In den letzten Jahren sind in der Fach- und Wissenschaftsgeschichte erneut heftig geführte Auseinandersetzungen um die „Wissenschaft im Dritten Reich“ zu beobachten. In diesem Zusammenhang sind einschlägige Sammelwerke erschienen, die die inhaltlichen, institutionellen und personellen Verbindungen und Verwicklungen zwischen Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften und dem NS-Staat in den Blick nehmen. Sie zeigen, dass alle Fächer in irgendeiner Weise mit dem NS-Regime zusammenarbeiteten. Gleichzeitig wird die Frage der Neukonstituierung von Wissenschaft nach 1945 aufgeworfen. 1
Auffällig ist: Die Zeitungswissenschaft, Vorläuferdisziplin der heutigen Kommunikationswissenschaft, spielt in diesen meist von seiten der Geschichtswissenschaft initiierten Diskussionen keine Rolle. Dabei werden ihre offensichtlichen Funktionalitäten für das NS-Regime, die insbesondere in der Ausbildung von regimetreuen Journalisten und der wissenschaftlichen Legitimation von Presse- und Propagandapolitik lagen, übersehen.
Die Kommunikationswissenschaft befasst sich seit den siebziger Jahren mit ihrer NS-Vergangenheit. 2 Ergebnis ist eine Reihe biographischer und institutionengeschichtlicher Arbeiten. Allerdings fehlt es an integrativen und systematischen Studien zur Bedeutung und Rolle der Zeitungswissenschaft(ler) im Nationalsozialismus. Auch besteht über die Frage, warum die Zeitungswissenschaft zu einem der akademischen ‚Schleusenwerke‘ des Nationalsozialismus werden konnte, innerhalb der Fachgeschichte der Kommunikationswissenschaft Uneinigkeit. Gleiches gilt für die Frage, welche Bedeutung das Erbe der NS-Zeitungswissenschaft für die Entwicklung der Kommunikationswissenschaft nach 1945 hatte.
Anfang 2001 hat Horst Pöttker mit einem Beitrag im Informationsdienst der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) „Aviso“ die Fachgemeinde der Kommunikationswissenschaft provokant zu einer intensiven Reflexion ihres „NS-Erbes“ herausgefordert. 3 Dabei macht Pöttker bspw. auf den „anpassungswilligen“ Zeitungswissenschaftler Emil Dovifat aufmerksam. Dieser änderte seine erstmals 1931 erschienene „Zeitungswissenschaft“ nach der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ nun so, „dass sie perfekt in das NS-Konzept von der Zeitung als Propaganda- und Führungsmittel passte.“ 4 Weiter weist Pöttker mit im „Dritten Reich“ akademisch sozialisierten Nachwuchswissenschaftlern wie Elisabeth Noelle-Neumann, Wilmont Haacke und Franz Ronneberger darauf hin, dass die Entwicklung des Faches nach 1945 durch auffällige inhaltliche und personelle Kontinuitäten geprägt war. Aber das Fach, so sein Resümee, blickt „seiner Vergangenheit nicht offen ins Auge; nach wie vor gibt es eine Tendenz zum Schweigen und Schönen.“ 5
Dazu beigetragen hat sicher, dass dieses „Schweigen“ nach 1945 von den verbliebenen Protagonisten der „ersten Stunde“ wohl insgeheim als Ausgangsbedingung und Teil eines Grundkonsensus einer möglichst reibungslosen Neu- und Wiederbegründung des Faches verstanden wurde. Bernd Weisbrod bezeichnet dieses Gruppenverhalten in einem verwandten Zusammenhang als das „Moratorium der Mandarine“. 6 Weder Emil Dovifat (Berlin), Karl d’Ester (München) und Walter Hagemann (Münster) äußerten sich oder hinterließen Selbstzeugnisse zu ihren NS-Erfahrungen. Dovifat gab seine abermals bearbeitete „Zeitungslehre“ 1955 ohne jedweden Kommentar zur Genese des Textes zwischen 1931 und 1944 neu heraus. Auch prominente Vertreter der Generation der „Nestoren“ des Faches nach 1945, zuvorderst Noelle-Neumann, Haacke und Ronneberger, ließen sich in Diskussionen um ihre NS-Vergangenheit nicht ein. 7
Aber auch die Auseinandersetzungen in der Kommunikationswissenschaft selbst verlieren sich meist in der Abwehr von Nachfragen zur Geschichte des Faches zwischen 1933 und 1945. Vermutlich werden solche Debatten immer noch als Angriffe auf die nach 1945 fraglos neu gewachsene geistige und soziale „historische Identität“ (Wolf Lepenies) verstanden. Die eigentlichen Fragen, welchen Sinn es birgt, sich innerhalb der Fachgeschichte der Kommunikationswissenschaft mit der NS-Zeitungswissenschaft zu befassen, welche Bedeutung und welche Funktionen einer solchen fachgeschichtlichen Reflexion für die Gegenwart des Faches Kommunikationswissenschaft zukommen, spielen in diesen Diskussionen lediglich am Rande eine Rolle.
