D. Lowe u.a.: Remembering the Cold War

Cover
Title
Remembering the Cold War. Global Contest and National Stories


Author(s)
Lowe, David; Joel, Tony
Series
Remembering the Modern World
Published
London 2013: Routledge
Extent
XX, 260 S.
Price
£ 26.99
Reviewed for H-Soz-Kult by
Jost Dülffer, Historisches Institut, Universität zu Köln

Die Ansicht lässt sich durchaus vertreten, dass der Kalte Krieg während seiner Dauer wie feiner Sandstaub fast alle Poren von Staat und Gesellschaft durchdrang – was zu einer entsprechenden Forschungsanstrengung im historischen Nachvollzug führt. Auf der anderen Seite ist es auch lohnend, Themen und Bezüge ausfindig zu machen, die kaum oder gar nicht von dem anscheinend universalen Ost-West-Konflikt beeinflusst wurden oder ganz anderen Perspektiven und Logiken folgten. Eine Erinnerungsgeschichte des Kalten Krieges lehnt sich eher an erstere Sicht an, behandelt den 45-jährigen Konflikt zwischen 1945 und 1990, auch wenn David Lowe und Tony Joel etwa für Asien konstatieren, dass es dort vor 25 Jahren keinen zentralen Einschnitt gab; die ganze Terminologie steht also nicht nur hier zur Debatte.

Die Autoren dieses Bandes sind Historiker am Alfred Deakin Research Institute im australischen Geelong. Sie beanspruchen zutreffend, das erste so umfassende Buch zum Thema geschrieben zu haben, und bieten mit ihm zugleich den Auftakt einer ganzen Serie mit weiteren thematischen Bänden zur Erinnerungskultur der modernen Welt.1 Sie legen daher im ersten von fünf Kapiteln einen eher konzeptuellen Aufriss vor. Darin fangen sie mit Maurice Halbwachs an, betonen Übereinstimmungen mit Benedict Anderson und Eric Hobsbawm. Sie finden „myriads of filters, triggers, settings, and media including political discourse, academic and popular histories, education, artistic conceptions, and fictional or documentary filmic representations“ (S. 8) – und auch diese Kategorien stünden nur beispielhaft (in der Tat kommt dies irgendwann alles einmal konkret und damit natürlich nur exemplarisch vor). Der geographische Horizont müsste im Grunde die ganze Erde umfassen; doch da klammern die Autoren pragmatisch Afrika und Lateinamerika aus. Bei einer solchen, potenziell dreifach holistischen Matrix – alle Aspekte, alle Methoden, alle Kontinente – zeichnet sich bereits ab, dass die Verfasser auf knappen Seitenzahlen selektiv vorgehen und aus vielen Kategorien regionale Beispiele wählen (müssen).

Lowe und Joel sind in insgesamt 12 Länder gereist, haben dort fotografiert, haben Museen, Denkmäler, besondere Orte besucht. Sie kennen sich in der methodischen Literatur zu Memory und Remembrance gut aus, auch in der internationalen Geschichte. Diese Breite macht den Band insgesamt zu einem Lesevergnügen, das – so wollen es auch die Autoren – viele Anregungen zur Weiterarbeit geben kann. Umfassendere Enzyklopädien oder andere übergreifende Regionalstudien mögen folgen.

Inhaltlich beginnen die Verfasser mit einem Stück Ziegelmauer am Berliner Reichstag, das 2009 von deutschen und polnischen Politikern aufgestellt und eingeweiht wurde: Es kommt aus Danzig und repräsentiert den Schritt von den polnischen Demonstrationen um Solidarność bis zum Fall der Berliner Mauer, zugleich aber auch die deutsch-polnische Aussöhnung im Speziellen, wie Lowe und Joel darlegen. Sie enden ihr Buch mit einer Art schlechten Gewissens, denn Berlin wird als „quintessential Cold War city“ bezeichnet (S. 210), das indes nur oberflächlich habe dargestellt werden können. Immerhin folgen dann aber doch noch ein paar handbuchartige Überblicke zu Erinnerungsmalen in der deutschen Hauptstadt, ergänzt um eine sehr knappe, rein additive Darlegung der Moskauer Erinnerungslandschaft.

Dem deutschen Leser fällt auf, dass die vielfältigen deutschen Orte mit Bezug zum übergreifenden Thema – man denke etwa an die „Zonengrenze“ – leider nicht auftauchen, obwohl für andere Länder ganz ähnliche Erinnerungsorte behandelt werden. Das lässt sich gewiss verschmerzen, wird der Leser doch über hierzulande vielfach kaum bekannte Orte informiert. Die Autoren gliedern ihr Material – nach dem methodischen ersten Kapitel – in vier weitere, von denen aber nur zwei überzeugend topisch angelegt sind.

