J. Dine u.a. (Hgg.): Human Rights and Capitalism

Cover
Titel
Human Rights and Capitalism. A Multidisciplinary Perspective on Globalisation


Herausgeber
Dine, Janet; Fagan, Andrew
Reihe
Corporations, Globalisation, and the Law
Erschienen
Cheltenham 2006: Edward Elgar
Anzahl Seiten
372 S.
Preis
£ 79.95
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Josef Bordat, Berlin

Die Ausübung von Freiheitsrechten im Kapitalismus läuft den Menschenrechten, den liberalen, aber insbesondere auch den sozialen und kulturellen und – die Klimadebatte ruft es praktisch täglich ins Bewusstsein – den „Menschheitsrechten“ in seiner ungezügelten Form zuwider. Diese These vertreten grundsätzlich alle Autorinnen und Autoren des vorliegenden Bandes, die mehrheitlich an der University of Essex (Großbritannien) arbeiten. Sie widmen sich zum Nachweis der Geltung ihrer These v. a. den problematischen menschenrechtlichen Auswirkungen von Rechten auf „geistiges Eigentum“ und von liberalen Handelsrechten als zwei besonders virulenten und vieldiskutierten marktwirtschaftlichen Freiheiten. Damit behandelt der Band ein Schlüsselthema unserer Zeit, steht doch einer breiten Anerkennung der Menschenrechte sowie dem erklärten Willen der westlichen Wertegemeinschaft, diese weltweit zu etablieren, ein ebenfalls weitgehend anerkanntes weltwirtschaftliches Regime gegenüber, das in seinem Liberalisierungs- und Ökonomisierungsdrang einseitig das Expansionsstreben westlicher Großkonzerne zu fördern und menschenrechtliche Normen zu unterlaufen scheint – so zumindest der Eindruck vieler Globalisierungskritiker.

Es ist notwendig, Licht in Sachfragen einer absoluten Grundsatzdebatte zu bringen (Veranstaltungen zur Globalisierung werden schon mal mit Titeln wie „Welche Welt wollen wir?“ angekündigt), die häufig schon an der Inkompatibilität des Denkens und der Begrifflichkeit ökonomisch, juristisch, politologisch und soziologisch-ethnologisch orientierter Diskursteilnehmer scheitert. Diesem Anliegen wird "Human Rights and Capitalism" durch eine Abhandlung vieler wichtiger Fragen zum Spannungsverhältnis von Menschenrechten und Kapitalismus aus unterschiedlichen Perspektiven in eindrücklicher Weise gerecht. Im ersten Teil behandelt der Band dazu konzeptionelle Fragen, im zweiten Teil werden Fallbeispiele und spezielle Fragen zu regionalen und thematischen Einzelproblemen angesprochen. Im dritten Teil blicken zwei interessante Beiträge exemplarisch nach Lateinamerika, wo bekanntlich sehr unterschiedliche Antworten auf die Globalisierungsherausforderung gegeben werden: Dem pragmatischen Weg (Argentinien, Brasilien, Chile) steht ein neuer lateinamerikanischer Sozialismus gegenüber (Venezuela, Ekuador, Bolivien), der in bekannter Rhetorik anti-imperialistische Bündnisse gegen den Erzfeind USA schmiedet.