Allgemein hat Fachgeschichte eine aufklärende Funktion, nämlich faktisch die ideellen, institutionellen und personellen Elemente und Strukturen der Entwicklung eines Faches in Wechselwirkung mit Wissenschaft intervenierenden Momenten wie Gesellschaft, Medien, Politik und Wirtschaft zu rekonstruieren. Geschieht dies, dann kann auch in solchen Debatten wie der von Horst Pöttker ausgelösten Diskussion um die NS-Vergangenheit der Kommunikationswissenschaft gelassener gestritten werden. Das zeigte die daraufhin organisierte Jahrestagung der „Fachgruppe Kommunikationsgeschichte“ der DGPuK, die sich unter dem Motto „Von der Zeitungs- zur Publizistikwissenschaft: Kontinuitäten und Umbrüche“ (Dortmund, 18./19. Januar 2002) der Bestandsaufnahme, Differenzierung und Systematisierung der Erkenntnisse zum Thema Nationalsozialismus und Zeitungswissenschaft widmete. Erstmals veröffentlicht wurden die Tagungsreferate in einer Doppelnummer der Fachzeitschrift „Medien & Zeit“. 8
Wolfgang Duchkowitsch, Fritz Hausjell und Bernd Semrad geben mit dem Band „Die Spirale des Schweigens“ die wichtigsten dieser Beiträge erneut heraus. Ergänzt wurden sie um sieben neue Studien. Sie wollen damit entsprechend dem ebenso metaphorischen wie programmatischen Titel – eine Anlehnung an Elisabeth Noelle-Neumanns „Theorie der Schweigespirale“, welche das Reden und Schweigen in öffentlichen Kommunikationsprozessen ins Zentrum stellt – die „Jahrzehnte des Schweigens“ (S. 9) zur Geschichte des Faches im „Dritten Reich“ beenden und eine „Spurensuche“ zu den „Kontinuitäten der NS-Zeitungswissenschaft“ (S. 10) eröffnen.
Mit „Debatte“ ist der erste Teil des Bandes überschrieben. Er wird eröffnet von Horst Pöttker, der sich mit der fachöffentlichen Auseinandersetzung nach dem Erscheinen des „Aviso“-Beitrages beschäftigt. Pöttker diskutiert dabei die zentralen Abwehrmuster, die „selbstkritischen Einsichten“ (S. 13), das Fach und seine Rolle im Nationalsozialismus „in die Kontinuität der deutschen Entwicklung zu stellen“ (S. 21), entgegenstehen. Gerade an dieser Zusammenschau zeigt sich die dringende Notwendigkeit einer aufklärenden Geschichte des Faches im „Dritten Reich“.
