S. Eicker: Der Deutsch-Herero-Krieg und das Völkerrecht

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Title
Der Deutsch-Herero-Krieg und das Völkerrecht. Die völkerrechtliche Haftung der Bundesrepublik Deutschland für das Vorgehen des Deutschen Reiches gegen die Herero in Deutsch-Südwestafrika im Jahre 1904 und ihre Durchsetzung vor einem nationalen Gericht


Author(s)
Eicker, Steffen
Series
Schriften zum internationalen und zum öffentlichen Recht 80
Published
Frankfurt am Main 2009: Peter Lang/Frankfurt am Main
Extent
531 S.
Price
79.50 €
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Michael Pesek, Humoldt-Universität zu Berlin

Das vorliegende Buch von Steffen Eicker ist eine breitangelegte Studie zum Völkerrecht. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob eine ehemalige Kolonialmacht für Menschrechtsverletzungen vor internationalen und nationalen Gerichten heutzutage noch zur Verantwortung gezogen werden kann. Das Fallbeispiel ist der Völkermord an den Herero und Nama durch deutsche Kolonialtruppen in den Jahren zwischen 1904 und 1905. Über die Ereignisse in Deutsch-Südwestafrika ist in den letzten Jahren viel geschrieben worden und wohl noch mehr heftig gestritten worden. In der Forschung hat sich mittlerweile die Einsicht durchgesetzt, dass deutsche Kolonialtruppen 1904 einen Genozid verübt haben. Selten genug haben auch Politiker den Historikern ihr Ohr geliehen und sich zu symbolischen Schuldbekenntnissen durchgerungen. In dieser Debatte geht es um viele unterschiedliche Dinge. Historikern wie Jürgen Zimmerer, dem wohl prominentesten Vertreter der Genozid-These, geht es um eine Ausweitung der These vom deutschen Sonderweg im 20. Jahrhundert auf die deutschen Kolonien. Der Holocaust habe seine Vorläufer in der brutalen Niederschlagung des Herero und Nama Widerstandes, die Kriegsverbrechen der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg seien kein historischer Einzelfall, sondern das Ergebnis eines langen Prozesses, der in den deutschen Kolonien begonnen hat. Zimmerer ist wegen dieser Kontinuitätsthese von verschiedenen Seiten angegriffen worden und in der Tat lässt sich eine solche Kontinuität schwer rekonstruieren. Zu unbedeutend, so kein Geringerer als Hans-Jürgen Wehler, sei die koloniale Episode in der deutschen Geschichte gewesen. Den Gegnern der Genozid-These mag ein Holocaust in der deutschen Geschichte genug sein. Das deutsche Selbstwertgefühl sollte nun nicht gerade durch Ereignisse im fernen Afrika getrübt werden. Den politisch Verantwortlichen graut vor dem Image-Schaden und vor allem vor den finanziellen Folgen, sollten die Klagen der Vertreter der Nama und Herero vor internationalen und US-Gerichten ein Erfolg beschert sein. Auch auf namibischer Seite sind die Fronten wenig klar. Die Regierung scheut sich vor einer Konfrontation mit einem der wichtigsten Geberländer von Entwicklungshilfe. Für den nationalen Epos Namibias ist der bewaffnete Kampf gegen Südafrika zudem weitaus wichtiger als die Ereignisse zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Vertreter der Nama und Herero, die in der Vergangenheit Klagen vor den verschiedensten Gerichten anstrebten, fordern Wiedergutmachung: in welcher Form auch immer. Und auch hier steht eine Gruppe von Aktivisten, die mit ihren Klagen von US-Gerichten große Aufmerksamkeit gewonnen haben, gegen andere Gruppen, die eher den unprätentiösen Ausgleich mit den Enkeln und Urenkeln der Täter suchen wollen.