Michael Freeman umreißt zu Beginn die Befindlichkeit vieler Globalisierungskritiker, für die eine Opposition zum Marktliberalismus nicht automatisch eine Wiederbelebung marxistischer Ideen bedeutet. In 'Beyond capitalism and socialism' begibt sich Freeman auf die Suche nach dem „Dritten Weg“, indem er zunächst feststellt, dass sich der Kapitalismus am Anspruch der Menschenrechte messen lassen muss – und dabei scheitert. Ausgehend von ihren christlichen Wurzeln beschreibt er die Genese der Menschenrechtsidee, die von Beginn an die Ambivalenz des Freiheitsbegriffs in sich trägt: Freiheitsrechte werden – etwa bei Locke – über die Figur des Eigentums eingeführt, die jedoch im Kapitalismus Wirkungen entfaltet, die eine Begrenzung der Freiheit erforderlich machen. Schon bei Locke wird diese Einsicht formuliert, wie Freeman feststellt: „Locke’s theory combines the Christian-republican hostility to greed and luxury with the Protestant valorisation of labour.“ (S. 18). Im Gegensatz zu Smith, bei dem die Begrenzung der Freiheit obsolet wird, weil in seinem Konzept schon der Mechanismus der freien Marktwirtschaft selbst das für alle beste Ergebnis bringt, insistiert Locke also sehr wohl auf Verantwortung als Dimension unternehmerischen Handelns, so dass festzuhalten ist: „Smith, rather than Locke, separated the right to property from social responsibility.“ (S. 21). Um diese Trennung zu überwinden und Freiheit und Verantwortung, Eigentum und Gemeinwohl, Kapitalismus und Menschenrechte wieder zusammenzubringen, bedarf es der Einsicht in den Zusammenhang zweier unstrittiger Phänomene: 1. Der Kapitalismus hat sich historisch behauptet und „is a powerful adversary because of its proven ability to create wealth“ (S. 26). 2. Die Menschenrechte bergen Rudimente der beiden vom Kapitalismus überwundenen gesellschaftlichen Alternativen Christentum und Sozialismus. Daraus folgt für Freeman, dass die Menschenrechtsidee als Hüterin dieser Regulative jetzt und in Zukunft die Funktion übernehmen muss, den Kapitalismus kritisch zu flankieren, eine Funktion von größter Bedeutung, denn: "The well-being of many millions depends on the success of this project." (ebd.).

Sheldon Leader ist der Ansicht, dass die Einbeziehung menschenrechtlicher Überlegungen in die Theorie und Praxis ökonomischer Prozesse dem Vorwurf marxistischer Kapitalismuskritik, der Markt sei nicht fähig, aus sich selbst heraus Lösungen des Freiheitsdilemmas zu generieren, dem Boden entzieht. Er zeigt dies anhand der Gesetzgebung zum Arbeitsschutz und vermittels des Rechtfertigungsbegriffs, der für ihn eine entscheidende Rolle spielt. Er stellt dem Mythos der gerechtfertigten Ungleichheit als Ergebnis von Akten der Wahlfreiheit prinzipiell gleichgestellter Akteure (liberalistische Rechtstheorie) die rechtliche Regulierung der Wirtschaft gegenüber, eine Freiheitsbegrenzung, die den Druck der sozialen Realität berücksichtigt, unter der das Individuum seine Entscheidungen trifft. Nur so kann das balancierende „mutual adjustment“ der von Leader vorgeschlagenen „civic justification“ erreicht werden (S. 45), die den Ausgleich zwischen dem Eigentumsrecht des Unternehmers und den Freiheitsrechten der Beschäftigten herbeiführen soll.

Mit Pogges institutionenorientiertem Ansatz nähert sich Janet Devine dem Armutsproblem. Sie geht davon aus, dass die Unternehmen, die grundsätzlich zum Zweck der Profitmaximierung aufgestellt sind, „a human-rights-consistent design“ benötigen (S. 62f.), um das Armutsproblem nicht weiter zu verschärfen. Dazu sei ein Bündel von Maßnahmen im Rahmen der „corporate social responsibility“ respektive „corporate environmental responsibility“ zu realisieren, das zunächst von außen verordnet werden muss, dann jedoch ins System des Unternehmens integriert werden soll und kann, um die Unternehmenskultur zu verändern, so dass die Verantwortlichkeit des Managements sich schließlich nicht nur im Anliegen des ökonomischen Corporate Governance – „the benefit of the company“ (S. 66) – erschöpft, sondern auf die gesamtgesellschaftliche Wirkung unternehmerischer Handlungen ausgeweitet ist. Diese „directed self-regulation“ (S. 69) wird kontrolliert von kompetenten „Public Interest Groups (PIGs)“ (S. 74), die in der betreffenden sozialen oder ökologischen Frage Expertise besitzen. Dass dies nicht unproblematisch ist, wird an der abschließenden Maßgabe, „that the objectives of society and the objectives of companies must be made to work in some degree of harmony“ (S. 75), deutlich, denn das setzt freilich stillschweigend voraus, dass die „society“ (insbesondere also die PIGs) bereits selbst über ein „human-rights-consistent design“ verfügt, was jedoch nicht für jede Gesellschaft gilt. In beiden Bereichen – Wirtschaft und Gesellschaft – müssen alle Akteure übergeordneten menschenrechtlichen Standards verpflichtet sein.

