T. Voon: Cultural Products and the World Trade Organization

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Title
Cultural Products and the World Trade Organization.


Author(s)
Voon, Tania
Series
Cambridge Studies in International and Comparative Law 54
Published
Extent
306 S.
Price
£ 60.00
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Isabella Löhr, Universität Heidelberg

Im Jahr 2000 entbrannte eine europaweit und intensiv geführte Diskussion über einzelne Bestimmungen der Welthandelsorganisation (WTO), die Wirtschaftsexperten, Politiker und Kulturakteure gleichermaßen auf den Plan riefen: Es ging um die öffentliche Filmförderung und das System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Europa, die in das Visier des von der WTO betreuten multilateralen Handelsabkommen General Agreement on Trade in Services (GATS) geraten waren. Zuvor waren insbesondere US-amerikanische Diplomaten bei der WTO mit der Beschwerde vorstellig geworden, dass öffentliche Filmförderung und der öffentlich-rechtliche Rundfunk als Subventionen zu interpretieren seien, die den im GATS-Abkommen festgelegten Regeln und damit einer weitgehenden Liberalisierung des Welthandels im Dienstleistungsbereich entgegen stünden. Die bis heute andauernde und noch immer kontroverse Diskussion dreht sich um prinzipielle Fragen, die vor allem für die auf Dienstleistungen, Informationen und Wissen konzentrierten westlichen Gesellschaften zentral sind: Was zeichnet Kultur/ und Wissensg[ter aus, sollen sie rechtlich und wirtschaftlich anders gehandhabt werden als zum Beispiel nichtkulturelle Dienstleistungen, welche Bedeutung haben sie für Bildung, Wissenschaft, öffentliche Meinungsbildung und gesellschaftlichen Fortschritt und wo liegen schließlich die Grenzen einer Liberalisierung von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur?

Tania Voon widmet sich in ihrer Studie diesem Themenkomplex, indem sie das GATS- und das GATT-Abkommen (General Agreement on Trade and Tariffs) unter die Lupe nimmt und fragt, wie Kultur und kulturelle Güter in beiden Abkommen definiert werden, welche Möglichkeiten die Abkommen für eine nationale Kulturpolitik bereithalten, die sich das Vorrecht kulturpolitischer Entscheidungshoheit bewahren will, und welche handelspolitischen und -rechtlichen Probleme die Interessenkonflikte zwischen Liberalisierung und kulturpolitischer Autonomie bisher gezeitigt haben. Voon nähert sich dem Thema aus einer rechtswissenschaftlichen Perspektive: Sie diskutiert grundlegende Begriffe wie Liberalisierung, Kultur sowie Kulturgut und zeichnet Interessenkonflikte nach, die aus unterschiedlichen Definitionen von Kultur und staatlicher Kulturpolitik resultieren. Aber die Autorin bewegt sich ausschließlich innerhalb des Referenzrahmens, den das GATT- und das GATS-Abkommen definieren und vermeidet auf diese Weise jede grundsätzliche Diskussion, ob Kultur und kulturelle Güter überhaupt in einem multilateralen Handelsabkommen sinnvoll aufgehoben sind, das auf die Liberalisierung des Welthandels ausgelegt ist. Das spiegelt sich auch in dem Kulturbegriff, den Voon zur Anwendung bringt. Erstens reduziert sie aus pragmatischen Gründen Kultur auf Kulturindustrien und deren materielle Produkte in Form von Printmedien, Filmen und Musikprodukten (S. 19). Auf diese Weise rückt sie zwangsläufig die kommerzielle Dimension von Kultur und die Annahme in den Vordergrund, kulturelle Güter seien prinzipiell mit anderen Handels- und Dienstleistungsprodukten vergleichbar. Das geschieht zu Ungunsten eines weiten Kulturbegriffs, der die Dichotomisierung von Kultur in kommerzielle und nichtkommerzielle Aspekte, die maßgeblich zum Verhandlungsstillstand im Rahmen der WTO beigetragen hat, von vornherein zu vermeiden suchte. Zweitens operiert sie mit einem statischen und in Zügen essentialistischen Kulturbegriff, sobald sie Kultur an eine als homogen gedachte Gemeinschaft bindet, die mit Hilfe staatlicher Kulturförderung und der Abwehr einer Liberalisierung des Kulturmarktes zur Wahrung nationaler Identität beitrüge, wie Voon argumentiert (S. 11f). Auch wenn die Autorin diesen essentialistischen Kulturbegriff nicht über das ganze Buch hindurch beibehält und insbesondere am Schluss für ein dynamisches und grenzübergreifendes Kulturverständnis eintritt, prägt dieser konzeptionelle Zugriff, Kultur als Bestandteil nationaler Identitätsbildung zu denken, weite Teile der Studie. Was man von der Studie daher nicht erwarten darf, ist eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Begriff und dem Phänomen Kultur, keine kritische Reflektion liberaler Wirtschaftsmodelle, die im Abbau von Handelshemmnissen ein wesentliches Mittel für die Beförderung des sozialen und individuellen Wohls sehen, und auch keine Beschäftigung mit den historischen und gesellschaftlichen Hintergründen nationaler oder regionaler Kulturförderung. Dafür gibt die Studie dem Leser einen detaillierten und eloquenten Einblick in die Begriffswelt, Denk- und Argumentationsstruktur des GATT- und des GATS-Abkommens.

