Dan Halvorsons kurze, historisch orientierte politikwissenschaftliche Studie beschäftigt sich mit Australiens Außenpolitik gegenüber Südostasien vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis Mitte der 1970er Jahre, die er in größere süd- und ostasiatische Bezüge einordnet.1 Das Buch gliedert sich in fünf chronologisch aufbauende Kapitel plus Einleitung und abschließender Zusammenfassung, die am Ende einen Ausblick auf potentielle Ansätze aktueller australischer Politik gegenüber den Nachbarregionen anbietet. Jedes der Kapitel, die thematisch die Thesen des Buches abarbeiten, wird von einer kurzen Zusammenfassung abgeschlossen, die ins nächste Kapitel überleitet, aber auch neue Aspekte für die Argumentation (manchmal etwas alleinstehend) einführt.
Während sich das erste thematische Kapitel (Kapitel Zwei) mit der Neuorientierung Australiens gegenüber Asien beschäftigt, vor allem mit Japan als ehemaligem Kriegsgegner, werden hier ebenfalls die prägenden Pole der Außenpolitik zwischen isolationistischer „White Australia“-Politik und Ausgreifen in den indopazifischen Raum eingeführt. Das dritte Kapitel widmet sich dann schwerpunktmäßig der britischen Dekolonisation „East of Suez“ und der Übernahme von „Commonwealth responsibility“ vor allem auf der malaiischen Halbinsel und dem südostasiatischen Archipel. Diese vom Verantwortungsgefühl gegenüber dem Commonwealth und moralisch-emotionalen Beziehungen gegenüber der ehemaligen Kolonialmacht geprägte Politik wurde aber schon frühzeitig durch die „non-communist solidarity“ abgelöst2, die Australien zu einem wichtigen Partner der westlichen Mächte im „Kalten Krieg“ in der Region machte und den Schwerpunkt des vierten Kapitels bildet. Das fünfte Kapitel beschäftigt sich mit den sich wandelnden externen und internen Faktoren, vor allem aber mit den außenpolitischen Neujustierungen der Labour-Regierung von Edward Gough Whitlam, die aus australischer Sicht eine Wendung hin zu einer „realistischeren“ Außenpolitik mit stärkerem Fokus auf die Volksrepublik China bedeuteten. Aus Sicht der Partner, sowohl Großbritanniens wie der ASEAN (Association of Southeast Asian Nations)-Staaten, bedeutete dies aber eine Vernachlässigung der Region Südostasien, ja sogar einen quasi-Verrat, und grenzte Australien nachhaltig als Akteur aus der Region aus, so die These des sechsten Kapitels. Die gewählte Struktur des Buches führt leider gelegentlich zu Redundanzen, die das Lesevergnügen manchmal einschränken; an anderen Stellen hätte man sich hingegen mehr Kontextualisierungen und Hintergrundinformationen gewünscht.
Das Buch ist vor allem eine Auseinandersetzung mit breiten Teilen der australischen Literatur zur Außenpolitik im „Kalten Krieg“ und arbeitet sich an verschiedenen Theoriemodellen ab, besonders an Modellen der Internationalen Beziehungen. Ebenso hinterfragt es anscheinend dominante Schulen in der Wertung australischer Außenpolitik, die unterstellen, Australien hätte sich erst ab den 1980er Jahren, mit Anfängen in den 1970ern, für Asien interessiert. Die wichtigste, und in großen Teilen nachvollziehbar begründete These ist, dass die australische Außenpolitik vor der Regierung Whitlam deutlich stärker in den südostasiatischen Raum eingebunden und stärker mit den Partner abgesprochen war, als die nun moralisierende, scheinbar auf Überwindung des „Kalten Krieges“ durch Einbindung Pekings zielende, aber in Wirklichkeit reine Eigeninteressen in den Vordergrund rückende Politik der neuen Mehrheitsregierung (ab 1972), die ja im Gegensatz zu ihren Vorgängerregierungen keine Koalitionsregierung mehr war. Insofern ist das Buch auch eine Auseinandersetzung mit der australischen Historiographie, da Gough Whitlam bis heute einer der umstrittensten und meistdiskutierten Premierminister Australiens ist.