„Selbsterkundung“ heißt der zweite Teil des Bandes, der sich methodischen Fragen und Konzepten der Fachgeschichtsschreibung widmet. Stefanie Averbeck und Arnulf Kutsch stellen mit ihren „Thesen zur Geschichte der Zeitungs- und Publizistikwissenschaft 1900-1960“, die sich als „Aufriss zu einer systematischen Geschichte der Zeitungswissenschaft“ (S. 55) verstehen, einen chronologisch-systematischen Zugriff vor. Unterschieden werden vier Entwicklungsphasen, die sich (ideengeschichtlich) an der Genese dominanter Denkmotive und Erkenntnisperspektiven orientieren. Systematisch wird für die Erforschung der Ideen- und Sozialgestalt der einzelnen Phasen eine „disziplinäre Matrix“ (Thomas S. Kuhn) vorgestellt, die sich aus wissenschaftsinternen, wissenschaftsintervenierenden und wissenssoziologischen „Kategorien der Fachgeschichte“ (S. 56; Schaubild 1) zusammensetzt.
Horst Pöttker stellt eine Typologie bestimmender Handlungsweisen von Zeitungswissenschaftlern in der Phase der „ideologischen und organisatorisch-pragmatischen Überformung“ (S. 60) des Faches zwischen 1933 und 1945 vor. Dabei weist er auf die Konsequenzen politischen und sozialen Handelns für wissenschaftliches Handeln und umgekehrt, letztlich die wechselseitigen Bedingtheiten und Funktionalitäten von diesen Handlungssysteme, hin. Dieser handlungsorientierte Ansatz soll der Fachgeschichte Anschlussmöglichkeiten an die „allgemeine Geschichte des NS-Regimes“ (S. 42) eröffnen. Die dabei zuweilen durchaus weiterer Überlegungen bedürftige Zuordnung einzelner Zeitungswissenschaftler zu typischen Handlungsweisen verweist ebenso auf Desiderate der Forschung wie die notwendige Umsicht bei solchen Untersuchungen.
Bernd Sösemann plädiert in seinen „Feststellungen zur wissenschaftsgeschichtlichen Forschung“ dafür, Fachgeschichte stets vor einem „angemessenen, kritischen und kenntnisreichen Bild der Zeitumstände“ (S. 87) zu schreiben. Dabei unterstreicht er den autoritären und repressiven Charakter des NS-Staates in Bezug auf das System Wissenschaft. Doch ist in der jüngeren wissenschaftsgeschichtlichen Forschung von einer ausschließlich „geistesfeindlichen Haltung“ (S. 82) des NS-Regimes keine Rede mehr. 9 Margit Szöllösi-Janze bemerkt hierzu: „Die engen Verflechtungen wie auch die permanenten Verschiebungen im inneren Machtgefüge des Regimes konnten Wissenschaftler einengen, ihnen aber auch beträchtliche Gestaltungsmöglichkeiten verschaffen, wenn sie den richtigen Partner im Machtpoker gefunden hatten.“ 10 Für die Zeitungswissenschaft war das Walther Heide, der mit dem „Deutschen Zeitungswissenschaftlichen Verband“ (DZV) das Fach gleichschaltete und in die Dienste des NS-Regimes stellte. Der DZV, den Sösemann nicht einmal erwähnt, setzte den seitens der Zeitungswissenschaft(ler) akzeptierten Handlungsspielraum für Ausbildung und Forschung. Von einer Gegenwehr gegen die Einvernahme ihrer Wissenschaft kann nicht gesprochen werden. Im Gegenteil: Die Zeitungswissenschaft erfuhr vermittels des DZV zwischen 1933 und 1945 eine deutliche finanzielle, institutionelle und personelle Aufwertung. Bei aller Berechtigung des Einwurfs Sösemanns, Fachgeschichte habe strukturell determinierte individuelle Lebenssituationen zu berücksichtigen, sollte deren Ziel nicht aus den Augen verloren werden. Es geht nicht in erster Linie um die Darstellung der biographischen Entwicklung zeitungswissenschaftlicher Persönlichkeiten, sondern um deren Handeln im System (Zeitungs)Wissenschaft, eingedenk der Dysfunktionalitäten und Funktionalitäten dieses Handelns für das NS-Regime.
