S. Conermann (Hrsg.): Asien heute

Cover
Titel
Asien heute. Konflikte ohne Ende


Herausgeber
Conermann, Stephan
Reihe
Bonner Asienstudien 2
Erschienen
Anzahl Seiten
267 S.
Preis
€ 38,00
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Claudia Schneider, Universität Leipzig

Auch wenn die Zahl bewaffneter Konflikte seit Anfang der 1990er Jahre zurückgegangen ist: Die Welt ist seitdem nicht friedlicher geworden. 2009 wurden 365 Konflikte gezählt, darunter 7 Kriege und 24 schwere Krisen.1 Militärausgaben steigen weiterhin, Transformationen generieren perspektivisch potentielle Konflikte, nicht wenige Staaten gelten als fragil. Ursachen bestehender Konflikte zu ermitteln sowie Mechanismen zu ihrer Lösung zu erarbeiten ist daher von kontinuierlicher Relevanz.

Dies gilt auch in Asien, wie in den letzten Jahren Umfang und Länge des „Stabilisierungseinsatzes“ in Afghanistan, Attentate in Indien und Indonesien oder Unruhen in chinesischen Minderheitengebieten verdeutlichen. Der vorliegende Band, Ergebnis einer Ringvorlesung an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, liefert einen informativen Überblick über eine Reihe manifester und latenter Konflikte in der Region. Obwohl weniger auf Vollständigkeit als auf die Identifizierung einiger wichtiger „Brenn-Punkte“ ausgerichtet, repräsentieren die Fallbeispiele - unter Verwendung unterschiedlicher wissenschaftlicher Zugänge (ethnologisch, historisch, etc.) - ein breites Spektrum, sowohl in Bezug auf ihre Charakteristika (politisch, religiös, etc.) als auch auf ihre geographische Reichweite (global bis international).

Stephan Conermann nimmt zunächst eine konzise Einbettung in das Feld Konfliktforschung sowie in derzeitige Konfliktstrukturen im globalen Kontext vor. Als „Konflikt“ werden dabei im Rahmen einer breiten Definition nicht nur gewaltsam sondern auch gewaltlos ausgetragene, relativ langfristige und weit reichende Interessensgegensätze zwischen mindestens zwei Parteien in Bezug auf nationale Werte verstanden (S. 10).

Karl-Heinz Golzio liefert einen detailreichen historischen Durchgang durch den inzwischen jahrzehntelang zwischen Indien und Pakistan schwelenden Kashmir-Konflikt. Dieser reflektiert größere sozio-politische und machtpolitische Verschiebungen: Koloniale Denkmuster (z.B. die Zwei- Nationen-Theorie der 1940er Jahre) haben sich hier ebenso als einflussreich erwiesen wie das Entstehen militanter islamischer Gruppen in der Region, das seit den 1980er Jahren den Terrorismus zum größten Problem aufsteigen ließ. Der Beitrag bietet zudem ein sehr nützliches Register sowie eine Zeittafel – als hilfreich hätte sich zusätzlich eine Karte erwiesen.

Bianca Horlemann analysiert das Spannungsfeld zwischen staatlichen Entwicklungs- und Regulierungsmaßnahmen und lokalen Realitäten im überwiegend von tibetischen Viehzüchtern bewohnten Golokgebiet in der westchinesischen Provinz Qinghai.
Erstere zeitigen für die nomadische Bevölkerung ambivalente Resultate: Ein gestiegener durchschnittlicher Lebensstandard geht einher mit einer deutliche Einkommensstratifikation; gleichzeitig bietet die forcierte „Entwicklung“ für die lokale Bevölkerung wenig arbeitsplatztechnische Perspektiven. Ungünstige ökologische, demographische, wirtschaftspolitische und soziale Konstellationen erhöhen auch in dieser Region in ihrer Kombination die Wahrscheinlichkeit offener sozialer Konflikte auf Lokalebene.

