R. Galichian: Historic Maps of Armenia

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Title
Historic Maps of Armenia. The Cartographic Heritage


Author(s)
Galichian, Rouben
Published
London/New York 2004: I.B. Tauris
Extent
220 S.
Price
£ 49.90
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Dittmar Schorkowitz, Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin

Vor uns liegt ein Prachtband, dessen Titel – Historische Karten von Armenien – ein englisches Understatement reinster Güte ist und irreführt, unterschlägt er dem Leser doch, dass dieser viel mehr als nur armenische Topographien zu Gesicht bekommt. Tatsächlich stellt das Werk 127 überwiegend kolorierte Karten und zusätzlich zahlreiche Detailausschnitte in ausgezeichneter Hochglanzqualität vor, für deren Edition man den Tauris Verlag nur beglückwünschen kann.

Gezeigt werden nämlich Ausschnitte aus Karten, Tafelwerken und Astrolabien, die – soweit sie in der Antike und im Mittelalter entstanden – immer auch ein Abbild der ganzen damals bekannten Welt darstellen, unabhängig davon, wo diese entstanden: in Europa oder Asien. Doch selbst die Karten des 16. bis 18. Jahrhunderts zeigen großflächig - zumindest in der von Rouben Galichian getroffenen Auswahl - zumeist den Raum zwischen Osteuropa, Kleinasien und dem Mittleren Osten. Auf den Kaukasus bzw. Armenien selbst beziehen sich vor allem Karten jüngeren Datums, also des 19. und 20. Jahrhunderts.

Dem Autor, einem im nordwestiranischen Täbris geborenen Armenier, dessen Familie 1915 aus Van fliehen musste, ging es also darum, den historischen Platz Armeniens unter den Ländern Kleinasiens und des Mittleren Ostens mit kartographischen Mitteln zu bestimmen und - soviel darf unterstellt werden - damit an die Vertreibung und Entwurzelung seines Volkes zu erinnern. Dies ist ihm nicht nur in unaufdringlicher Weise exzellent gelungen. Für die historische Geographie füllt der schöne Band außerdem erstmals eine wesentliche Lücke der Repräsentation von Geschichtslandschaften in Kaukasien. In dem offenen Disput sowohl um westarmenische Gebiete in Ostanatolien wie um das ostarmenische Arcach im Kontext aserbaidschanischer Territorialforderungen - eine Auseinandersetzung, die auch heute nicht an Schärfe verloren hat - liefert er damit unwiderlegbares Anschauungsmaterial, das eine geschichtspolitisch gewollte Negierung des alten armenischen Erbes in der Region entscheidend erschweren wird.

Dabei spricht das Bildmaterial - bei der ältesten Abbildung handelt es sich um eine babylonische Tontafel aus dem 6. Jahrhundert v. Chr., bei der jüngsten um eine phantastisch scharfe Sattelitenaufnahme des Arax-Tals zwischen Erevan und dem Berg Ararat aus dem Jahre 2002 - über weite Strecken für sich selbst und beeindruckt, weil der historische Längsschnitt drei Jahrtausende kultureller und politischer Existenz Armeniens illustriert. Wie Christopher J. Walker in seinem Vorwort bemerkt, können antike Karten eben weit mehr sein, als nur dekoratives Beiwerk.

Rouben Galichian, ein Ingenieur mit ausgeprägtem Interesse für Kartographie und Geographie, legt hiermit das Ergebnis eines 30jährigen Sammelns und Forschens zur historischen Geographie Armeniens vor. Unterstützt haben ihn dabei namhafte Bibliotheken und Institute in London, Paris, Wien, Berlin, New York, Washington, München, Bologna, Venedig, Vatikan, Neapel und Erevan. Entstanden ist eine mustergültig edierte Sammlung von repräsentativen Karten unterschiedlichster Provenienz, die sorgfältig annotiert, teilübersetzt und mit Quellenverweisen versehen wurde.

