J. M. Headley u.a. (Hgg.): Confessionalization in Europe

Cover
Titel
Confessionalization in Europe, 1555-1700. Essays in Honor and Memory of Bodo Nischan


Herausgeber
Headley, John M.; Hillerbrand, Hans J.; Papalas, Anthony J.
Erschienen
Aldershot 2004: Ashgate
Anzahl Seiten
369 S.
Preis
£45.00
Rezensiert für Connections. A Journal for Historians and Area Specialists von
Jörg Deventer, Geisteswissenschaftliches Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas, Universität Leipzig (GWZO)

In dem im Jahre 2002 erschienenen Buch "Reformation und konfessionelles Zeitalter" machten Stefan Ehrenpreis und Ute Lotz-Heumann auf zweierlei aufmerksam: Zum einen, dass das Konzept der Konfessionalisierung bislang fast ausschließlich anhand von Fallstudien aus dem Alten Reich erprobt und auf andere europäische Länder und Regionen kaum einmal angewandt worden sei; zum anderen, dass das Paradigma von der internationalen Forschung nur in geringem Maße rezipiert worden sei.1

Treffen diese Befunde zu? Und wenn ja: Sind diese Einschätzungen inzwischen überholt? Diese Fragen drängen sich angesichts des hier anzuzeigenden Buches geradezu auf – und dies nicht nur wegen des Titels, sondern auch und vor allem aufgrund der Tatsache, dass der Band dem ehrenvollen Gedächtnis des 1939 in Berlin geborenen und von 1969 bis zu seinem Tod im Jahre 2001 an der East Carolina University in Greenville, wirkenden Historikers Bodo Nischan gewidmet ist (eine persönliche und wissenschaftliche Würdigung Nischans aus der Feder von Anthony J. Papalas sowie eine Bibliografie der Publikationen Nischans sind dem Band vorangestellt). Nischan hatte sich seit den frühen 1990er-Jahren immer wieder mit dem Konfessionalisierungskonzept auseinandergesetzt, wobei er in seinem opus magnum aus dem Jahre 1994 freimütig einräumte: "'Confessionalization' is [...] difficult to define."2

Weitere Anhaltspunkte für die Beantwortung der oben angesprochenen Fragen bieten sich bei einem Blick in das Inhaltsverzeichnis der Gedenkschrift: Dass nur drei der achtzehn Autoren deutsche Historiker sind - abgesehen von einem englischen handelt es sich durchweg um amerikanische Beiträger -, zeigt, dass die Rezeption des Konfessionalisierungsparadigmas außerhalb der deutschsprachigen scientific community offenbar weiter vorangeschritten ist, als Ehrenpreis und Lotz-Heumann vor zwei Jahren behauptet haben. Hingegen bestätigt der Band die immer noch starke Konzentration in der Anwendung des Paradigmas auf das Alte Reich: Mit neun Aufsätzen und fast 200 Druckseiten nimmt der sich allein den deutschen Verhältnissen widmende Teil mehr als die Hälfte des gesamten Buches in Anspruch.

Die insgesamt 18 Beiträge sind in vier große Teile gegliedert. Im ersten, mit "Historical Definitions" überschriebenen Teil, zeichnet Thomas A. Brady, Jr. zunächst die "Career of a Concept" (S. 1), oder – vielleicht treffender: die "career of a debate" nach. Denn Brady beschränkt sich nicht auf die Rekonstruktion der Genese des Konzepts der Konfessionalisierung in der deutschen Historiografie und die Herausarbeitung ihrer zentralen Thesen. Unter Einbeziehung neuerer historischer Fallstudien aus dem außerdeutschen Raum und Überlegungen des amerikanischen Soziologen Philip Gorski zur Formierung von Nationalstaaten im frühmodernen Europa fasst Brady die im Rahmen der Internationalisierung der Debatte vorgebrachten zentralen Kritikpunkte an dem Konfessionalisierungskonzept pointiert zusammen und macht auf notwendige Modifikationen und Verfeinerungen aufmerksam. Anschließend kommt mit Heinz Schilling einer der beiden Protagonisten des Konfessionalisierungskonzepts zu Wort – in der Charakterisierung Bradys der Vertreter der "more state-centered version" des Konfessionalisierungskonzepts (im Unterschied zu Wolfgang Reinhard, den Brady als Anwalt der "church-centered version" kennzeichnet) (S. 16f.). Ebenso vertraut wie eloquent skizziert Schilling hier noch einmal das methodisch-theoretische Profil des Konzepts und hebt mit Hinweis auf neuere und zukünftige Forschungsfelder vor allem auf dem Gebiet der Kulturgeschichte das Potential des Modells für eine europäisch-vergleichend und interdisziplinär angelegte frühmoderne Gesellschafts- und Strukturgeschichte hervor. Ausgehend von Bodo Nischans Verwendung des Terminus "Zweite Reformation", zeichnet schließlich mit Harm Klueting ein exponierter Gegner dieser Begrifflichkeit die Hauptlinien der Debatte um den umstrittenen Begriff und das dahinter stehende Konzept nach.