Lutz Hachmeister macht auf die Absolventen und Assistenten der Zeitungswissenschaft aufmerksam. Er zeigt am Beispiel der von Franz Alfred Six institutionalisierten „Gegnerforschung“, dass das Fach ein wesentliches Personalreservoir für SD und SS war. Weiter weist er auf das Desiderat der Forschung hin, den Karrieren der jungen Zeitungswissenschaftler nachzuspüren.
Hans Bohrmann gibt einen detaillierten Einblick in die institutionelle und personelle Situation der Zeitungswissenschaft vor und nach 1945. Sein Beitrag vermittelt insgesamt einen Eindruck von der noch zu leistenden Forschung für eine Gesamtdarstellung der Geschichte des Faches im Angesicht der Zäsuren des 20. Jahrhunderts.
Einen Mosaikstein dazu liefert Rudolf Stöber, der die Bedeutung und die Rolle der drei nach 1945 erhalten gebliebenen Institute (Berlin, München, Münster) und ihrer kompromittierten Protagonisten (Dovifat, d’Ester, Hagemann) für „die Entwicklung der Disziplin von der geisteswissenschaftlichen Zeitungswissenschaft zur sozialwissenschaftlich orientierten Publizistik- und Kommunikationswissenschaft“ (S. 123) rekonstruiert. Dabei zeigen „die wechselnden Konstellationen zwischen den drei Protagonisten ein zutiefst zerrissenes, kleines Fach, das sich zunächst nur mühsam im akademischen Betrieb behaupten konnte.“ (S. 143)
Auf das 1933 aus der Zeitungswissenschaft verdrängte und vertriebene sowie nach 1945 in der Publizistikwissenschaft vergessene innovative Potential geistes-, kultur- und sozialwissenschaftlicher Perspektiven der Weimarer Zeit weist Hanno Hardt hin. Er deutet die „Entideologisierung und Rekonstruktion“ (S. 60) des Faches als einen wissenschaftsideologisch durch die enge Anlehnung an die amerikanische (empirische) Kommunikationswissenschaft begründeten historischen Identitätsverlust, der wissenschaftstheoretische Alternativen vergessen machte. „Diese Erneuerungsstrategie jedoch war (...) Ausdruck einer auf die Gegenwart gerichteten neuen Wissenschaft, die im Umgang mit empirischen Daten keiner Aufarbeitung der Vergangenheit bedurfte.“ (S. 159) Das haben bereits Stefanie Averbeck und Petra Klein anhand der „erfolgreichen Erfolglosigkeit“ der von Walter Hagemann und Henk Prakke initiierten „funktionalen Publizistik“, die amerikanische Kommunikationswissenschaft und deutsche Zeitungswissenschaft miteinander zu vermitteln suchte, exemplifiziert. 11
Kurt Koszyk und Walter J. Schütz berichten in autobiographischen Beiträgen von ihren Erfahrungen im Fach nach 1945. Beide studierten in Münster und München mit der zwiefachen Erfahrung von personeller Diskontinuität (Hagemann, Münster) und Kontinuität (d’Ester, München). In ihrer Studienzeit sind sie so mit Hagemanns akademisch offensiven Umgang mit der „Publizistik im Dritten Reich“ vertraut geworden. 12 Das beförderte bei ihnen eine ähnliche Sensibilität für inhaltliche und personelle Kontinuitäten. Aber das Fach insgesamt „überwintert“ – wie es Koszyk am Beispiel eigener Forschungen eindrucksvoll schildert – bis heute „im Widerspruch“ (S. 89) seiner historischen Identität(en).
Ähnliches konstatiert Hans Heinz Fabris in seinen persönlichen Reflexionen für Österreich.
Schließlich skizzieren Peter Meier und Roger Blum, wie Journalistik und Zeitungskunde in der Schweiz im „Sog der weltpolitischen Entwicklung während der Zeit des Nationalsozialismus“ (S. 177) ins „Frühstadium ihrer akademischen Institutionalisierung“ (S. 167) traten.
