Entwicklungsperspektiven? Wie beeinflussen etwa Normdaten, Produktstandards und Infrastrukturen die Kommunikation über Geschichte und geteilte historische Inhalte in einem transnationalen Raum? Welche digitalen Werkzeuge zur Erforschung transnationaler Geschichte sind noch denkbar, um die Erforschung und Distribution von Wissen in einem bestimmten Themenfeld zu optimieren?
- Wie können Historikerinnen und Historiker schon während ihrer Ausbildung bestmöglich auf die Arbeit in Digital Humanities-Projekten vorbereitet werden? Benötigen wir neue Werkzeuge für eine digitale Quellenkritik und reicht die Beurteilungskompetenz der „klassischen“ Geisteswissenschaftler auch für Methoden und Produkte der Digital Humanities? Wie entwickelt sich die Nutzerforschung für digitale Angebote? Lassen sich entsprechende Erfahrungen aus einzelnen Projekten und Portalen bereits bilanzieren und typologisieren?
- Wie ist die Diskussion um Open Access grenzüberschreitend zu bewerten? Wie lässt sich die langfristige Zugänglichhaltung der in Projekten der Digital Humanities gewonnen Ergebnisse garantieren? Wie können Forschungsdaten, die in Projekten gewonnen werden über Grenzen hinweg für andere Forscherinnen und Forscher zugänglich gemacht werden? Welche technischen und rechtlichen Aspekte sind dabei besonders zu beachten?
All diesen Fragen soll sich die Bilanztagung des vom BMBF im Rahmen der eHumanities geförderten Projekts „GeoBib – Frühe deutsch- bzw. polnischsprachige Holocaust- und Lagerliteratur (1933-1949)“ widmen. Vorgesehen sind zum einen theoretische und konzeptionelle Beiträge. Zweitens sind Präsentationen hochwillkommen, die bereits realisierte oder im Entstehen begriffene Fallbeispiele in Hinblick auf die angerissenen Fragen exemplarisch vorstellen. Auch wollen wir nicht nur Historikerinnen und Historiker zur Einreichung von Vorschlägen einladen, sondern auch Vertreterinnen und Vertreter von benachbarten Disziplinen, vor allem solche, die mit Geschichtswissenschaftlern in gemeinsamen Arbeitszusammenhängen stehen.
Viertens sollen Erfahrungen diskutiert werden, wie zukünftige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bestmöglich auf ihren Einsatz in diesem Tätigkeitsfeld vorbereitet werden können. Aus diesem Grund freuen wir uns auch über Beiträge von Studiengangentwicklern und -verantwortlichen mit dem Ziel, bisherige Erfahrungen mit Lehrmodulen zu transnationalen Inhalten aus dem Bereich der Digital Humanities zu diskutieren. Dies soll die Möglichkeit eröffnen, Perspektiven zur Einbindung von Kompetenzfeldern aus dem Bereich der Digital Humanities in das Geschichtsstudium zu besprechen.
Geplant sind Vorträge zu je 25-30 Minuten, Tagungssprachen sind Deutsch und Englisch (ohne Simultanübersetzung). In einem eigenen Bereich können sich Projekte auch in Form von Posterpräsentationen und Infomaterialien präsentieren. Interessierte werden gebeten, Ihr Exposé (max. 1 Seite) bis zum 15. Dezember 2014 mit einem kurzen Lebenslauf unter „CfP: Digital Humanities und transnationale Geschichte“ an annalena.schmidt@herder-institut.de zu senden. Die Deadline für die Poster ist der 15. Januar 2015. Die Auswahl erfolgt bis 31. Januar 2015.
Ansprechpartnerin:
Annalena Schmidt, M.A.
Wissenschaftliche Mitarbeiterin im BMBF-Projekt „GeoBib – Frühe deutsch- bzw. polnischsprachige Holocaust- und Lagerliteratur (1933-1949). Annotierte und georeferenzierte Online-Bibliographie zur Erforschung von Erinnerungsnarrativen“
Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung Institut der Leibniz-Gemeinschaft