Kapitel 2 handelt von der „Nuclear World“. Es entfaltet zunächst die umstrittenen Interpretationen der Motive und Bedeutungen von Hiroshima und Nagasaki. Gerade in Hiroshima handelt es sich um eine Erinnerung im Wandel. Nach einem knappen Abriss des nuklearen Wettrüstens folgt ein Überblick zu Atommuseen in den USA, besonders an vormaligen Stationierungsorten. Dasselbe Thema, ergänzt durch Orte der nuklearen Waffenproduktion und der zugehörigen Tests, folgt für die Sowjetunion, dann skizzenhaft für China, Frankreich, aber auch für die Asien-Pazifik-Region (die Briten testeten ja auch in Australien). An dieser Aufzählung wird bereits deutlich, dass die kulturelle Erinnerung schon – wie üblich – während des Geschichtszeitraums selbst einsetzte, dass sie in der Retrospektive aber neue Sichtweisen angenommen hat, ja vielfach erst „entdeckt“ wurde. Orte des Atomprotestes – hier vor allem für Großbritannien vorgeführt – gab es bekanntlich ebenfalls weltweit. Gerade für die USA wird überzeugend eine fruchtbare Kombination von staatlichem und bürgerschaftlichem Erinnerungs-Engagement herausgearbeitet und damit auch eine Vielzahl politischer Aufladungen. Genau diese Dichte ist für andere Themen und Regionen aber oft noch zu leisten. Die „Atomic culture“ sei vielfach auch von „quirky nostalgia“ getragen gewesen (S. 51), was dann zu Filmen wie „Godzilla“ oder „War Game“ mit ihrer je nationalen bzw. globalen Rezeption geführt hat. Das Kapitel schließt mit den reichhaltigen Bunkerlandschaften für Regierungen und Zivilbevölkerungen. An den Beispielen Moskau, Großbritannien, Dänemark und Schweden wird die Vielfalt des heutigen Umgangs damit veranschaulicht.

Kapitel 3 über „Cities and Sites“ (Themen, die auch in den beiden folgenden Kapiteln „Defining our Times“ und „Endings?“ prominent sind) bietet einen überraschend breiten Überblick zu Ostmitteleuropa: Vilnius, Prag, Budapest und Warschau sind hier die Zentren, die gemäß der Konzeption des Buches ein überaus vielfältiges, aber auch widersprüchliches Ensemble von Erinnerungen umfassen. Besonders eindrucksvoll und innovativ finde ich die circa zehn Seiten über Vilnius, eine Stadt, deren wechselnde Historie seit dem Ersten Weltkrieg die Folie für die ausgebreiteten Erinnerungsorte und den Umgang mit ihnen bietet. Gemeinsam ist den vier Städten, dass der Zweite Weltkrieg und die NS-Herrschaft (neben anderen Gewalterfahrungen) in eine kommunistisch definierte Unterdrückung übergingen, die zumal nach 1990 eine Erinnerung wie etwa im „Museum der Opfer des Genozids“ in Vilnius hervorbrachte (häufig als „KGB-Museum“ bezeichnet). In Warschau steht konsequenterweise auch ein Reagan-Denkmal (wobei der Rezensent hinzufügt, dass es dort zugleich eine Erinnerungstradition für mehrere andere westliche Politiker gibt, die aus dem polnischen Verhältnis zum Westen im Zweiten Weltkrieg herrührt). In Budapest erinnert ein Bela-Kun-Denkmal von 1986, also noch als Teil des Kalten Krieges, an den Räterevolutionär von 1919 – für die Autoren ein Zeichen des „fluid process that is shaped by and reflects contemporary politics“ (S. 109). Es folgen Hanoi („The Empire bites flak“, heißt es zur Musealisierung vor allem der dort wichtigen Luftverteidigungsgeräte; S. 119) und vielfältige US-Bemühungen von Washington bis zum „Wendemuseum“ in Los Angeles, das eine Sammelkammer zur DDR-Geschichte geworden ist und ein umfängliches Bildungsprogramm über den vormaligen Ostblock entwickelt. Das ist bei uns kaum bekannt.

Was bringt das Buch? Ein fast unbegrenztes Lese- und Entdeckungsvergnügen, etwa auch mit Abschnitten zu Japan oder Indonesien, oft angereichert durch skurrile Erlebnisse der Autoren bei ihren Erkundungen in den Jahren 2011 bis 2013. Gelegentlich fragt man sich, ob das Exemplarische nicht ins Beliebige übergeht. Der Leser vermisst dies oder jenes – aber das ist programmatisch einkalkuliert. Was die Autoren darüber hinaus deutlich machen, ist das Prozesshafte einer erst in den letzten Jahren voll einsetzenden Erinnerung an den – vielleicht über das Nukleare hinaus – doch nicht so einheitlichen „Kalten Krieg“. „To some extent, the well-studied Cold War has become a casebook – a giant toolkit for [ …] policymakers“ (S. 190), die für die Gegenwart immer mal wieder Versatzstücke aus der vergangenen Periode intensiver politischer Krisen herausgreifen. Seit dem Erscheinen des Buches Ende 2013 hat es dazu viele Beispiele gegeben – wie es beim öffentlichen Umgang mit Erinnerung üblich ist. Der Erste Weltkrieg liefert derzeit das reichste Anschauungsmaterial. Auf der anderen Seite stehen unterschiedliche Härtegrade von Erinnerungsmalen materieller oder immaterieller Art. Sie prägten und prägen Vergangenheit, vor allem aber in unterschiedlicher Form die je nationale oder übernationale Gegenwart. Dieses Buch gibt eine erste Annäherung an die Vielfalt derartiger Formen und wohl auch an die noch zu leistende Arbeit – erinnerungspraktisch wie historiographisch.

Anmerkung:
1 Kürzlich ist erschienen: Nigel Eltringham / Pam Maclean (Hrsg.), Remembering Genocide, London 2014. In Vorbereitung ist der Band „Remembering the Great War“ von Bart Ziino.

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Published on
05.09.2014
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