In den neun Beiträgen des zweiten Teils "Confessionalization in German Lands", die zeitlich, inhaltlich und methodisch ein breites Spektrum abdecken, wird ein zentrales Forschungsinteresse von Bodo Nischan in den Mittelpunkt gerückt: Die Rolle und Bedeutung von liturgischen und rituellen Praktiken und Symbolsystemen für die Religiosität der Frühen Neuzeit. Eröffnet von Überlegungen zur frühen Ekklesiologie Luthers (Markus Wriedt), behandeln zunächst zwei Aufsätze Wirken und zentrale Schriften von im nord- und mitteldeutschen Raum tätigen lutherischen Theologen der 2. Generation, die in neueren Einführungs- und Überblickswerken zur Reformationsgeschichte unerwähnt bleiben: zum einen das "Braunschweig team" (S. 76) Joachim Mörlin und Martin Chemnitz (Robert Kolb), zum anderen der an der Ausarbeitung des "Leipziger Interim" beteiligte, erste Leipziger Superintendent Johann Pfeffinger (Luther D. Peterson). Daran schließen sich Studien zur lutherischen Konfessionskultur und Identitätsbildung im weiteren 16. und frühen 17. Jahrhundert an. Dem Bereich Frömmigkeitspraktiken und Lebensformen widmen sich die Aufsätze von Susan C. Karant-Nunn 3 und Terence McIntosh, der anhand eines breiten Samples protestantischer Territorien den nach 1555 wieder aufgenommenen Feldzug weltlicher und kirchlicher Obrigkeiten gegen so genannte Winkelehen und vorehelichen Geschlechtsverkehr untersucht. Die Studien von Robin B. Barnes zur Bedeutung der Astrologie für die Formierung der lutherischen Konfessionskultur zwischen 1550 und 1620 und von Thomas Robisheaux nehmen das Verhältnis von Religion und Magie in den Blick. Letzterer spürt in einer ausgreifenden, kulturanthropologisch orientierten Analyse den juristischen, rituellen und narrativen Dimensionen der im Rahmen von Hexenprozessen erzwungenen Geständnisse (so genannte Urgichten) nach. Die beiden letzten Beiträge dieses Teils wenden sich Reformiertentum und Katholizismus zu. Unter dem Obertitel "The Second Bucer" beschäftigt sich Bruce Gordon mit der Mission des schottischen Theologen John Dury in die Schweizerische Eidgenossenschaft 1654/55 zur Herbeiführung einer Union der reformierten Kräfte in Europa unter Führung Englands – ein Plan, den Gordon am Ende als Dury’s "pipe-dream" (S. 225) charakterisiert. Marc R. Forster präsentiert noch einmal seine bekannten, anhand der Formierung des katholischen Konfessionalismus im Reich entwickelten kritischen Thesen zum Konfessionalisierungskonzept (Stichworte: Konfessionalisierung "von unten"; konfessionelle Identitätsbildung als ein bis weit in das 18. Jahrhundert hineinreichender virulenter Prozess).

