B. Kosmala u.a. (Hgg.): Facing the Nazi Genocide

Cover
Titel
Facing the Nazi Genocide. Non-jews and Jews in Europe


Herausgeber
Kosmala, Beate; Tych, Feliks
Erschienen
Berlin 2004: Metropol Verlag
Anzahl Seiten
290 S.
Preis
€ 18,00
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Klaus-Peter Friedrich, Marburg

Der Sammelband versteht sich als Einführung in eine vergleichende Betrachtung der Judenverfolgung in den von NS-Deutschland oder seinen Verbündeten beherrschten beziehungsweise besetzten Gebieten. Das Dutzend der zwischen zehn und 32 Seiten langen Beiträge geht auf zwei Werkstatt-Treffen zurück, die 2001/02 in Menaggio und Budapest stattfanden. Der räumlich-thematische Bogen spannt sich von Deutschland über Polen, den Westen der ehemaligen Sowjetunion, Rumänien, die Slowakei und Ungarn bis nach Westeuropa (Niederlande, Belgien und Frankreich). Außer im Falle Deutschlands ist es Zweck des Unternehmens, den Grad von ,innerer‘ einheimischer Eigeninitiative und ,äußerer‘ nationalsozialistischer deutscher Einflussnahme (oder Druck) bei der Judenverfolgung genauer zu bestimmen. Dies gelingt in unterschiedlichem Ausmaß.

Beate Kosmala gibt im ersten Teil über das Verhältnis von Juden und Nichtjuden angesichts von Verfolgung und Deportation zunächst einen auf das illegale ,Untertauchen‘ in Berlin konzentrierten Überblick über die Reaktionen auf die Verschleppungen ,nach Osten‘ seit 1941. In der Einführung geht die Herausgeberin noch davon aus, dass nicht nur staatlich-politische Kollaboration, sondern auch die Haltung der einheimischen Normalbürger(innen) „eine erhebliche Rolle spielte für den überwältigenden Erfolg der NS-Vernichtungspolitik“ (S. 14). Als besondere Erschwernis für jüdisches Überleben im ,Dritten Reich‘ hebt sie nun aber den Umstand hervor, „that a substantial portion of non-Jewish Germans explicitly agreed with all measures conducted by the regime“ (S. 27).

Mit Verfahren einer aus den Sozialwissenschaften bekannten quantitativen Analyse erforscht Marnix Croes Ursachen der regional und lokal differierenden jüdischen Überlebendenstatistik in den Niederlanden. Er kann so Belege dafür beibringen, dass der willige oder gar eifrige Einsatz von einheimischen Polizeiformationen und ein geringer Anteil katholischer Bevölkerung sich ungünstig auf die Überlebenschancen auswirkten. Einer die Niederlande und Belgien vergleichenden Analyse widmet sich Georgi Verbeek, der das niederländische erinnerungspolitische Selbstbild einer heroisch Widerstand leistenden Nation einer korrigierenden Kritik unterzieht (S. 76, 80, 83 f.). Überdies rügt er die tagespolitische Instrumentalisierung des „Holocaust als durchschlagende Waffe“ in der Auseinandersetzung mit dem flämischen Rechtsradikalismus (S. 84 f.).

