J. P. Arnason u.a. (Hrsg.): Domains and Divisions of European History

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Title
Domains and Divisions of European History.


Editor(s)
Arnason, Johann P.; Doyle, Natalie J.
Published
Extent
244 S.
Price
£ 65,00
Reviewed for Connections. A Journal for Historians and Area Specialists by
Susan Rößner, Berlin

Wie weit muss man von Europa entfernt sein, um einen möglichst guten Blick darauf zu bekommen? Ungefähr 15.000 km, dachten sich womöglich Johann P. Arnason und Natalie J. Doyle, die beide am Monash European and EU Centre in Melbourne (Australien) arbeiten. Zusammen mit zehn weiteren Forschern aus ganz Europa haben sie einen auf einer Tagung von 2006 beruhenden Band geschrieben, der, so wird bereits in der Einleitung von Arnason deutlich, weniger mit den "domains and divisions" der europäischen Geschichte zu tun hat als vielmehr mit "unity and division" – aber das hätte eben auf dem Titel nicht so schön alliterativ geklungen und eventuell sogar abgedroschen gewirkt.

Denn seitdem man sich von jenen dominierenden europäischen Geschichtserzählungen verabschieden möchte, die entweder die europäischen Nationalstaaten oder aber die EG/EU zum Gegenstand haben, befasst man sich gerne mit der Frage nach der (Un-)Einigkeit und der (Un-)Einheitlichkeit des Kontinents. Und dies ist richtig so. Anerkannt wird damit, dass Europa mehr als die Summe seiner Länder ist, mehr auch als nur der Brüsseler Wasserkopf, und dass es keine, über Jahrhunderte unaufhaltsame Entwicklung hin zu einem vereinten Europa gibt. Europa und seine Geschichte sind weitaus komplexer als die so lange viel zu oft bemühten Schlagwörter von antikem Erbe, Aufklärung, französischer Revolution, zwei Weltkriegen und Europäischen Gemeinschaften. Stattdessen richtet man den Blick auf die geographischen, politischen, kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede zwischen den Europäern und macht sich damit den eigentlich entwaffnend ehrlichen Werbeslogan der EU zu eigen: "Einheit in Vielfalt". Also irgendwie nur eine halbe Einheit. Oder gar keine.

Auch die am vorliegenden Band beteiligten Autoren haben mehr zu den "divisions" als zur "unity" Europas zu sagen. In seinem einleitenden Beitrag benennt Johann P. Arnason mit Nationen, Regionen, Zivilisationen und Religionen jene vier Größen, die seiner Meinung nach europäische Einheit und europäische Teilung „mit Sinn ausstatten“ (S. 2). In diesem Buch sind es die Regionen, die im Mittelpunkt stehen. Arnason bedauert zwar, dass die anderen Kategorien nicht ebenso ausführlich behandelt werden konnten, noch bedauerlicher ist jedoch, dass über die vier genannten hinausgehende Parameter von Einheit und Teilung von ihm und den anderen Autoren offenbar nicht in Betracht gezogen wurden. Indem „nur“ Regionen und ihr Verhältnis zu Europa behandelt werden, verbleibt die Untersuchung europäischer Teilungen im bei diesem Thema selbstverständlichsten aller Forschungsgebiete: der Geographie. Es soll nicht verlangt werden, sämtliche Aspekte der europäischen Geschichte in einem Buch abzudecken, aber wünschenswert wäre es gewesen, wenn der Band ein breiteres Spektrum von Verbindendem und Trennendem eröffnet hätte, die Grenzen nicht nur als vertikal, das heißt als geographische Grenzen, sondern als horizontal, als Trennlinien zwischen Klassen oder gesellschaftlichen Gruppen auch innerhalb von Regionen und Ländern verstanden worden wären.

