P. Duara: The Global and Regional in China’s Nation-Formation

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Title
The Global and Regional in China’s Nation-Formation.


Author(s)
Duara, Prasenjit
Series
Asia's Transformations / Critical Asian Scholarship
Published
London 2009: Routledge
Extent
253 S.
Price
$ 31.95
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Dominic Sachsenmaier, Department of History, Duke University

Bei dem Band handelt es sich um eine Sammlung bereits veröffentlichter, teilweise aber deutlich überarbeiteter Aufsätze. Mit einer gelungenen Mischung aus theoretischen und empirischen Studien möchte Duara, der schon früh mit dem Werk “Rescuing History from the Nation” die räumliche Ideologisierung der chinesischen Geschichtsschreibung problematisierte, neue Wege aufzeigen, Ostasien und seine Geschichte zu denken. Dabei ist es ihm ein besonderes Anliegen, den Blick auf Staaten Ostasiens von „außen nach innen“ zu richten. Denn, so Duara, schon allein der Nimbus historischer Souveränität sei in Wahrheit viel eher das Produkt transnationaler Umwälzungen und Diskurse als dies die nationalzentrierten Formen von Geschichtsschreibung gemeinhin anerkennen.

Die Abwertung oder zumindest Relativierung nationalgeschichtlicher Perspektiven schließt die Aufwertung alternativer Raumvorstellungen ein. In den ersten Teilen des Buchs erkundet Duara neben globalhistorischen und vergleichenden Studien im wesentlichen Vernetzungen und transnationale Räume innerhalb Ostasiens, besonders zwischen China und Japan. Innerhalb dieses Rahmens widmet sich das erste Kapitel der Genese nationaler Gesellschaften. Um diese Prozesse adäquat historisieren zu können, so Duara, sei es notwendig regionale Umwälzungen und globale Prozesse zusammen mit Entwicklungen innerhalb ostasiatischer Gesellschaften zu denken. Der Autor betont, dass translokale Faktoren wie die Zirkulation von Kapital oder der Transfer bestimmter Ideen und Institutionen die Nationalstaatswerdung in Ostasien entscheidend bestimmten. Bedeutend gewesen seien aber auch lokale Voraussetzungen wie etwa die langen Traditionen staatsbürokratischer Ordnung sowie die Möglichkeit, auf althergebrachte Narrative historischer Einheit zurückgreifen zu können. Nach Duara waren diese ungemein günstigen Voraussetzungen für Nationalisierung ein wesentlicher Grund dafür, dass nationale Identitäten während des 20. Jahrhunderts in den Gesellschaften Ostasiens festere Wurzeln treiben konnten als in vielen anderen Teilen der Welt.

Wie der Autor verdeutlicht, betrachtete man in Ostasien den Nationalismus zunächst gemeinhin als untrennbar mit dem Imperialismus verbunden. Zu offensichtlich waren für ostasiatische Beobachter die Mächte des Westfälischen Systems auch in koloniale Territorialisierungen von Herrschaft eingebunden. Hierdurch waren in Ostasien Formen globalen Bewusstseins auf andere, in gewisser Hinsicht sogar unmittelbarere Weise in das Spektrum nationaler Theorien und nationalistischer Gesinnungen verwoben als dies in weiten Teilen Europas der Fall war. Obwohl es um die Wende zum 20. Jahrhunderts auch in China entsprechende Meinungsströmungen gab, erwuchsen vor allem in Japan Kräfte und Bestrebungen, Nationalstaatswerdung mit kolonialer Expansion zu verbinden. Durch eine andere internationale Lage gekennzeichnet, dominierten dagegen in China und Korea im wesentlichen anti-imperiale Formen des Nationalismus.

Die sehr vielschichtigen Rollen, die Japan als koloniale Bedrohung und dabei zugleich als Vorbild regionaler Modernisierung spielte, werden im zweiten Kapitel ausführlicher diskutiert. Recht eingehend widmet sich der Autor dem Wesen des japanischen Kolonialismus, den er im wesentlichen mithilfe postkolonialer Theorien interpretiert – womit er auf dem Gebiet der Ostasienforschung teilweise Neuland betritt und neue historische Bezüge herstellt. Den Kern seiner Thesen bildet die Annahme, dass es sich bei der Rolle Japans in Manchukuo um den ersten Fall eines neuen Imperialismus handle, der sich grundlegend von den Formen direkter Herrschaftsmuster des europäischen Kolonialismus unterscheide. Der Imperialismus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, der später auch von den USA und der UdSSR praktiziert worden sei, habe anti-koloniale Rhetorik aufgenommen und sich formell zu Werten wie nationaler Unabhängigkeit und ethnischer Gleichheit bekannt.

