S. L. Dawdy: Building the Devil's Empire

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Title
Building the Devil's Empire. French Colonial New Orleans


Author(s)
Dawdy, Shannon Lee
Published
Extent
319 S.
Price
€ 26,99
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Andreas Hübner, International Graduate Centre for the Study of Culture (GCSC), Universität Giessen

Ein Blick auf die Studien zum kolonialen Louisiana und zur Stadt New Orleans offenbart zwei Aspekte. Zum einen erscheint die historiographische Annäherung an Zeit und Raum des Kolonialen geprägt von Narrativen der Krise und des Chaos. Zum anderen fallen Arbeiten ins Auge, die im Gegensatz hierzu und in der Auseinandersetzung mit eben diesen Narrativen die sukzessiv-normative Entwicklung der Kolonie Louisiana und speziell von New Orleans betonen.1 Was Shannon Lee Dawdy dazu bewegt hat, diesen Studien eine Weitere hinzuzufügen, formuliert sie gleich zu Beginn: „how did the town get (and maintain) this wild reputation, and what does it say about both Old World perceptions and New World realities?“ (S. 2) Während der erste Teil ihrer Ausgangsfrage die Historisierung und Kontextualisierung der Narrative von Krise und Chaos verlangt, versucht sie mit dem zweiten Teil ihrer Fragestellung einer allzu dichotomen Bewertung dieser Narrative vorzubeugen. So ist ihr weniger an einem bloßen Abwägen von Krise und Fortschritt oder Chaos und Ordnung gelegen, sondern vielmehr daran, über die Analyse der verschiedenen Narrative unser Verständnis zum generellen Charakter des Kolonialismus, und zwar nicht nur in New Orleans und Louisiana, weiterzuentwickeln.

Dawdy, die sich der historischen Anthropologie zuordnet, benennt a priori drei Prämissen, die zugleich die Stärke und die Schwäche ihrer Studie ausmachen. Negiert der Leser diese Prämissen, dann liefert die Studie wenig Neues, basiert sie doch auf bekannten Quellen wie den Materialien des Archivo General de Indias oder der Archives Nationales de France. Akzeptiert der Leser diese Prämissen allerdings, dann eröffnet die Studie tatsächlich innovative Perspektiven auf den Charakter des Kolonialismus abseits der konventionellen Narrative. Dawdy betont erstens die Bedeutung des aufgeklärten Absolutismus. Ohne dessen Rationalität und Experimentierfreudigkeit sei die Konzeption der Stadt New Orleans, das heißt ihre Anlage auf soziale Kontrolle und ökonomische Manipulation hin, nicht zu verstehen. Die Figur des Ingenieurs und dessen Funktion bei der Stadtplanung verkörperten diese Prämisse par excellence. Zweitens versteht sie die Kolonien als Laboratorien von Ideen und Praktiken neuer Staatlichkeit. Aus diesen Laboratorien heraus entwickelten sich die Kreolen bzw. die Gruppe der Kreolen als zirkumkaribisches Netzwerk ab 1732 zu den eigentlichen Akteuren der Kolonien. Die Kreolen, die Dawdy mit „native born“ abgrenzt (S. 5), begreift sie, drittens, als zentrale Figuren bei der Ausbildung einer modifizierten Form des Kolonialismus, der weniger der Entwurf imperialer Staaten, denn vielmehr das Projekt individueller Akteure in den Kolonien selbst gewesen sei. Mit dieser Form des Kolonialismus, von ihr als Rogue Colonialism definiert, verknüpft sie die Figuren der rogues, der Gauner, Schurken und Schmuggler. Diese rogues, so Dawdy, repräsentierten das Wechselspiel zwischen imperialer Kontrolle und lokaler, kreolischer Selbstverwaltung in der französischen Kolonialperiode Louisianas modellhaft.

