G. J. Bass: Freedom's Battle

Titel
Freedom's Battle. The Origins of Humanitarian Intervention


Autor(en)
Bass, Gary J.
Erschienen
New York 2008: Knopf Publishing
Anzahl Seiten
509 S.
Preis
€ 27,50
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Serviola Beqiraj, Leipzig

Warum sieht die Weltgemeinschaft oft tatenlos zu, wenn in Teilen der Welt massive Menschenrechtsverletzungen in Form von Verfolgung, Vertreibung und Ermordung bis hin zum Völkermord stattfinden und warum greift sie nur selektiv ein? Welche Rolle spielt die Berichterstattung der Medien dabei und wie beeinflusst sie die Meinungsbildung? Wie kann die öffentliche Meinung die Politik beeinflussen oder gar steuern? Diesen und ähnlichen Fragen geht Gary Bass in seiner präzis recherchierten Studie von den ersten humanitären Interventionen im 19. Jh. und den „atrocitarians“, den führenden Menschenrechtlern dieser Zeit, nach. Der Autor zeigt, dass die Geburtsstunde der humanitären Interventionen weder in Bosnien oder im Irak noch in Ruanda liegt, sondern dass entsprechende Interventionen zum Schutz von Menschen, die sich in einer humanitären Notlage befinden, eine längere Geschichte haben.

Bass wirft den Blick auf drei entscheidende humanitäre Interventionen im 19. Jh., angefangen mit der Unterstützung der Briten gegen die osmanische Unterdrückung der Griechen in den 1820ern, und zeigt wie bekannte Persönlichkeiten dieser Zeit durch ihr künstlerisches und politisches Wirken Politiker entweder zur Aktion zwangen oder sie zumindest darin entscheidend beeinflussten.

Im ersten Teil geht der Autor vor allem auf die Macht der Medien und die politische Diplomatie bei humanitären Interventionen ein. Danach wendet er sich in Fallstudien Griechenland, Syrien und Bulgarien zu. Die erste Fallstudie befasst sich mit der Philhellenen-Bewegung in Großbritannien, deren Anhänger sich als Vertreter und Bewahrer der großen antiken Zivilisation sahen und dazu berufen fühlten, die Nachkommen der Hellenen im Kampf um die Unabhängigkeit gegen das Osmanische Reich zu unterstützen. Das bürgerliche Engagement stand den außenpolitischen Zielen des britischen Imperiums entgegen, dem am Erhalt des Osmanischen Reiches vor allem als Gegenkraft zur “Heiligen Allianz” gelegen war. Der kranke Mann am Bosporus wurde als “neccessary evil” (S. 60) geduldet und notfalls unterstützt. Doch die verübten Massaker an den Griechen, vor allem das Scio Massaker, gab der Philhellenischen Bewegung neuen Auftrieb und führte dazu, dass Großbritannien trotz entgegenstehender außenpolitischer Ambitionen, die Griechen in ihrem Freiheitskampf unterstützte – bis zur entscheidenden Schlacht von Navarino gegen das Osmanische Reich im Herbst 1827 die die Voraussetzung für die griechische Unabhängigkeit 1830 wurde. Großbritannien agierte gegen die eigenen geostrategischen Überlegungen, was innenpolitisch zum Sturz des Außenministers Castlereagh führte, der gegen einen Eingriff in Griechenland gekämpft hatte und verbittert sein Ende im Freitod suchte.

Grundlage der französischen Mission in Syrien waren die dortigen ethnischen und religiösen Unruhen Ende der 1850er Jahre. Nach zahlreichen Massakern an christlichen Maroniten durch muslimische Drusen griffen die Franzosen mit dem Einverständnis der europäischen Großmächte und der Unterstützung Großbritanniens ein und kooperierten mehr oder minder gezwungenermaßen mit dem Osmanischen Reich. Hier sieht Bass Parallelen zu den Interventionen aus der jüngsten Vergangenheit in Bosnien, Afghanistan und Irak. (S. 190) Den Erfolg sieht er vor allem in der Zusammenarbeit der französischen Truppen mit der Internationalen Kommission begründet. Diese war unter anderem für die Klärung der Massaker an den christlichen Maroniten und den Rechtsvollzug zuständig, vergleichbar mit den heutigen Kriegsverbrechertribunalen. Dennoch habe sich gezeigt, so fügt der Autor ironisch hinzu, dass trotz des Multilateralismus und der schriftlichen Erklärung der Großmächte in den Pariser Protokollen keine territorialen Eigeninteressen zu verfolgen und die nobelsten Motive hervorzuheben, wie selten „a flash of honour“ unter Räubern war. Daher sei die besondere Leistung der französischen Mission in Syrien nicht in erster Linie die humanitäre Intervention, sondern der anschließende Rückzug aus der Region.

