S. Ricketson: Research Handbook on the World Intellectual Property Organization

Cover
Title
Research Handbook on the World Intellectual Property Organization. The First 50 Years and Beyond


Editor(s)
Ricketson, Sam
Published
Cheltenham 2020: Edward Elgar
Extent
496 S.
Price
£ 155.00
Reviewed for Connections. A Journal for Historians and Area Specialists by
Isabella Löhr, Centre Marc Bloch, Berlin

Das Thema geistiges Eigentum wird immer wieder kontrovers in der Öffentlichkeit diskutiert. Seit Herbst 2021 stehen die beiden Schlagworte Open Access und Open Science im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung stellvertretend für den Versuch, ein wissenschaftsfreundliches Urheberrecht zu schaffen. Was das genau heißen und wie es aussehen könnte, blieb allerdings im Vagen, was viele Beobachtende mit Fragezeichen und einer gewissen Skepsis zurückließ, ob die dringend benötigte Reform des Urheberrechts von einem eher auf Ausschluss und Verbot fokussiertem Recht hin zu einem Recht, das die Zugänglichkeit zu urheberrechtlich geschützten Werken priorisiert, tatsächlich erreicht werden könnte. Dass und in welchem Ausmaß Patentrechte unseren Umgang mit den Dingen des alltäglichen Lebens bestimmen, wurde hingegen in der Diskussion um die Zwangslizensierung der Patente für Covid-19-Impfstoffe im letzten Jahr sichtbar. Hier ist es die kontroverse Frage, inwieweit der tatsächliche Zuschnitt dieser Rechte seinem eigentlichen Anliegen gerecht wird, einen Ausgleich zwischen privaten und öffentlichen Interessen zu finden, der beides ermöglicht, gesellschaftliche Teilhabe zu fairen und das gesellschaftliche Wohl fördernden Bedingungen sowie ausreichend wirtschaftliche Anreize für Personen oder Unternehmen, damit sie in Erfindungen investieren.

Wie auch immer man in diesen Kontroversen Position bezieht, sie können nicht ohne explizite Bezugnahme auf die völkerrechtlichen Vorgaben zum Umgang mit geistigem Eigentum auskommen. Da technische Zeichnungen, Quellcodes oder (digitale) Bücher leicht reisen können, sind nationale Schutzrechte seit ihren Anfängen auf bi- oder multilaterale Anerkennung und Vereinheitlichung angewiesen, die den Schutz von Software, immateriellem Kulturerbe oder Marken dies- und jenseits staatlicher Grenzen regeln und Mechanismen schaffen, diese Regeln auch faktisch durchzusetzen. Genau hier setzt das von Sam Ricketson herausgegebene Buch über die World Intellectual Property Organization (WIPO) an. Seit ihrer Gründung im Jahr 1967 und der Eingliederung in die Vereinten Nationen 1974 ist die WIPO einer der zentralen internationalen Akteure, die dieses Rechtsfeld prägen und zwar über Normsetzung, Interpretation und Durchsetzung von internationalen Verträgen, als Vermittler zwischen den Mitgliedsstaaten, über die Sammlung und Aufbereitung von Daten, als Instanz der Schiedsgerichtsbarkeit oder als Forum, in dessen Rahmen neue Gegenstandsbereiche ihren Weg in das geistige Eigentumsrecht finden. Anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der WIPO hat das Buch den Anspruch, diese verschiedenen Aufgaben- und Tätigkeitsfelder aufzubereiten und einem Fachpublikum zugänglich zu machen. Das ist für sich genommen bereits ein großer Verdienst des Buches. Denn obwohl die WIPO im Zentrum der internationalen Gesetzgebung zum geistigen Eigentum steht und damit unmittelbar auch Einfluss auf die nationalen Gesetzgebungen ihrer Mitgliedsstaaten ausübt, stand sie bisher kurioserweise im Schatten der Forschung. In den meisten politik- oder rechtswissenschaftlichen Studien zum internationalen Recht des geistigen Eigentums taucht sie zwar auf, meistens aber nur ausschnittsweise und auf den jeweiligen Gegenstand bezogen. Als komplexe Organisation in ihren verschiedenen Rollen und Funktionen gab es dagegen bisher keinen Überblick.

Das Research Handbook schließt diese Lücke auf. Die Autoren und Autorinnen sind einschlägig ausgewiesen, entweder weil sie seit langem über diese Themen forschen oder weil sie als Praktiker für die WIPO gearbeitet haben. Um es für die historisch Interessierten gleich zu sagen: Die Beiträge stammen überwiegend aus der Feder von Rechtswissenschaftlerinnen und die historischen Überblicke, die der Band liefert, arbeiten sich zumeist an den institutionellen Entwicklungsschritten der WIPO ab. Das liegt unter anderem an der Überlieferungssituation, die wenig über die internen Abläufe und Vorgänge innerhalb der WIPO und ihren Vorgängerinstitutionen bereithält. Es ist aber auch dem Erkenntnisinteresse der Autorinnen geschuldet, die sich auf den Aspekt der Normsetzung, -entwicklung und -umsetzung konzentrieren. Das Buch ist trotzdem aufschlussreich. Es ist ein Research Handbook im besten Sinn, das die Bandbreite der Aktivitäten und Themen, mit denen sich die WIPO beschäftigt, in den Blick bringt und vorstellt. Zudem bietet es eine Menge an interessanten Details und Anregungen, mit bzw. über die sich weiterforschen lässt. Zudem bietet es konzise formulierte Hintergrundinformationen zur WIPO sowie zu den verschiedenen Rechtsgebieten, die einen guten Einstieg in die jeweilige Thematik erlauben.

