Die Autoren/innen, meist von der Monash-University in Melbourne, gehen von Jan Scholtes Konzept aus, das Internationalisierung, Liberalisierung, Universalisierung, Modernisierung (im Sinn von Verwestlichung) sowie Supraterritorialität als Charakteristika von Globalisierung nennt. Zwei internationale Fälle werden vorweg erörtert – Terrorismus und Armut. Danach werden Länderbeispiele vorgestellt: Malaysia, Indonesien, Indien, Australien, Neuseeland, Japan, sowie China und Hongkong. Es fehlen also die west- und zentralasiatischen Länder.
In ihrer Einleitung skizzieren Gloria Davies und Chris Nyland verbreitete Konzepte von Globalisierung, ausgehend vom „Washington Consensus“, der auf der Annahme beruht, dass „Wohlstand durch die Reduzierung von Behinderungen der freien Bewegung von Ressourcen und Menschen“ (S. 4) erreicht wird. Die Opponenten werden vom „global justice movement“ angeführt, das herausarbeitet, wie sehr das „Spielfeld“ der Kräfte des Marktes einseitig zugunsten der USA organisiert ist, sodass keineswegs alle Spieler die gleichen Bedingungen vorfinden. Davies und Nyland stellen dann Scholtes Definition vor und kommen zu dem Ergebnis, dass insbesondere in der „Supraterritorialität“ etwas wirklich Neues entstanden ist – eine Rekonfiguration der Geografie, nach der sozialer Raum nicht mehr ausreichend mit territorialen Definitionen beschrieben werden kann.
Im ersten, ganz Asien umfassenden Teil geht Vivienne Wee auf die Implikationen von 9/11 und Irak-Krieg ein. In ihrer Definition von Globalisierung hebt sie anhand des Thatcher Slogans „There is no alternative“ (TINA) den Gesetzmäßigkeitsanspruch des Neoliberalismus heraus (S. 19). Nach 9/11 wurde dieser „Markt-Fundamentalismus“ (Soros-Zitat S. 20) militarisiert und Länder, welche als terroristisch eingestuft werden (vielleicht auch nur, weil sie muslimische Mehrheiten haben, wie Malaysia) mit präemptiven Angriffen bedroht sowie von Kapital- wie Tourismusströmen ausgeschlossen. David Wright-Neville untersucht verschiedene südasiatische Erfahrungen in Terrorismus. Er hält einen rollback der Nationalstaaten gegen die muslimischen supranationalen Konzeptionen für möglich, dies aber für einen Weg mit hohem Risiko für die Weltgesellschaft. Wichtiger wäre es, „den tief sitzenden existentiellen Zorn anzugehen, der durch die ökonomischen und kulturellen Ungleichheiten unserer Zeit erzeugt wird“ (S. 49). Vi Meghnad Desai erklärt die These Paul Barans 1 von 1960 für widerlegt, dass die Entwicklungsländer die Armut nicht besiegen würden, weil das Monopolkapital die Entwicklung verhindere – in Asien sei ab 1970 gerade die Massenarmut reduziert worden. Im Zeichen der Globalisierung sei es jetzt jedoch nötig, die freie Beweglichkeit von Kapital und Waren durch die der Menschen zu ergänzen: „[D]ie EU muss über die nächsten 15 Jahre hinweg etwa 100 Millionen Menschen importieren“. (S. 60)
Tham Siew-Yean skizziert die Wirkung der Globalisierung auf Malaysia – die schnelle Industrialisierung nicht zuletzt durch langfristig angelegtes auswärtiges Kapital führte zu Wohlstand und zur Einwanderung von legal 1,7 plus wahrscheinlich illegal 1,2 Millionen Arbeitsmigranten/innen; die Krise 1997 traf das Land deshalb mit besonderer Schärfe. Robert C. Rice und Idris Sulaiman beschreiben den indonesischen Fall. Auch hier war die Wirtschaftsentwicklung bis 1997 durch hohe Zuwachsraten und zunehmende Arbeitsteilung gekennzeichnet und das Land bringt durch die Größe des nationalen Marktes viele Voraussetzungen mit, um bei wieder einsetzender Konjunktur in der Asean Free Trade Area erfolgreich zu werden. Im technologischen Standard, z.B. der „E-readiness“ (der Verbreitung von elektronischen Dateien) bleibt Indonesien jedoch ein Schlusslicht, und vor allem hat das Land keine adäquate Regulierungsstruktur zum Umgang mit der erneuten Welle der Globalisierung geschaffen.
Marika Vicziany betont die Sektoren der indischen Wirtschaft, die nicht globalisiert sind – 44 Prozent des Nationalprodukts Indiens stamme aus dem Schwarzmarkt (Spanien mit dem höchsten Anteil in der EU nur 22 Prozent). Die Agrarpolitik der USA und EU behindern den Weg der Akkumulation über landwirtschaftliche Exporte, welche am ehesten die Massenarmut lindern könne: „[E]twa 70 Prozent der Armen der Welt leben im ländlichen Asien“. (S. 102) Am spannendsten ist ihre Beschreibung der Zusammenhänge zwischen einer indischen Diaspora in aller Welt, insbesondere in Silicon Valley, und der Heimat. Die Diaspora 2 finanziert zum Teil über Spenden die hinduistischen Nationalisten in Indien. Gruppen dieser Nationalisten nutzen den „Feldzug gegen den Terror“ zum Kampf gegen den Islam in Indien; der Premier selbst setzte Islam und Terrorismus in unmittelbaren Bezug (Zitat S. 113). Die Hindunationalisten hatten führenden Anteil an den Massakern in Gujerat 2002 – 2.000 Muslime wurden umgebracht und 100.000 Häuser von Muslimen wurden verbrannt (genauere Beschreibung S. 111f.) – aber kein Täter wurde verurteilt.