In diesem Zusammenhang stellt Michael G. Müller in seinem Beitrag den Erkenntnismehrwert der Untersuchung von Regionen in Frage. Stichpunktartig beleuchtet Müller die (ost-)mitteleuropäische Geschichte und kommt zu dem Schluss, dass kaum eines der sonst als für die Region ‚typisch’ interpretierten Ereignisse und Entwicklungen die gesamte Region betraf oder auf die Region beschränkt geblieben war. Müller schlägt vor, das Konzept der Makro-Regionen zu verwenden (die Vorstellung von Kontinuität in Raum und Zeit dabei jedoch außen vor zu lassen) oder aber mit multiple geographies zu arbeiten. Die untersuchte Region wird bei diesem Ansatz nicht von vornherein und entlang bestehender Grenzziehungen der historischen Geographie festgelegt, sondern an den Untersuchungsgegenstand angepasst.

In seinem mit dem suggestiven Titel „Europe – What Unity?“ versehenen Beitrag betrachtet Peter Wagner die uns so lieb gewordene europäische Einheit mit Hilfe der politischen Philosophie. Statt nach europäischen Gemeinsamkeiten fragt er nach gemeinsamen Erfahrungen der Europäer und gemeinsamen Interpretationen derselben. Wagner verneint einen europäischen historischen Führungsanspruch, der sich aus der Annahme jahrhundertlanger Kontinuität speist. Er kritisiert, dass der gegenwärtige europäische „Blick auf die Welt“ allein von der Betrachtung des Zeitraums von der Frühen Neuzeit bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts geprägt ist, viele der in diese Zeit fallenden Ereignisse und Entwicklungen die These von der europäischen Einheit aber nicht stützen. Vielmehr war die Zeit von jenen tiefgreifenden Aufwerfungen geprägt, die durch Reformation, französische Revolution, die ‚culture of individual autonomy’ (nach Taylor) oder die Klassenfrage entstanden waren. Europäische Einheit lässt sich nach Wagners Auffassung daher nur da finden, wo die genannten Ereignisse bei allen Differenzen, die mit ihnen in Zusammenhang stehen, gemeinsame Erfahrungen der Europäer hervorgebracht haben. Nicht die Glaubensspaltung durch die Reformation steht dann im Zentrum der Untersuchung, sondern die damit in Europa Einzug haltende Idee der Vielfalt.

Die weiteren durchweg informativen Artikel des Bandes behandeln Einzelaspekte und interpretieren diese in Hinblick auf ihre Europäizität. Abgesehen vom Beitrag von Irmline Veit-Brause, die von der österreichischen Novara-Expedition von 1857-59 berichtet, legen die Artikel den Schwerpunkt auf Ost-und Ostmitteleuropa. M.B.B. Biskupsi beschreibt die polnischen Vorstellungen von Einheit und Teilung in Europa; Miroslav Hroch geht der Frage nach, ob sich ein mitteleuropäischer Typ der Nationsbildung ausmachen lässt. In einem weiteren Beitrag untersucht Arnason den ostmitteleuropäischen Blickwinkel auf Europa. Paula Blokker beschreibt die vielfältigen Vergangenheiten Rumäniens. Marko Pavlyshyn untersucht am Beispiel der Ukraine, inwiefern in der im Rahmen einer Nationwerdung entstehenden Literatur auch ein Moment europäischer Identität zu finden ist. Bo Stråth kommt in seinem Beitrag zur Region des 'Nordens' zum Schluss, dass das regionale Bewusstsein in erster Linie in Abgrenzung zu Europa entstand, und nicht als Versuch der Einschreibung nach Europa. Natalie J. Doyle schließlich setzt sich mit den Unterschieden der politischen und wirtschaftlichen Modernisierung in Großbritannien und Frankreich auseinander.

Bei den meisten Beiträgen entsteht dabei der Eindruck, dass es in der europäischen Geschichte mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten gibt. Was aber ist die Konsequenz daraus; was bedeutet dies für unser Verständnis von Europa? Wie soll die Geschichtswissenschaft der "europäischen" Geschichte überhaupt noch begegnen? Wenn so wenige Gemeinsamkeiten bestehen und immer mehr Unterschiede aufgedeckt werden, bleibt Europa dann auf der Strecke? Kommt der Geschichtswissenschaft ein Untersuchungsgegenstand abhanden, weil die Linien der europäischen Geschichte so fein gezogen werden müssen, dass das große Ganze auseinanderfällt?

Die Australier haben es da auf alle Fälle einfacher: ein Land, ein Kontinent, klare Grenzen.

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07.01.2011
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