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Title
Hooghly. The Global History of a River


Author(s)
Ivermee, Robert
Published
London 2020: Hurst & Co.
Extent
256 S.
Reviewed for Connections. A Journal for Historians and Area Specialists by
Markus Koller, Ruhr-Universität Bochum

In den vergangenen beiden Jahrzehnten hat sich die Anzahl von Studien deutlich erhöht, die globalgeschichtliche Fragestellungen am Beispiel von Flüssen, Strömen oder Deltas diskutieren. In diese Forschungstendenz fügt sich auch die vorliegende Monographie über die Geschichte des außerhalb Indiens noch wenig bekannten Flusses Hugli (engl. Hooghly) ein, der als ein Mündungsarm des Ganges in den Golf von Bengalen fließt. Robert Ivermee, der sich insbesondere für die Kolonialgeschichte des indischen Subkontinents interessiert, richtet den Fokus auf „[…] the incorporation of the Hooghly into global networks for the regular and systematic transfer of people, commodities, institutions, ideas, and aspects of culture.” (S. 9) Mit diesem Ansatz möchte er sich an den Überlegungen von Sebastian Conrad orientieren, der die Analyse globaler Integrationsprozesse als ein wichtiges Anliegen der Globalgeschichte betrachtet (S. 8). Dieser Anspruch bildet gleichsam den „roten Faden“ dieser Studie, die auf einem sehr breiten Spektrum interdisziplinärerer Zugänge basiert. Die Darstellung beginnt zeitlich an der Schwelle vom 15. zum 16. Jahrhundert, als der Indische Ozean stärker in das Blickfeld europäischer Mächte geriet und schließlich die ersten portugiesischen Kaufleute nachweislich am Hugli auftraten. Im weiteren Verlauf folgt die Darstellung nicht konsequent einer chronologischen Abfolge, sondern rückt vielmehr – auch in einer jeweils epochenübergreifenden Perspektive – einzelne Akteure und spezifische Prozesse in den Vordergrund. Dafür wählt Robert Ivermee für die jeweiligen Kapitel einen zentralen Ort am Hugli aus, dessen Geschichte eng mit dem zu beschreibenden Akteur oder Prozess verbunden ist. Ein solcher Ansatz ist bereits häufiger in Publikationen angewandt worden, die einzelne Regionen in globale Bezüge einzuordnen versuchten.1