Einem - ursprünglich innerjapanischen, seit 1982 auch internationalisierten - Konflikt um die Deutung der Kriegs- und Kolonialvergangenheit in japanischen Geschichtsschulbüchern widmet sich der Beitrag von Axel Klein. Im April 2005 erlebte v.a. seine chinesisch-japanische Komponente mit antijapanischen Protesten in chinesischen Städten einen erneuten Höhepunkt. Der Auslöser der Proteste – die erneut (nach 2001) genehmigten Schulbücher der revisionistischen „Gesellschaft zur Erstellung neuer Geschichtsschulbücher“ werden tatsächlich nur in sehr wenigen Schulen eingesetzt. Die übermäßige Konzentration auf diese, so Kleins These, verhindert Blick auf das – weniger negative – Gesamtbild. Klein zeigt anhand einiger besonders umstrittener historischer Ereignisse, dass (selbst-)kritische Darstellungen dominieren. Weniger Schulbuchinhalte als entsprechende Aussagen von Historikern und Politikern sollten daher kritisiert werden – eine prinzipiell begrüßenswerte Richtigstellung. Um das „Schulbuchproblem“ im Spannungsfeld von Geschichtswissenschaft, -politik und -pädagogik zu verankern, hätte das Verhältnis von Übersetzung und Analyse eventuell etwas stärker zugunsten von letzterem gewichtet sein können.

Wassilios Klein lotet das in der Region bedeutsame Spannungsfeld zwischen Religionsgemeinschaften und säkular orientierten, autoritären Regierungen aus. Am Beispiel des Ferganatals verdeutlicht er, wie der Islam u.a. ein postsowjetisches sozio-kulturelles und geistiges Vakuum füllt und für die Ventilierung von Unzufriedenheiten mit der sozio-politischen Lage mobilisiert wird. Insbesondere anhand verschiedener islamistischer Gruppen in Uzbekistan zeigt Klein, wie stark restriktive Religionspolitiken, aber auch die Diffamierung jeglicher politischer Opposition als staatsgefährdender Terrorismus Radikalisierungstendenzen verstärken und zudem zur Assoziierung des Säkularismusprinzips (aber auch von „Demokratie“) mit negativen gesellschaftlichen Entwicklungen führen und diese dadurch delegitimieren.

Petra Mauer widmet sich historischen und aktuellen Spannungen zwischen Buddhisten und Muslimen in Ladakh (Nordwestindien). Seit 1979 in einen überwiegend muslimischen (Kargil) und einen buddhistischen Distrikt (Leh) geteilt, kommt die Region auch seit der offiziellen Beilegung der Auseinandersetzungen 1992 nicht zur Ruhe. Stattdessen haben Überfremdungsängste und gegenseitige Diskriminierungsvorwürfe symbolische Grenzziehungen tendenziell verstärkt, während geographisch-strategische, innen- und außenpolitische sowie wirtschaftliche Faktoren ebenfalls zu seiner Perpetuierung beitragen.

Ein lokalisierter „Globalisierungskonflikt“ wird von Oliver Pye analysiert, der am Beispiel der Ressource Wald die ökologischen und ökonomischen Folgen der Einbindung Kambodschas in globale Produktionsketten nachzeichnet. Nachdem Wald im Kalten Krieg vorrangig ein militärisch-strategische Rolle spielte und in den 1990ern Jahren u.a. zur Finanzierung des Bürgerkrieges diente, konfligieren heute eine subsistenzorientierte kleinbäuerliche und eine kommerzielle Nutzung des Landes durch konzessionierte internationale Firmen. Pye zeigt auf, wie das Vorgehen der Weltbank durch Diskurse („notwendiger/unausweichlicher“) Entwicklung legitimiert wird, aber auch wie der bäuerliche, durch einheimische NGOs gestützte, Widerstand von Möglichkeiten der internationalen Vernetzungen profitiert, um sein alternatives Modell von Nutzungsformen zu präsentieren.

Ähnlich argumentiert Wolfram Schaffar in seinen Auswirkungen von WTO-Standards auf die Auseinandersetzungen zu Agrarzöllen, Gesundheitsdienstleistungen und den Patentschutz von Medikamenten in Thailand. Er argumentiert zum einen, dass die WTO zwar im Selbstverständnis einen Beitrag zur Friedenssicherung leistet, stattdessen aber weit reichende, strukturelle Konflikte generiert. Zum anderen zeigt er auf, dass Interessens- und dadurch Konfliktlinien nicht entlang nationaler Grenzen, sondern entlang gegensätzlicher Entwicklungsparadigmen verlaufen.