Chris Nyland und Russell Smyth analysieren den Versuch der australischen Labourpartei nach 1983, die Ökonomie des Landes zu globalisieren und das durch eine Freihandelszone mit den USA abzusichern. Der Versuch scheiterte an der Agrarlobby der USA. Nach dem Sieg der Konservativen gelang es dem neuen Premier Howard erst nach dem australischen Engagement in Bushs „Feldzug gegen den Terror“, die Freihandelszone erneut zu verhandeln – die USA halten solche Verhandlungen für ein politisches Privileg (S. 137) – außerdem wollen sie das in der Weltpolitik nicht zuletzt an Frankreich gescheiterte Projekt des „Multilateral Agreement on Investments“ (MAI) hier in einem zweiseitigen Vertrag wieder ins Spiel bringen (S. 124). John Ballingall, Phil Briggs und Joanna Smith bieten zur Lage Neuseelands vor allem Daten zu Tourismus und Außenhandel.
Ross Mouer geht davon aus, dass Japan bis in die frühen 1990er-Jahre zum Modell für viele Entwicklungstheoretiker geworden war und gibt Gründe für das Sinken der Zuwachsraten ab 1989. Die Krise führt er u.a. auf die geringe Mobilität zurück – nur etwa 700.000 Arbeitsmigranten, und auch nur eine zahlenmäßig kleine Diaspora. Förderung des Englisch-Unterrichts ab 2000 und eine Veränderung des Habitus vieler Japaner könnten aber eine auch kulturelle Globalisierung ankündigen.
Die letzten drei Beiträge behandeln China (einschließlich Hongkongs). Gloria Davies und Russel Smyth arbeiten die Erfolge, aber auch die sozialen Kosten der Integration Chinas in den Weltmarkt heraus. Die Kritik chinesischer Intellektueller betrifft die Geschichte 3 und die historischen double standards des Westens – die USA betrieben in ihrer Industrialisierungsphase Hochzollpolitik, den heutigen Industrialisierungsländern soll das aber nicht erlaubt sein. Die chinesische Regierung machte bei den Beitrittsverhandlungen zur WTO vor allem gegenüber der amerikanischen Agrarlobby große agrarwirtschaftliche Konzessionen, weil die Landbevölkerung des Reiches im politischen System kaum repräsentiert ist. Aus der Krise des Agrarsektors entstand eine riesige Zahl von Arbeitsmigranten innerhalb des Landes (zwischen 120 und 150 Millionen, S. 201) die Arbeit zu jeder Bedingung annehmen. Richard Lee York gibt Daten für die Entwicklung der ausländischen Direktinvestitionen (zwischen 1979 und 2001 waren das 394,127 Milliarden $, S. 214). Jane C. Y. Lee skizziert die Bewegungen von Menschen zwischen Hongkong und dem Mainland nach der Rückgabe der Kolonie.
In dem Sammelband sind Anhänger/innen und Gegner/innen der Globalisierung vereint. Das erhöht die Spannung, enttäuschend bleibt aber, dass gegensätzliche Aussagen nicht ausdiskutiert werden – etwa Desais Aussage über die Minderung der Massenarmut und Viczianys Feststellung, dass 70 Prozent der ländlichen Armen der Welt in Asien leben. Auch analysiert Desai, der die Erfolgsgeschichte der asiatischen NICS noch einmal Revue passieren lässt, nicht die Krise von 1997. Der am Anfang vorgestellte Begriff von Globalisierung bildet keineswegs den Referenzrahmen aller Beiträge, die also methodisch disparat bleiben, auch wenn die Agrarlobbies der USA und der EU einen gemeinsamen Bösewicht abgeben.
Trotzdem ist der Gewinn der Leser/innen groß, weil sie ein aktuelles, aber historisch einsetzendes Bild der Entwicklungen Süd- und Ost-Asiens nach der Krise von 1997 erhalten, das zur Einschätzung der realen globalen Wirkungen der Globalisierung notwendig ist. Bei aller Disparatheit der einzelnen Beiträge scheint der Schluss erlaubt, dass die sozialen und politischen Kosten der Globalisierung überall unterschätzt wurden, vielleicht gerade weil sie mit dem Anspruch historischer Notwendigkeit daherkommt – wirklich TINA?
Anmerkungen:
1 Baran, Paul A., Unterdrückung und Fortschritt, Frankfurt am Main 1966.
2 Vgl. die gute systematische Übersicht bei: Mann, Michael, Geschichte Indiens, Paderborn 2005, S. 207-276.
3 Vgl. Sachsenmaier, Dominic (Hg.), Schwerpunkt China (= Zeitschrift für Weltgeschichte 4,2 (2003)) mit dem Beitrag von Kenneth Pomeranz.