Voon nähert sich dem Thema in zwei großen Abschnitten. Der erste Abschnitt geht den Gründen für die ins Stocken geratenen Verhandlungen über das Verhältnis von Welthandel und kulturellen Gütern nach, eine Problematik, die in Voons Augen einem politischen Stillstand gleich kommt. Das erste Kapitel untersucht das schwierige Verhältnis von Kultur und Wirtschaft, wie es in den WTO-Verträgen aufscheint, indem die Autorin nach den spezifischen Unterschieden zwischen kulturellen und wirtschaftlichen Gütern fragt, den Sinn und Zweck von staatlicher Kulturförderung diskutiert, die Ordnungsvorstellungen der WTO-Verträge nennt und handelspolitische Dispute vorstellt, bei denen das WTO-Schiedsgericht entscheiden musste, ob eine von einem Mitgliedsstaat ergriffene Schutzmaßnahme ernsthafte kulturpolitische Ziele verfolgte oder eher eine verdeckte protektionistische Maßnahme war. Das zweite Kapitel analysiert die Argumente für und gegen eine Sonderbehandlung kultureller Güter im Rahmen der WTO und plädiert dafür, dass alle Maßnahmen zur Unterstützung nationaler, regionaler oder lokaler Kulturindustrien als sinnvoll anerkannt werden sollten, sofern sie keine Handelshemmnisse mit sich bringen – wie genau das funktionieren soll, lässt die Autorin allerdings offen. Das dritte Kapitel analysiert die Verfahrensprobleme innerhalb der WTO, die den Umgang mit kulturellen Gütern grundsätzlich verkomplizieren. Dazu zählt vor allem ein verschiedener Umgang mit kulturellen Gütern, je nachdem ob sie unter GATT als Güter oder unter GATS als Dienstleistungen subsumiert werden.

Im zweiten großen Teil der Studie diskutiert Voon drei Möglichkeiten zur besseren Einbettung von kulturellen Gütern in die WTO-Abkommen: Streitschlichtung, die Regelung kultureller Güter in einem internationalen Vertrag außerhalb der WTO – wie zum Beispiel die 2005 verabschiedete UNESCO-Konvention zum Schutz kultureller Vielfalt, die sich laut Voon allerdings nicht für die Lösung der Konflikte innerhalb der WTO eignet, weil sie handelspolitische Bedürfnisse nicht berücksichtige – und schließlich eine Revision von GATS und GATT, die die Regeln zwischen den WTO-Abkommen vereinheitlichen und zugleich einen Ausgleich zwischen kultur- und handelspolitischen Interessen schaffen könnte.

Es bleibt eine Studie, die dem Leser einen informierten Einblick in das problematische Verhältnis von Kultur und Handel im Rahmen der aktuellen WTO-Verträge gewährt, indem sie konkurrierende politische Zielvorstellungen und Interessen einzelner Mitgliedsstaaten sowie definitorische und praktische Probleme analysiert, ohne allerdings die grundsätzliche Frage zu stellen, ob die WTO der geeignete Ort ist, um über die internationale Koordination von kulturpolitischen Maßnahmen im weitesten Sinne nachzudenken.

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Published on
03.09.2010
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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