Dem frühneuzeitlichen Katholizismus wendet sich auch einer der Beiträge des Teils "Confessionalization beyond the Germanies" zu. Ohne das Konfessionalisierungsparadigma an sich in Frage zu stellen, zeichnet Lance Lazar für den Zeitraum zwischen 1548 (Erscheinungsjahr der "Geistlichen Exerzitien" von Loyola) und 1615 (Ende der Amtszeit des Ordensgenerals Aquaviva) ein breites Panorama der für den italienischen, niederländischen und deutschen Markt produzierten jesuitischen Frömmigkeitsliteratur und macht damit auf das Phänomen der kulturellen Modernisierung im Rahmen konfessioneller Formierungsprozesse aufmerksam. Anders als Lazar, gehen die Autoren der anderen drei Beiträge der "Gretchenfrage" hinsichtlich der Anwendbarkeit des Konfessionalisierungskonzepts auf andere westeuropäische Länder explizit nach. Zwei lokalgeschichtlich angelegte Fallstudien beschäftigen sich mit dem Alltag des Zusammenlebens im gemischtkonfessionellen Frankreich. Während Raymond A. Mentzer am Beispiel der beiden Städte Dieulefit in der Dauphiné und Aubenas im Languedoc die Dynamiken konfessioneller Formierungs- und Abgrenzungsprozesse zwischen reformierter Minderheit und katholischer Mehrheit im frühen 17. Jahrhundert analysiert, arbeitet Mack P. Holt das schiedlich-friedliche Nebeneinander der beiden Konfessionsgruppen im burgundischen Dijon des 16. Jahrhunderts heraus. Dabei kommt Holt zu dem Ergebnis, dass "confessionalization in Dijon represented much more a process whose impetus came from below, rather than from the state above" (S. 272). Unterm Strich erachten beide Autoren das Konfessionalisierungskonzept heuristisch zwar als wertvoll, gleichzeitig betonen sie jedoch, dass für Frankreich von einer Verknüpfung der Konfessionalisierung mit der frühmodernen Staatsbildung keine Rede sein könne. Dementsprechend sollte für den Fall der französischen Monarchie – so Holt – die Leitfrage eher lauten: "[H]ow did the kingdom of France manage to integrate a small minority of Calvinists into a Catholic state?" (S. 259) Bedenken hinsichtlich der Übertragbarkeit des Konfessionalisierungsparadigmas meldet auch Peter Iver Kaufmann in seinem Aufsatz zur Rezeption reformatorischer Theologie unter Laien im England der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts an. Kaufmann hebt hervor, dass Konfessionalisierung im englischen Staat eher "cleared the ground and prepared for a general, worshipful acquiescence rather than a doctrinal consensus and consolidation" (S. 284).

Der vierte und letzte Teil "Toward the Dismantling of Confessionalization" bietet schließlich zwei ideengeschichtlich orientierte Äußerungen. Während Constantin Fasolt in dem ostfriesischen Polyhistoriker Hermann Conring den theologischen Autor "entdeckt" und in Conrings Vorwort zu dessen Edition der "Politik" von Aristoteles aus dem Jahre 1637 "the principles that held Conring’s ideas about theology together" (S. 325), dechiffriert, geht John M. Headley in einer Art tour d’horizon und in globalgeschichtlicher Perspektive der Rolle und Bedeutung der protestantischen Reformation für die Herausbildung von "politically constituted coexistence and dissent" in der westlichen Zivilisation nach.

Resümierend lässt sich zweierlei festhalten: 1. Der Band bietet weniger als sein Titel verspricht. Während die westeuropäischen Länder nur in kleiner Auswahl berücksichtigt werden, fehlen die ost(mittel)europäischen Länder und Regionen gänzlich, was John M. Headley in seiner Einleitung mit Bedauern auch selbst eingesteht (S. XXIV). 2. Hinsichtlich der Anwendbarkeit des Konfessionalisierungskonzepts auf westeuropäische Länder wird deutlich, dass – wie Headley einleitend schreibt – "confessionalization pertains unequally to the case of Europe outside the Germanies" (S. XXIV). Gerade weil aber einige der Beiträger in Form neuer Fragehorizonte und Erkenntnisinteressen das Forschungsparadigma an andere politisch-gesellschaftliche Rahmenbedingungen kreativ und durchaus gewinnbringend anpassen bzw. modifizieren, bietet der Band wichtige Überlegungen und Perspektiven, an denen sich die zukünftige Forschung zu orientieren haben wird.

Anmerkungen:
1 Ehrenpreis, Stefan; Lotz-Heumann, Ute, Reformation und konfessionelles Zeitalter (Kontroversen um die Geschichte), Darmstadt 2002, S. 62f.
2 Nischan, Bodo, Prince, People, and Confession. The Second Reformation in Brandenburg, Philadelphia 1994, hier S. 1; Ders., Lutherans and Calvinists in the Age of Confessionalism, Variorum Collected Studies, Aldershot 1999.
3 Es handelt sich um die englische Version von Karant-Nunns, Susann C., "Gedanken, Herz und Sinn". Die Unterdrückung der religiösen Emotionen, in: Jussen, Bernhard; Koslofsky, Craig (Hgg.): Kulturelle Reformation. Sinnformationen im Umbruch 1400-1600 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 145), Göttingen 1999, S. 69-95.

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28.02.2005
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