Zunächst richtet der Autor den Blick auf die Stadt Hooghly, die sich zum Zentrum portugiesischer Stützpunkte und Siedlungen in Bengalen entwickelte. Kaufleute und Missionare trugen maßgeblich zum Ausbau der Stadt als religiöses, ökonomisches und auch politisches Zentrum nicht nur im Gefüge der portugiesischen Kolonialstrukturen im estado da India bei. Bereits das erste Kapitel zeigt deutlich, wie Portugal beziehungsweise Personen aus dem iberischen Königreich zu Akteuren der Regionalpolitik in Bengalen wurden und ihre Position im lokalen Machtgefüge immer wieder neu aushandeln mussten. Solche Prozesse lassen sich unter anderem an der Zerstörung Hooghlys durch die Moghuln im Jahre 1632 nachzeichnen. Die Herausbildung globaler Integrationsprozesse veranschaulicht auch der zunehmende Einfluss von Handelsgesellschaften, die sich in unterschiedlicher Form im frühneuzeitlichen Europa herausbildeten. Mehrere von ihnen engagierten sich auch am Hugli. Für die Geschichte des indischen Subkontinents erlangte die im Jahre 1600 von Londoner Kaufleuten gegründete East India Company die größte Bedeutung. Robert Ivermee beschreibt deren Machtaufstieg in Bengalen als einen langfristigen Transformationsprozess, der sie von einem „Wirtschaftsunternehmen“ in eine militärisch-administrative Institution verwandelte, die schließlich ein wesentlicher Motor für die britische Herrschaft in Indien wurde. Ein entscheidender Schritt in diesem Prozess war nicht zuletzt die Einbindung der Company in die lokalen Herrschafts- und Verwaltungsstrukturen Bengalens, innerhalb derer sie ihre Machtposition immer weiter ausbauen und schließlich eine dominante Position erlangen konnte. Diese Entwicklung war auch von intensiven Diskussionen über Funktion und Charakter der Company begleitet, die sowohl in Indien als auch in London geführt wurden. Mit der Umwandlung der East India Company war auch das Recht verbunden, Steuern von der Bevölkerung einzutreiben und andere Privilegien als Grundherrn wahrzunehmen. Die Anwendung von Gewalt bei der Eintreibung der Abgaben oder unberechtigte Steuerforderungen waren Aspekte, die zur kritischen Auseinandersetzung über die Rechtmäßigkeit der Herrschaftsausübung europäischer Mächte in anderen Teilen der Welt beitrugen. Gerade im Kontext der Aufklärung flossen die Ereignisse am Hugli in die entsprechenden Debatten und Diskurse ein, die dann zu einer zumindest theoretischen Neupositionierung führten. Das Argument, die Herrschaft zum „Wohle“ der indigenen Bevölkerung auszuüben und damit einer moralischen Verantwortung nachzukommen, rückte zunehmend in den Vordergrund. Der enge Austausch von Ideen und Nachrichten zwischen Bengalen und Europa wird auch im Kontext der Französischen Revolution sichtbar, was Robert Ivermee am Beispiel von Chandernagore/Chandannagar diskutiert. Die Stadt bildete ein Zentrum französischer Handelsaktivitäten und ihr politisches und gesellschaftliches Leben wurde ab 1789 von den Ereignissen in Frankreich stark beeinflusst. Die politischen Fraktionsbildungen in Paris widerspiegelten sich am Ufer des Hugli und veränderten die dortigen Machtverhältnisse. Gleichzeitig wurde die Region am Hugli auch in die militärischen Konflikte zwischen den europäischen Mächten hineingezogen. Im Siebenjährigen Krieg (1756-1763) verwandelte sich Bengalen zu einem Kriegsschauplatz, in dem sich Frankreich und Großbritannien mit ihren jeweiligen lokalen Verbündeten gegenüberstanden. Lokale Ursachen und die internationale politisch-militärische „Großwetterlage“ prägten die dortigen Kämpfe und schwächten schließlich die französischen Machtambitionen in diesem Raum nachhaltig. In der Historiographie wird immer wieder die Frage aufgeworfen, inwieweit die Aktivitäten von Handelsgesellschaften und/oder von Missionsorden als erfolgreich bezeichnet werden können. AutorInnen wie Robert Ivermee verweisen dabei immer häufiger auf langfristige Impulse, zu denen beispielsweise der Buchdruck gehört. Dieser Aspekt wird vor allem im Kapitel über die Missionsaktivitäten der Baptisten in Serampore diskutiert, die zunächst keine zahlenmäßig großen „Erfolge“ vorweisen konnten. Aber der Buchdruck ermöglichte nicht zuletzt die Verbindung regionaler religiöser Vorstellungen und Debatten mit den Diskussionen im religiös-konfessionell ebenfalls heterogenen Europa und führte unter anderem dazu, dass neue Denkströmungen auch im hinduistisch und muslimisch geprägten Bengalen (und darüber hinaus) entstanden. Brahmo Samaj zählt zu den bekanntesten Beispielen. In einer längerfristigen Perspektive waren solche Dynamiken aber auch ein Grund dafür, dass regionale und schließlich auch nationale Identitätskonzepte gestärkt und somit auch die britische Herrschaft selbst von lokalen Akteuren zunehmend in Frage gestellt wurden. Dies trug dazu bei, dass innerhalb der britischen Gesellschaft und Politik veränderte Konzepte zur Legitimierung der britischen Herrschaft in Indien auf die Tagesordnung kamen. Spätestens nach dem Aufstand von 1857/58 standen nunmehr vermeintliche „racial and cultural differences“ zwischen Großbritannien und Indien im Vordergrund (S. 187.). In diesen Debatten tauchte immer wieder das Argument auf, dass nicht nur die Menschen, sondern auch die Natur auf dem indischen Subkontinent schwer zu beherrschen seien. Die Nutzung des Hugli als Wasserstraße, der Ausbau des Schienennetztes oder auch die Einführung der Dampfschifffahrt prägten im 19. und 20. Jahrhundert die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in Bengalen und manifestierten sich im schnellen Wachstum Kalkuttas, das von diesen Entwicklungen zunächst stark profitierte; zumindest bis Delhi 1911 zur neuen Hauptstadt ernannt wurde. In diesen Kapiteln bringt Robert Ivermee sehr überzeugend Fragestellungen der Umwelt-, Technik- und Klimageschichte in seine Darstellung ein, die schließlich auch das abschließende Kapitel über „Hooghly’s Global Future“ prägen. In diesem zeigt er, wie unter anderem die Auswirkungen der Klimaerwärmung das Leben am und mit dem Hugli nachhaltig verändern. Gerade die Inselwelten im Delta sind aufgrund des steigenden Meeresspiegels bedroht, und in Teilen bereits untergegangen.

Das Buch ist konzeptionell überzeugend und zeichnet sich durch eine große Leserfreundlichkeit aus. Eine ausführliche Bibliographie, ein umfangreicher Index und ein präziser Fußnotenapparat tragen wesentlich dazu bei. Insgesamt ist es eine informative und gut lesbare Darstellung, die sehr zur Lektüre zu empfehlen ist.

Anmerkung:
1 Siehe beispielsweise Marie-Janine Calic, Südosteuropa. Weltgeschichte einer Region. München 2018.