Feliks Tych skizziert in der polnischen Gesellschaft anzutreffende Einstellungen angesichts des Genozids. Diese waren von starkem Antisemitismus und Verschwörungsvorstellungen vom „jüdischen Bolschewismus“ geprägt. Die Lage in Jedwabne und Umgebung unterschied sich allerdings nicht dadurch vom Rest des Landes, dass hier Polen an der Gefangennahme und an Tötungen von jüdischen Nachbarn und in Feld und Wald Zuflucht suchenden Juden (individuell) aktiv teilnahmen. Die Pogrome nahmen vielmehr den Charakter eines kollektiven antijüdischen Gewaltausbruchs an, dem – von den deutschen Besatzern geduldet – in zwei Kleinstädten Hunderte und in über 20 weiteren Orten bis zu einige Dutzend Menschen zum Opfer fielen. Laut Aussage des Verfassers beruhen seine Ausführungen v.a. auf der Analyse von 500 (sic) Tagebüchern und Zeugenberichten (S. 87). Doch werden seine daraus gewonnenen Befunde über das Verhältnis von Juden und Nichtjuden hier empirisch nicht aufbereitet, und sie fließen in Tychs Untersuchung kaum ein: Die angeführten Belege sind fast alle seit längerem aus der Literatur bekannt. Bis heute ist dort nachzulesen, dass die Zahl der polnischen nichtjüdischen Verluste gleich hoch gelegen habe wie jene der rund drei Millionen jüdischen Opfer. Hochinteressant ist daher Tychs Richtigstellung der polnischen nichtjüdischen Opferzahl unter der NS-Okkupation, die er – realitätsnäher – mit 3-4 % der ethnisch polnischen Bevölkerung, also mit 600.000 bis 800.000 ansetzt (S. 91, 101).

Daniel Blatman lässt Äußerungen der zwischen 1940 und 1942 erschienenen polnischen Untergrundpresse zur „jüdischen Frage“ (Jewish issue) Revue passieren. Zitate aus Organen verschiedener politischer Richtungen belegen, das die Rechte an antijüdischen Einstellungen festhielt, während Sozialisten und ein Teil der Zentristen die beginnende Katastrophe der polnischen Juden gelegentlich als solche thematisierten. Allzu wenig erfährt man unterdessen über den Hintergrund dieser Stellungnahmen aus dem Widerstand: etwa über die Organisation der Blätter, ihre Mitarbeiter und ihr allgemeines Themenrepertoire. Blatman glaubt, seit dem Warschauer Getto-Aufstand (April/Mai 1943) habe die Untergrundpresse „mit weit stärkerem Nachdruck ihre Solidarität und Identifikation mit den Juden zum Ausdruck gebracht“ (S. 116). Zu einem solchen Schluss kann allerdings nur kommen, wer die den Kampfesmut der Aufständischen löblich anerkennenden Worte isoliert betrachtet vom gesamten Diskurs über ,die Juden‘ in den Jahren 1943 und 1944. Tatsache ist zudem, dass der Impuls, soziale Solidarität zu üben, zunehmend einer an ethnischen Abgrenzungen orientierten Einengung unterlag.

Mit „Annahmen“ (assumptions) der französischen Untergrundpresse als Ausdruck der öffentlichen Meinung befasst sich Renée Poznanski.

Mariana Hausleitner vergleicht die Haltung der Rumänen gegenüber den Juden in zwei nördlichen und östlichen Grenzregionen: in der Bukowina und in Bessarabien, während Christoph Dieckmann „die Rolle der Litauer im Holocaust“ und Ilya Altman den NS-Judenmord auf dem Gebiet der Russischen Föderation zusammenfasst.

Die übrigen Beiträge von Eduard Nižňanský, Krisztian Ungváry sowie dem Autorenduo Gábor Kádár und Zoltán Vági widmen sich der Vertreibung der Juden aus der Slowakei beziehungsweise aus Ungarn unter dem Aspekt von Enteignung, Beraubung und „Arisierungen“.

Der Band ist registerlos. Der angestrebte zwischenstaatliche Vergleich ergibt sich zumeist nicht aus einem inneren komparativen Analyseansatz, sondern fast ausschließlich aus dem Nebeneinander von jeweils auf eine einzige Region fokussierten Untersuchungen. Überdies gehen die Beiträge, wie an der Gruppierung der Aufsätze deutlich wird, von uneinheitlichen Vergleichsebenen aus, die teils sinnvoller Weise auf sachthematischen, teils aber nur auf geografischen und teils auf gemischten Kriterien basieren.

Redaktion
Veröffentlicht am
07.07.2005
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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