Die 21 Kapitel zeigen die thematische und institutionelle Bandbreite der WIPO und das Ausmaß, indem sie regulierend in die Kultur-, Wissen- und Innovations- bzw. Wirtschaftspolitik ihrer Mitgliedsstaaten eingreift. Besonders lesenswert sind die Beträge, die die WIPO als Akteur vorstellen, der das Terrain durch gezielte Interventionen maßgeblich prägt und, wenngleich nicht immer sichtbar, politische Deutungshoheit anstrebt. Das wird besonders deutlich in dem Kapitel von David Lindsay über die WIPO als wissenspolitischer Akteur. Lindsay untersucht das Sammeln, die statistische Aufbereitung und Standardisierung von Daten beispielsweise über Patentanmeldungen oder Lizensierungen. Er zeigt, dass die autoritative Produktion von Daten im Verlauf des 20. Jahrhundert zu einem der wichtigen Instrumente wurde, um die politischen Implikationen dieses Rechtsfeld zu legitimieren, die Wirkung der Rechte ‚zu messen‘ und neue Politikfelder zu implementieren bzw. sie politisch zu rahmen. Aus diesem Grund geriet genau diese Funktionen der WIPO ab den 1990er Jahren zunehmend in die Kritik, als Länder außerhalb Europas und Nordamerikas u.a. den Statistiken der WIPO vorhielten, dass sie die maximale Ausdehnung der Rechtsnormen des geistigen Eigentums als übergeordnetes Ziel postulierten, während das zweite Standbein der WIPO, die Förderung von Wissens- und Technologietransfer, in den zur Verfügung gestellten Daten und damit auch in der administrativen und politischen Praxis zu kurz käme. Michael Blakeney führt diese Perspektive mit dem Thema Entwicklungszusammenarbeit innerhalb der WIPO fort, indem er den Werdegang der erst 2007 verabschiedeten Development Agenda vorstellt. Er analysiert die langwierigen und schwierigen Aushandlungsprozesse zwischen dem Anspruch auf universale und vermeintlich zeitlose Rechtsideale auf der einen und den politischen und wirtschaftlichen Unwuchten zwischen den Mitgliedsstaaten auf der anderen Seite. Dieser Aushandlungsprozess setzte mit der Gründung der UNCTAD und der New International Economic Order (NIEO) Mitte der 1970er Jahre ein. Blakeney zeigt, wie die WIPO in diesem Zeitraum ihren universalen, westlich geprägten Anspruch auf die ‚Richtigkeit‘ der von ihr verkörperten Rechts- und Normenwelt zumindest ausdifferenzierte und in einen rechtlichen und politischen Katalog übersetzte, der den Bedürfnissen von Staaten in Afrika und Asien entgegen kam. Die meisten Beiträge bemühen sich darum, die WIPO als einen politischen Akteur zu charakterisieren, der ab den späten 1980er Jahren aktiv zwischen konkurrierenden Interessenslagen zu vermitteln versuchte. So stellt Silke von Lewinsy in ihrem Beitrag über „Genetic resources, traditional knowledge and traditional cultural expression“ den seit über 20 Jahren schwelenden Konflikt über eine internationale Konvention zum Schutz von Kultur und Folklore vor. Sie skizziert die Genese der schwierigen politischen Fahrwasser dieser Diskussion, erläutert, warum und in welchem Maß das Thema juristisch Neuland bedeutete und wie die WIPO auf die rechtlichen Herausforderungen konkret reagierte; schließlich zeigt sie, wie die WIPO durch die Einbeziehung neuer Akteursgruppen (der eine Änderung ihrer Verfahrensordnung vorausging) versuchte, die politischen Konflikte um das Thema zu entschärfen.

Alle Beiträge des Bandes nehmen ihren Ausgangspunkt bei der WIPO und analysieren das jeweilige Thema aus dieser Perspektive. Das produziert zwangsläufig Einseitigkeiten, weil andere Akteure und Perspektiven nur dann zur Sprache kommen, wenn die Agenda und Vorgehensweise der WIPO kritisch eingeordnet wird. Das gelingt bei den genannten Themen oder bei den Einträgen zur Patenharmonisierung und der Einführung von geographischen Herkunftsbezeichnungen eher, während die Einträge über die Praxis der Vertragsauslegung oder die der Streitbeilegung stark auf normativ-institutionelle Aspekte fokussiert bleiben. Das macht aber nichts. Denn die Intention des Handbuchs besteht darin, die WIPO als rechtspolitischen Akteur in seiner thematischen und institutionellen Breite in den Blick zu bekommen und auf diese Weise eine Grundlage bzw. Anregungen für weitere Forschung zu schaffen, was dem Band eindeutig gelingt.

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13.05.2022
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