Im folgenden Beitrag nimmt sich Michael Blecher der „Kontrolleure“ genauer an, indem er die neuen sozialen Bewegungen analysiert, denen es um die Überwindung partikulärer Problembetrachtung und die Schließung jener perspektivischen Kluft zwischen Recht und Politik geht, die verhindere, den neuen Anforderungen einer globalisierten Welt gerecht werden zu können. Sein Vorschlag einer zivilgesellschaftlich generierten „liquid democracy“ (S. 87) mit einem von den sozialen Bewegungen erstrittenen „Law in Movement“ erstrebt eine „procedural justice“ (S. 91ff.). Blecher entfaltet damit eine kontraktualistische Gesellschaftsauffassung, in der die Menschenrechtsdimension schon im Verfahren erkennbar ist. Das „Law in Movement“ muss dabei „guarantee the permanence of the political and legal transition process in order to increase justice for the maximum of singularities; create a ,conflict culture’ for confrontation and negotiation between competing concepts for the production of the common; provide the procedures and locations or ,competent fora’ for the realization of this program.“ (S. 102). Gerade in dieser „realization“ dürfte jedoch angesichts der inhaltlichen Komplexität der Entscheidungsprobleme die Schwierigkeit liegen. Zudem muss das Vertrauen in die Kompetenz sozialer Bewegungen trotz deren Boom in den vergangenen zwei Jahrzehnten erst noch wachsen, damit diese die ihnen zugedachte Rolle auch legitim einnehmen können.

Zur Praxis einer nicht institutionenorientierten, sondern individualistischen sozialen Bewegung entwickelt zum Abschluss des ersten Teils Andrew Fagan interessante Gedanken. Unter dem Titel Buying right skizziert er eine philosophische Begründung der immer populärer werdenden Konsum-Ethik. Geläufige Theorien enthalten dabei Menschen- und Tierrechtsfokus, so dass „ethical shopping“, so die häufig formulierte Ansicht, bedeutet: „avoidance of harm to humans, animals and the environment as the moral aim“ (S. 125). Fagan analysiert diese Position und kritisiert dabei u. a. die vielfach unreflektierte Auflistung der vermiedenen „harms“, wobei gar „some advocates of ethical shopping are more concerned with the suffering of non-human animals or the effects of technology and industry upon the environment than they are with that endured by human beings.“ (S. 130). Auch prüft er ganz grundsätzlich, inwieweit „ethical shopping“ überhaupt auf die Menschenrechte wirkt und ob es sich nicht – Marxens Radikalkritik folgend – um eine contradictio in adjecto handelt. Diese Offenheit ist wichtig, um schließlich zu einem fundierten Plädoyer für eine glaubwürdige Konsum-Ethik zu kommen. So endet Fagan mit einem emotionalen Appell für das menschenrechtsbewusste Einkaufen: „As individual consumers we are in a position to help. How can one choose not to?“ (S. 140).

Unter den sechs Beiträgen des zweiten Teils zu Spezialthemen befinden sich drei, die sich besonders auf die Welthandelsorganisation (WTO) und ihre Regelungswerke beziehen und damit eine Schlüsselstelle im Kapitalismus-Menschenrechts-Dilemma der Globalisierung betrachten. Denn wo wäre es wirkungsvoller als hier, mit dem Blick durch die Menschenrechtsbrille zu einer neuen Sicht zu gelangen? Das diese nötig ist, zeigen die Beiträge eindrücklich.

