K. Castryck-Naumann (Hrsg.): Transregional Connections

Cover
Titel
Transregional Connections in the History of East-Central Europe.


Herausgeber
Castryck-Naumann, Katja
Reihe
Dialectics of the Global (9)
Erschienen
Anzahl Seiten
VIII, 341 S.
Preis
€ 69,95
Rezensiert für Connections. A Journal for Historians and Area Specialists von
Zaur Gasimov, Abteilung für Osteuropäische Geschichte, Universität Bonn

Leipzig entwickelte sich zu einem herausragenden Ort interdisziplinärer geschichtswissenschaftlicher Forschung zum östlichen Europa, das über die Grenzen der konventionellen Regionalwissenschaften hinaus stets in grenzüberschreitender Perspektive betrachtet und untersucht wird. Davon zeugt dieser von Katja Castryck-Naumann herausgegebene Sammelband zu transregionalen Verbindungen in der Geschichte Ostmitteleuropas. Die meisten Beitragenden sind deutsche und internationale Kunst- und Osteuropahistoriker:innen, die am Center for Global and Area Studies der Universität Leipzig wie auch am Leibniz-Institut für Kultur und Geschichte des östlichen Europa (GWZO) forschen. Der Sammelband zielt darauf ab, die bislang dominierenden transnationalen Zugänge zur ostmitteleuropäischen Geschichte um einen geschärften Blick auf transregionale Verflechtungen zu erweitern.

Die Zeithistorikerin Castryck-Naumann eröffnet den Sammelband mit einem konzeptionellen Beitrag, der nicht nur in die Komposition des Bandes einführt, sondern ebenso über den inzwischen kaum übersehbaren Korpus an Ergebnissen der internationalen Forschung zur Transnationalität wie auch zur Verflechtungsgeschichte Ostmitteleuropas reflektiert. Darüber hinaus analysiert sie die theoretischen Grundlagen der transregionalen Verflechtungen in ihrem Unterschied wie auch in der Ergänzung zur transnationalen Betrachtungsweise. Das Buch gliedert sich in drei thematische Blöcke, die jeweils aus drei Aufsätzen bestehen.

Der erste thematische Teil widmet sich globalen Verflechtungen des östlichen Europas, die anhand von drei Fallstudien aus dem 19. und 20. Jahrhundert nachgezeichnet werden. Uwe Müller setzt sich mit der Rolle Osteuropas, vor allem Polens, Ungarns und auch Russlands in den Weizenkrisen im Kontext der (De-)Globalisierung von 1870 bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs auseinander. Andrzej Michałczyk unternimmt eine Fallstudie, die exemplarisch die Internationalisierung von „Subregionalität“ demonstriert. Er untersucht die Auswanderungswellen aus Oberschlesien innerhalb von hundert Jahren bis in die 1930er-Jahre hinein, wobei informelle Netzwerke der Auswanderer im Fokus der Darstellung stehen. Die Kunsthistorikerin Beáta Hock thematisiert die regen Kontakte und Austauschprozesse zwischen ungarischen KünstlerInnen und der westlichen Kunstszene während des Kalten Kriegs. Auf der Basis einer Auswertung mehrerer privater Kunstsammlungen aus Budapest kann Hock die These der vermeintlichen Verschlossenheit des als einheitlich und beinahe abgeriegelt betrachteten Ostblocks treffend und faktenreich widerlegen.

Im Fokus des zweiten thematischen Blocks steht die Partizipation von Akteuren aus dem östlichen Europa auf der Bühne der internationalen Politik. Hier sind es drei Beiträge, die schwerpunktmäßig die Entwicklungen des Völkerrechts bzw. die Evolution der internationalen Rechtsprechung im Hinblick auf den Drogenhandel aufgreifen. Besonders hervorzuheben ist die Studie von Dietmar Müller über die Diskurslandschaften und die Dynamiken der Debatten über das Völkerrecht im Kontext des Völkerbunds. Neben intensiver Berücksichtigung des völkerrechtsrelevanten Schrifttums Raphael Lemkins und des weniger bekannten exilrussischen Rechtswissenschaftlers und Orientalisten André Mandelstam setzt sich Müller mit Beiträgen rumänisch(sprachig)er AutorInnen aus der Zwischenkriegszeit auseinander. Bemerkenswert ist auch der Aufsatz von Gilad Ben-Nun zum Nexus zwischen rechtlichen Grundlagen und Praktiken im Talmud und dem mehrsprachigen Hintergrund vieler VölkerrechtlerInnen jüdischer Abstammung. Ben-Nun gelingt es, nicht zuletzt aufgrund seiner eigenen Sprachkenntnisse und Kompetenzen, die Verflechtungen zwischen konfessioneller Bildung, Mehrsprachigkeit und Rechtspraktiken herauszuarbeiten und diese in einer longue-durée-Perspektive zu analysieren.

Das abschließende Kapitel widmet sich den interregionalen Verbindungen zwischen dem östlichen Europa und dem globalen Süden. Die Beiträge von Klemens Kaps und Michael G. Esch behandeln die Handelsbeziehungen zwischen Osteuropa und dem spanisch besetzten Teil Südamerikas im 18. Jahrhundert sowie die Auswanderung von Osteuropäer:innen in diese Region im 19. und im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts. Zeithistorisch ausgerichtet ist der Aufsatz von Immanuel Harisch zu den ostdeutschen ExpertInnen in Angola während des Kalten Kriegs.

Der Sammelband von Katja Castryck-Naumann ist ein gelungenes Publikationsprojekt mit innovativen und quellengesättigten Beiträgen, deren Lektüre allen zu empfehlen ist, die sich für Verflechtungsgeschichte und transregionale Verbindungen in der Geschichte Ostmitteleuropas und Osteuropas interessieren. Die Beiträge zielen nicht auf Vergleichsstudien, die bestimmte Phänomene in unterschiedlichen Regionen in chronologischer Symmetrie betrachten, sondern analysieren Phänomene wie z.B. die Entwicklung und (Mit-)Gestaltung des Völkerrechts konsequent in ihrer Transregionalität und supraregionaler Verwobenheit. Diese vielversprechende Leseart eignet sich durchaus zur Übertragung auf die Untersuchung anderer Weltregionen und ihrer transregionalen Verbindungen, beispielsweise des Nahen Ostens oder auch des Kaukasus.

Redaktion
Veröffentlicht am
17.02.2023
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