Ausgehend von diesen Prämissen untersucht Dawdy die Geschichte der Stadt New Orleans von ihrer Gründung im Jahre 1718 bis zur Revolte von 1768, die sie als Höhepunkt des „Schurkenkolonialismus“ lokaler Eliten beschreibt. Ihr Fokus gilt dabei dem zeitgenössischen intellektuellen und literarischen Diskurs, der Stadtplanung, der Ausformung von Handel und Wirtschaft, der Entfaltung sozialer Ordnung und Hierarchien sowie der Rechtsordnung und -disziplin. Den Einstieg in die einzelnen Kapitel liefert jeweils der biographische Abriss einer Person, die exemplarisch für die Entwicklungen des entsprechenden Kapitels steht. Für das Kapitel zur Rechtsordnung und -disziplin wählt Dawdy den ehemaligen Sklaven Louis Congo. Mit seiner Freilassung wurde er zum öffentlichen Henker der Kolonie ernannt und damit Teil einer bewussten „divide and rule tactic“ der französischen Administration. (S. 200) Diese zielte darauf ab, Animositäten zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen, zum Beispiel Sklaven, Native Americans und Kontraktarbeitern, zu schüren und sie somit in der Konkurrenz zueinander zu disziplinieren. Grundsätzlich, so Dawdy, hätte die Disziplinierung der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen in Louisiana erhebliche Modifikationen des französischen Rechtssystems erfordert. Den Erlass eines überarbeiteten Code Noir im Jahr 1724, das Verbot von Anwälten sowie das Fehlen eines Polizeiapparates in der Kolonie erörtert Dawdy in eben diesem Zusammenhang; und sie identifiziert diese imperialen „Modifizierungen“ als Ausgangspunkte des lokalen Rogue Colonialism.

Auch in Bezug auf die urbane Stadtplanung, die Ausformung von Handel und Wirtschaft sowie die Entfaltung sozialer Ordnung und Hierarchien hebt Dawdy die jeweiligen Modifizierungen französischer Praktiken für Louisiana bzw. New Orleans hervor. Ihrer Grundthese folgend begreift sie die Modifizierungen als Reaktionen auf das Wechselspiel zwischen experimentell-imperialer Kontrolle und lokaler Selbstverwaltung. So argumentiert Dawdy, dass die zahlreichen Zensuserhebungen der Kolonialverwaltung bis 1732 kontinentale Kontrollinstrumentarien darstellten: „Early Louisiana administrators conducted some of the most detailed door-to-door censuses of the early modern era that attempted to fix the name, status, and location of colonial immigrants.“ (S. 228) Zudem wäre ohne diese Erhebungen die Generierung einer kreolischen Ordnung in New Orleans und Louisiana nicht zu verstehen: „census-taking was an attempt not to record the social order, but to create it.“ (S. 158) Beginnend mit und basierend auf diesen Erhebungen hätten sich Hierarchien entwickelt, die eher nach persönlichem Besitz denn nach nobler Abstammung unterschieden und damit lokale Aufsteiger – mit fortwährender Dauer kreolische Sklavenbesitzer und Kaufleute – und deren imperiale Verbündete an die Spitze der Kolonie stellten.2 Die Gewichtung des persönlichen Besitzes bei der Entstehung sozialer Hierarchien hätte in der Anfangsphase der Kolonie eine hohe Mobilität zwischen den verschiedenen Klassen zugelassen. Durch die Verdichtung des Kapitals auf einzelne Personen, Familien und interfamiliäre Netzwerke sei diese Dynamik im Laufe der Zeit aber verloren gegangen.