Der weitaus größte Teil umfasst die Reproduktion von Originalen, gefertigt von den Koryphäen ihrer Zeit (Ptolemäus, Münster, Mercator, de Jode, Dunn, Delisle, Kiepert u.v.a.m.). Doch fanden darüber hinaus zahlreiche wissenschaftliche Rekonstruktionen historischer Landschaften Aufnahme, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Mode kamen, beispielsweise die „Carte des Premiers Ages du Monde“ von Robert de Vaugondy, die oikumene des Hecateus und Herodots in den Darstellungen von John Murray oder die Karte „Ancient Persia (Elam) With Adjacent Countries“ von John Dower.

Vorausgegangen waren dem - dies sei hier nur angemerkt - wiederkehrende Versuche der Voraufklärung, den Vorderen Orient als ursprünglichen Sitz der Christenheit in der Erinnerung Europas wiederauferstehen zu lassen. Armenien nahm dabei - so zeigen die zumeist auf Athanasius Kircher (*1601 †1680) zurückgehenden Karten von Philippe Buache und Emmanuel Bowen - als vermutetes Gebiet des Gartens Eden und durch den Berg Ararat, auf dem Noahs Arche angelandet sein soll, einen prominenten Platz ein.

Der Reiz der Betrachtung stellt sich indes nicht allein aufgrund einer chronologischen Geschlossenheit dar, die zugleich wissenschafts- und kulturgeschichtliche Horizonte erschließt. Für europäische Augen immer wieder verblüffend sind auch die zu stilisierten Zeichnungen verdichteten Itinerarien arabischer Geographen, die Galichian ebenso geschickt heranzuziehen weiß wie altarmenische Zeichnungen aus dem Matenadaran, wie russische Karten aus Katharinäischer Zeit oder Ausschnitte des osmanischen Weltatlas, gedruckt im Istanbuler Distrikt Üsküdar zu Beginn des 19. Jahrhunderts.

Auf der Suche nach ältesten Bildzeugnissen, die über den Ort Armeniens kartographisch Auskunft geben, wurde Galichian mehrfach fündig im British Museum in London. Die Keilinschriften der Zeichnung einer hier aufbewahrten Tontafel beispielsweise zeigen Armenien als nördlichen Nachbarn von Babylon im Westen und Assyrien im Osten, allesamt umgeben von einem Ozean, der sieben Inseln aufweist. Dass der gleichfalls verzeichnete Fluss Euphrat im ostanatolischen Hochland entspringt, mag mit ein Grund für die Erwähnung des armenischen Landes in der babylonischen Quelle gewesen sein.

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Unter den vorgestellten Karten aus vorosmanischer Zeit bemerkenswert sind zudem u.a. die Tabula Peutingeriana, deren Itinerar armenische Städte als Teil des Römischen Reiches erkennbar macht, und St. Jeromes „Karte von Asien“ aus dem Jahre 420, die nicht nur beide armenischen Landesteile (armenia inferior, armenia superior), sondern auch die anliegenden historischen Landschaften Kolchis (cholchi), Iberien (hiberia) und Atropatene (adiapeni) bzw. Aderbigan erstaunlich genau anzeigt.
Die „Große Karte“ des arabischen Geographen Abu Abdullah Mohammad Ibn al-Sharif al-Idrisi aus dem Jahre 1154 - von Konrad Miller 1927 rekonstruiert - ist demgegenüber schon ein Meisterwerk an toponymischer sowie geographischer Genauigkeit, das die Lage einer Fülle von Städten, Flüssen und Gebirgen präzisiert, beginnend mit der Kiewer Rus’ (ard al rusïa) im Norden bis zu den nordpersischen Provinzen im Süden. Als solche sind der südliche (bilād āderbaïgān) und nördliche Teil (bakïet ard āderbaïgān) des heutigen Aserbaidschans sowie daran anschließend, nördlich von Kura und Arax, Kaukasus-Albanien (bilād al rān) - im Persischen als Arran und im Armenischen als Aghvank benannt - besonders gekennzeichnet. Eine auf Ptolemäus fußende griechische Karte des 13. Jahrhunderts aus der Biblioteca Apostolica Vaticana weist gleichfalls den Fluss Kura als Grenzfluss Groß-Armeniens (ΑΡΜΕΝΙΑ ΜΕΓΑΛΗ) aus, dem sich nördlich - von West nach Ost - Kolchis (ΚΟΛΧΙС), Iberien (ЇΒΗΡΪΑ) und Albanien (ΑΛΒΑΗΙΑ) anschließen. Ergänzend dazu zeigen katalanische Portulane u.a. von Angelino Dulcert und Mecia de Viladestes das anno 1375 untergegangene Königreich von Armenisch-Kilikien am nordöstlichen Ende des Mittelmeeres als Teil von Armenia minor.