Steve Anderman und Rohan Kariyawasam stellen die Auswirkungen des TRIPS-Abkommens, das den Handel mit intellektuellen Eigentumsrechten auf multilateraler Ebene regelt, auf die Entwicklungsländer dar. Die WTO will dem Vertragswerk Rechte sichern, deren staatlicher Schutz als ein Menschenrecht angesehen werden kann, nicht jedoch in jedem Fall deren privatwirtschaftliche Ausübung (S. 169), weil diese der Entwicklung in „developing countries“ (DC) und „less developing countries“ (LDC) zuwider läuft, u. a. deshalb, so Anderman und Kariyawasam, da die in TRIPS verzeichneten Regelungen einseitig auf die Bedürfnisse der „Ersten Welt“ zugeschnitten seien. Die vorhandenen Ausnahmeregeln für die DCs/LDCs seien unzureichend, weiterhin würden diese durch den Druck, die Regelungen schnell implementieren zu müssen, was verbunden ist mit der Notwendigkeit aufwendiger administrativer Umsetzungsmaßnahmen, zu sehr belastet. Auch die Gleichartigkeit der Regelungen hemme die Entwicklung in den ungleichen DCs/LDCs. Eine flexiblere Alternative bieten vermeintlich bilaterale Handelsabkommen, die jedoch unter dem Machtgefälle der „Partner“ leiden und daher im Ergebnis häufig das Entwicklungsland nicht besser stellen. Anderman und Kariyawasam kommen zu der ernüchternden Erkenntnis, „that LDCs have effectively lost control over their power and discretion to determine the path and stages of their own development“, denn sie sind abhängig von „trade rules and bilateral agreements which are not designed to promote their autonomous determination of their own route to development“ (S. 192).

Auch hinsichtlich des Rechts auf Gesundheit als fundamentales Menschenrecht wird der WTO kein gutes Zeugnis ausgestellt. Paul Hunt und Simon Walker zeigen, dass sowohl TRIPS als auch das zeitgleich in Kraft getretene Handelsabkommen über Dienstleistungen (GATS) dieses Recht eher verletzen als schützen, wenn auch Möglichkeiten bestehen, innerhalb der Verträge dem Recht auf Gesundheit zu entsprechen (Beispiel: TRIPS Art. 31, S. 238).

Da kommt Fernne Brennans Ruf nach einer WTO-Reform wie das passende Echo. Um den „institutional racism“ (S. 256), der sich in der Welthandelsorganisation manifestiere, zu überwinden, sei ihre Reform notwendig, die mit geringem Aufwand den Opfern des Kolonialismus – Brennan konzentriert sich auf die ersten Opfer der Conquista: die Völker der Karibik – großen Nutzen brächte: „A relatively minor change would contribute to the much-needed help of economies in the Caribbean. That would be to ensure that the positive measures that are started in the WTO Agreement should be manifested in terms of guarantees of quotas and the removal of duties for these countries.“ (S. 274).

Der vorliegende Band präsentiert Positionen, die mit den beiden extremen Perspektiven auf das Kapitalismus-Menschenrechts-Dilemma (1. Der Kapitalismus an sich ist menschenrechtsinkompatibel; 2. Menschenrechte sind nicht mehr als Kosmetik in einem an sich schon freien und gerechten Marktsystem.) kritisch umgehen und sie, mal von der einen, mal von der anderen Seite kommend, in konstruktive Lösungsansätze zu transformieren suchen. Die Beiträge sind dabei ausgewogen und auf der Höhe des Diskurses. Auch wenn nicht immer ganz klar ist, was die Autoren unter „Menschenrechten“ jeweils genau verstehen – die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ (1948), die Pakte über soziale und kulturelle Rechte (1976) oder ein über- bzw. vorpositives Naturrechtspostulat als bloß ethische Argumentationsfigur –, klar wird, dass die Theorie der Menschenrechtsverwirklichung an einer Analyse des kapitalistischen Weltwirtschaftssystems und seiner Regeln nicht vorbeigehen kann. Es braucht dazu einen interdisziplinären Zugang und eine vielschichtige Betrachtung. Die Texte des Sammelbandes Human Rights and Capitalism haben dazu beigetragen und rechtfertigen den Untertitel: Die Multidisciplinary Perspective on Globalisation kann als gelungen bezeichnet werden.

Redaktion
Veröffentlicht am
11.01.2008
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/