Gemäß Dawdy war die kreolische Ordnung und Hierarchisierung Louisianas zur Ankunft der Spanier in ihren Grundzügen abgeschlossen. Der Auslegung, die oben genannte Revolte von 1768 allein unter den Aspekten einer machterhaltenden, politisch-motivierten Aktion kreolischer Eliten gegenüber den Spaniern zu betrachten, folgt sie nicht. Vielmehr identifiziert Dawdy ein weiteres Merkmal des Rogue Colonialism in den Motiven der Rebellen: Sie konstatiert die Bedeutung der Schmuggelökonomie für New Orleans und Louisiana, erfasst den Raum gar über den Begriff des Smuggling Empire und argumentiert, dass letztlich die Furcht, die Spanier könnten der Schmuggelei ein Ende bereiten, den entscheidenden Impuls zum Beginn der Revolte geliefert hätte. (S. 115/130) Diese Form der Argumentation verweist auf Dawdys Ausgangsfrage. Anstatt die Revolte als Symbol des gesellschaftlichen Chaos zu diskutieren oder den normativen Charakter der Schmuggelökonomie über zu bewerten, erkennt sie ein modifiziertes, lokales Wirtschaft- und Handelssystems. Nach Dawdy entstand dieses zum einen in Reaktion zum schwächelnden, französischen Merkantilismus. Zum anderen stellte es eine Anpassung an die Verhältnisse des zirkumkaribischen Raumes dar. Mit dieser Argumentation überwindet sie den Dualismus von Chaos und Norm, der viele Darstellungen zum kolonialen Louisiana und New Orleans kennzeichnet. Im Prinzip entlarvt sie diese als Fortschreibungen des kolonialen intellektuellen und literarischen Diskurses. So stecke oftmals mehr Imagination denn Realität in den Diskursen bzw. Narrativen der zeitgenössischen Autoren. Schließlich seien viele der (Ego)Dokumente und -quellen innerhalb der Tradition der französischen Histoire verortet. Exemplarisch hierfür stände der Versuch, New Orleans als Gegenentwurf zur „Stadt des Lichts“, Paris, zu etablieren: „Within ten years of its founding New Orleans began to appear in literary descriptions as a dark, primitive, and abandoned place, governed by immoral pleasures rather than by rationality and law.“ (S. 26)

Dawdys Studie überzeugt nicht nur, weil sie die Konstruktion dieser Narrative und Diskurse aufdeckt, analysiert und deren weitere Bedeutung für die Entwicklung der Stadt New Orleans anerkennt. Dawdys Studie überzeugt vor allem deswegen, weil sie einen Schritt weiter geht und aus der Analyse heraus mit dem Entwurf des Rogue Colonialism einen Ansatz vorstellt, der nicht nur für New Orleans, Louisiana und den zirkumkaribischen Raum neue Perspektiven eröffnet, sondern unser Verständnis vom generellen Charakter des Kolonialismus nachhaltig beeinflusst. Tatsächlich verlässt Dawdy mit dem Rogue Colonialism das “heroes-and-villains model of historical explanation and social analysis.“ (S. 245) Sie löst die Gegensätzlichkeiten von Chaos und Ordnung, von imperialer Kontrolle und lokaler Verwaltung. Damit liefert sie letztlich eine neue Konzeption der Kreolen und der Kreolisierung.

Anmerkungen:
1 Vgl. u.a. Mark F. Fernandez, From Chaos to Continuity. The Evolution of Louisiana’s Judicial System, 1712-1862, Baton Rouge 2001; Gwendoly Midlo Hall, Africans in Colonial Louisiana. The Development of Afro-Creole Culture in the Eighteenth Century, Baton Rouge 1992; Thomas N. Ingersoll, Mammon and Manon in Early New Orleans. The First Slave Society in the Deep South, 1718-1819, Knoxville 1999; Daniel H. Usner, Indians, Settlers, and Slaves in a Frontier Exchange Economy. The Lower Mississippi Delta before 1783, Chapel Hill 1992.
2 Dawdy greift die Idee der Zensuserhebung als Mittel sozialer Kontrolle auf, die in der Forschung an anderer Stelle weiter ausgeführt wird, vgl. u.a. David Kertzer und Dominque Arel (Hrsg.), Census and Identity. Politics of Race, Ethnicity and Language in National Censuses, New York 2002, insbesondere S. 1-42.

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01.10.2010
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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