Steffen Eicker will nun mit seinem Buch, wie er schreibt, in diese mitunter hitzigen und von politischen Polemiken durchzogenen Debatten einen rationaleren Ton hineinbringen. Es ist die Rationalität einer juristischen Perspektive, die minutiös jede noch so weit entfernt anmutende juristische Argumentation heranzieht, um eine Haftbarkeit des deutschen Staates für die Verbrechen deutscher Kolonialtruppen in Deutsch-Südwestafrika abzuwägen. Ausgangspunkt des Buches sind die Klageschriften der Herero People's Reparartion Cooperation gegen diverse deutsche Unternehmen und die Bundesrepublik Deutschland, obgleich auf die Inhalte der Klagen erst im hinteren Teil des Buches eingegangen wird. Dem Autor gelingt doch eine recht umfangreiche Darstellung der Entwicklung des internationalen Rechts zu Fragen des Völkermords, der Kriegsverbrechen und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Darüber hinaus diskutiert Steffen Eicker die völkerrechtlichen Implikationen kolonialer Eroberung. Bei der Fülle der juristischen Fragen geht allerdings etwas der Überblick verloren, auch wenn es immer wieder kurze Zusammenfassungen gibt. Die große Stärke der Arbeit, ihre nahezu enzyklopädische Zusammenstellung von juristischen Abhandlungen, internationalen Verträgen und Gerichtsentscheidungen, bedingt auch die größte Schwäche der Arbeit: Es fehlt ein roter Faden durch die Vielzahl der Argumente und Fallstudien. Das Buch basiert auf einer Dissertation und es ist im Grunde eine Dissertation geblieben. Dabei verschenkt der Autor das große Potenzial, welches sowohl im Thema als auch in seiner Recherche liegt. Die Haftung von Staaten für in ihrem Namen begangenes Unrecht ist ein hoch brisantes Thema, das sicherlich ein breiteres Publikum erreichen kann, als es das Buch durch seine Verweigerungshaltung gegenüber dem nicht juristisch vorgebildeten Leser finden wird. Eine rechtshistorische Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit mag darüber nicht nur neue Perspektiven auf diese Episode deutscher Geschichte werfen, sie mag durchaus jene Kontinuitäten von Vernichtungskrieg in Deutsch-Südwestafrika und Holocaust sichtbar machen, die Zimmerer nicht müde wird zu suchen. Sie liegen, so könnte man argumentieren, im Diskurs eines juristischen Otherings, der seit dem Ende des 19. Jahrhunderts Menschen anderer Hautfarbe, Kultur oder Religion grundlegende Errungenschaften europäischen Rechts verwehrt. Hier die Segnungen von Rechtsstaatlichkeit und Völkerrecht, dort das Dunkel des rechtsfreien Raumes.

Ich werde mir kein Urteil über die juristischen Argumentationsstränge des Autors erlauben, dazu bin ich zu wenig juristisch vorgebildet. Ich habe das Buch als Historiker, der ich bin, gelesen und dabei doch einige neue Einsichten gewonnen. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts haben Europas Juristen und Politiker um ein internationales Recht gerungen, dass den Staat in Verantwortung für das Handeln seiner Amtsträger und Militärs nimmt. So positiv diese Entwicklung zu sehen ist, so klar muss man auch die Grenzen dieses Prozesses sehen. Es war ein exklusiv europäisches Recht. Jenseits von Europa vermuteten die Europäer nicht nur einen rechtsfreien Raum, sie schufen ihn vor allem während der kolonialen Expansion. Dem Wüten der Kolonialtruppen waren kaum Grenzen gesetzt, weil es eben nicht gegen Europäer ging, sondern gegen vermeintlich „Wilde“. In dieser Denkweise und daraus resultierenden Praxis gab es wenig Unterschiede zwischen Briten, Franzosen und Deutschen. Einen deutschen Sonderweg der Gewalt gab es in den Kolonien nicht, wohl aber die Besonderheit von Kolonialkriegen. Staatlichkeit war in Europa ein wichtiges Kriterium für die Zähmung von Gewalt und Eroberung. Mit der Durchsetzung des staatlichen Monopols an militärischer Gewalt und als dominierenden Akteur der internationalen Diplomatie wurde Staatlichkeit zur Voraussetzung jeglichen Völkerrechts. Doch für unsere europäischen Vorfahren hatten Afrikaner und Asiaten diese „Errungenschaft der Zivilisation“ nicht erreicht und waren daher faktisch zum Freiwild für die Ambitionen der Kolonialpolitiker und -militärs erklär worden. Immerhin aber, und das ist eine interessante Erkenntnis des Buches, gab es eine doch recht umfangreiche Diskussion europäischer Juristen um den Umgang mit dem so scheinbar Anderen, wie es in den außereuropäischen Gesellschaften gesehen wurde. Der Autor ermöglicht hier einen interessanten Einblick in einen europäischen Selbstverständnisdiskurs, der im 20. Jahrhundert Grundlagen zur Formulierung eines internationalen Rechts lieferte. Doch das primäre Ziel des Autors ist es nicht, diese Entwicklung nachzuzeichnen, sondern die Frage nach dem damals gültigen Rechtsverständnis. Hier stößt dann die rechtshistorische Perspektive an ihre Grenzen. Waren die Herero und Nama Rechtssubjekte des Völkerrechts um die Jahrhundertwende? Der Autor beantwortet die Frage mit einem klaren „Nein“, nicht zuletzt weil die Herero und Nama keinen Staat bildeten. In dieser Argumentation kommt er dem Denken des frühen 20. Jahrhunderts gefährlich nahe und in dieser Nähe versäumt der Autor es, auf die historische Bedingtheit dieses Diskurses zu verweisen. Dass Staat nur etwas ist auf dem „Designed in Europe“ draufsteht, davon hat sich die Forschung seit Langem verabschiedet. Staatliche Institutionen habe es bei den Herero ebenso wenig gegeben wie ein staatliches Territorium. Bei der Herrschaft des Chiefs Mahareo habe es sich um eigennützige und instabile gehandelt. Die Quellen für diese Einschätzungen sind freilich deutsche Berichte aus der Zeit. Ich halte dies, wie auch die Verwendung von Begrifflichkeiten wie „Stamm“ und „Häuptling“ für die Beschreibung vorkolonialer Herrschaftsverhältnisse für sehr fraglich. Mehr noch: Staatlichkeit habe erst durch das Einwirken der deutschen Kolonialherren Einzug gehalten. Das ist ein zutiefst koloniales Argument. Der Autor kämpft mit eben jenen Problemen, mit denen sich Europa seit jeher mit Afrika plagt. Aus einer europäischen Perspektive scheint Afrika als ein Kuriosum. Die Lösung dieses Problems ist allerdings nicht einen Defizitkatalog zu erstellen. Davon ist die Forschung seit geraumer Zeit abgegangen. Wie der Autor Staatlichkeit bei den Herero und Nama nicht sieht, so sahen sie auch die deutschen Kolonialherren nicht. Doch die wussten es nicht besser. Doch was letztendlich waren die Herero und Nama? Eine Nation? Oder „nur“ eine Ethnie? Juristisch hatte und hat dies noch weitreichende Konsequenzen. Wo kein Kläger, da keine Klage, heißt ein juristisches Wort. Wo kein Staat, da auch keine Tür zu den Segnungen des Völkerrechts, bis heute nicht.