In der dritten Fallstudie schildert Bass das Echo auf die osmanischen Massaker an der bulgarischen Bevölkerung, den sogenannten Bulgarian Horrors im Jahr 1876, die europaweit für Empörung sorgten und zum Russisch-Osmanischen Krieg führten. Das Massaker von Batak schockierte die britische Gesellschaft und brachte das Land an den Rand eines Krieges mit Russland. Die humanitäre Volksbewegung in Großbritannien zog glamouröse Viktorianischen Namen an, von Charles Darwin über Oskar Wilde bis zu Florence Nightingale. Einer der Anführer der Bewegung, der spätere Premierminister Gladstone, schrieb sein berühmtes Pamphlet „Bulgarian Horrors and the Question of the East“, welches ein Bestseller wurde.

Im Zarenreich erreichte die panslawische Bewegung solche Popularitätswerte, dass sie Alexander II zu einem Krieg mit dem Osmanischen Reich zwangen. Nach den vielen Kriegsopfern auf beiden Seiten versuchte Russland dem Osmanischen Reich den Vertrag von San Stefano aufzuerlegen, der ein riesiges, künstlich geschaffenes Bulgarien als russische Marionette vorsah. Verständlicherweise konnte Großbritannien diesen Plan nicht akzeptieren und bereitete sich daher auf einen Krieg mit Russland vor. Am Ende gab das Zarenreich nach und "Britian and Russia alike tried to return to great power poltics". (S. 303) Beide Parteien einigten sich auf der Berliner Konferenz auf einen Kompromiss, der eine begrenzte russische Präsenz in Bulgarien vorsah. Die Panslawisten mussten ihren Traum aufgeben und der britische Premier Disraeli wurde für seine Fehler in der „bulgarischen Frage“ in der kommenden Wahl bestraft und musste aus der „Downing Street no.10“ ausziehen.

Bass' Stärke ist es Parallelen zwischen verschiedenen historischen Ereignissen herzustellen. Er zieht dafür die Linie bis in die heutige Zeit und zeigt, dass es im Grunde die gleichen heiklen Fragen über humanitäre Interventionen sind, welche die Gemüter erhitzen. Gladstone hinterließ Großbritannien, selbst wenn er seinerzeit keinen direkten humanitären Eingriff durchsetzen konnte, zumindest ein moralisches Erbe. So nahm auch Tony Blair in seiner emotionale Rede in der Universität von Sofia im Mai 1999, unmittelbar vor dem Nato-Angriff auf die serbische Hauptstadt, mehr als ein Jahrhundert nach den Bulgarian Horrors und Gladstones Kampf, auf ihn Bezug, indem er sagte: “Today we face the same question that confronted Gladstone over 120 years ago. Does one nation or people have the right to impose its will on another? ... Can the outside wold simply stand by when a rogue state brutally abuses the basic rights of those it governs? Gladstone's answer in 1987 was clear. And so is mine today.” (S. 237)

Es verwundert deshalb nicht, dass der Autor mit seiner lebendigen Darstellung sehr direkt auf Lösungsansätze abzielt, die die historische Erfahrung legitimiere. Sein Vorschlag, ein Krisenmanagement aus der Kombination von Multilateralismus, Selbstbeschränkung und vertraglichen Verpflichtungen zu schaffen, wirkt vor dem Hintergrund der Beispiele durchaus überzeugend.

Ob die weitgehende Ignoranz gegenüber internationalen Institutionen (wie UN, EU oder African Union) eher dem Verhaftetsein in der Geschichte des 19. Jahrhunderts oder in noch immer dominanten US-amerikanischen Überzeugungen wurzelt, bleibt letztlich Spekulation.

Das Buch zeigt jedenfalls, dass Militärintervention im Namen der Menschenrechte schon immer schwierige Unterfangen waren. Das Risiko der radikalen Destabilisierung und die Gefahr einer Verwischung imperialistischer und humanitärer Motive gehören beinahe unausweichlich dazu. Das die Problemlage nicht neu ist, kann der Verfasser anschaulich vorführen und trägt damit vielleicht zur weiteren Verbreitung historischer Erfahrungen bei.

Redaktion
Veröffentlicht am
29.07.2011
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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