Arbeitsmigration und jenseits nationaler Grenzen operierende Firmen sind zwei der zentralen Gegenstandsbereiche der Transnationalismusforschung, die international seit Mitte der 1990er-Jahre einen Auftrieb erfahren hat. Ausgehend von seiner eigenen Forschung zur Entstehung transnationaler sozialer Räume am Beispiel mexikanischer Arbeitsmigranten in den USA hat der Bochumer Soziologieprofessor Ludger Pries in diesem Sammelband eine Reihe aussagekräftiger Beitrage zu einem zumindest im deutschsprachigen Bereich in den Sozialwissenschaften immer noch neuen Forschungsgebiet zusammengeführt. In der Tradition des französischen Philosophen Henri Lefebvre und dessen Postulat eines sozial konstruierten Raumbegriffs bietet dieser Band mit Beiträgen vor allem deutscher Geografen einen Einstieg in die post-moderne raumtheoretische Debatte wie sie beispielsweise auch im Bereich der Globalgeschichtsschreibung oder der politikwissenschaftlichen Teildisziplin Internationale Beziehungen geführt wird. Die Beiträge gehen größtenteils auf eine 1999 an der Universität Göttingen abgehaltene Konferenz „The Emergence of New Transnational Spaces“ zurück.
Die acht empirischen Kapitel dieses Sammelbandes zur transnationalen Praxis schwedischer, mexikanischer und türkischer Migranten einerseits sowie der „Vielortigkeit“ in den Aktivitäten transnationaler Firmen andererseits finden zunächst einmal in der Schwächung der nationalstaatlichen Dimension sozialen Handelns einen gemeinsamen Nenner. Die empirische Relevanz von Erfahrungen sozialen Handelns jenseits nationalstaatlicher „Container“, also die Entgrenzung sozialen und kulturellen Handelns, ist demnach der zentrale Bezugspunkt der Beiträge dieses Sammelbandes. Darüber hinaus verbindet die Autoren die Suche nach Ausdrucksformen und schließlich auch analytischen Kategorien für die Erfahrungen sozialer Felder, die in deterritorialisierten Räumen verortet sind. Transnationale soziale Räume werden vom Herausgeber als pluri-lokale Referenzrahmen von Alltagshandeln, sozialen Positionen und Identitäten verstanden, die jenseits der sozialen Kontexte nationaler Gesellschaften bestehen.
Der Band wird durch einen Beitrag der stilbildenden Chicagoer Soziologen Saskia Sassen geschlossen, in dem diese die Befunde des Sammelbandes zur Entgrenzung wieder relativiert und die nach wie vor gegebene Bedeutung nationaler Institutionen in der Globalisierung diskutiert (dabei handelt es sich um eine Überarbeitung eines bereits im Jahr 2000 veröffentlichten Beitrages). Sassen weist auf zwei zentrale Erkenntnisse der transnationalen Globalisierungsforschung hin: Erstens habe die ökonomische Globalisierung die Funktion nationalstaatlicher Akteure in der Globalisierung durchaus gestärkt – insbesondere im Bereich der Finanzverwaltung –, und zweitens sei das internationale Finanzsystem partiell in nach wie vor nationalen Institutionen verankert, insbesondere in den Dienstleistungsbereichen der von Sassen intensiv untersuchten so genannten Global Cities.
Mit diesem Band, mit dem beim britischen Verleger Routledge auch eine neue Serie „Transnationalism“ begründet wird, ist dem Herausgeber ein interessanter Beitrag zum spatial turn in den Sozialwissenschaften und der Territorialität sozialer Praxis gelungen – zumal die transnationalen sozialen Räume nicht als geschlossenes Paradigma, sondern eher als offene Forschungsagenda verstanden werden. Für einen Teilbereich der Globalisierungsforschung liegt damit auch ein Beitrag vor, der seine ontologischen Prämissen offen diskutiert. Dies scheint angesichts der vorherrschenden Praxis in diesem Feld, die eigenen meta-theoretischen Verortungen nicht explizit zum Ausgangspunkt der Analyse zu machen, ein unbestreitbarer Vorteil zu sein, der die Dialogfähigkeit mit der internationalen Forschung über Globalisierungsphänomene und deren Deutung erleichtert. Künftige Beiträge zum Thema werden allerdings zum einen die Historizität ihrer Beobachtungen thematisieren und zum anderen die systematischen Verbindungen zu anderen Dimensionen von Globalisierungsphänomenen stärker herausarbeiten müssen.