Die folgenden Kapitel (drei bis sechs) widmen sich hauptsächlich der Geschichtsschreibung und historischen Erinnerung im China der Gegenwart. Unter anderem erörtert Duara rivalisierende Interpretationen der chinesischen Geschichte und hebt dabei deren nationale, subnationale und translokale Umfelder hervor. Dabei schließt sich der Autor nicht der These an, dass der chinesische Nationalismus eine moderne Erfindung darstelle. Duara räumt die historisch neuen Konnotationen nationalstaatlicher Identitäten und Geschichtsbilder ein, betont aber dennoch, dass zum Beispiel ethnozentrische Tendenzen immer wieder in der chinesischen Geschichte hervorgetreten seien. Ähnliches gelte auch für die Vorstellung einer nationalen Kultur: der Konfuzianismus habe zwar universale Ansprüche gehabt, dennoch aber habe man schon seit der Song-Zeit sein Wertesystem häufig als untrennbar mit dem chinesischen Staat und seiner Gesellschaft verbunden betrachtet. In diesem Zusammenhang betont der Autor, dass wesentliche Inhalte und Diskurse des chinesischen Nationalismus auch in anderen asiatischen Gesellschaften zu finden seien. Recht eingehend widmet sich der Autor in diesem Zusammenhang dem Nimbus der reinen, sich hingebenden Frau und ihrer Rolle als Hort von „Tradition innerhalb der Moderne“, wobei er auch Japan in den Blick nimmt.

Der letzte Teil des Buchs stellt komparatistische Fragen in den Vordergrund. Zunächst bietet Duara eine Fallstudie zu chinesischen Arbeitern in den USA und in Niederländisch-Ostindien. In den USA als nationalem Umfeld, so der Autor, befanden sich chinesische Migranten in einer Nische ohne Staatsbürgerrechte, die den Appell an politische Normen und die Möglichkeit sozialer Mobilität verwehrte. Anders verhielt es sich im kolonialen Kontext der niederländischen Herrschaft, in der Diskurse von Rechtsstaatlichkeit eine wesentlich geringere Rolle spielten, aber arme Migranten zumindest innerhalb eines von Rassenhierarchien geprägten Systems aufsteigen konnten. Eine der zentralen Schlussfolgerungen des Autors bildet die These, dass das Los chinesischer Arbeitskräfte in den USA vor 1943 in vielerlei Hinsicht härter gewesen sei als in Ostindien. Dabei verwahrt sich Duara allerdings gegen jegliche historische Verallgemeinerungen oder gar Aufwertungen von kolonialer Herrschaft.

Die beiden abschließenden Kapitel (acht und neun) haben makroskopische Vergleiche zwischen China und Indien zum Gegenstand. Zunächst untersucht der Autor Kritik an linearen Geschichtskonzeptionen, die in beiden Teilen der Welt während der Zwischenkriegszeit besondere Bedeutung erlangte. In einem weiteren Schritt führt Duara aus, dass sich sowohl in Indien als auch in China Versuche zu einer von traditionellen Mustern geprägten Moderne in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht durchsetzen konnten. Dennoch seien in beiden Fällen eigene Wege zu Marktwirtschaft und nationaler Staatlichkeit beschritten worden, die sich in mancherlei Hinsicht grundlegend voneinander unterschieden. So betont Duara etwa, dass die intellektuellen Eliten in Indien weniger egalitären Ansprüchen verhaftet seien als in China, wo bildungsnahe Schichten Programme radikaler Modernisierung deutlich stärker unterstützten. Aus diesen und anderen Gründen sei in China die Rolle des interventionistischen Staates wesentlich stärker möglich als auf dem Subkontinent.

Wie aus dem letzten Beispiel hervorgeht, marginalisiert Duara in seinem jüngsten Buch in keiner Weise die Bedeutung nationalstaatlicher Akteure und Handlungsmuster, doch betrachtet er diese von verschiedenen transnationalen und regionalen Gesichtspunkten aus. Hierbei deckt er ein breites Spektrum an Themen und methodologischen Ansätzen ab. Die Aufsatzsammlung hat sicherlich eklektischen Charakter, wobei sich in jedem Kapitel Querverweise auf andere Teile des Buchs finden. So entstand ein höchst lesenswertes Buch, das vor allem auch dem Experten neue, erfrischende Perspektiven auf die Geschichte Ostasiens im 20. Jahrhundert bietet.

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12.03.2010
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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