Bei dem Africa Yearbook handelt es sich um ein wichtiges und überaus ambitioniertes europäisches Projekt, dessen Gelingen oder Scheitern sich – wie bei allen gerade erst neu aufgelegten Jahrbüchern – eigentlich noch gar nicht recht beurteilen lässt. Jahrbücher suchen einen Markt, der sich in Zeiten des Glaubens in die Auskunftsfähigkeit und Unfehlbarkeit des Internets in der Regel aus einem skeptischen Publikum konstituiert – zumal in Nischenbereichen wie Afrika. Dennoch, oder gerade deswegen, gibt es einen Bedarf an konzeptionell überzeugenden Jahrbüchern. Kontinuierliche, historisierende Beobachtung sowie kritische Analyse und Einordnung können weder vom Internet noch im journalistischen Dschungel erwartet werden. Fundierte, überprüfte und rekontextualisierte Informationen von akademisch geschulten Landeskennern bleiben eine unverzichtbare Voraussetzung für die Annäherung an räumlich ferne und kulturell fremde Dynamiken. Beim Gegenstand Afrika ist der Markt in den letzten Dekaden in dieser Hinsicht immer überschaubar geblieben. Neben dem alterwürdigen Africa Contemporary Record, das bis zu dessen Tod im Juni 2003 von Colin Legum editiert worden ist und das in jüngerer Vergangenheit vor allem mit Verzug, vereinzelt auch suboptimaler Qualität und vor allem aber Überteuerung zu kämpfen hatte, sowie einigen wenigen an nichtakademische Journale gebundene Yearbooks, die ihren Anspruch, kursorische landeskundliche Informationen zu bieten, mehr recht als schlecht erfüllten, gab es im deutschsprachigen Raum seit 1987 noch das Afrika Jahrbuch des Hamburger Instituts für Afrika-Kunde. Die Rezeption dieses Jahrbuches litt vor allem an Sprachgrenzen, aber – wie ich es über die Jahre erfahren habe – auch an der Ignoranz selbst der academic community vom Hochschullehrer bis zum Studierenden, die sich in aller Regel verweigert haben, sich mit kondensierten, zuweilen vielleicht auch recht drögen Informationen zu einzelnen Staaten oder Regionen überhaupt näher zu befassen.
Aus Sicht einer um ernsthaftes Verstehen rezenter afrikanischer Entwicklungen bemühten Regionalwissenschaft ist es daher ebenso begrüßenswert wie mutig, dass drei europäische Afrikainstitute – das Nordiska Afrikainstitutet (NAI) in Uppsala, das Afrika Studie Centrum (ASC) in Leiden und eben das Hamburger Institut (IAK) im Verein mit Brill Academic Publishers, der das unternehmerische Risiko trägt – den gemeinsamen Versuch unternommen haben, die Konzeption des Afrika Jahrbuches aufzugreifen und in einer optimierten englischsprachigen Version fortzusetzen. Das im vergangenen Jahr erschienene Africa Yearbook bietet Informationen über das Kalenderjahr 2004 – zu jedem afrikanischen Staat, zu den vier Großregionen Afrikas (Süd, Ost, Zentral, West) sowie zu Afrika im Berichtszeitraum und ferner den Beziehungen zwischen Afrika und Europa (die im Afrika Jahrbuch gepflegten feature-Artikel zu aktuellen Problem wurden also nicht weiter verfolgt). Innerhalb der Länderartikel wird einer Gliederung gefolgt, die Innenpolitik, Außenpolitik und Wirtschaft privilegiert. Die Artikel unterschiedlicher Länge – über Relevanzmaßstäbe ließe sich immer streiten – sind, und das macht sicherlich einen attraktiven Vorzug des Afrika Yearbooks aus, von renommierten Landeskennern verfasst. Die Herausgeber – Andreas Mehler, Henning Melber und Klaas van Walraven – haben dabei nicht nur auf den Pool ihrer jeweiligen Institute zurückgreifen können, sondern auch auf ein Netzwerk von universitären und außer-universitären Afrikazentren, die Africa Group for Interdisciplinary Studies (AEGIS), die sich zwar bereits zu Beginn der 1990-er Jahre formiert, aber erst in den letzten Jahren einen größere Sichtbarkeit erreicht hat. Das Africa Yearbook ist neben der seit 2005 alle zwei Jahre ausgerichteten European Conference on African Studies zweifellos der wichtigste Beitrag zu diesem Unterfangen.
Die nächste Runde wird von den Herausgebern sicherlich genutzt werden, bei einigen Beiträgen auf noch mehr Substanz zu drängen oder im Einzelfall vielleicht noch kundigere Autoren zu gewinnen. Im Einzelnen gilt es wohl, die hohen Standards auch flächendeckend einzufordern – z. B. im Hinblick auf die gleichgewichtige Behandlung der drei Teilbereiche der Länderartikel Innenpolitik, Außenpolitik und Wirtschaft (vgl. etwa die arg unterdurchschnittliche Erörterung der Außenpolitik Malawis; die Währungspolitik wird fast durchgehend nicht berücksichtigt). Auch bei den Regionalartikeln sollte eine einheitliche Systematik, wie sie in den Zwischenüberschriften erkennbar wird, eingefordert werden. Überhaupt, der Untertitel des neuen Africa Yearbooks – Politics, Economy and Society – spiegelt sich in den Länderartikeln nicht, „Gesellschaft“ stellt keinen eigenständigen Analysebereich dar. Die Schwierigkeit, konzise Informationen aufzubereiten, zeigt sich ferner häufig im Datierungsdetail. Auch hier gibt es noch keinen Gleichklang der Autoren – so wie sich auch im Afrika Yearbook generell mehr oder weniger zusammenhängende Datenaneinanderreihungen von verwobenen Interpretationen unterscheiden. Für den Benutzer hilfreich wären zumindest kursorische Literaturhinweise am Ende der Länderartikel. Positiv hervorzuheben ist zwar, dass der Leser nicht mehr mit den Bleiwüsten des Afrika Jahrbuches konfrontiert ist, andererseits vermag der zuweilen allzu luftige Satz des Africa Yearbook auch nicht zu überzeugen.
Dies alles soll jedoch nicht davon ablenken, dass es den Herausgebern zweifellos gelungen ist, ein gleichermaßen spannendes wie relevantes Projekt zu lancieren, dessen Potenzial zwar sicherlich noch nicht ausgeschöpft ist, das daher aber noch einiges erwarten lässt – zumal, wenn es eine ähnliche Laufzeit realisieren sollte wie das Vorgängerprojekt!