Conrad Schetter verdeutlicht in seinem Beitrag die Schwierigkeiten von Intervention und Wiederaufbau in Afghanistan, wo eine komplexe Ausgangslage auf z.T. konfligierende politische, militärische und humanitäre Ziele einer Vielzahl externer Akteure trifft. Trotz gegenteiliger Labels („Afghan ownership“) handle es sich daher um „vehemente ausländische Einflussnahme“ (S. 191) mit einer gewissen Ambivalenz: Die tatsächliche Förderung des Friedensprozesses durch klares Engagement seitens der internationalen Gemeinschaft gehe mit fehlender langfristiger Strategie und Koordinierungsmängeln zwischen Interventionsebenen und Akteuren einher. Schetter plädiert daher für ein entwicklungs- und interventionspolitisches Umdenken.

Christian Schwermann betrachtet das Antisezessionsgesetz der Volksrepublik China von 2005 im Rahmen der chinesischen Strategien vis-à-vis Taiwans Bemühungen um eine Anerkennung als eigener Staat, insbesondere unter Präsident Chen Shui-bian (2000-2008). Der Konflikt sei prinzipiell von einer Mischung aus innenpolitischen Rücksichten, amerikanischen Interessen und Grundeinstellungen der Konfliktparteien bestimmt. Das Sezessionsgesetz müsse daher nicht als neuer aggressiver Zug seitens der Volksrepublik, sondern als Zementierung altbekannter Positionen gelesen werden – bzw. sogar als Reflektionen einer aktiven und verstärkt berechenbaren Wiedervereinungspolitik mit erhöhter Dialogbereitschaft.

Heinz Werner Wessler spannt schließlich einen breiten, theoretiegesättigten Bogen, um das Interaktionsverhältnis zwischen Hinduismus und Islam in Indien zu beleuchten. Spannungen würden v.a. durch Abgrenzungsdiskurse und deren Politisierung (z.B. in Auseinandersetzungen um heilige Orte) genährt. Politischer Hinduismus, so eine These, definiere sich in Abgrenzung vom Islam, werde damit aber diesem strukturell ähnlicher. Nicht zuletzt die kolonialistische Geschichtsschreibung habe dazu beigetragen, die Differenzen zwischen den unterschiedlichen Herrschaftsperioden genauer zu akzentuieren und das vor-islamische als das eigentliche Indien zu etablieren. Im islamischen Diskurs hingegen verliefe die (notwendige) Bestimmung des Verhältnisses einer Minderheit zur modernen indischen Nation über zwei Stränge: einen arabisch orientierten Reformismus und eine Indisierung bzw. Säkularisierung des Nationalstaats. Angesichts dieser beunruhigenden Diagnose plädiert Wessler v.a. dafür, Vielfalt als Bereicherung der „indischen“ Identität, nicht als deren Bedrohung zu verstehen.

Insgesamt liefert der Band zahlreiche erhellende Einblicke in verschiedenste Konfliktfelder, lässt beim Leser jedoch eventuell einige Wünsche offen: Neben der unterschiedlichen analytischen Tiefe der Beiträge ist er nicht „modellhaft“ in dem Sinne, dass sich die Autoren explizit und systematisch der theoretischen Instrumente der Konfliktforschung bedienten. Dennoch ist er nicht nur Lesern mit entsprechendem Regionalinteresse (bzw., im Falle der umfänglicheren Abhandlungen, Regionalexperten) zu empfehlen, sondern auch Konfliktforschern, die aus einer Fülle von empirischem Material schöpfen könn(t)en.

Anmerkung:
1 Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung, Conflict Barometer 2009, http://hiik.de/de/konfliktbarometer/pdf/ConflictBarometer_2009.pdf

Redaktion
Veröffentlicht am
11.02.2011
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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