Zwar ist die neuzeitliche Zweiteilung Südkaukasiens zwischen dem Osmanischen und dem Persischen Reich schon auf Karten von de Jode, Mercator und Ortelius gegen Ende des 16. Jahrhunderts gut zu erkennen. Insonderheit erscheint Klein-Armenien nun als Turcomani regi und anstelle von Kolchis tritt das osmanisch dominierte Mengrelia regi, während sich in Zentralgeorgien neben dem Iberi regi ein davon südlich gelegenes Giorgiani regi gebildet hat und der persisch dominierte Teil Armeniens als Provinz gekennzeichnet ist.

Ihrer Präzision wegen hervorzuheben ist hierbei die 1676 in Paris gefertigte Karte des königlichen Geographen Philippe du Val, Schwiegersohn von Nicholas Sanson, eines anderen französischen Kartographen. Entnehmen kann man ihr, dass die osmanische Provinz Turcomanie den Berg Ararat und den Van-See umfasst sowie die westarmenischen Städte Erzerum, Kars und Erevan. Nachitschewan und Karabach dagegen sind Teile der persischen Provinz Iran. Ihr nördlich benachbart schließt sich Schirwan mit den Städten Baku und Schemacha (Scamachie), im Süden die Provinz Adherbeitzan (Aderbigan, Atropatene) mit Täbris (Tauris) und Ardebil an. In ihrer Detailgenauigkeit wird du Vals Karte erst 60 Jahre später durch die Arbeiten von Guillaume Delisle zum „Areal des Kaspischen Meers“ übertroffen, die seine Söhne 1730 in Amsterdam veröffentlichten.

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Doch liegt der für Südkaukasien gewählte Fokus auf der Zeit vom späten 18. bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts und zeigt die Aufteilung des Raums in die Hemisphären der drei regionalen Großmächte Persien, Osmanisches Reich und zaristisches Russland. Denn bekanntlich unterlagen deren Grenzregionen als Folge kriegerischer Auseinandersetzung einem ständigen Wandel. Und obschon es sich dabei um einen wesentlichen Aspekt der gleichermaßen in Wien, St. Petersburg, London und Paris, später auch in Berlin diskutierten Orientalischen Frage handelte, ist dieses vorderasiatische Konfliktfeld aufgrund seiner Randlage und nicht zuletzt wegen der betriebenen Desinformation in der Wahrnehmung Europas zu keiner Zeit adäquat präsent gewesen.

So weist zwar schon Johann Baptiste Homanns „Karte des Türkischen Reiches“ von 1748 Erevan, Ararat und Van-See als Teil der persischen Provinzen Armenia und Adherbeizan aus. Demgegenüber aber möchte der türkische Geograph Abubekir Efendi mit seinem ebenfalls in Amsterdam 1732 herausgegebenen Folianten „L’Etat Militaire de l’Empire Ottoman“ den Zeitgenossen glauben machen, dass östlich von Kars und Van-See im Vilayet Ermen nach einer Bergkette unmittelbar das Kaspische Meer beginne.