„Aufbruch“ heißt der dritte Teil des Bandes, in dem die Wiener Fachgeschichte im Zentrum steht. Verena Blaum befasst sich erstmals umfassend mit Wilmont Haacke, Assistent des Instituts für Zeitungswissenschaft Wien 1939-42. Haacke promovierte 1937 bei Dovifat mit einer Arbeit zu dem jüdischen Journalisten Julius Rodenberg, Herausgeber und Verleger der „Deutschen Rundschau“. Wegen der Unvoreingenommenheit dieser Studie in Bezug auf die „Judenfrage“ erregte er einiges Missfallen in der NS-Wissenschaftsadministration. 13 Dass Haacke dann doch ebenso vor und nach 1945 Karriere machte, verdankte er wohl seinem Hang zu ideologischer Konformität und Opportunismus wie sie sich inhaltlich in seiner Habilitationsschrift, der antisemitischen „Feuilletonkunde“ (1943-44), und dem hiervon später bereinigten „Handbuch des Feuilletons“ (1951-53) widerspiegeln. Blaum skizziert in groben Zügen die Genese dieses Textes. Der Leser hat damit an der „bemerkenswerten Mutation von ‚jüdischen Feuilleton-Schmieranten‘ zu ‚markanten Persönlichkeiten‘“ (S. 183) in Haackes Werk teil.
Auch in dem Beitrag von Wolfgang Duchkowitsch steht am Beispiel der beiden Institutsdirektoren Karl Oswin Kurth (1942-45) und Kurt Paupié (1969-81) die Frage der ideologischen Kontinuität in Wien vor und nach 1945 im Mittelpunkt.
Peer Heinelt beschäftigt sich mit den Wiener Jahren Franz Ronnebergers und weist auf inhaltliche und ideologische Kontinuitäten in dessen Werk hin. Fritz Hausjell ergänzt dies um Ronnebergers journalistische Tätigkeit als Leitartikler für eine Reihe in Österreich erscheinender nationalsozialistischer Zeitungen.
Dogmen- und problemgeschichtlich orientiert ist der Beitrag von Bernd Semrad, der die „Wiener Schule“ der Werbeforschung im Dienste des Nationalsozialismus thematisiert. Semrad stellt die relevanten Faktoren für eine Erforschung des Geflechts von Propaganda, Werbung, Werbewirtschaft und Werbewissenschaft in Austrofaschismus und Nationalsozialismus vor. Gleichzeitig weist er am Beispiel von Hanns Ferdinand Josef Kropff auf deren ideologische Konformität sowie inhaltliche und personelle Kontinuitäten hin. Die angeblich unbelastete wirtschaftliche „PRopaganga“ (S. 256) - und Werbeforschung wurde nach 1945 in die Publizistikwissenschaft integriert. Ideologisierte Inhalte und kompromittierte Personen wie Kropff, Carl Hundhausen, Albert Oeckl und Ronneberger bekamen eine zweite Chance im Fach Karriere zu machen. 14 Insgesamt liefert Semrad einen weiteren Baustein zu einer systematischen Geschichte des Forschungsgegenstandes „Werbung“ in der Kommunikationswissenschaft. 15
In der Bilanz ist zu sagen, dass der Band mit seinen Beiträgen versucht, die Konturen der NS-Zeitungswissenschaft aufzuarbeiten und nachzuzeichnen. Es ist Aufgabe weiterer Forschungen, alle diese vielen Anregungen und Hinweise aufzunehmen. Dabei sind insbesondere die Ausbildungs- und Forschungsschwerpunkte der einzelnen Institute und Personen, Lehrenden und Studierenden, sowie deren wissenschaftliche Produktion im „Dritten Reich“ näher zu untersuchen. Bei der Fachentwicklung nach 1945 ist die Rolle von Emigration und Remigration bislang nur unzureichend behandelt worden. Gleiches gilt für das Ausweichen von Zeitungswissenschaftlern in die Weichfelder der Kommunikationswissenschaft wie Media- und Meinungsforschung, Markt-, Verbrauchs- und Werbeforschung, ÖA und PR.
