Die Geschichte internationaler Organisationen, lange Zeit ein eher marginales Forschungsfeld für Historiker, stößt im Zuge der Diskussionen über transnationale Geschichte auch in der Geschichtswissenschaft zunehmend auf Interesse 1. Im Hintergrund steht dabei meist die nahe liegende Frage, inwiefern internationale Organisationen die Globalisierungsprozesse des 20. Jahrhunderts voran getrieben und mitgestaltet haben. Dabei hilft der Blick über die engeren Disziplingrenzen hinaus. Einen prominenten Platz in den Formierungsprozessen der „Weltkultur“ weist den internationalen Organisationen insbesondere die neo-institutionalistische Schule um den US-amerikanischen Soziologen John Meyer zu 2. Auch der hier besprochene Band fühlt sich diesem Theorieansatz verpflichtet. Es handelt sich um eine überarbeitete Fassung der 2000 in schwedischer Sprache erschienenen Dissertation Hallströms, die an der Stockholm School of Economics entstanden war.
Hallström geht von der empirischen Beobachtung aus, dass Standardisierung im 20. Jahrhundert sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene enorm zugenommen hat. Das betrifft nicht nur die Zahl der Standards, sondern auch die Felder, die Gegenstand von Standardisierungsbemühungen wurden. Die Fragestellung Hallströms richtet sich nun nicht auf die Ursachen dieser Standardisierungsinitiativen, sondern auf die Frage, wie internationale Organisationen versuchen, ihre Standards durchzusetzen, die zumindest formal mit wenigen Ausnahmen freiwilliger Natur sind. Als theoretischer Bezugspunkt dient ein an Max Weber angelehntes Autoritäts-Konzept. Zusätzlich wird gemäß der neo-institutionalistischen Theorie angenommen, dass sich die Strategien der Organisationen zur Herstellung von Autorität nach ihrem institutionellen Umfeld unterscheiden. Als Beispiele untersucht Hallström die Internationale Organisation für Standardisierung (ISO) und das International Accounting Standards Committee (IASC; heute International Accounting Standards Board, IASB). Die untersuchten Beispiele sind demgemäß Standardisierung im Bereich des Qualitätsmanagements und der Buchhaltung. Die Materialgrundlage besteht aus Akten der untersuchten Organisationen, Publikationen und Experteninterviews. Der Untersuchungszeitraum deckt im wesentlichen die 1990er Jahre ab.
Hallström beschreibt zunächst die Geschichte der untersuchten Organisationen und deren institutionelles Umfeld (Kap. 4 und 5), dann die Debatten in den Organisationen (Kap. 6), die Strategien zur Durchsetzung der erarbeiteten Standards (Kap. 7), die dabei auftretenden Spannungen (Kap. 8) und die Unterschiede zwischen ISO und IASC (Kap. 9). Sie unterscheidet vier Strategien zur Herstellung von Autorität: erstens die öffentliche Betonung der Nützlichkeit der Standards; zweitens die Organisation nach bestimmten Prinzipien, die erhöhte Legitimität versprechen; drittens die Zusammenarbeit mit anderen Nichtregierungsorganisationen; und viertens die Zusammenarbeit mit Regierungsorganisationen, die verbindliche Standards setzen.
Von diesen Strategien ist organisationssoziologisch die zweite die interessanteste, da hierbei die Organisation ihre interne Struktur nach den perzipierten Anforderungen der Außenwelt ausrichtet. Hallström unterscheidet hier wiederum vier Organisationsprinzipien: Expertise, Repräsentativität, Bedürfnisse der Nutzer und Anforderungen der Finanziers. Mit Hilfe dieser analytischen Unterscheidungen kann sie zeigen, dass ISO und IASC unterschiedlichen Organisationsprinzipien folgten. Während die ISO stärker die Bedürfnisse der Nutzer in den Vordergrund stellte, betonte das IASC mehr die Expertise und die Repräsentativität. Außerdem knüpfte das IASC mehr Verbindungen zu anderen Organisationen, darunter auch Regierungen. Der Grund für die unterschiedlichen Strategien der Organisationen liegt nach Hallström in dem unterschiedlichen Institutionalisierungs- und Professionalisierungsgrad der untersuchten Felder.
Die tatsächliche Durchsetzung von Standards wird in dieser Untersuchung nicht thematisiert. Das ist angesichts der gewählten Fragestellung durchaus konsequent, lässt aber die Frage nach dem Ausmaß der Transnationalisierung in diesem Bereich offen. Andere Autoren sind hier skeptisch, sowohl hinsichtlich der Durchsetzung von Standards 3, als auch hinsichtlich ihrer Transnationalisierung 4. Eine andere interessante Frage, die nicht direkt behandelt wird, ist die nach der kulturspezifischen Tendenz der angeblich rein rationalen, nach objektiven Kriterien erarbeiteten Standards. Dazu gibt es nur verstreute Hinweise, z. B. dass sich das IASC in den Augen vieler Kritiker zu sehr an anglo-amerikanischen Standards und den Interessen der multinationalen Konzerne orientierte. Die ISO schien dagegen gut mit der Europäischen Union zu harmonisieren. Solche Aspekte hätten etwas ausführlicher thematisiert werden können.
Im Schlusskapitel weist Hallström auf weiterführende Fragen hin. Sie betont, dass Standards häufig nur formal freiwillig befolgt werden und schlägt daher Macht anstelle von Autorität als Analysekategorie vor. Außerdem müsste eine weiterführende Analyse die Bildung von Allianzen und Netzwerken zur Durchsetzung von Standards untersuchen, wobei diese Allianzen auch in physischen Artefakten verkörpert sein könnten. Der Rezensent muss an dieser Stelle mit leichtem Bedauern der Autorin zustimmen, dass dies wohl die interessanteren Fragen gewesen wären. Dennoch enthält das Buch wertvolles Material für diejenigen Historiker, die sich für die Geschichte der internationalen Organisationen im 20. Jahrhundert interessieren.
Anmerkungen:
1 Matthias Middell, Rezension zu: Iriye, Akira, Global Community. The Role of International Organizations in the Making of the Contemporary World, Berkeley 2002, in: H-Soz-u-Kult, 16.09.2005, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=6965.
2 Michael Hölscher, Rezension zu: Meyer, John W., Weltkultur. Wie die westlichen Prinzipien die Welt durchdringen, Frankfurt am Main 2005, in: H-Soz-u-Kult, 19.05.2006, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2006-2-121.
3 Walgenbach, Peter, Die normgerechte Organisation. Eine Studie über die Entstehung, Verbreitung und Nutzung der DIN EN ISO 9000er Normenreihe, Stuttgart 2000.
4 Tate, Jay, National varieties of standardization, in: Hall, Peter / Soskice, David (Hgg.), Varieties of capitalism. The institutional foundations of comparative advantage, Oxford 2001, S. 442-473.