Vor allem für die frühen und mittleren Phasen des Untersuchungszeitraums hätte man sich eine breitere Kontextualisierung gewünscht. Die australischen Commonwealth responsibilities endeten ja nicht nur, weil sich Großbritannien nach der Suez-Krise zunehmend aus dem ehemaligen Empire zurückzieht, sondern auch, da das Mutterland in seinem Streben nach Mitgliedschaft in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft den ehemaligen Kolonien, aber auch den Dominions, immer weniger anbieten kann. Gleichzeitig gerät Australien durch die Aufnahme wirtschaftlicher und politischer Kontakte mit den Europäischen Gemeinschaften und ASEAN sowie durch die wirtschaftliche Erholung Japans seit Anfang der 1970er Jahre in eine zunehmende Konkurrenz, die, dem Autor nach, die verschiedenen Regierungen nur unzureichend auf dem Schirm hatten. Im Gegensatz dazu zeigt er auf, wie wenig britische, aber auch andere europäische Regierungen, die spezifischen Kontextbedingungen Australiens mitdachten, das eben kein verlängerter Arm der Europäer, respektive der USA, sein wollte. Das Buch zeigt aber auch, wie oft hochrangige Politiker gegen die Ratschläge ihrer jeweiligen Fachministerien agierten. Ebenso bringt es verschiedene Stimmen zu diesen politischen Entwicklungen zu Gehör: von australischen Regierungsunterlagen und Presseorganen über britische Akten und südostasiatische Sichtweisen, letztere vor allem über westliches Aktenmaterial, aber auch über verschiedene Medienexzerpte und Stellungnahmen.
Ebenso hätte das komplexe Beziehungsgeflecht zwischen Australien und den einzelnen ASEAN-Staaten stärker in den Fokus gerückt werden können. Zu Recht stellt Halvorson die Beziehungen zu Indonesien in den Vordergrund, trotz aller alten Commonwealth-Solidarität zu Malaysia und Singapur. Allerdings war auch dieses nicht so spannungsfrei, wie von ihm dargestellt. Die Positionierung Australiens in der Osttimor-Frage erscheint bis heute vielen Analytikern opportunistisch, brachte Australien kurz- bis mittelfristig nichts ein und isolierte das Land – und Großbritannien – gegenüber seinen europäischen Partnern. Auch hier hätte der Autor, die Außenpolitik Whitlams kritisch hinterfragen können, denn das scheint eine zentrale Stoßrichtung des Buches zu sein.
Im Ausblick thematisiert Halvorsen dann, wie sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts für Australien die Konstellation zu Beginn des „Kalten Krieges“ wiederholt und wie es wieder vor ähnlichen Entscheidungen stehen könnte, nun allerdings mit China als Gegner. Aber auch hier wiederholt sich nach Ansicht des Rezensenten wieder die Ich-Bezogenheit Australiens auf die angelsächsische Achse und das Talent, Partner zu verärgern: Nun allerdings Frankreich und nicht die ASEAN-Staaten. Auch kommen hier die Konflikte zwischen Australien und China aufgrund bewusst eingegangener wirtschaftlicher Abhängigkeitsverhältnisse, aber auch der starken Präsenz chinesischer Migranten seit 1989 zu wenig zum Tragen.
Trotz dieser Kritikpunkte handelt es sich um ein Buch, dass vor allem für europäische (und amerikanische) Leser nochmals weitere Akteure globaler Regional- und Weltpolitik in den Mittelpunkt rückt und darauf verweist, dass Australien durchaus die Möglichkeit hatte, seine begrenzten Ressourcen für eine umfassendere, eigenständige Außenpolitik zu nutzen. Australien als Akteur erscheint in europäischen, vor allem aber britischen Akten, oft zu sehr als abhängiger, unselbstständiger Akteur. Insofern öffnet das Buch hier neue Perspektiven. Das Buch ist inzwischen auf der Seite des Verlages kostenlos herunterladbar.
Anmerkungen:
1 Halvorson scheint die Begriffe „Asien“ und „Ost-Asien“ für austauschbar zu halten bzw. benutzt er sie synonym. Dies irritiert besonders, da ja der eigentliche Partnerraum Südostasien ist, das sich selbst spätestens seit den 1960er Jahren sehr bewusst sowohl von Süd- wie von Ostasien abgrenzte. Dies scheint auch mit einem Selbstvergewisserungsdiskurs australischer Außenpolitik zusammenzuhängen: Wie Halvorson klar aufzeigt, betrachtete sich Australien bis zum Regierungsantritt Whitlams durchaus gelegentlich als Teil Asiens. Erst mit ihm sowie durch die südostasiatischen Partner wurde es in den Indopazifik abgeschoben (so zum Beispiel Seite 154, nicht nur 164-165, wie im Index verzeichnet); ein Bild, das auch der dominanten Sicht Australiens als Teil des angelsächsischen Raums durchaus entsprechen dürfte.
2 So die Überschrift zu Kapitel Vier, die eine deutlich passivere Stoßrichtung nahelegt, als der im Kapitel selbst behandelte Anti-Kommunismus.