Damit bleibt letztlich zu hoffen, dass die Debatte weiter geht, wie es sich die Herausgeber wünschen.
1 Vgl. bspw. zuletzt die beiden Publikationen des Max-Planck-Instituts für Geschichte in Göttingen: Lehmann, Hartmut; Oexle, Otto Gerhard (Hgg.), Nationalsozialismus in den Kulturwissenschaften. Bd. 1: Fächer – Milieus – Karrieren, Bd. 2: Leitbegriffe – Deutungsmuster – Paradigmenkämpfe. Erfahrungen und Transformationen im Exil, Göttingen 2004.
2 Vgl. Kutsch, Arnulf, Zeitungswissenschaftler im Dritten Reich. Sieben biographische Studien, Köln 1984.
3 Pöttker, Horst, Mitgemacht, weitergemacht, zugemacht. Zum NS-Erbe der Kommunikationswissenschaft in Deutschland, in: Aviso. Informationen aus der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft Nr. 28 (Januar 2001), S. 4-7.
4 Pöttker (wie Anm. 3), S. 4.
5 Pöttker (wie Anm. 3), S. 7.
6 Weisbrod, Bernd, Das Moratorium der Mandarine. Zur Selbstentnazifizierung der Wissenschaften in der Nachkriegszeit, in: Lehmann, Hartmut; Oexle, Otto Gerhard (Hgg.) (wie Anm. 1), Bd. 2, S. 259-279.
7 Vgl. Kutsch, Arnulf; Pöttker, Horst (Hgg.), Kommunikationswissenschaft – autobiographisch. Zur Entwicklung einer Wissenschaft in Deutschland, Opladen 1997 mit Aufzeichnungen Elisabeth Noelle-Neumanns (S. 36-61) und einem Interview Franz Ronnebergers (S. 21-35).
Wilmont Haacke war für diesen Band nicht zu gewinnen.
8 Kontinuitäten und Umbrüche – Von der Zeitungs- zur Publizistikwissenschaft, in: Medien & Zeit 17 (2002), Nr. 2-3.
9 Vgl. Grüttner, Michael, Wissenschaft, in: Benz, Wolfgang; Graml, Hermann; Weiß, Hermann (Hgg.): Enzyklopädie des Nationalsozialismus, Stuttgart 1997, S. 135-153; Szöllösi-Janze, Margit, „Wir Wissenschaftler bauen mit.“ Universitäten und Wissenschaften im Dritten Reich, in: Sösemann, Bernd (Hg.), Der Nationalsozialismus und die deutsche Gesellschaft. Einführung und Überblick, Stuttgart, München 2002, S. 155-171.
10 Szöllösi-Janze (wie Anm. 9), S. 164.
11 Averbeck, Stefanie, Die funktionale Publizistik. Eine kritische Würdigung; Klein, Petra, Zur Ideengeschichte der publizistischen Lehre Henk Prakkes, in: Hemels, Joan; Kutsch, Arnulf; Schmolke, Michael (Hgg.), Entgrenzungen. Erinnerungen an Henk Prakke. Mit einer Bibliografie, Assen 2000, S. 57-70; 53-55.
12 Hagemann, Walter, Publizistik im Dritten Reich. Ein Beitrag zur Methodik der Massenführung, Hamburg 1948.
13 Vgl. Sösemann, Bernd, Auf dem Grat zwischen Entschiedenheit und Kompromiss, in: Sösemann, Bernd (Hg.), Emil Dovifat. Studien und Dokumente zu Leben und Werk, Berlin, New York 1998, S. 130-139.
14 Vgl. Heinelt, Peer, „PR-Päpste“. Die kontinuierlichen Karrieren von Carl Hundhausen, Albert Oeckl, und Franz Ronneberger, Berlin 2003.
15 Vgl. Regnery, Claudia, Die Deutsche Werbeforschung 1900-1945, Münster 2003.