Doch der Autor macht sich immerhin die Mühe, alle erdenklichen Argumente durchzuspielen und darin sehe ich, wie gesagt, einen großen Vorzug des Buches. Wenn internationales Recht nicht greift, gab es dann nicht auch eine Verantwortung des Kaiserreiches als Kolonialmacht, die nicht zuletzt auch durch die Schutzverträge mit den Herero und Nama hervorging? Die Frage ist deswegen von hohem Interesse, weil Historiker den Schutzverträgen, die oft am Anfang kolonialer Herrschaft standen, bislang wenig Interesse entgegenbrachten und sie oft als tumbe Betrugsversuche seitens der Europäer abtaten. In der Tat etablierten sie aber ein Vertragsverhältnis zwischen Afrikanern und Europäern, auch nach damaligen Völkerrecht. So interessant die Fragestellung ist, so zwiespältig fällt die Antwort aus: Zeitgenössische Juristen gingen von einer Beweislast aufseiten der Rebellen aus. Bewiesen diejenigen, die sich gegen die Herrschenden erhoben, durch ihre Taten, dass sie ein hehres Ziel wie das der nationalen Unabhängigkeit leitete, können ihnen das Recht von Kombattanten zugesprochen werden, so der Juristen Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Herero hätten diesen Beweis nicht antreten können, argumentiert Eicker, da sie auch deutsche Zivilisten ermordeten und auch keine nationale Unabhängigkeit, also Staatlichkeit, anstrebten. Zugleich hätten sie mit dem Aufstand den bestehenden Schutzvertrag gebrochen, sodass dieser nicht mehr zu Anwendung kommen könne. Diese Argumentation ist, gelinde gesagt, höchst problematisch.

Nachdem der Autor doch mit großer Sorgfalt die juristischen Debatten der Jahrhundertwende analysiert, kommt er zu dem Schluss, dass eine völkerrechtliche Haftung aus dieser Zeit nicht etabliert werden könne. Wesentliche Vertragswerke zum Völkermord, zu Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit seien erst nach den Ereignissen von 1904 entstanden, zudem seien die Herero und Nama weder Vertragspartei noch Subjekt dieser Verträge gewesen. So bitter dies für unser Gerechtigkeitsempfinden sein mag, so schlüssig ist der Autor in dieser nüchternen juristischen Argumentation. Der weitere Teil des Buches ist schnell zusammengefasst. Es geht im wesentlichen um die Frage, ob dennoch heutige Klagen aufgrund des sich seit dem Zweiten Weltkrieg doch erheblich gewandelten internationalen Recht Aussicht auf Erfolg haben. In diesem Teil des Buches widmet sich der Autor im Wesentlichen Verfahrensfragen wie Verjährungsfristen und Zuständigkeiten von Gerichten. Auch hier fällt die Antwort des Autors recht klar aus. Weder durch internationales Recht noch durch die bisherige Rechtsprechung von US-Gerichten könne von einer Haftung der Bundesrepublik für die Verbrechen deutscher Kolonialtruppen in Deutsch-Südwestafrika ausgegangen werden.. Den deutschen Finanzminister wird dies zweifelsohne freuen, auch wenn dies viele, vor allem die Herero, als ungerecht empfinden. Doch für die Aufarbeitung von Geschichte, das mag eine weitere Erkenntnis des Buches sein, taugen Gerichte recht wenig. Von der Geschichte erwarten wir, wie Walter Benjamin einmal bemerkte, Erlösung. Vor Gericht aber finden wir nur die Absolution unserer Zeit. Internationales Strafrecht ist immer noch ein fragiles Gebilde, vor allem wenn es Staaten auf die Anklagebank bringen will. Immer noch ist dieses Recht ein nahezu exklusiv europäisches oder nordamerikanisches. Im Schlusswort spricht der Autor nach einem Vergleich mit Wiedergutmachungsentscheidungen in Bezug auf die Opfer des Holocaust von einem kaum widerlegbaren Rassismus und einer Kontinuität kolonialer Weltsichten gegenüber den Opfer kolonialer Gewalt. Internationales Strafrecht erscheint hier als eine Instanz internationaler Diplomatie. Dem kann man unumwunden zustimmen.

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03.06.2011
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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