Die zeitgenössischen Karten und die kartographischen Rekonstruktionen illustrieren damit Ausschnitte von Grenzregionen bzw. Provinzen, deren Bezeichnungen, Verläufe und territoriale Zugehörigkeit noch heute Gegenstand von Disputen zwischen Ankara, Baku und Erevan sind. Im Wesentlichen handelt es sich hierbei einerseits um große Teile West-Armeniens, darunter 400 Kilometer Schwarzmeerküste, die die Türkei nach dem Vertrag von Sèvres vom August 1920 als Kriegsentschädigung an Armenien abtreten sollte. Die territoriale Rückübertragung von Gebieten in der Größenordnung von rund 90.000 Km², die von den Armeniern seit über 2.500 Jahren besiedelt wurden, ist der vom amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson im Jahre 1919 vorgelegten Karte detailliert zu entnehmen. Das ihm übertragene Mandat zur Implementierung der Vertragsbestimmungen haben die Vereinigten Staaten indes nie ausgefüllt.

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Mit in dieses Problemumfeld gehört andererseits die Frage nach der territorialen Zugehörigkeit von Karabach (Arcach), die mit Ausbruch des armenisch-aserbaidschanischen Krieges und vor allem seit dem 1994 geschlossenen Waffenstillstand erneut offen ist. Dabei berührt der Kern der auch mit historischen Argumenten geführten Auseinandersetzung das nationale Selbstbewusstsein Aserbaidschans unmittelbar, weil dieser erst 1918 entstandene Staat aus den unterschiedlichen historischen Landschaften der persischen wie russländischen Hemisphäre konstruiert wurde und relativ jung ist.

Nördlich der Kura sind dies mit Schirwan, Schemacha, Baku und dem lesgischen Dagestan - wie die Karte „Armenia, Mesopotamia, Babylonia et Assyria, cum adjacentibus regionibus“ aus Karl von Spruners „Atlas Antique“ schon 1865 gut kenntlich macht - Teile des frühmittelalterlichen Kaukasus-Albanien (bilād al rān, Arran, Aghvank), südlich von Kura und Arax ist es die im Nordwesten Irans gelegene Provinz Aderbigan (Atropatene) und mit Lenkoran sowie Astara – wenn man es genau nimmt – der nördlichste Zipfel der nordpersischen Provinz Gilan. Die nördlich dieses Grenzflusses gelegenen Gebiete von Karabach und Nachitschewan, die gleichfalls persischer Oberhoheit unterlagen, aber wurden der Sowjetrepublik Aserbaidschan beide erst 1923 zugeschlagen.

Abgerundet wird der Band durch eine konzise Einleitung zur bewegten Historie armenischer Staatlichkeit und - besonders wertvoll – durch einen kartographiegeschichtlichen Essay, der Aufschluss gibt über Wahrnehmung und Begriffsbildung historischer Landschaften im Wandel der Zeit seit Herodot und Anaximander von Milet. Das die griechische Expansion im Schwarzmeergebiet und in Südkaukasien, die Kriege der Hellenen in Persien wie in Transoxanien reflektierende ptolemäische Weltbild hat die Perzeption Armeniens durch Europa noch lange maßgeblich bestimmt.

Allmählich erst wurde es abgelöst infolge der Kreuzzüge und der Heranziehung von Kenntnissen arabischer Geographen sowie im 15. Jahrhundert schließlich durch die neuen Karten der Seefahrernationen. Dass dieser Erkenntnisprozess so langsam voranschritt, ist wesentlich der christlich-römischen Doktrin von der Entstehung und Ordnung der Welt geschuldet, die mit ihrem T-O Kartenschema einer rückwärtsgewandten Simplifizierung des Weltbildes und der Reduktion des Wissens für ein Millennium Vorschub leistete, bis sich mit Kopernikus das heliozentrische Weltbild durchsetzte. Doch entwickelten sich unabhängig davon mit Movses Xorenaći und Anania Širakaći seit dem Mittelalter auch armenische Traditionslinien.

Eine kurz gehaltene, jedoch hochkarätige Bibliographie, ein Glossar und vor allem ein nützliches Namensregister beschließen dieses Kartenwerk, das eine unschätzbare Fundgrube nicht nur für den Historiker, sondern ein Kleinod für jeden ist, der sich für kultur- und zivilisationsgeschichtliche Aspekte der Erweiterung Europas an seiner kleinasiatischen Peripherie interessiert.

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16.12.2005
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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